Mittwoch, 30. März 2022

Pfarreien

Zufäl­lig oder ge­plant: Sie sind hier auf Sei­ten eines digi­talen Tage­buchs aus der Ar­beits­welt gelandet. Ich bin Dol­met­scherin für die fran­zösische Sprache (und aus dem Eng­li­schen) und berichte aus dem All­tag.

Beim Com­pu­ter­auf­räumen finde ich folgenden automatisch übertragenen Mail­aus­tausch, den ich in Ko­pie er­hal­ten hat­te. Unten steht das Ori­gi­nal, oben die "Übel­set­zung".

Zur Erinnerung: Wir haben dieses Detail bei einem früheren Treffen gemeinsam gesehen. | Sie mussten mir eine Lösung für die 2 Pfarreien anbieten. | Wir können nächsten Donnerstag reparieren. | herzliches Element.


Als Dol­metscherin, die bei früheren Tref­fen mit vor Ort war, konnte ich sinngemäß übertragen. "Zur Erin­nerung: Wir haben dieses Bau­teil bei einer früheren Begeh­ung gemeinsam in Augen­schein ge­nommen.
Sie sollten mir dann eine Lösung für die zwei Wände anbie­ten.
Wir können nächsten Don­ners­tag nochmal darüber spre­chen.
Mit freundlichen Grüßen ..."

An den Kunden in Frank­reich ging dann diese Rück­über­set­zung der Rück­über­set­zung:
Je retra­duis ce que DeepL en a fait en Allemand : "Vous avez dû me pro­poser une solution pour les deux pa­roisses [ ≠ parois]. Nous pou­vons réparer [≠ reparler] jeudi pro­chain.
Aus parois, Wand, hat das System paroisse gemacht, Pfar­rei, aus reparler, erneut bes­prechen, wurde ein réparer, reparie­ren.

Das sind phone­tische Fehler, die ich nicht erklären kann. Einige andere DeepL-Fails hier: Gesetzesvorhaben, Schuld auf sich nehmen, Flächen­neu­in­an­spruch­nah­me.

Die meis­ten Fehler im Be­reich KI-Anwen­dung auf Sprach­dienst­leis­tun­gen sind übri­gens menschliche Fehler, schlechter Stil, un­zu­rei­chende Sprach-, Gram­matik- und da­run­ter vor al­lem In­ter­punk­tions­kennt­nis­se. Da der Mensch als Nutzer:in von Tech­nik gleichermaßen Quelle wie Ziel­grup­pe ist, werden wir Sprach­ar­bei­ter:innen auch künftig immer viel zu tun ha­ben.

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Illustration: DeepL

Dienstag, 29. März 2022

Dynamikwechsel

Wie wir Sprach­ar­bei­ter:in­nen ar­beiten, genauer Konferenz­dol­met­scherin­nen und Über­set­zer, bes­chreibe ich hier. Wir erprobten in­ter­na­tio­nal tä­ti­gen Simultandol­met­sche­rin­nen sind nor­ma­ler­wei­se gut ausgelastet. Durch Co­ro­na ist das anders. Letzte Woche habe ich voll ge­ar­bei­tet, diese Woche ist wieder Fü­ße­still­hal­ten angesagt.

Ede muss ran (wenn ich pau­siere)
Sind wir Dol­met­scherin­nen Adre­na­lin­junkies? Ich glau­be schon. Viele von uns sind mit ih­rem Beruf ver­hei­ratet, brau­chen regel­mä­ßig die intel­lek­tu­elle He­raus­for­de­rung. Die Dy­na­mik­wech­sel von Über­hol- auf Kriech­spur, nein, schlimmer: von Voll­dampf auf Still­stand, sind nicht einfach zu be­wäl­ti­gen. Unse­re Lebens­ge­fährt:in­nen können ein Lied davon singen.

Auf dem Schreibtisch

⊗ Un­ter­ti­tel­lek­torat EN ma­na­gen (macht eine Kol­legin)
⊗ Do­ku­men­ten­übersetzung > FR ma­na­gen (andere Kollegin)
⊗ Kosten­voranschlag Drehbuch > DE mit Über­länge er­stel­len
⊗ Nachb­ereitung ver­glei­chen­endes Insolvenzrecht DE<>FR
⊗ Nachb­ereitung Bau­stel­len­dol­metschen DE<>FR

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Foto:
C.E.

Montag, 28. März 2022

Museum der Wörter (28)

Bien­ve­nue auf den Sei­ten einer Sprachar­bei­te­rin. Wir Über­setzerin­nen, Über­set­zer, Dol­metscherinnen und Dolmetscher ar­beiten seit Beginn der Pan­demie we­ni­ger als zu­vor, al­ler­dings ist die Ar­beit for­dern­der als frü­her. Und wir mussten neue Begriffe lernen. Heute mal wieder das Wörtermuseum:

                      

                  Draußenveranstaltung

                  Hybridevent

                  Hygienekosten

Die Co­ro­na­zeit hat weitere neue Vo­ka­beln mitgebracht. Zwischendurch war kein Hinterherkommen. Was wird bleiben?

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Idee: H.F.

Sonntag, 27. März 2022

Grüner Daumen

Was Dol­met­scherinnen und Über­setze­rin­nen tag­ein, tagaus be­schäf­tigt, natürlich auch Dol­met­scher und Über­set­zer, können Sie hier mitlesen. Es ist Sonn­tag, Zeit für eine Pause!

In Deutsch­land ken­nen wir den "grünen Daumen", in Frankreich ist es die grü­ne Hand, la main verte.

Egal ob Fin­ger oder Hand, sowas in der Art haben meine Mit­gärt­ne­rin­nen garan­tiert. Manchmal leiden wir trotzdem unter Buchs­baum­zünzlern, haben Läu­se und Schnecken, ich darf dann immer nach natur­ver­träg­li­chen Lö­sun­gen su­chen, aber sonst gelingt uns alles.

