Donnerstag, 31. Oktober 2019

Aus dem Archiv: Mademoiselle

Herzlich willkommen auf den Sei­ten des ersten deut­schen Web­logs aus dem In­ne­ren der Dol­met­scher­ka­bi­ne. Hier schreibt ei­ne Fran­zö­sisch­dol­metscherin über ihre Einsätze in Ber­lin, Paris, Cannes und anderswo. Neulich stellte ich alte Unterlagen zusammen. Dabei bin ich auf dieses Frühwerkchen gestoßen. Achten Sie mal auf die Anführungszeichen.

Ein früher Morgen in Paris. Wir drehen hier für Arte in der Stadt, in der ich vor 15 Jahren studiert habe. Mit Schwung betrete ich die Bäckerei, mit Elan bestelle ich die Croissants fürs Team — und mit einem « Voilà, Mademoiselle ! » reicht sie mir die Bäckerin.

2011 am Kiosk
Dieses « Fräulein » habe ich lange nicht mehr gehört. In Frank­reich ist es noch an der Tages­ordnung, aber warum bin jetzt ich, eigentlich unaus­ge­schlafen, « une made­moiselle »? « Sie haben so viel Ener­gie, sind so jugendlich, da kommt das Ma­de­moiselle ganz automatisch! », erklärt sich die Dame hinterm Tresen.

Made­moi­selle – das war ich bis zum Ende meines Stu­diums in Frank­reich. Als ich nach Deutsch­land gegan­gen bin, war ich von einem Schlag auf den anderen « Frau ». Das passte gut zum Alter, in dem man sich Res­pekt wünscht. Damals sagte in Deutsch­land kaum einer mehr
 « Fräu­lein ».

Einmal, noch im Studium, war ich zu Besuch in Berlin. Die Biblio­thekarin sagte in meine Rich­tung: « Frau Elias » – und ich drehte mich um. Ich dachte, jetzt steht meine Mutter hinter mir.

Das « Mademoiselle » ist aber nicht nur ein Kom­pli­ment für jugendliche Energie. Es ist Teil der Spra­che der Verführung und zeigt an, dass die betreffende Person weib­lichen Geschlechts noch « zu haben » ist. In Frankreich gibt es jetzt eine Be­we­gung gegen das « Ma­de­moi­selle ». Immer mehr Frauen em­pfin­den es als dis­kri­mi­nierend, als mache erst der Ehe­mann aus einer Frau eine Frau. « Mademoiselle » taucht indes sogar in offiziellen For­mularen auf, obwohl kein franzö­sisches Gesetz eine Unterteilung der Frauen in ‘verheiratet’ und ‘unverheiratet’ vorsieht.

In Deutschland ist das Fräulein inzwischen sogar politisch un­kor­rekt. Es ist fast aus­ge­storben. « Fräu-lein! » mit einer betonten Verlang­samung des betonten Um­lauts, das ist eine Drohung, die man­ches kleine oder größere Mädchen hier­zu­lan­de kennt. Übersetzt heißt es: « Mach’ was ich sage, oder es setzt Konsequenzen! »

Mademoiselle aber finden viele noch heute charmant. Man­che Fran­zösin hat aus der Familienstandsangabe einen Teil der eigenen Person gemacht. Mademoiselle Nathalie Baye durfte ich letztens in Berlin inter­viewen, ich war natürlich Frau Elias. Sie ist etwas jünger als meine Mutter. Das Gleiche hätte mir mit Ma­de­moi­selle Jeanne Mo­reau passiert sein können, die noch eine Generation älter ist.

Die berühmteste Mademoiselle von allen war aber Coco Chanel, sie hieß damals nur « Ma­de­moiselle », ganz ohne Namen.

Abends, wieder beim Bäcker, nach einem langen Arbeitstag eine Quiche: « Vous désirez autre chose, Madame? » 

* * *

Der Text entstand 2006 für La Gazette de Berlin. Nathalie Baye habe ich da­mals na­tür­lich gedol­metscht, nicht interviewt. Die Re­dak­tion fand aber, "in­ter­viewt" wirke be­deu­ten­der. Wie die franzö­si­schen Guillemets. Und ich hab' hier eng­li­sche An­füh­rungs­zei­chen, da der Anbeiter der Webspace, ursprünglich blog­spot.com, aus den USA kommt.
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Illustration: "Fräulein"

Dienstag, 29. Oktober 2019

Pressearbeit

Hallo, hier bloggt ei­ne Sprach­ar­bei­te­rin. Ich über­set­ze und dol­met­sche. Ar­beits­spra­chen: Fran­zö­sisch (aktiv und passiv) und Englisch (nur Aus­gangs­spra­che). Leider ist es unserem Beruf schwierig, Schü­ler­prak­ti­kan­ten an­zu­neh­men. Daher sage ich auch immer wieder ja, wenn ich für Print­medien interviewt werden soll.

Printausgabe des Interviews
Unlängst wurde ich von einer Journalistin interviewt. Dabei musste ich daran den­ken, dass ich früher selbst in die­sem Beruf gearbeitet ha­be. Außer­dem kam mir ein kur­zes Interview von vor zwei Jah­ren in den Sinn.

Hier hatte die Redak­tion lei­der im letzten Mo­ment die Ti­tel­zei­le ge­än­dert. Küns­tler­pech!

Dieses Mal bekomme ich das Inter­view vorab zur Über­prü­fung. Journalisten mögen das eigentlich gar nicht, diese Herausgabe von Druck­le­gung. Als Betrof­fe­ne und Ver­tre­te­rin eines hoch­kom­pl­exen Berufes habe ich das Angebot gerne an­ge­nom­men.

Hier der Link zur Onlinefassung des Artikels: taz vom 22./23. Juli 2017.
Und auch ich schrei­be meis­tens meine Über­schrift zuletzt.

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Illustration: die tageszeitung

Montag, 28. Oktober 2019

110 Blatt

Die Zahl des Tages: 110. Wir dol­met­schen und übersetzen in Berlin, Aus­gangs­spra­chen: Englisch und Französisch, Zielsprachen: Französisch und Deutsch. Meistens in den Bereichen Kultur, Wirt­schaft und Handel, Soziales und Politik.

Pult in der Dolmetscherkabine
Die Spitze des Eisbergs
110 Blatt für zwei Tage. Ge­hen wir von je acht ­pro­duk­ti­ven Arbeits­stunden aus, was recht optimistisch ist, haben wir 8,73 Mi­nu­ten pro A-4-Seite. Einige sind 1,5-zeilig be­schrieben, andere Power­Point­Präsentations"folien" mit 30 Zei­len, müsste 4-Punkt-Schrift sein. Bei 6 Punkt in ein­em Ver­trag schril­len bei al­len, die ich ken­ne, sämt­liche Glocken: un­seriös!

Zwei Tage vor der hoch­technischen Groß­kon­ferenz ploppen uns Doku­­mente ins Post­­fach, Texte, die wir seit zehn Tagen fast täglich anmahnen.

