Was Dolmetscherinnen und Übersetzerinnen tagein, tagaus beschäftigt, wie wir arbeiten, können Sie hier mitlesen — das gilt natürlich auch für die Herren im Beruf. Ich beobachte von Berufs wegen unsere Zeit sehr genau. Heute ist wieder ein KI-Mittwoch. |
Beispielbild: Besprechungsraum |
Im Berufsalltag mache ich widersprüchliche Erfahrungen mit der KI. Ein- und derselbe Ort, zwei gleiche Termine, etwas mehr als ein Jahr Zeitabstand: Ich dolmetsche simultan vom Blatt weg, einen von mir minutiös vorbereiteten Vertrag, in der Sprachrichtung Deutsch → Französisch, Thema: Wohnungsverkauf.
Frühjahr 2024: Ein Papa kauft seiner Tochter in Berlin eine Wohnung für ihre Studienjahre. Der Mietmarkt ist kaputt und erfordert kreative Lösungen. Das hier ist eine (die aber nur wenigen möglich ist). Die Notarin legt dem französischsprachigen Mandanten eine Übersetzung auf den Platz, ich bekomme auch einen Ausdruck.
Ich mache große Augen. "Dass das Ganze schon übersetzt wurde, war mir im Vorfeld leider nicht gesagt worden ... nun, dann sind wir hier schneller durch!", sage ich und denke: Dann bekomme ich weniger Geld für eine eigentlich unnötige, langwierige Vorbereitung! Das ist nicht fair!
Die Notarin: "Das ist nur eine 'DeepL-Version', keine beglaubigte Übersetzung." Mein Kopf: Gut, also doch nicht für die Tonne gearbeitet!
Ich habe meine Variante im Rechner, sie ist das Ergebnis von
Machine Translation, mit Lösungsvorschlägen dank einer ins System eingepflegten Terminologieliste, sie spiegelt die Vorerfahrung, plus drei Stunden Schleifen per Hand, das Fachlektorat. Trotzdem bleibt es eine Arbeitsfassung, die letzten Korrekturstufen fehlen. Ich bereite mich gerne gründlich vor. Mein Interesse ist nämlich nicht, dass der Termin länger als nötig dauert. Ich habe am Nachmittag einen Augenarzttermin.
Die Notarin liest, ich dolmetsche vom Blatt, ausgehend von meiner zweisprachigen Variante. Einige Male wirft die Dame mir fragende Blicke zu, immer dann, wenn mein Gehirn an einem Satz noch ein wenig rumfeilt, bevor ich ihn ausspreche. Später sagt sie: "Lesen Sie doch einfach ab ..." und zeigt auf den DeepL-Ausdruck.
Ich darauf: "Das darf ich nicht!" Sie rollt mit den Augen.
Der Kunde war bei diesem Austausch kurz draußen. Später stutzt er einige Male, unterbricht mich und sagt auf Französisch: "Hier steht das aber anders!" Er weist auf den DeepL-Text. Ich erkläre ihr, dass DeepL manchmal schon ganz gut sei, aber nur eine Arbeitsfassung auswerfe und mit den Unterschieden des deutschen und französischen Immobilienrechts nicht viel anfangen könne, vor allem der Besitzübergang ist anders und auch die Natur von Verträgen bzw. Vorverträgen
(promesse de vente).
Die Notarin erbittet die Verdolmetschung unseres Austauschs. Sie kennt das französische Recht nicht. Ich wiederhole meine Erklärung auf Deutsch. Sie scheint leicht ungehalten, möchte auch schneller fertig werden. Sie wird nach Auftragsvolumen bezahlt, ich nach der Zeit, die ich aus meinem Büro fort bin. Aber sie lässt mich machen. (Ihr bleibt auch keine andre Wahl.)
Ich bitte sie dann darum, etwas verständlicher zu lesen. Verständlicher heißt hier: langsamer. Sie spult alles seit Jahrzehnten ab und nuschelt mit 200-prozentiger Geschwindigkeit, nicht immer ist alles leicht zu erkennen, zumal sie bei den Erklärungen, die sie gibt, im Text springt.
Ein Jahr später. Der Vertragsentwurf ist mir eine Woche vor Termin zugegangen und nicht erst in den Mittagsstunden des Vortags (wie beim ersten Mal). Als wir ankommen, liegt nichts auf dem Tisch von Mandant und mir. Ich mache entspannt meine Arbeit, keine Irritationen entstehen aufseiten des Paars aus Frankreich, das im Alter zu Kindern und Enkeln ziehen möchte, kein Augenrollen von ihr.
Nächste Pinkelpause: Ich frage nach ihren Erfahrungen mit DeepL. Sie: "Diese Fassungen sind nicht rechtssicher und Fehler, die das System automatisch macht, können ganz schön teuer werden!" Vorsichtig versuche ich zu erkunden, ob der Satz auf eigener Erfahrung beruht oder nicht. Sie nickt auf eine offene Frage, schaut betreten drein. In diesem Moment kommen die beiden zurück, es geht weiter.
Die Erfolge der KI mit ihrer Textsimulation wurden und werden groß herausposaunt, ihnen werden Titelseiten gewidmet, alles in großen Lettern, mit dem Tenor: "Es ist nichts Geringeres als die zweite große Revolution seit der Erfindung des Buchdrucks!" oder "Bald erledigt sich die Arbeit wie von Zauberhand ganz allein!"
Die Misserfolge der KI aber, die nichts als ein Werkzeug ist für Menschenhand, verlorene Regressprozesse, teuere Missverständnisse also auch zum Preis einer hölzernen Sprache, die abstößt, werden in der Regel gepflegt beschwiegen.
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Illustration: pixlr.com (Zufallsfund)
#KI #AI