Unser Hofgarten im Frühling



Vor allem haben wir Regen­würmer, Spring­schwänze, Asseln, Pilze und viel Getier mehr, das den Kompost­haufen bevöl­kert, was vor allem mein Bereich ist. Ich bin hier die Bo­den­qua­li­täts­beauftragte, da ich vieles von den Erkennt­nissen in die Pra­xis umsetze, die ich beim Dolmetschen lerne, aus Dossiers wie Ökolandbau, Per­ma­kul­tur, Agro­forst­wirt­schaft, Boden­gesundheit, Boden­reha­bi­li­tation, Wasser­spei­che­rung in der Erde — über­all spielt Kompos­tie­rung eine gro­ße Rolle.

Und ich liebe es, nach anstren­genden Dolmetsch­ein­sätzen erstmal die Run­de durch unser Hof­gärt­chen zu machen, nach­sehen, ob alles in Ord­nung ist. Das erdet mich im wahrs­ten Sinne des Wortes.

Und ja, ich per­sön­lich wür­de mehr auf Wild­pflan­zen setzen, aber unser Gar­ten ist eine de­mo­kra­tische Ver­an­staltung. Und ich hab hier noch einen Bil­dungs­auf­trag.

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Foto: C.E.

Freitag, 25. März 2022

Power Naps

Herz­lich will­kom­men! Hier bloggt ei­ne Dol­met­sche­rin. Was Kon­fe­renz­dol­met­scher und Über­setzer machen, und na­tür­lich auch wir Frau­en im Be­ruf, wie sie bzw. wir ar­beiten, ist hier seit 2007 re­gel­mä­ßig Thema. Seit Beginn der Covonakrise hatte ich keine einzige normale Ar­beits­woche — bis jetzt. Ver­melde: KW 12 (2022) war wieder "mit bran­chen­üblicher Aus­las­tung". Und die kom­mende Woche: erneut gäh­nen­de Leere im Ka­len­der. 

Es heißt, unser Beruf sei einer der stres­sig­sten Berufe der Welt. Gut, dass ich mein Kissen für ein kurzes Pau­sen­schläf­chen bei einer Kon­ferenz an einem sehr son­ni­gen Frühling­stag ir­gend­wo in Eu­ropa dabei habe. 

Und auf dem Rück­flug ist das gute Stück im Hand­ge­päck, ich schla­fe weiter. (Dass ich flie­gen has­se, hab ich sicher hier schon mal ir­gend­wo ge­sagt. Bügeln üb­ri­gens auch! So un­nütz, beson­ders bei Bett­­sachen. Sieht ja nie­mand!)

Ver­glei­chen­des In­sol­venz­recht und die Um­set­zung der ent­spre­chen­den europäi­schen Richt­linie zu seiner Ver­ein­heit­li­chung ist kein Spa­zier­gang; dazu waren die Herr­schaften recht in­tensiv, sprachen schnell und tausch­ten ausgiebig ihre Er­fah­rungen miteinander aus.

Das, was ich inhalt­lich zum Thema sagen darf als Zu­sam­men­fas­sung, folgt vor­aus­sicht­lich Mitte kom­men­der Woche. Bis dahin stehen Er­holung, Film­ver­leih- und er­wei­ter­te Fa­milien­ar­beit auf dem Pro­gramm.

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Fotos: Virginie Varlet und N.N.

Donnerstag, 24. März 2022

Hasenbrot

Was und wie Kon­fe­renz­dol­metscher und Über­setzer (und Dol­metsche­rin­nen und Über­set­ze­rin­nen) arbei­ten, hier berichte ich auf die­sen Blogseiten seit 2007, da­bei denke ich auch über meine Spra­chen nach.

Das Wort doggy bag habe ich irgend­wann in den 1980er Jahren zum ersten Mal ge­hört, vermutlich in einem Film von Woody Allen, und es als einen typis­chen Begriff aus New York verstoff­wech­selt. Die "Tüte für den Hund" sind die Essens­reste aus dem Speise­lokal, über das am Folge­tag sich Frau­chen oder Herr­chen selbst her­macht, oft auch mangels Hund.

Ein Vor­fahre dieses Doggybags in indirekter Linie ist das gute alte Hasen­brot. Um die­se Verbin­dung herzustellen, habe ich Jahrzehnte gebraucht. Diese Woche rie­selte mir die­se Erkenn­t­nis so gemächlich durch das Hirn, wie die Sonnen­flecken durch ein Bäum­chen mit Knos­pen und ersten sprie­ßenden Blätt­­chen und Blüten zu Boden tan­zen.

Draufsicht auf Tisch mit Kaffee, Brot, Obst und Paprikaschnitzchen, dazu Käsebrötchen
Frühstückstisch mit Hasenbroten
Diese Woche: Dol­metsch­ein­satz mit ech­ten Men­schen, mit ech­tem Buf­fet in einem Ta­gungs­haus. (Was vor­pan­de­misch All­tag war, ist nun das Be­son­dere!) Nach der Ver­an­stal­tung stehen noch einige Tab­­letts mit über­zäh­li­gen Käse­brötchen un­ser­viert in der Kü­chen­durch­rei­che. Ich ha­be im­mer meine Brot­box dabei, befülle sie mir nach Zu­stim­mung der Küchen­dame. Ich schaf­fe auf der län­geren Rück­reise nicht alles.

Mit­ge­­brach­te Brote sind "Ha­sen­bro­te" ... Was heute der Hund ist, waren vor­mals die Hasen: "Für die Hasen neh­me ich das gerne mit." Und wir müm­meln nicht an diesen Broten am nächsten Morgen, son­dern strei­chen beim Früh­stück auch auf das Brötchen­ober­teil noch etwas Butter vor dem genussvollen Ver­zehr.

Gereiste Brote fand ich als Kind üb­ri­gens immer besser als frisch Zu­be­rei­te­tes. So schön or­dent­lich durchge­zogen, mariniert in den eigenen Aro­men, lecker!

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Foto:
C.E.

Mittwoch, 23. März 2022

Neues Dolmetschsymbol

Was und wie Kon­fe­renz­dol­metscher und Übersetzer (und Dolmetsche­rin­nen und Über­set­ze­rin­nen) arbeiten, darüber berichte ich auf diesen Blog­sei­ten. Dolmet­schen ist kein Beruf, es ist eine Le­bens­wei­se. Hier erfah­ren Sie, warum.