Bei sieben Arbeits­­tagen im Voraus hätten wir 30,5 Minuten pro A-4-Blatt gehabt. Das kann zu viel sein, aber auch zu wenig. Für eine hoch­­komplizierte Veran­stal­tung, die so kompliziert ist, dass ich keine Fach­frau/kei­nen Fach­mann in dem Feld kenne, kurz: Für ein Thema, in das wir uns komplett neu ein­ar­beiten dürfen, wäre so viel Zeit durch­aus in Ordnung.

Aller­dings wäre das auch eher unwirt­schaftlicher Auf­wand gewesen. Bei 800 Euro Dolmetscher­honorar pro Tag kämen wir dann bei insge­samt neun Arbeits­­tagen auf 22,22 Euro die Stunde. Das ist für eine Akade­­mikerin zu wenig. Viele Akade­miker werden allerdings schlech­ter bezahlt in Deutsch­land. Und wenn wir uns hier auf-wän-digs-tens in ein neues Gebiet einar­beiten, kann das durchaus später Dividende bringen, wenn wir nämlich genau wegen solcher Vor­kennt­­nisse gebucht werden.

Aber das Ganze ist ohnehin graue Theorie. Am besten wären diese Texte ab Mitte August bis Mitte September eingetroffen, noch in der Vor­saison. Gebucht waren wir seit März. Wir hätten Zeit gehabt. Schnelle Di­vi­dende ist in unserer Bereich nicht immer ein Thema. Aber der Mailbrief­­kasten war wochenlang gähnend leer. Und dann kam alles auf ei­nen Schlag. Das Internet verleitet zu viele dazu, auf den letzten Drücker ...

8,73 Minuten pro Seite. Mitten in der Hochsaison. DAS ist die bittere Realität unseres Berufs.

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Foto: C.E. [eine andere Konferenz]

Freitag, 25. Oktober 2019

Nichts

Willkommen beim Blog einer Spracharbeiterin. Ich verdiene meine |Brötchen| Croissants mit Übersetzen und Dolmetschen für Menschen aus der Politik-, Kultur- und Modewelt, Industrie und Handwerk. Hier schreibe ich über meinen Alltag.

Reserviert -- Dachnologie 2019
Dach + Technologie
Bei der Arbeit gibt es regelmäßig Mo­men­te, die ver­ges­sen worden wä­ren, hät­te ich sie nicht kurz auf­ge­schrie­ben. Auch ges­tern saß ich mit Bau­fach­leu­ten oft im Bus auf der Fahrt von Ge­­sprächs­ter­min zu Ge­sprächs­­ter­min. Zwischendurch sind wir auf Häu­ser­dächer geklettert.

Dabei sind wir quer durch Berlin gecuist. Wir kamen auch am Pots­da­mer Platz vor­bei. Martina, die die Reise ge­lei­tet hat, sagte, und dabei meinte sie die Mau­er­zeit: "Damals stand hier nichts!" Darauf meinte einer der Bauleute mit Blick auf die Neu­bau­trümmer, die links und rechts der Stra­ße fallengelassen wor­den sind, trocken: "Heute steht hier auch nichts!"

Vokabelnotiz
der Trumm, die Trümmer: Der Duden empfiehlt als Synonyme folgende Wörter: Apparat, Batzen, Brocken, Bruchstück, Monstrum, Stück, Ungeheuer, Ungetüm.
Im Plural laut- und buchstabengleich mit dem Wort "Trümmer" wie Steinhaufen, Rest, Bruchstück.

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Foto: C.E. (Solche Neologismen klin-
gen in meinen Ohren wie Kalauer)

Mittwoch, 23. Oktober 2019

Dachdeckerfangschutznetz

Hallo, hier bloggt ei­ne Sprach­ar­bei­te­rin. Ich über­set­ze und dol­met­sche. Ar­beits­spra­chen: Fran­zö­sisch (aktiv und passiv) und Englisch (nur Aus­gangs­spra­che). Heute bin ich Berlin aufs Dach gestiegen.

Trousse de protection antichute pour couvreur — système à ligne de vie ho­ri­zon­tale ... verkürzt ist das auf Deutsch das "Dachdeckerfangschutznetz". Da fallen mir gleich zwei Gedichte ein. Das erste bringe ich die Tage, das zweite |Anfang| spä­ter im No­­vem­­ber. [Geän­derte Reise­route, der ent­spre­chende Bü­cher­schrank ist nicht greif­bar.]
Wieder habe ich neue Wörter in situ lernen dürfen. Mehr kommt hier in den kom­men­den Tagen. We are very busy, während die Kollegin im Office die nächsten Wochen plant.

Dachlandschaft mit Fernsehturm im Abendlicht
Mit Blick auf den Fernsehturm
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Foto: C.E.

Montag, 21. Oktober 2019

"Kulturfrequenzen"

Hier schreibt und denkt eine Übersetzerin und Dolmetscherin, derzeit in Berlin. Ich arbeite aber auch in Paris, Brüssel, Erfurt, Cannes und dort, wo Sie mich brauchen. Ich denke über unser Arbeitsmaterial nach, die Sprache, und wie sie von A nach B kommt.

Das UKW-Radio rauscht im Kurzwellenbereich nur noch. Manche Sender sind gar nicht mehr in meinem Wohngebiet zu empfangen, rbb-Kulturradio zum Beispiel, anderes klingt abgehackt.

"Sie klingen so abgehackt!"
"Macht nur die Hälfte!", wür­de ein mir be­kannter Teen­ager jetzt statt "halb so schlimm!" sa­gen, denn ich hö­re inzwischen sowieso meis­tens nur Deutsch­land­funk Kultur sowie im Netz meine fran­zö­si­schen und englischen Sender France Culture und BBC4.

Dabei macht mich das Thema durch­aus nos­tal­gisch.

Hätte ich als Teenager irgendwo zwischen dem Schwarzwald und Stuttgart nicht Ra­dio France Culture ter­rest­risch rein­be­kom­men, lange vor Verbreitung des welt­wei­ten Netzes, ich weiß nicht, wo ich heute beruflich ste­hen würde.

Trotzdem lässt mich dieses Funk­wel­len­thema par­tout nicht los. Früher gab es dazu sogar komische Episoden. Wir Dol­met­scher funken auch oft, in sehr kleinem Rah­men, aber es sind ter­rest­ri­sche Funk­­wellen. Hier eine Pres­se­­mel­dung, die mich aufhorchen ließ.
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Pressemitteilung Deutscher Kulturrat
Bundesregierung muss auf der Weltfunkkonferenz in Ägypten 600 MHz-Band für die Kultur sichern

Berlin, den 21.10.2019. In einer Woche, am 28.10.2019, beginnt in Sharm El Sheik (Ägypten) die Weltfunkkonferenz WRC-19 mit mehr als 3.000 Teilnehmern. Hier könnten zum Schaden für den Kulturbereich in Deutschland weitere Rundfunk- und Kulturfrequenzen (600 MHz-Band) für den Mobilfunk geöffnet werden.
 
Das Fre­quenz­band zwischen 470 und 694 MHz wird der­zeit für die ter­rest­ris­che Rundfunk­verbreitung von audiovisuellen Medien einschließlich TV und Radio und den Einsatz drahtloser Pro­duk­tions­mit­tel (z. B. Funk­mi­kro­fo­ne) — die im Kul­tur­be­reich von hoher Be­deu­tung sind — genutzt.
 
