Willkommen auf den Seiten des ersten Blogs Deutschlands aus der Dolmetschkabine, seit 2020 pandemiebedingt häufig auch 'outside the box' (*), der Blick von außerhalb der Dolmetschkabine auf das Leben: Vom eigenen Online-Dolmetschstudio aus, aus der Übersetzerwerkstatt, über den sprachbetonten Alltag in schwierigen Zeiten und über landestypische Themen.Heute ist der Tag der Muttersprache. Während mich von den Spielorten und Treffpunkten der Berlinale Krankmeldungen ereilen, die Influenza grassiert, sitze ich kurzfristig und in Krankenvertretung am Projektmanagement für eine Dokumentarfilmendfertigung.
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Manchmal bettelt die KI um Daten
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In den Unterlagen dazu liegt auch eine Übersetzung aus dem Französischen. In der deutschen Fassung sehe ich auf den ersten Blick Unstimmigkeiten. Ich lasse mir den Ausgangstext zuschicken und sehe, die Erstübertragung hat die KI gemacht, und dann war ein Mensch damit beauftragt gewesen, das Ergebnis zu verbessern. Das Endprodukt war, wie ich der Korrespondenz entnehme, auch noch sehr teuer gewesen.
Hintergrund des Malheurs: In der Produktionsfirma kannte niemand den Unterschied zwischen einer vor allem im Internet präsenten Agentur und Freiberufler:innen.
Text versus Textiles
Im Vergleich mit dem Kleiderhandel wäre das Erste die Discounterkette mit der Wegwerfmode, die Ware wird in Kartons in Industrieregale gestapelt, hält nicht lange, wurde möglicherweise außerhalb Europas mit giftigen Chemikalien gefärbt; und das Zweite, Freiberufler:innen, sind dagegen die Schneidermeisterbetriebe mit Qualitätsbewusstsein.
Neben diesen Pseudoagenturen gibt es gut arbeitende, alte Betriebe, leider ist im Netz nicht zu sehen, wer hier wer ist. Aber diese (z.T. auch schon wieder älteren Newcomer, Adresse, Webpräsenz und Stockfotos kosten nicht viel. arbeiten wie Makler: Geringes Eigeninvestment, schneller Weiterverkauf (hier: der Arbeit an Subunternehmer:innen) mit größter Marge, Kundenzufriedenheit oder Kundenbindung stehen nicht im Zentrum des Unternehmens. Hit and run, schnell zuschlagen und weiter!
Freiberufler:innen im Netzwerk oder begabte Crewmitglieder?
Der Vergleich hinkt, niemand wählt beim Kleiderkauf zwischen Wegwerfklamotten und Haute Couture. Gründlich und maßvoll arbeiten Fachbetriebe und Netzwerke von Freiberufler:innen. Wir sind eigentlich die preiswerten, jene, die ihren Preis wert sind. Last but not least gibt es auch noch begnadete Schnittassistent:innen oder Mitarbeitende anderer Gewerke, die sich mühsam eingearbeitet haben. Letztere sind selten — und sie sind meistens von linguistischen Betrachtungen und dem Erfahrungsschatz der letzten Jahrzehnte abgeschnitten.
Den oben erwähnten Text habe neu übersetzt, das ging schneller. Viele von uns Sprachprofis lektorieren die Arbeit von anderen Profis mit Vergnügen. Aber es ist frustrierend, wenn es aber gar nicht um das Mitdenken bei Sprachknobeleien geht, nicht darum, einen guten Text noch besser zu machen, sondern eigentlich nur um Flickerei dessen geht ist, was kalte Bits und Bytes hin- und hergeschoben haben.
Qualität und Wahrscheinlichkeitsrechnung
Die KI liefert ihre Texte mit "Übertragungslösungen", die sie für die wahrscheinlich besten hält. Sie "analysiert" das bereits Veröffentlichte und schiebt mit Algorithmen die plausibelsten Redewendungen in den Vordergrund. Das Ergebnis ist der Querschnitt des bereits Veröffentlichten, was nicht zwingenderweise schlechter Durchschnitt sein muss, denn es gibt ja hervorragende Texte im Netz.
Aber meistens klingt es verhackstückt, gebastelt, immer wieder schräg ... und wiederholt waren in meinem konkreten Fall komplett falsche Sachen zu lesen. Angeblich wurden die Maschinen mit allem gefüttert, was das Word wide web bis vor einigen Jahren verfügbar hatte. 2026 soll die KI das ganze Netz 'ausgelesen' haben. Die Maschinen haben also schlicht keinen Zugriff auf neuere Informationen und flicken die Lücken mit wilden Erfindungen.
Brüche in der Tonspur
Erinnern Sie sich an den Film "Die fabelhafte Welt der Amélie" von Jean-Pierre Jeunet ? Die traurige Concierge ihres Wohnhauses hatte lange nichts mehr von ihrem Mann gehört. Daraufhin schlich Amélie in die Conciergenwohnung, "lieh" sich die Briefe des Vermissten aus, ging in den Copyshop und stellte mit der Schere "neue" Briefe aus Wortschnipseln zusammen.
Erinnern Sie sich auch an die Tonspur dazu? Die Stimme war mal oben, mal unten, mal verrauscht, mal verraucht, mal kam sie von links, mal aus einer tiefen Höhle oder klang müde. Die Sätze bestanden vor allem nur aus Sprüngen. SO "klingen" viele von der KI übertragene Texte für Muttersprachliche Ohren.
Schlimm, dass jetzt immer mehr schlampig Lektoriertes gedruckt wird, wodurch sich die deutsche Sprache langsam verändert, sie wird steifer, immer häufiger fließt direkt aus dem Englischen Übersetztes in die Alltagssprache ein, obwohl Muttersprachler:innen eigentlich spontan ganz andere Begriffe verwenden würden.
Neue Muttersprache "DEnglish"?
Oder aber die Sprache steckt voller echter oder falscher Anglizismen, weil es modisch ist, sich so auszudrücken.
In der Pause am Morgen draußen sowas in der Art gehört: "Immer diese Rush hour morgens, erst die Große zum Walking bus bringen, dann die Kleine an der Drop off-Zone absetzen, den Mann hab ich heute zum Flughafen gebracht ... Nein, das kostet mich nichts, gut dass es Kiss and fly gibt, vor dem ersten Meeting noch einen Coffee to go und ein Wrap, ..."
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Illustration: Netzfund (nicht in der CI-Farbe,
leicht verändert)