Dolmetschen ist ein Kampfsport, saust mir manch­mal im Kopf herum, l'interpré­ta­riat est un sport de com­bat, die Quel­le habe ich ver­ges­sen. Der Satz stimmt. Dol­met­schen ist eine Kom­bi­nation aus Sprint und Mara­thon: Wir lau­fen Mara­thon, und immer wieder müs­sen wir zwi­schen­durch hef­tige Sprints einlegen.

Wer Sport sagt, schließt sport­li­chen Lebens­wan­del mit ein. Gut zu schlafen ist wich­tig, ge­sund zu essen, sich regel­mä­ßig zu bewe­gen, Stress im sons­ti­gen Alltag zu ver­mei­den: Kurz, alle Regler sind so zu schieben, dass es der großen Leis­tung zuträglich ist.

Auf die "Mara­sprints" in der Dol­met­scher­ka­bine be­rei­te ich mich mit Wal­king vor (so ähnlich, wie Trab­renn­pfer­de im Galopp trainiert wer­den, nur eben an­ders­herum). Ich gehe, schlendere, eile, bummle, haste, spaziere was das Zeug hält.

Die Acht für un­end­lich plus ein
Dy­na­mik­wechsel sind schön und gut, richtig wichtig scheinen aber die vielen Kilo­meter zu sein, die meine Lauf­schuhe am Abend auf dem Tacho haben (bzw. das Mo­bil­te­le­fon).

Und aus den Augen­winkeln sehe ich vieles, womit ich hier meinen Dol­metsch­web­log il­lus­triere, Grafitti, Schab­lo­nen­ma­lerei, Aufge­klebtes, Ange­hängtes, Kreide­zeich­nungen, kunstvoll bemalte Scherben.

Zum Bei­spiel dieses hier: ein neues Symbol für die sprach­un­ge­bundene Sym­bol­schrift von uns Dol­met­scher:innen bei kon­se­ku­ti­ver Ar­beit (in Pausen hin­ein). Proud­ly presents: infi­nite love, un­end­liche Liebe, als neues Symbol.

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Foto:
C.E.

Montag, 21. März 2022

Gemütliches Küchendolmetschen

Bien­ve­nue auf den Sei­ten einer Sprach­ar­bei­te­rin. Seit 2007 berichte ich hier in loser Folge über das Ar­beits­le­ben von Über­setzerin­nen, Über­set­zern, Dol­met­scherinnen und Dol­met­schern. Unser Beruf kann sogar auch mal gemütlich sein.

Für Handys gibt's kaum stabile Stative
Bei einer Euro-Be­triebs­­rats­sit­zung wird gemeinsam ein Text for­mu­liert. Die Schrei­benden sitzen auf mehrere Länder verteilt: Zypern, Grie­chen­land, Frank­reich, Belgien, die tschech­ische Re­publik und in Deutsch­land. Wir Dol­met­scherin­nen und ein Dol­met­scher sind per Kon­fe­renz­soft­ware pandemiebedingt aus den ei­ge­nen Büros zu­­ge­­schal­tet.

Die Sitzung dauert drei Stunden. Vier oder fünf län­gere Gesprächs­phasen gibt es, in der Zwi­schen­zeit wird for­mu­liert, um Ver­ben gerun­gen, werden Kom­mata ge­setzt, Neben­sätze ge­löscht. Dann ge­hen al­le in eine kurze Pau­se. Da habe ich Zeit, in die Küche zu flüch­ten, weil neben dem Büro Türen abge­schlif­fen wer­den. 

Damit ich gut mit­lesen kann, lege ich mir den Text auf den Klapp­rechner und die Kon­fe­renz aufs Handy, Stich­wort se­cond screen, denn das Tablet ist in der Repa­ratur.

Alle haben zeit­gleich ihre Hände auf den Tastaturen. Das gesprochene Wort tritt hinter dem Ge­schrie­be­nen zurück. Was für eine Erholung, ver­gli­chen mit man­chen Kon­ferenztagen, an denen uns über­mo­ti­vier­te Pro­mo­ven­d:in­nen ihre ganze Dis­ser­ta­tion auf 20 Minuten redu­ziert zumuten! Das sind Menschen, die noch so wenig Abstand zur eigenen Arbeit haben, dass sie alle Aspekte der eigenen Forschung in die kurze Redezeit hin­ein­pres­sen möchten. 

Das klappt natürlich nicht, weil sie, statt wohl­for­mu­lierte Sätze zu sprechen, mit verbalen MG-Salven um sich feuern. Sie reden so schnell, dass sogar Mut­ter­sprach­ler in der Ausgangssprache nicht mit­kom­men, und sie überziehen gerne ihre Vor­trags­zeit. Wie sollen wir Dol­metscher:innen das leis­ten, zumal wir in solchen Fäl­len vor­ab oft we­der eine In­halts­­zu­sam­­men­fas­sung noch das Ma­nu­s­kript er­hal­ten haben? Da stoßen wir an die Gren­zen unserer Kunst und brauchen eine Erholung.

Gut, wenn dann Mo­de­ra­to­ren wie beim letzten Vor­fall die­ser Art sa­gen: "Jetzt ist nach drei fünf­mi­nü­tigen Vorträgen eine gute Stunde vergangen, und nach ihrem sportlichen Ein­satz haben unsere Dolmetscherinnen eine Pause verdient."

Anders heute: Wir haben viel Schweigen verdolmetscht und Nachdenk­pau­sen. In der Zwi­schen­zeit ließen sich Glossare vervoll­stän­digen. Eine bezahl­te Atem­pause für uns. Wun­derbar.

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Foto:
C.E.

Sonntag, 20. März 2022

Zeitreise

Bonjour und guten Tag! Hier bloggt ei­ne Dol­met­sche­rin. Was Kon­fe­renz­dol­met­scher und Über­setzer machen, na­tür­lich auch die ":innen" im Be­ruf, also wie wir ar­beiten, ist hier, in mei­nem di­gi­ta­len Ar­beits­ta­ge­buch, seit 2007 Gegen­stand in Form kur­zer Epi­soden. Sonn­tags werde ich hier pri­vat mit mei­nem Foto der Wo­che.

Im Vorbei­rennen gesehen, dass der Wochen­markt vor der Haus­tür auch mal so aus­se­hen kann, wie er das vor Ewig­keiten ver­mut­lich getan hat, siehe unten an einem win­di­gen Tag. Die Wahl, das Bild schwarz-weiß wie­der­zu­ge­ben, ver­stärkt na­tür­lich den Ein­druck. Die­ses Bild wirkt zeit­los auf mich.