Mit einer Öffnung des 600 MHz-Bandes für mobile Breit­band­diens­te würden diese Fre­quenzen de facto für Veranstalter aus der Kulturwirtschaft, öffentliche Thea­ter- und Orchester, soziokul­turelle Zentren sowie auch andere Kul­tur­ver­an­stal­ter wie beispielsweise die Amateurtheater langfristig nicht mehr zur Verfügung ste­hen.
Das würde den gesamten Kultur­bereich vor große Probleme stellen, weil es keine gleichwertigen Ersatz­frequenzen gibt, unabhängig von den dann erforderlichen Investi­tio­nen in neue Empfangs- und Produktionsgeräte.

Am vergangenen Mittwoch wurde im zuständigen Ausschuss für Verkehr und di­gi­ta­le Infrastruk­tur des Deutschen Bundes­tages ein Antrag der FDP-Bun­des­tags­frak­tion "Funkfre­quen­zen für Medien und Kultur dauerhaft erhalten" (Drucksache 19/11035) abgelehnt.

Ziel des Antrages ist es, die sogenannten Kultur­fre­quen­zen für Theater, Opern, Veranstaltungs­wirt­schaft sowie Rundfunk und Fernsehen zu sichern. Min­destens bis zum Jahr 2030 sollte es hier Planungs­sicherheit geben, bis dahin sollten die UHF-Frequen­zen (im Bereich zwischen 470 und 697 MHz) für Kultur und Medien be­ste­hen bleiben. Unterstützt wurde der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, der AfD und der Linken, abgelehnt wurde er von CDU/CSU und SPD.
 
Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, sagte: "Die Ab­leh­nung des FDP-Antrages durch die Regierungskoalition im Ausschuss für Verkehr und di­gi­ta­le Infrastruk­tur des Deutschen Bundes­tages ist bedauerlich und unver­ständlich.

In den vergan­genen Jahren gingen für den Kulturbereich durch die Verstei­gerung der Rundfunk- und Kultur­frequenzen an den Mobilfunk bereits die Hälfte der für unseren Sektor wichtigen Fre­quenzen verloren. Wenn der Abbau an Frequen­zen nicht gestoppt wird, ist die Funktionsfähigkeit von Kultur­einrich­tungen in Deutsch­land in Gefahr.

Neben den Theatern und Orches­tern sind viele weitere Ver­an­stalter, wie z.B. Kirchen, Stadthallen, sozio­kul­tu­rel­le Zentren, Volksfeste, die ebenfalls alle Funk­mi­kro­fone ein­setzen, unmittelbar betroffen.
Der Deutsche Kulturrat fordert daher die Bundes­re­gierung auf, sich bei der in der kommenden Woche beginnenden Weltfunk­konferenz in Sharm El Sheik dafür ein­set­zen, dass das 600 MHz-Band nicht für den Mobil­funk freigegeben und für den Kultur­bereich gesichert wird."
 
Deutscher Kulturrat e.V.
Taubenstr. 1
10117 Berlin
Web: www.kulturrat.de
E-Mail: post@kulturrat.de
 
Verantwortlich:
Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
Quelle: www.kulturrat.de

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Foto: Archiv. Immer den Arbeitsschutz
berücksichtigen!

Sonntag, 20. Oktober 2019

Saisonwechsel

Bonjour und hallo! Hier schreibt ei­ne bin Kon­­fe­­renz­­dol­­metscherin und Über­set­ze­rin. Seit bald drei­zehn Jah­ren finden Sie hier Notizen aus mei­nem Sprach­all­tag. Sonn­tags werde ich privat.

Der Sound klingt nach Spätherbst: Graugänse, Silberreiher und Kraniche schnattern in V-Formation durch die Lüfte. Sie fliegen in ihr südliches Winterquartier. Um die 150.000 Zugvögel sollen im Großraum Berlin halt machen, um sich hier für den Wei­­ter­­flug zu stärken. Neulich hat mir ein Vogel­kundler erzählt, dass dabei immer mehr Kraniche in der kalten Jahres­­zeit in Berlin hängenbleiben. 



20 Grad an einem 20. Oktober, sowas nennt sich Klima­wandel. An der Südwand un­seres Hofgartens sind die Pas­sions­früchte so gereift, dass wir jetzt viel Saatgut fürs nächste Jahr ernten konnten. Die Zucchini blüht noch ein we­nig, die letzten To­ma­ten reifen, eine der Pflan­zen hat sogar neue Blüten aus­ge­bildet. 



Sehr aufmerk­sam beobachtet das Gartenteam das Wetter. Bislang hatten wir nur eine einzige Frost­nacht, da ging das Thermometer nur kurz unter Null, aber ir­gend­wann muss unser botanischer Garten ins Foyer. Au­ßer­dem habe ich zwei Oli­ven­­bäu­me in Schöneberg entdeckt, die her­ren­los vor einem seit Monaten ge­schlos­se­nen Geschäft stehen. Ich war schon einige Male zum Gießen dort, habe Müll aus den Töpfen ge­sam­melt, mit Kompost­erde ge­düngt. Wenn das so wei­ter­geht, wer­den wir die retten müssen. 



Reifung und Ernte von fast 100 Samen

Sonntag bedeutet, mit der Nach­barin in der Spät­vor­mit­tags­son­ne zu klö­nen und sich Ge­dan­ken übers Hof­grün des nächs­ten Jah­res zu machen, die Essensreste des Vortags aufzuessen, Mittags­schlaf zu halten, auf den Ufer­floh­­markt zu gehen und dort zwei, drei Bücher zu adoptieren. Dann im Café zu lesen und die Sonne zu genießen, bis sie um die Ecke biegt. Zwischen­durch wie jeden Tag zwei Mal zwei Stunden Vokabeln zu pauken, ein bekanntes Wortfeld zu beackern.

Irgendwie mutet das alles sehr dörflich an. Aber in einem echten Dorf könnte ich wohl nicht mehr gut leben. Das Hin­ter­land meines direkten Umfeldes hat es mir erlaubt, un­ter­schied­­liche Be­rufe auszuüben und mich regel­mäßig neu zu erfinden, ohne umziehen zu müssen. Darin ähneln sich übrigens Berlin und Paris, wo ich ja meine zweite Heimat habe.

Die Samen sind geschält und getrocknet. Wer ein be­heiz­ba­res (Fens­ter­bank-)Ge­wächs­haus sein ei­gen nennt und mir ei­ni­ge Zei­len darüber schreibt, wie er/sie Dolmetscher erlebt hat (mit möglicher Ver­öf­­fent­li­chung, wenn's passt), bekommt von mir zehn Sa­men per Post zu­ge­schickt. (So­lan­ge der Vorrat reicht.) Für die Aussat in der Zeit, wenn wir an die Rückkehr der Zugvögel denken ...

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Foto: C.E.

Freitag, 18. Oktober 2019

Fachbegriffe

Im 13. Jahr beschreibe ich hier meinen sprachbetonten Alltag. Ich bin Kon­fe­renz­dol­metscherin und Übersetzerin. Ein Teil unserer Arbeit besteht aus dem zähen Recherchieren und Aufnotieren von Begriffen.