So sah es hier aus, als die Ge­binde noch von Hanfseilen zu­sam­men­ge­hal­ten wurden und nicht von Klar­sicht­folie von der Rolle, die Wa­ren kamen in Holz­kisten und Rupfen- oder Jute­säcken, die Waa­gen waren me­chanisch und hiel­ten länger als ein Krämerleben lang; die heutigen Teile sind, den Klagen der Marktleute zufolge, oft schon nach wenigen Jahren ir­re­pa­rab­ler Di­gi­tal­schrott. Und ja, das Leben war mühseliger, langsamer als heute. Aber mit dem Wirt­schaf­ten heute ra­sen wir auf den Öko­zid zu, mit Voll­kraft in den Abgrund, on ren­tre di­rec­te­ment dans le mur, auf Fran­zö­sisch fah­ren wir "direkte­mang" in die Wand hin­ein.

Vieles war schle­ch­ter, aber nicht alles; vor allem war vieles nach­haltig, bevor es den Be­griff über­haupt gab. Unser All­tag muss auf den Prüf­stand, ob die Sachen zu­kunfts­fest sind oder, aus der Pers­pek­ti­ve äl­terer In­ves­toren zu sprechen, die ich neu­lich dol­metschen durfte, en­kel­fähig.

Stände am Maybachufermarkt (dienstags und freitags)

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Foto:
C.E.

Freitag, 18. März 2022

Hybrid und zweisprachig

Bien­ve­nue auf den Sei­ten einer Sprach­ar­bei­te­rin. Seit 2007 berichte ich hier in loser Folge über das Ar­beits­le­ben von Über­setzerin­nen, Über­set­zern, Dol­met­scherinnen und Dol­met­schern. Heute: eine Tech­nik­frage!

Übersicht: Schule, Aula, Wohnhäuser. Der Dolmetschton wird in der Aula verteilt, geht aber auch nach draußen
Hybride Veranstaltung dolmetschen
Mitunter erreichen mich An­fra­gen, die auf meine tech­ni­schen Kennt­nisse abzielen und nicht auf die Sprach­dienst­leis­tung selbst. Derzeit in der Be­ra­tung: Ein zwei­spra­chi­ger und hybrid ange­botener In­for­ma­tions­abend an einer Schule.
Dabei wird ein Teil der Teil­neh­menden nicht vor Ort sein, in Qua­ran­täne oder krank, dieser Teil soll mittels einer einfa­chen Konfe­renz­software zuge­schaltet werden, die selbst keinen geson­derten Dolmetsch­kanal an­bietet. (Jene, die mit meh­reren Kanälen arbeiten, sind alle kosten­pflich­tig.) Eine Dolmet­scherin soll vor Ort alles dolmet­schen, was dann über eine zweite Ver­bin­­dung über­tragen werden wird. Dabei wird ein kleiner Teil der fremd­spra­chigen Ziel­gruppe mit in der Aula sitzen.

Gesucht wird nun eine Soft­ware für den Dolmeschton, der live nur in eine Rich­tung raus­gehen soll und bei der zudem Kameras und Sen­de­ton bei allen ander­en mit we­ni­gen Maus­klicks ab­stell­bar sind. Über diesen holen sich die fremd­spra­chigen Gäste au­ßer­halb der Aula ihre In­for­ma­tionen rein, aber wie ge­sagt auch jene vor Ort. Prob­lem: Wenn sich in ein- und derselben Aula lo­gi­scher­weise mehrere Mobil­te­le­fone gleich­zei­tig ein- und dieselbe Band­breite teilen sollen, könnte es zu technischen Prob­le­men kommen. 

Solche Hy­brid­ver­an­stal­tungen in zwei Spra­chen dürfte es künf­tig häu­fi­ger ge­ben, daher mache ich hier die Fragestellung öf­fent­lich in der Hoff­nung auf wei­ter­füh­ren­de Ant­wor­ten. Ich bin näm­lich über­fragt.

Welches Con­fe­ren­cing Sys­tem erlaubt es, den „Sende­ton“ einer simul­ta­nen Ver­dol­met­schung gleichermaßen nach draußen wie auch im Raum selbst zu über­tragen? In der Grafik ist das Setting übersichtlich dar­ge­stellt. Die Vor-Ort-Em­pfän­ger sind hier als Personen 1 bis 3 be­zeich­net, die Gesamt­zahl dieser Teil­neh­­men­­den (TN) dabei noch un­be­kannt.

Aus Datenschutzgründen fällt eine WhatsApp-Gruppe aus, Jitsi Meet hat im Test leider ver­sagt — und jetzt wird Live-Pod­cas­ting erwo­gen. Davon habe ich noch keine Ah­nung. 

Wenn bei der In­for­ma­tions­ver­an­stal­tung in der Schul­aula Fra­gen kom­men, wird dies konse­kutiv übertragen. Sämtliche TN stellen ihre Fra­gen als ein­­fache Text­nach­rich­ten, die vor Ort ge­sam­melt und mode­riert gestellt werden.

Wie ist das mit dem Da­ten­vo­lu­men, wenn sich vor Ort so viele Men­schen sich in ein- und dieselbe Fre­quenz zur Ver­fol­gung des Dolmetsch­tons einwählen? Außerdem sollte grund­sätzlich niemand aus einem „Warte­bereich" "rein­ge­lassen" wer­den müssen, gewünscht wird ei­gen­stän­di­ges Zu­schalten per Link/QR-Code.

Zusam­men­fassung der Frage: Welches Konferenzsystem bietet dies?
TN können sich ei­gen­ständig zu­wählen
Kame­ra und TN-Sendeton zentral aus­stell­bar
Soft­ware nutzt störungsfrei geringe Band­breite, auch wenn viele Leute in ein- und dem­sel­ben Raum sind

Die Frage wäre wohl bei der pro­fes­sio­nel­len Ver­an­stal­tungs­tech­nik besser aufge­ho­ben, für die sie Frage aber zu un­pro­fes­sio­nell ist. Diese Firmen haben großes Be­steck im Ange­bot, was eine Schule in ei­nem wenig begüterten Wohn­gebiet indes nicht leisten kann.