Mir ist es eine Ehre, zu Wörter­büchern beizutragen. Einen Ein­trag werde ich die­ser Ta­ge bei Leo.org ergänzen.

Links Industrie, rechts Acker
Hier Industrie, dort Acker
Es heißt, das Wort habe Ap­ril 2015 das erste Mal im Amts­­blatt Jour­nal Officiel ge­stan­den (der Schnell­check brach­­te nichts): l'ar­ti­fi­cia­li­sa­tion des sols. Es geht um Böden, die durch den Bau von Stra­ßen oder das Er­rich­ten von Ge­bäu­den ihre (relative) Na­tür­lichkeit ver­lie­ren. (Flächen mit in­dus­tri­ellem Landbau gelten in dieser Stadt­pla­ner­lu­pe als na­tur­nah.) 

Vorab findet sich auf Deutsch (mangels umfangreichen Vor­be­rei­tungs­ma­terials) noch nichts an, was griffig wäre. Ich notiere erstmal Bo­den­de­gra­da­tion, Ver­sie­ge­lung, De­na­tu­rie­rung der Böden. Alles geht in die richtige Rich­tung, ist ver­ständ­lich. Versie­ge­lung, l'imper­méa­bi­li­sa­tion des sols, war lange der in die­sem Be­reich meist­ge­nutzte Be­griff.

Im gedolmetschten Gespräch mit Fachleuten vom Leibniz-Ins­ti­tut taucht die "Flä­chen­neu­in­an­spruch­nah­me" auf. OK, das ist lang, ein Wort­mons­ter, aber damit kann ich leben. Es wird halt so verwendet. Ich übe auf der Damen­toilette. Manche ver­kürzen das Monster zu Flächen­in­an­spruch­nah­me. Der Kontext ergänzt das "neu".

Zwischendurch amüsiere ich mich mit automatischer Übersetzung. Hier geht es um das Ausfransen urbaner Gebiete in den ländlichen Raum hinein und eben um diese Flächenneuinanspruchnahme.

Vous l'aurez compris. Aujourd'hui, le grignotage des terres agricoles en lisière des zones urbaines pose un grand problème. Bref, l'artificialisation des terres est un ravage méconnu. / Das wirst du verstanden haben. Heute ist das Naschen von landwirtschaftlichen Flächen am Rande von Stadtgebieten ein großes Problem.  Kurz gesagt, die Künstlichmachung von Land ist ein wenig bekannter Schädling.
Deutsche Version nach www.DeepL.com

Der "Schädling" passt immerhin ins Bild, wird hier aber im Übertragenen gebraucht. Und mit Du/Sie haben diese Programme meistens ihre Schwierigkeiten, weil nicht selten Englisch als "Pivotsprache" verwendet wird.

Und gleich noch ein Bonbon. Es geht um regio­nalen Anbau und kurze Ver­sor­gungs­ket­ten, wenn von circuits d'approvisionnement courts die Rede ist.

L'alimentation saine provient, dans les meilleurs des cas, du circuit court. / Gesunde Ernährung kommt im besten Fall aus dem Kurzschluss.
Deutsche Version nach www.DeepL.com

Regionale Versorgung mit Lebens­mitteln, der circuit court, ist sehr sinnvoll, die schnelle Umter­bre­chung des elek­tri­schen Stroms, der court-circuit, ist in einem anderen Sinn­zu­sam­men­hang wichtig.

Vokabelnotiz
Flächenneuin­anspruchnahme (acht Silben) — land take (zwei Silben) — arti­ficia­li­sa­tion des sols (neun Silben)

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Illustrationen: DeepL.com

Donnerstag, 17. Oktober 2019

Mist aber auch!

Was Kon­fe­renz­dol­metscher und Übersetzer (und Dolmetsche­rin­nen und Über­set­ze­rin­nen) so umtreibt, davon können Sie hier einen kleinen Eindruck er­hal­ten. Im 13. Jahr blogge ich über meinen höchst sprachbetonten All­tag. 

Die Slawisten wer­den vermut­lich alle stark leiden. So sehr, dass viele von ihnen nicht mehr wollen. Das meinte jedenfalls mein Mail­pro­gramm vorhin.

Es ging um Dolmetsch­ter­mine und Vokabel­listen, unsere berühm­ten Lexiken.
Und dann schoss die Auto­korrek­tur da­zwischen. Aus "Aus­stiegs­pro­gram­men für Sa­la­fis­ten" wurden "Aus­stiegs­pro­gram­me für Sla­wis­ten".

Und so hätte ich das beinahe auch ver­schickt, wenn ich nicht ul­tra­auf­merk­sam ge­we­sen wäre. Das geht näm­lich innerhalb von Se­kun­den­bruch­tei­len mit der Ände­rung. Dann hat mich das Pro­gramm noch gefragt, ob ich mir da sicher wäre, also wirk­lich, wirklich sicher. Oder meine ich nicht doch viel­leicht "Stall­misten"?

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Foto: folgt (oder auch nicht)

Dienstag, 15. Oktober 2019

Frühherbst

Selbständige (wie wir Dolmetscher und Übersetzer) arbeiten selbst und ständig. Und dann dürfen sie sich, zwei Mal im Jahr, plötzlich freinehmen. Einfach nur, weil das Wetter besonders schön ist.

Heute gibt es keine Sonntagsfotos, sondern Sonnentagsfotos. Das Büro kann war­ten. Auf dem Programm: Mit Freunden durch Berlin wandern. 50 Prozent dieser Wan­de­run­gen waren immerhin auf Franzö­sisch und galten thematisch der Vor­be­rei­tung von Einsätzen.

Im Gehen lernen sich Vokabeln und ihre An­wen­dung oh­ne­hin am aller­besten. Jeder und jedem, der Sprac­hen lernen oder die Kennt­nisse verbessern möchte, rate ich zu Tan­dem­partnern und langen Spazier­gängen. Jetzt ist das hier doch noch ein ver­it­ab­ler Blogpost geworden, rubriziert unter "Lerntipps".

Bilder aus den Bezirken Kreuzberg, Treptow und Neukölln
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Fotos: C.E.

Sonntag, 13. Oktober 2019

Herbstpause

Im 13. Jahr beschreibe ich hier meinen sprachbetonten Alltag. Ich bin Kon­fe­renz­dol­metscherin und Übersetzerin, und sonntags werde ich privat.
 
Dieser Tage macht der Herbst Pause, kommt der Sommer noch einmal zu Besuch. Eigentlich war er längst in großen Schritten aus dem Land hinaus­ge­eilt, die Abende liegen seit Wochen wieder überwiegend im Dunklen, der Ruf der Mauer­segler ist nur noch eine verwehte Erin­ne­­rung. Die Turm­schwalben sind seit Ende Juli fort, ein früher Rückflug nach Afrika, der auf frühen Winter­einbruch schließen lässt.

Es ist Sonntag. Draußen ist alles verlangsamt. Während wir beim Bü­cher­re­gal­auf­räu­men nach einem gro­ßen Spa­zier­gang leise über den frischge­­rei­nig­ten Arbeits­zim­­merteppich strümpfeln, um die im Vogelbad auf dem Balkon plantschenden Spatzen nicht zu stören, haben sich vor dem Haus ei­ni­ge Mu­si­ker nieder­gelassen.