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Illustration:
C.E.

Donnerstag, 17. März 2022

Beine machen

Hel­lo, bon­jour, gu­ten Tag! Ein­blicke in das Le­ben einer Sprach­ar­bei­terin können Sie hier ­ erhalten. Ich bin Dol­met­scherin für die fran­zö­sische Sprache, und ich über­set­ze auch aus dem En­g­li­schen. Seit Beginn der Pandemie arbeite ich meistens von zuhause aus.

Tage wie heute, an denen ich nur Themen in die Tas­ta­tur kloppen kann: Un­ter­ti­tel, Technikhassle, Veran­stal­tungs­planung, ein run­ter­ge­fallener Laptop, Daten­schutz­be­stim­mungen, Nachzügler­rechnung und die tech­nische Mach­barkeit von zweis­prachigen Hybrid­ver­an­stal­tun­gen mit Dolmetsch­bedarf auch vor Ort.

TARASQUE, Zeichnung von Conrad Mouren
Tarasque, das Ungeheuer, das der Stadt Tarascon seinen Namen gab

COVIDiary: Die Infektionszahlen gehen in Deutschland weiter hoch, ebenso in Frankreich. Konferenz­dol­metscher:innen zäh­len mit anderen Menschen aus der Veran­stal­tungsbranche mit zu jenen Berufs­tätigen, die nach dem medi­zi­ni­schen Personal am stärks­ten an der Pande­mie zu leiden haben, allerdings auf ganz an­de­re Art und Weise. Nor­ma­ler­weise wür­den wir zu dieser Jahres­zeit viele Kos­ten­vor­an­schläge für Konferenzen schreiben. Statt­des­sen wurde mir ein Termin von Ende März soeben abge­sagt. Dazu die all­ge­mei­ne Welt­lage: Es stellt sich ein bit­teres Gefühl ein.

Um im selben Moment auch schon wieder um­zu­schlagen: Die Börsen sind vor­sich­tig opti­mis­tisch, und sie wissen oft mehr. Ist das ein Licht­streif (zu­mindest für den Krieg in der Ukraine)? Oder schlägt mein bio­lo­gi­sches Pro­gramm hier zu, dass mich die Welt immer besser sehen lässt? (... die Stimme meines Bruders im Ohr: "Op­ti­mis­ten sind schlecht in­for­­mier­te Realis­ten.")

Und hin und her. Wie gestern den News­tickern zu ent­neh­men war, hat die Bun­des­re­gie­rung mit diversen Impf­stoff­her­stel­lern vereinbart, dass diese gegen eine Mil­liar­den­summe von Euros ihre Pro­duktions­kapazitäten bereithalten — natürlich bei fort­laufenden For­schungen — und diese bei Bedarf auch kurz­fristig auswei­ten können. Der Vertrags­zeitraum geht bis 2029. 

Ich hoffe sehr, dass die Fach­leute nicht davon aus­gehen, dass wir so lange unter stark verän­derten Bedingungen leben müssen. Als Konferenz­dol­met­scherin fühle ich mich oft wie ein Fisch ohne Wasser. Das, was virussicher online veranstaltet wird, entspricht derzeit vielleicht zehn Prozent des vorpan­de­mi­schen Auf­kom­mens ... opti­mis­tisch geschätzt.

Ach, die Optimisten (siehe oben). Ich rechne halt immer mit po­sitiv einge­stellten Zeit­ge­nossen, die sich rational verhalten — und zwar auf allen Ebe­nen. Dass die Men­schen diesem Virus weiter­hin ständig Beine machen, konnte doch im Vorfeld nie­mand ahnen!

Daher müssen wir uns erstmal anpassen. Konferenzen finden üblicherweise im Früh­jahr oder im Herbst statt. Es wäre einfach, vieles vor Ort in der wärmeren Jahres­zeit statt­fin­den zu lassen. Hier fehlt es an Flexi­bi­li­tät, die sich letzten Endes auf die mangeln­de Be­reit­schaft zu­rück­füh­ren lässt, überall die Sommer­pausen zu ver­kürzen. Anders gesagt: In der Zeit, in der die Ver­an­stal­tungs­bran­che sicher ihr Ein­kom­men generieren könnte, müs­sen andere in den Urlaub fahren.

Als ich diese Zeilen schreibe, flattert mir eine An­fra­ge für drei Tage im Juli in den Mail­brie­fkasten. Gewerk­schafts­ar­beit. Na, geht in man­chen Krei­sen eben doch!

Am Sonn­tag gibt die Bundes­re­gierung das Management der pandemischen Lage in die Hände der Länder, wodurch sich für Deutsch­land­rei­sende (manchmal muss es sein, für Arbeits- oder Familientermine) eine Viel­zahl regionaler Un­ter­schiede er­gibt, die idealer­weise alle zu befolgen sind. Das ist sicher etwas gewöhnungs­be­dürf­tig und nicht immer opti­mal. Aber warum soll eine nahezu un­be­trof­fene Re­gion künf­tig im Bei­nahe-Lock­down sitzen, wäh­rend Durch­schnitts­maß­nahmen für schwer betroffene Gegenden zu leicht sein können? Jetzt gehen die Zahlen erstmal wieder hoch. Ein Prosit auf die Gemüt­lich­keit, ein deut­sches Wort, das die Pan­de­mie viel­leicht nicht über­le­ben wird.

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Illustration: Wikimedia

Mittwoch, 16. März 2022

Du oder Sie?

Hal­lo! Sie sind auf den Sei­ten eines di­gi­talen Ar­beits­ta­ge­buchs gelan­det. Hier kön­nen Sie Mo­mente aus dem All­tag einer Dol­metscherin mit­er­le­ben. Meine Spra­chen sind Fran­zö­sisch, Eng­lisch und natür­lich auch Deutsch, meine Mut­ter­spra­che.
Sprechblasen mit vous!, TU, Du, Dusiedusiedoooo und Fragezeichen
Mit Englisch wär's einfacher

Manch­mal komme ich durch­ein­ander mit die­sem "Du­Sie". Beispiel Baus­telle: Mit dem Pro­jekt­le­iter aus Frank­reich duze ich mich, mit der Betriebs­chefin in Deutsch­land, die gerade mit franzö­sischer Beteiligung und meiner sprach­lichen Hilfe einen neuen Pro­duk­tions­stand­ort baut, duze ich mich auch. Die bei­den aller­dings siezen ein­an­der. Er ver­fällt gerne mal in eine Art kol­lek­ti­ves Duzen, ich glaub, die Baus­telle färbt ab. Ich folge immer dem, was der/die Spre­chen­den sagen, sieze im Dol­metsch­ton Men­schen, die ich sonst du­ze und an­ders­herum.

In Frankreich siezen einander die Men­schen schneller, sogar junge Leute. Es war für mich als Erstsemester fast ein Schock, wie sich im Se­minar alle siezen. 

Genauso beim Gast­se­mester in Deutsch­land ... dieses "Du" überall. Ebenso ge­wöh­nungs­be­dürf­tig wie als ich in Deutsch­land Schlag zwei Uhr im Se­mi­nar saß und die Erste war. Und so lange allein, dass ich schon Angst hatte, im fal­schen Raum zu sein. Die an­de­ren kamen zehn Mi­nu­ten zu spät, der Prof sogar fünf­zehn! Ich fand das fast schon frech. Bis mir je­mand etwas von c.t. und s.t. er­zählt hat, cum tem­po­re und sine tem­po­re, mit oder ohne Vier­tel­stün­dchen Puf­fer. (Sowas pas­siert auch nur Leu­ten, die aus dem Aus­land zum Stu­dium her­kom­men. Für mich putzig: Als Deut­sche diese typische Aus­län­der­er­fah­rung zu machen.)

Mit Du und Sie bin ich, was Gleich­alt­rige angeht, noch immer wackelig. In Pa­ris sitzt das "Sie" in allen Altersgruppen lockerer. Die ersten Jahre meines Er­wach­se­nen­lebens habe ich in Frank­reich verbracht, das spüre ich noch immer. Zum Glück fällt das Problemchen mit wachsendem Alter nicht mehr auf: Dass ein­an­der Gleich­al­tri­ge, die nicht mehr 35 sind, spontan duzen, ist auch hierzulande seltener. Nur für Berlin gilt das wie­der nicht.

Auf der Baustelle, nach dem Dol­metsch­ein­satz, sieze ich plötz­lich alle um mich herum, aus­nahms­los. Fehlt nur noch, dass ich mich selbst sieze!

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Grafik: C.E.

Dienstag, 15. März 2022

Traumwohnung

Bien­ve­nue auf den Sei­ten einer Sprachar­bei­te­rin. Wir Über­setzerin­nen, Über­set­zer, Dol­metscherinnen und Dolmetscher ar­beiten seit Beginn der Pan­demie we­ni­ger als zu­vor, dafür mehr für Privat­kunden. Das ist nicht immer schön. Manchmal sind wir Überbrin­ge­rinnen schlech­ter Botschaften.

Es klingelt an der Tür, als ich am Tele­fon bin um noch die letzten Details einer an­ste­hen­den Veran­stal­tung zu klären. Ich über­höre das groß­zügig, denn je­der Werbe­pros­pekt­ein­werfer tastet sich bei uns ein­mal durch das hal­be Klingel­schild hin­durch. Nach zwei Mi­nu­ten klin­gelt es wieder, erst kurz, dann länger, dann immer drän­gen­der. Ich eile zur Ge­gen­sprech­an­lange. 

Wenig später sitze ich mit einer Stu­dentin und einem Tablett mit Kaffee­sachen im Hof. (Der Kaffee war vorher schon auf­ge­setzt gewesen.) Ob ich ihr als Dol­met­sche­rin helfen könne, hatte diese durch das Haus­te­lefon gefragt. Sie sei eigent­lich eine Nach­barin, hätte eine Woh­nung in meinem Kiez gemietet, stehe nun mit viel Ge­päck im Auto vor dem Haus — und der Schlüs­sel passe nicht.

Grundriss einer Miniwohnung
Traumwohnung für Studentin

Vielleicht habe es ein Miss­ver­ständ­nis gegeben, die Abspra­chen seien auf Eng­lisch erfolgt, beide Sei­ten, Vermie­ter und Mie­terin, hätten mit dem Idiom ihre Schwierigkeiten.
Ich höre mir alles an, sor­tiere, ve­rsuche kurz erfolg­los den Ver­mieter zu errei­chen, re­cher­chie­re. Mei­ne Be­fürch­tung er­weist sich als richtig, weil ich von der Betrugs­masche schon gehört hat­te: Gewisse beson­ders üble Subjekte kochen auf der Woh­nungs­krise ihr übles Süpp­chen mit der Hof­fnung der Neu­an­kömm­linge.

Da hatte also jemand via Netz kom­mu­ni­ziert, er wolle seine frisch ge­kauf­te Ei­gen­tums­woh­nung ver­mieten, da er für zwei Jahre zu einem For­schungs­ei­nsatz ins Ausland gehen würde. Die Woh­nung sei gut gelegen, sogar ein klei­nes, son­nen­ver­wöhn­tes Hof­gärt­chen mit Mini-Ter­ras­se pries die An­zeige an. Da­für sei die Woh­nung klein und vor allem über­ra­schend günstig: 250 Euro Netto­miete, 145 Euro Ne­ben­kosten, 395 Euro tutti quanti für gut 30 Qua­drat­meter. 

Die franzö­sische Aus­tausch­stu­dentin in spe hatte gleich zuge­schla­gen, Papiere für eine el­ter­liche Bürg­schaft über­setzen und be­glau­bigen lassen (ohne zu ahnen, dass dies in Deutsch­land nicht in ähn­li­cher Weise gefordert wird wie in Frank­reich), den Miet­vertrag aus­ge­druckt, un­ter­schrie­ben und zurück­ge­sandt, ebenso die be­glau­big­ten Aus­weis- und Bank­do­ku­mente, einen Last­schrif­teinzug auto­ri­siert und Geld für die Kaution überwiesen. Im Gegen­zug fand sie die Schlüs­sel in ihrem Pariser Brief­kasten, denn der Ver­mieter war schon im Be­griff, selbst seine gro­ße Reise an­zu­treten. Angeb­lich.