Einer führt sein rol­lendes Piano­forte mit sich, ein anderer seine Querflöte. Die leich­te Herbst­bri­se weht eine Mi­schung aus Bach und Jazz her­ein, aber nicht nur das kommt durch die Balkon­tür: Der Bäcker im Erdgeschoss kocht nutzt die Pause  Ok­to­ber­­him­­bee­ren zu Mus. Die Gra­­vi­­ta­tion des Globus wird einmal kurz un­ter­bro­chen für sonn­täg­liches Durchatmen, der Weltenlärm wird kurz leiser. Wie schön.

Drei Aufnahmen: Passionsfruechte reifen heran
Passionsfrüchte aus unserem Hinterhofgartenkleinod
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Fotos: C.E.

Freitag, 11. Oktober 2019

Auf dem Schreibtisch (LVII)

Mitten in ei­nen Blog aus der Ar­beits­welt sind Sie rein­ge­ra­ten: Bon­jour und herz­lich will­kom­men! Hier stehen kurze (anonymisierte) Episoden aus meinem mit­un­ter sehr vielseitigen Alltag, Gedanken zu Kultur und Sprache sowie Hinweise zu meinen Arbeitsfeldern.
Home-office um 1900

Hier der Blick auf den Schreib­tisch, be­reits zum 57. Mal. Dieser Tage be­schäf­­ti­ge ich mich mit

⊗ Tigermücke und anderen eingewanderte Gefahren
⊗ Gewässerschutz
⊗  Rohstofflie­fer­ket­ten und Menschen­rechte
⊗ Großküchenplanung (Wege, Ne­ben­ge­las­se, Ar­beits­platz­ver­ord­nung)
⊗ Frühkindliche Schul­bil­dung in Frank­reich
⊗ Fachlexik Deradikalisierung (zum Wei­ter­ge­ben)
⊗ Ökologischer Umbau der Wirt­schaft
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Foto: Archiv

Hinsehen! Weiterdenken!

Bon­jour, bon­soir, gu­ten Tag oder gu­ten Abend auf den Sei­ten mei­nes di­­gi­­ta­­len Log­buchs. Hier schrei­be ich, was Über­setzer und Dolmetscher (für Fran­zö­sisch und Englisch) so machen. Das Zeitgeschehen aus der Perspektive der Linguisten: Jedes Wort zählt.

Geflüstertes - Die Hitlerei im Volksmund
Anti-Nazi-Witze (Buch von 1946)
Po­li­ti­ker, die nach dem Hal­len­ser Atten­tat vom
"Amok­lauf" eines "Einzel­täters" sprechen, von et­was "Unvorstell­barem" und den Mord­anschlag als "Alarm­zeichen" einstufen, lassen mich ebenso irritiert zurück wie Politiker, die bekunden: "Das CO2-Thema haben wir jetzt bis zur Vergasung be­spro­chen."

Es ist klar, dass der Mörder die Syna­goge stürmen wollte. Er streamte seine Tat ins Netz, Christ­church ist nicht weit. [EDIT: Gestern Abend hat der mutmaßliche Täter gestanden.]

In solchen unbedarften Äußerungen of­­fen­­bart sich, wer jahrzehntelang die Augen ver­schlos­sen hat. Das ist kein Alarmzeichen wie das Läuten eines Weckers, viele Politiker haben verschlafen.

Alarm­zeichen gibt es seit Jahr­zehnten, ebenso lange schrei­ten Rechts­ex­tre­me zur Tat. Das Attentat auf die Olympiade in München? Ok­to­ber­fest­an­schlag? Jüdische Ge­mein­den unter Po­li­zei­schutz, weil Drohungen vorlagen? NSU-Morde, alles ver­ges­sen? Und auch ver­gessen, dass diese Straftaten viele Jahre lang anderen so­zia­len Milieus zu­ge­schrieben wurden?

Wer genau hin­sieht, nimmt die "völkisch" Denken­den im Alltag wahr, die ganz be­wusst anders auf­treten und an öffent­li­chen Orten ihr perfides Gift mit scheinbar harm­lo­sen Kom­men­tare verspritzen, z.B. im Zugabteil. Medien berichten re­gel­mäßig von "völkisch befreiten" Ort­schaften  auf dem Land, von ideolo­gischen Ka­der­schmieden, Wehrsportgruppen und wachsenden Arsenalen. Der Bundesver­fas­sungs­schutz warnt seit Jahren. Im letzten Jahresbericht benennt er das "Erstarken der rechts­ex­tre­mistischen Kampf­sport­szene" (Link zum Tagesspiegel-Artikel von Ende September).

Das alles kam also nicht über Nacht. Im Osten schien das allerdings un­denkbar, weil nicht sein kann, was nicht sein darf: Ras­sis­mus, Antise­mi­tismus und NS-Ideo­logie galten in der DDR offiziell als überwunden. Als Teen­ager war ich oft auf Be­such in Sachsen. Ich erinnere mich an mehrere Vorfälle, die in un­se­rem Umfeld pas­siert sind, wo "Nazis" einen Jugen­dclub ange­griffen haben, wo Menschen be­droht worden sind, einfach nur, weil sie Anders­den­kende waren, frie­dens­be­wegte und musisch orientierte junge Leute. Kurz­fristig wurden die Orte von Zusam­men­künften geändert, war Ein­tritt nur konspi­rativ auf ein Zeichen hin möglich, wurden eigent­lich öffentlich zugängliche Häuser ver­ram­melt.

Von kritischen Geistern wurde damals Victor Klem­pe­rers "LTI" auch als Buch ge­le­sen, um die Sprach­hülsen der DDR-Regie­rung zu entlarven. Und natürlich auch, um ar­gu­men­ta­ti­ve Munition gegen die Neo­na­zis zu haben.

Erschütternd, wie der Westen nach dem Mauerfall sämtliche Warnungen ig­no­riert hat. Dazu Dr. Bernd Wagner (Exit): "Das BKA hat in der Lage­ein­schätzung Ost die ge­sam­te DDR-Pro­pa­gan­da eins zu eins über­nom­men, die haben den ganzen Anti­fa­schismus eins zu eins geglaubt." Das Zitat stammt aus einer sehr empfeh­lens­wer­ten Hör­funk­sen­dung von Sabine Adler, die der DLF gestern brachte: "Real existierender Rechtsextremismus". Dazu noch ein Dossier der Bundes­zen­trale für politische Bil­dung (bpb), Autor ist auch Bernd Wagner: "Vertuschte Gefahr: Die Stasi & Neo­na­zis" (Januar 2018).

Was wir nicht ausdrücken können, können wir nicht denken. Das ist eine Be­ob­ach­tung, die wir Dolmetscher sehr oft machen. Besser ausgedrückt hat dies Ludwig Wittgen­stein: "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt." Die Kurz­version stammt von Johann Gott­fried Her­der: "Sprache formt das Denken."