Es passiert leider immer wie­der, dass ein Paar Schlüs­sel aus ba­na­lem rost­freiem Sonst­was zum Preis gol­dener Schlüs­sel ver­hökert wird. Über­all im Netz sind War­nungen zu finden. Aber das Gefühl, dass hier un­er­war­tetes Glück winkt und man schnell sein muss, damit einem das Schnäpp­chen nicht durch die Lappen geht, macht all­zu­oft die Men­schen blind.

Im Netz finde ich nach etwas Re­cher­che, dass der Grund­riss mit Photo­shop ge­än­dert wurde und eigent­lich zu einer anderen Wohnung aus der Nach­bar­schaft zu ge­hö­ren scheint: Ein­zim­mer­woh­nung, 40 Qua­drat­meter, 755 Euro. 19 Euro den Qua­drat­meter, Alt­bau, eng und un­möb­liert, die ha­ben doch nicht mehr alle Tas­sen im Schrank!

Ein Blick in Google Maps hätte übrigens aus­ge­reicht um festzustellen, dass nicht nur die Sache mit den vie­len Son­nen­stun­den im Hof­gar­ten ein Mär­chen sein musste: Der Hof der an­ge­ge­benen Adresse umsteht von allen vier Seiten eng ge­bau­tes Mauerwerk. Das Wort "Traum­woh­nung" erhält einen an­de­ren Bei­ge­schmack.

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Grafik:
Wohnungsbetrüger

Montag, 14. März 2022

Akustik (2)

Was Dol­met­scher und Über­setzer umtreibt (hier: eine Dol­met­sche­rin­ und Über­set­ze­rin­), be­schrei­be ich seit 2007 an die­ser Stel­le. Wir Sprach­ar­bei­te­rin­nen sind, was die Akustik angeht, be­son­ders em­pfind­lich. Hier ein ers­ter Text über Akustik: klick!

Viele Über­setzer:in­nen ar­bei­ten schon immer im "Home­of­fice", jetzt auch et­li­che von uns Dol­met­scher:innen. Mein Ar­beits­zim­mer wird im­mer mehr zum Dol­metsch­stu­dio, denn kon­se­kutiv arbeite ich schon fast stan­dard­mä­ßig von hier aus. Seit ei­ni­ger Zeit auch si­mul­tan, wo­bei ich es vor­ziehe, wenn bei der Ar­beit die Kol­legin phy­sisch an meiner Sei­te ist.

Hier auf dem Schreib­tisch liegt derzeit dies:
⊗ Unter­titel eines von mir geführten Interviews für Film­pres­searbeit (die Fra­gen waren zum Teil von der Kun­din vorgegeben)
⊗ Kos­ten­vor­an­schlag für einen zwei­tägigen Euro-Betriebsrat
⊗ Lexik der letzten Woche nach­be­arbeiten

Ein Bekannter von mir, er lebt in Nord­afrika, plant seine dienst­lichen Rei­sen des Jah­res. Er ist ein Buch­mensch. Er schreibt: "Die Buch­messe Leip­zig wur­de ja leider am 9. Februar zum drit­ten Mal in Fol­ge abge­sagt. Aber warst du vorhin dabei?"

Ich antworte ihm kurz vor der Mit­tagspause so: "Es ist Mittag. Ich sitze im Büro. Vorhin hat die Post drei Mal geklingelt, um Pakete für die Nach­barn abzugeben. Es waren drei verschie­dene Ku­rier- und Paket­dienste. Und nein, ich war in den ver­gan­ge­nen Jah­ren nicht regel­mä­ßig in Leipzig, aber auch nicht regel­mäßig in Frank­furt. Ich fahre nur zur Buch­messe, wenn ich dort Dol­metsch­ein­sätze habe."

Kundschaft! Oder etwa nicht?


Das war schon spek­ta­ku­lär: In den Wo­chen­an­fang sind gefühlt 90 Pro­zent der Be­völ­ke­rung mit einer vollen To-Do-Liste gestartet, da­run­ter einige Men­schen, die in Neu­kölln aus al­len mög­li­chen Spra­chen Ge­burts- oder sons­tige Ur­kun­den über­setzt haben möchten, was nicht ich mache, wohl aber Kol­leg:in­nen, an die ich das dann weiterleite. Also saß ich selbst am Rech­ner, habe gedolmetscht und hätte ei­gent­lich wie eine Hydra zehn Arme und fünf Köpfe ha­ben müssen, wenn denn Hy­dren (Hy­dras? Hy­dran­ten? Hy­tan­ten? Hy­da­men? Hy­dra­men?) auf Händen gehen, sonst noch­mal zehn Beine hinzu. Schwer zu vermitteln, dass es eben nichts nützt, 20 Mal am Stück an­zu­ru­fen, fest­netz­lich oder mo­bil, dass ich mich schon zu­rück­mel­de, wenn ich wie­der frei spre­chen kann.

Ich lobe die­se Nach­bar:innen für ihren Biss, die ei­gene To­Do-Liste rasch kürzer zu bekom­men, und wenn es zu dem Preis ist, nach den er­folg­lo­sen Te­le­fo­na­ten bei mir an der Tür zu klingeln … mitunter Sturm.

Im Ne­ben­raum saß eine Kol­le­gin und über­setzte, weil ihr Büro re­no­viert wird, und sie durf­te stän­dig sprin­gen. Am Ende bin ich selbst dran­ge­gan­gen, als das Fest­netz­te­le­fon ge­läutet hat. Diese Num­mer ist kaum be­kannt, es war wie­der Spam, ein blö­des Ge­winn­spiel mit Schrei­stim­me aus dem Com­pu­ter, da­bei steh­en wir seit Jah­ren auf der Robin­son­liste.

Wir sind am bes­ten per Mobil­te­le­fon und per Mail er­reich­bar. Das hand­liche Te­le­fon ist bei der Ar­beit leise­ge­stellt; im An­schluss ru­fe ich zu­rück.

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Illustration: Netzfund

Mittwoch, 2. März 2022

Am Ball bleiben ...

Hel­lo, bon­jour, gu­ten Tag! Derzeit bin ich bedrückt. Im Krieg ver­lie­ren immer alle, die kleinen Leute zuerst und jene, die da­ran ver­dienen, Würde, Ehre und An­stand. Ein Teil der Dolmetsch­arbeit liegt in der Beob­achtung der Sprachen.