Victor Klemperer - LTI
Sprache des "Dritten Reichs" (1947)
Für uns Sprachar­beiterinnen ist es das täglich' Brot: In der einen oder anderen Spra­che fehlt ein griffiger Aus­druck für etwas. Und uns fällt auf, dass prompt im je­wei­li­gen Sprach­raum das The­ma nicht oder kaum diskutiert wird.

Nochmal: Hier ist es weitaus dra­ma­ti­scher, denn die Missstände waren ein­deu­tig. Wer mit of­fenen Au­gen durch die Welt geht, weiß, was vor sich geht. Wie ver­hält es sich mit der Welt­sicht von Po­li­ti­kern, die an­ge­sichts des gerade in Deutsch­land durchaus vor­stell­ba­ren Grauens der­art wort- und konzeptlos reagieren?
Immer wieder hören wir Dolmetscher sehr genau, welche Politiker die allgemeine Parteilinie relativ unverändert aufsagen, als würde in der Schule Lernstoff abgefragt.

Dazu nutzen sie auch noch eine höchst formelhafte Sprache, die bei vielen Wäh­le­rin­nen und Wäh­lern im wahrsten Wortsinn nicht mehr ankommt.

Eigentlich müssten Politiker vorurteilsfrei Situationen beobachten, aus ein­zel­nen Situa­tionen ergibt sich eine "Lage", die mit Fachleuten zu analy­sieren wäre, davon müsste etwas abge­leitet und in poli­tische Programme, Ziele oder Gesetze über­tra­gen werden und schließlich wären diese mit klaren Worten, die auf die Le­bens­um­stän­de der Men­schen ein­ge­hen, auch zu vermitteln.

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Illustrationen: Verlage/Wikipedia

Donnerstag, 10. Oktober 2019

Weltengrauen

Hier schreibt und denkt eine Übersetzerin und Dolmetscherin, derzeit in Berlin. Ich arbeite aber auch in Paris, Brüssel, Erfurt, Cannes und dort, wo Sie mich brauchen. Gerne bin ich ei­nen Tag die Wo­che auf Ach­se. Nicht immer bin ich da­bei glücklich.

Landschaft aus dem Auto heraus gesehen
Landschaft nach dem Regen
Am Abend des 9. Oktober 2019: Die Sonne geht unter, ich sitze auf dem Beifahrersitz und könnte zufrieden sein. Gerade habe ich fast 50 Minuten einigermaßen unfallfrei si­mul­tan gedolmetscht. Nach 20 Minuten merk­te ich erste Ermüdungserscheinungen, als dann ab der 30. Minute Zahlen, Daten, Fakten im Sekundentakt folgten, konnte ich nur noch zusammenfassen. Die Kol­legin oder der Kollege, der/die hätte über­neh­men können, hat gefehlt, und auf­ge­schrie­ben hat mir auch niemand etwas. Dol­met­schen ist Team­arbeit, auch dann, wenn es nur eine Stunde dauert.

Zum Glück wurden beide Sprachströme auf­ge­zeich­net, die Politikerrede und meine Verdolmetschung. Wir werden nach­ar­bei­ten.

Der Arbeitgeber des Kunden, eine fran­zö­si­sche po­li­ti­sche Wo­chen­zei­tung, hatte nicht einmal Geld für eine professionelle Dol­met­sche­rin, geschweige denn für zwei. Weil es mich interessiert hat, bin ich an diesem Mitt­woch in der Früh nach Er­furt ge­fah­ren und in der Nacht zurück.

Honoriert wurde das Ganze mit einem "Solisatz". Ich muss vorausschicken, dass ich heute zwar als Konferenzdolmetscherin arbeite, aber früher einmal Journalistin war.

Wohin biegt mein Blogeintrag heute ab? Ich könnte schreiben über das Ausbluten der Medien, was dazu führt, dass unsereinem 100 Euro am Tag an­ge­boten werden für die Arbeit eines "Fixers" oder "Stringers", des/der Vor-Ort-Kollegen oder -Kol­le­gin, der/die Ter­mine macht und en passant auch In­hal­te überträgt. Als Stu­den­tin wurden mir dafür zur Zeit des Mau­er­falls 100 Dollar angeboten, das war um die 400 DM wert, wenn ich mich rich­tig erinnere.

Damit konnte ich damals die Monats­mie­te einer kleinen Wohnung in Berlin be­zah­len. Heute reicht die Vergleichssumme für die Ener­gie­kos­ten meiner Woh­nung im gleichen Zeitraum. Kaufkraftverlust: ca. 75 Prozent. (Das muss ich nochmal ge­nau­er nach­rech­nen.) Ich bekomme zum Glück mehr, weil klar ist, dass diesen Job kein Kor­res­pon­dent, Stu­dent oder Sprach­lehrer machen kann (weib­li­che Form stets mit­ge­dacht). So werde ich am Ende eine Stunde Arbeit be­rech­nen und die Reise als Re­cherche ver­bu­chen.

Wir stehen auf dem Unter­markt im thü­rin­gi­schen Mühl­hausen, vorne spricht ein aal­glat­ter Volks­­tribun, der sich offensichtlich zu viele Videos mit Hitlers Pro­pa­gan­da­­mi­nis­ter angesehen hat. Dass dieser Zeit­ge­nosse Gestik und Prosodie dort ge­klaut hat, war mir spätestens nach seiner Dresdener Rede klar. Dieser Tage werde ich die rhe­to­ri­schen Muster dieses Herren, dessen Namen ich hier nicht nennen will, untersuchen.

Ein deutscher Jour­na­list, den wir zur Vor­be­rei­tung des Ter­mins zum Mittag­es­sen getroffen hatten, brachte das Bonmot: "Der Vergleich zwischen diesen Herren ist leider unpassend, weil er nicht hinkt." Nicht hinkender Rat­ten­fän­ger und hinkender Vergleich, die Sprache schillert.

Wolken aus dem Auto heraus gesehen
Wolkenlandschaften
Die Höhe der Per­fi­die war der Mo­ment, als der Redner auf Halle zu spre­chen kam. Da hätte eben gerade ein Atten­tat statt­ge­fund­den, der Täter sei sicher wieder so ein ver­­bre­­che­­ri­­scher Schein­asy­lant, ein betrü­ge­ri­scher Pseu­do­mi­grant, ein tücki­scher Ein­wan­derer ins So­zial­­sys­tem, dem die Ge­sell­schaft zu Hilfe eilt, statt "unseren Men­schen" zu helfen, den Rent­nern und den deutschen Paaren, die aus Geldgrün­den auf Nach­wuchs ver­zich­ten.

Um die Rede herum hatten wir Zuhörer befragt. Tenor: Die Politiker belügen uns. Die Armen ver­ar­men weiter, niemand tut was, die Steuern und Ver­wal­tungs­auf­lagen sind zu hoch, die Mieten explodieren, wir fühlen uns unsicher, was die Zukunft an­geht, es gibt zu wenig Kin­der­gar­ten­plätze und Lehrer, wir möchten nicht für Men­schen Geld ausgeben, die dann unser Sys­tem zer­stören.

Genau dort setzen die Tri­bu­ne von einst wie von heute an: An den Alltags­nö­ten und dem, was alle empfinden oder min­des­tens nach­voll­zie­hen können.