"Der Ball liegt bei Putin", heißt es jetzt in den Me­dien. Meine "Om­ma aus Un­na" hät­te bei dieser Schlag­zeile ge­stutzt.

Der Ball liegt bei Putin - Tagesspiegel
Artikelüberschrift aus der aktuellen Presse
Den Be­griff ken­ne ich gut aus Frank­reich: la balle est dans le camp de l'ad­ver­saire, der Ball liegt im Spiel­feld des Geg­ners. It's up to you, "Du bist dran!/Sie sind dran!" wäre der eng­li­sche Aus­druck ... oder eben auch the ball is in (one's) court.
In Frankreich wurde im 17. Jahr­hun­dert gerne à vous la balle gesagt, etwa: "Das ist ihr Ball", wenn der/die andere mit dem Spre­chen dran war.

Die Re­de­wen­dung wurde nicht nur auf münd­liche Stel­lung­nah­men, son­dern auch auf ak­ti­ves Han­deln be­zo­gen.

"Putin muss jetzt den Ball zu­rück­spielen", wür­de die Schlag­zei­le lauten, hätte die Re­dak­tion auf altbekannte Re­de­wen­dungen der deut­schen Spra­che zu­rück­ge­grif­fen.

Bei "Reverso", ei­ner fran­zö­si­schen Ety­mo­lo­gie­web­sei­te, steht eine deut­sche Re­de­wen­dung, die mir komplett un­be­kannt, ja sogar falsch vor­kommt. Bin ich damit al­lein?

Reverso: Der Ball ist in deinem Gericht [???]

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Illustrationen:
Tagesspiegel / Reverso

Dienstag, 1. März 2022

Kü­chen­es­ka­pis­mus

Herzlich will­kom­men! Hier bloggt ei­ne Dol­met­sche­rin. Was wir Sprach­ar­bei­te­r:in­nen ma­chen, wie wir ar­bei­ten und leben, ist hier seit 2007 re­gel­mä­ßig Thema. Der Co­ro­na­vi­rus hatte aus mei­nem Ar­beits­ta­ge­buch ein COVIDiary ge­macht. Das Vi­rus ist noch nicht ende­misch, da hat schon ei­ne neue Ära be­gon­nen.

Stehpult für Rückengesundheit
Neue Wörter: Kü­chen­es­ka­pis­mus und Nicht­ar­bei­ten­kön­nen­ar­beits­tage. Als eins­ti­ges Ost-West-Kind, mit den El­tern wa­ren wir im Westen, eine Oma, Groß­tante und zwei er­wach­sene Cou­sins ebenso, die Groß­fa­mi­lie indes im We­sent­lichen in der ehe­ma­li­gen DDR, und als je­mand, die in ei­nem frü­he­ren Be­rufs­le­ben Jour­na­listin war, bin ich bis heute fast schon ein News­jun­kie.

Ukraine­krieg: Nach 1989 und dem 11. Sep­tem­ber 2001 könnte das der drit­te his­to­risch blei­bende Moment sein, den ich in mei­nem Leben wach mit­be­kom­me, den ara­bi­schen Früh­ling, die Pan­de­mie und die Fi­nanz­kri­sen mal kurz außen vor­ge­las­sen. (*) Also flie­he ich aus dem Ar­beits­zim­mer in die Kü­che und ver­bes­sere ei­ge­ne Stan­dard­re­zepte, schrei­be Men­gen­an­ga­ben auf, opti­mie­re. Heu­te: Ama­ranth-Ge­mü­se­brat­lin­ge, auch Löffel­brat­lin­ge oder Gold­taler ge­nannt. (Mal schauen, wel­cher Be­griff sich durch­setzen wird.)

Unten im Hof ist das Frühjahr mit Ka­ra­cho aus­ge­brochen. Fried­lich spie­len Kinder dort, malen auf die son­nen­er­wärmten Pflastersteine, flitzen quer durch das Gar­ten­teil, was hier nie­man­den auf­regt: In erster Linie wach­sen hier Kin­der auf, an zwei­ter Stelle folgt der Hofgarten, das Hobby von zwei bis drei Mit­strei­te­rin­nen und mir.

Was ich jetzt zwischendurch mache:
⊗ Arbeits­mails von der Groß­baustel­le des der­zei­ti­gen Haupt­kun­den ge­gen­lesen, die grup­pen­in­tern automatisch übersetzt werden
⊗ Technik­pla­nung für die Ver­dol­met­schung einer Autoren­lesung im Berliner En­sem­ble im Früh­jahr
⊗ Einen Kosten­vor­an­schlag für Ende April erstellen, 30 Minu­ten Online­dol­met­schen zu einem The­ma, das ich letzten Herbst einen Tag lang vor Ort ge­macht habe, das ich also gut kenne

Dann dürfen Stoff­tiere aufs Wäschereck, die Nachbarkinder gesammelt haben. Die Kuscheltiere werden Bei­ladung. Der Hei­mat­ver­band, ein Film­ver­band schließt sich einem Kon­voi an, der Fest­plat­ten, Com­puter, Rou­ter, Kame­ras etc. in die Ukraine bringt. Andere suc­hen Schutz­wes­ten auch für den ei­ge­nen Be­darf über die News­group. Mir schnürt es den Hals zu.

Ich bin übri­gens für eine Ber­liner Luft­brücke mit Lebens­mit­teln, me­di­zi­ni­schem Ma­terial etc. in die Ukraine.

Gemüsebratlinge
Was im Post­fach fehlt, und das passt (noch) zu mei­ner re­du­zier­ten Kon­zen­tra­tions­fä­hig­keit: Kon­fe­renz­an­fragen in er­heb­li­chem Umfang. Nor­maler­wei­se wür­den die Bu­chun­gen für die Früh­jahrs­sai­son längst lau­fen. Noch ist es er­schreckend still.

Die Men­schen sind weiter un­si­cher wegen der Pan­demie, und jetzt schauen sie auch noch wie ich be­sorgt in Rich­tung Ukra­ine ... oder aber sie schrei­ben ihre Pro­gramme um und ver­tagen er­neut? Wer weiß das schon. Oooooommmmm sagen.


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Fotos: C.E.
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und eigentlich hoffe ich noch immer da-
rauf, dass jemand Putin rasch entmachtet