Dann wird ein großes "Wir" und "Ihr" gebildet, dann ein "Sie": die Po­li­ti­ker, "System­me­dien" oder "Kartell­me­dien" verschweigen die Wahrheit, man traut sich nicht mehr, offen zu sprechen, "es ist schlim­mer, als es in der DDR war", sagt eine äl­tere Dame, es gebe nur einen po­li­ti­schen Aus­weg.

Keiner der Be­frag­ten schien das Parteiprogramm dieser vom Verfassungs­schutz be­ob­ach­te­ten Truppe gelesen zu haben. Um arme Ruhe­ständ­ler geht es denen nicht.

Zurück ins Auto. Ich habe nasse Füße. Ich lese Nachrichten aus Halle. Ei­ne Freun­din ruft an. "Die Polizei sagt, es sei ein Amokläufer gewesen. Das ist aber eindeutig ein rechtsextremer Anschlag." Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn es der Ter­ror­ist geschafft hätte, in die Synagoge zu gelangen.

Ein anderer Freund schreibt etwas zu Syrien. Erdoğan eröffnet den Krieg gegen die Kurden, die bislang in Nordsyrien tapfer gegen den IS gekämpft haben, der Rück­zug der USA hat ihm den Weg frei gemacht. Ungarn hat sich im Konzert der EU-Na­­tio­nen gegen eine Rüge der Türkei ausgesprochen, das Land war das Züng­lein an der Waage. Und der türkische Machthaber hat unsere Politiker ohnehin in der Hand. Er kassiert Unsummen, um die Geflüchteten im Land zurückzuhalten, Geld, von dem vermutlich sehr wenig bei den Betroffenen ankommt.

Im Rückspiegel das Auto, Hinweisschilder am Wegesrand
Hinweise und Wegemarken
Eine von mir seit 2015 betreute syrische Fa­mi­lie hat nur einige Jahre in der Türkei über­lebt, weil die minderjährigen Töchter in einer Schneiderei zum Dumpinglohn ge­ar­bei­tet haben. Eine andere Le­bens­grund­la­ge gab es und gibt es für die dort zu­rück­­ge­­blie­­be­­nen Nachbarn nicht.

So erfasst mich einmal mehr das Wel­ten­grau­en. Nein, mir graut nicht vor den an­de­ren Son­nen­sys­te­men, die die For­schung beschrie­ben hat, das finde ich hoch­span­nend. Es ist auch der Tag, an dem ich zum ersten Mal in meinem Leben beim Dol­met­schen im Regen gestan­den habe. Mein Kun­de, der Jour­na­list, wollte zwar an einen anderen Stehtisch mit Schirm um­zie­hen, an auch ich geschützt gewesen wäre, der Ort war aber akustisch nicht OK. Ich muss gut hö­ren kön­nen, in was ich rein­quatsche.

Welten­grau­en. Mich wird die Fotografie retten, die Er­satz­socken, der Kaffee in der Sonne am nächs­ten Mor­gen und das Wissen darum, wie wichtig es ist, für see­li­schen Aus­gleich zu sorgen.

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Foto: C.E.

Mittwoch, 9. Oktober 2019

Entfernte Verwandte

Im 13. Jahr beschreibe ich hier meinen sprachbetonten Alltag. Ich bin Kon­fe­renz­dol­metscherin und Übersetzerin. Oft ha­de­re ich mit der Welt und ret­te mich dann mit lin­gu­is­ti­schen Be­trach­tun­gen vor ernsthaften Verstimmungen.

Gelbe Fassade, grüner Apfel, in den jemand reinbeißt
Sind grüne Äpfel gesund?
Immer wieder stolpern wir über die glei­chen Be­griffe, für die keine guten Über­setzun­gen in den Wörter­bü­chern stehen. Das betrifft Begriffe, die kom­plexer sind. Und dann müssen wir aus­ho­len und erklä­rend über­tra­gen, weil es die begriffliche Ent­spre­chung nicht gibt.
Beispiel: Soziale Marktwirtschaft, die ab­ge­schwächte Fassung des heutigen Li­be­ra­lis­mus. Sie gab es in Deutsch­land (West), und zwar sicher auch wegen des an­de­ren Deutsch­lands (Ost) vor der Haustür. Beide Ländern standen in gewisser Weise im Wettbewerb miteinander. Hüben eine Art Ka­pi­ta­lis­mus mit mensch­li­chem Antlitz, drüben der ver­meint­lich "real exis­tie­ren­de" Sozialismus.

Das ist auf Französisch gar nicht so einfach wiederzugeben. Frankreich hatte kein West und Ost. Es wird also länger: économie sociale de marché oder économie du marché à caractère social oder économie du marché à vocation sociale. Die andere Sprache holt aus, ... "mit so­zia­lem Anspruch" oder "mit sozialen Eigenschaften" ist erklärend und ver­ständ­lich, aber eben keine feststehende Redewendung.

Mädchen in blauem Kleid auf grauer Fassade
Vater, Mutter, Kind
Ähnlich verhält es sich mit dem fran­zö­si­schen as­sis­ta­nat. Es be­schreibt das Sozial­hilfs­­sys­­tem aus der Perspek­tive der Be­trof­fe­nen, aber auch aus der Pers­pek­ti­ve de­rer, die von außen drauf­schau­en. Über­set­zun­gen, die all­ge­mein kur­­sie­­ren: wirt­schaft­li­che Ab­häng­ig­keit vom Staat, also vom Sozialstaat, l'État pro­vi­den­ce, dem "Für­sor­ge­staat" auf Fran­zö­sisch.

Weiter: Angewiesensein auf staatliche Unterstützung, Sozialhilfebezug, perception de pres­ta­tions so­ciales, so­ziales Hilfesystem, soziale Hängematte, "Bemutterung" durch Vater Staat.

Das schwingt alles mit. Das Wort geht auch in Richtung einer gewis­sen Form von Entmün­digung und syste­ma­tisch wachsender Hilf­lo­sig­keit, in Richtung dauerhafter Sozial­leistungs­­ab­­hän­gig­­keit. Das vor­mund­­schaft­li­che System des assistanat pro­du­ziert Für­sor­­ge­­sub­­jekte, die es aus ei­ge­nen Kräf­ten nicht mehr schaffen.

Roter Mann als Fassadenmalerei mit Fenster
Portrait in Rot
Diese Subjekte sind les assistés. Und ir­gend­wann, nach jahre­lan­ger friedlicher Ko­exis­tenz dieser Wörter in meinem Kopf, nach Hin- und Her­schie­ben der Wort­felder, die ich mir hier als Kreise denke, und zwar auf der Su­che nach den un­ge­fäh­ren Ent­spre­chun­gen, am bes­ten einer Schnitt­menge, kommt das Happy End: Entfernte Ver­wandte finden zusammen!

Denn schon lange suchten wir für das deutsche Wort "Abgehängte" eine Ent­sprechung. Tadaaa! Das ist es. Zumin­dest ein Teil der Begriffe findet hier zusam­men: die Abgehäng­ten — les assistés.


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Fotos: C.E.

Dienstag, 8. Oktober 2019

Museum der Wörter (26)

Hallo, hier bloggt ei­ne Sprach­ar­bei­te­rin. Ich über­set­ze und dol­met­sche. Ar­beits­spra­chen: Fran­zö­sisch (aktiv und passiv) und Englisch (nur Aus­gangs­spra­che). Heute im Wörtermuseum: Ressourcenschonung!

Ich liebe es, Zeitreisen in Berlin zu un­ter­neh­men. Dazu sind auch Fotos eine wun­der­ba­re Grund­lage. Heute sehen wir uns gemeinsam die Berliner Uh­land­stra­ße 28 etwas genauer an. Das Bild stammt von 1909 oder früher. Da­mals wurden die Din­ge noch ausgebessert, repariert. Und wir finden einen neuen alten Begriff fürs Wör­ter­mu­seum. Diesen Trend gibt es wie­der, er heißt auf Neu­deutsch Upcycling.
            
                            S
trumpf-Anstrickerei
  
Besonders interessant ist das Ladengeschäft links unten

Ausschnitt

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Idee: H.F.
Foto: Eigenes Archiv

Montag, 7. Oktober 2019

Hintergrund

Hier schreibt und denkt eine Übersetzerin und Dolmetscherin, derzeit in Berlin. Ich arbeite aber auch in Paris, Brüssel, Erfurt, Cannes und dort, wo Sie mich brauchen. Ich bin räumlich einigermaßen viel auf Achse — und geistig noch mehr.
 
Sitzgruppe, vom Notizblock aus gesehen
Hinterzimmergespräche bei Kaffee und Tee
Schon wieder ein Einsatz oh­ne Hin­ter­grund­ma­terial: Kurz­fris­tig an­be­raumt, ich wurde mit dem Wa­gen von zu­hau­se abgeholt, weil die Gäste in Schö­ne­feld ge­lan­det wa­ren und meine Woh­nung auf dem Weg ins Re­gie­rungs­vier­tel liegt, dann zwei Hin­ter­grund­ge­sprä­che und ein frühes Mit­tag­es­sen in ei­nem be­wirt­schaf­te­ten Sé­paré dort­selbst, zur Sies­ta war ich wie­der zu­hau­se.

Klingt schick, war mittelprächtig. Denn obwohl ich mich zur etwas späten Siest­a­zeit hätte hinlegen können, war an Ruhe nicht zu denken. Auf­grund hoher Kon­zen­tra­tion meiner grauer Zellchen war der Adre­na­lin­pegel in mei­nem Blut so hoch, dass ich erst am frü­hen Abend etwas Ruhe fand.

Ohne Vorbereitungs­material, mir wurde grob ein Stichwort hin­ge­worfen, zeigt sich, wie gut der allgemeine Bildungszustand ist. Wenn ich sage, dass ich dafür bezahlt werde, dass ich stu­diere, dann ist es exakt so. Nur ist es leider kein Stu­dium mit Sys­te­ma­tik und Ab­schluss, sondern ein À jour-Hal­ten in den mir bereits be­kann­ten Fächern und Feldern.

Denn unser Dol­met­scher­be­ruf besteht zu 80 Prozent aus Vor­be­rei­tung. Deshalb haben unsere Dolmet­schertage auch ihren Preis. Denn die Vor­be­rei­tungs­zeit wird nie vergütet. Also so gut wie nie. In 15 Jahren Berufstätigkeit habe ich genau ei­nen Le­se- und Lern­tag extra be­zahlt bekom­men.

Und so war denn auch der Einsatz: Ein Ritt durch alle möglichen und unmöglichen Kri­sen­ge­bie­te. Nur das Pro­blem der Si­cher­heit öffent­li­cher Ver­kehrs­we­ge, Auto­bahnbrücken etc. hatte ich nicht auf dem Schirm. Ich darf das Thema hier veröf­fent­lichen, ich habe extra nachgefragt, denn demnächst folgen dazu öffent­liche Stellung­nahmen.

VÖBB - Marie Claire Maison
Bibliothekslese"saal"
Meine Online­bib­liotheken des Verbunds der Öffentlichen Bibliotheken Berlins (VöBB) sowie des Insti­tut Fran­çais führen leider weder Le Monde noch Le Monde Diplo­ma­ti­que oder Le Ca­nard En­chaîné, um nur einige Titel zu nen­nen.

Ich kritisiere das. Dafür bin ich in Sachen Koch­re­zepte und In­nen­ein­richtung bes­tens in­for­miert.


1. Ergänzung: Die Preise für Presse­er­zeug­nis­se steigen im Ver­gleich zu den Dol­met­scher­ho­no­raren, die auf dem Markt erzielt werden kön­nen, über­pro­por­tio­nal, bei Auslandspresse git es einen Extraaufschlag. Es wäre schön, wenn sich das ändern würde. (Eine Anpassung der Dolmetscher­ho­no­ra­re an den Kauf­kraft­ver­lust ist über­fäl­lig.)

2. Ergänzung, heute auf dem Schreibtisch:
⊗ Das sehr rechte Parteienspektrum in Frankreich und Deutschland
⊗ Unterschiede in der Firmenbilanzierung in F und D
⊗ Klimapolitik
⊗ Tigermücke
⊗ Kostenvoranschläge für Dezember 2019, März und Juni 2020

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Fotos: C.E. (Archiv), VÖBB

Sonntag, 6. Oktober 2019

Kleinod

Gu­ten Tag! Sie sind mit­­ten in ein Ar­­beits­­ta­­ge­­buch rein­­ge­­ra­­ten, in dem sich al­les um Spra­­che, Dol­­met­­schen, Über­­setzen und Kult­­uren dreht. Als frei­be­ruf­li­che Dol­met­scherin und Über­set­zerin ar­bei­te ich in Frankfurt und Paris, Lyon und Leipzig, Berlin und Lille. Heute werde ich privat: Sonntagsbilder!

Ein Kleinod sei unser Hinterhofgärtchen, sagte der Vater einer Nachbarin neulich, wer den Hof beträte, sei über­rascht, denn derlei erwarte doch nie­mand in Neu­kölln.

Banane, Zitrone, Passionsblume Hibiscus, Tomaten, viele Tagetes, Grünlilie, Klivie, Winde ...
Hinterhofidylle
Neukölln, das klingt rauh und hart. Ist es auch. Den Namen "Kreuz­kölln" (wo wir wohnen) hat vor etwas mehr als zehn Jahren die Im­mobi­lien­wirt­schaft erfunden, um die Kauf- und Miet­preise hier zu ver­dop­­peln bis zu ver­drei­fachen.

Das ist ihr leider gelungen. Daher sollte sich rasch rum­sprechen, wie es hier auf der Straße aussieht.

Auf dem Weg zur U-Bahn kreuzen wir Stricher, gewaltbereite Drogen­ab­hän­gige, ei­ne Handvoll Dealer, die wir alle vom Sehen kennen und die wie Schichtarbeiter reih­um tätig sind. Neu­lich sah ich gleich in einer Ecke neben der Treppe der Sta­tion, wie sich jemand den Arm abgebunden und einen Schuss gesetzt hat.

Reifende Frucht und Blüten im Hofgarten
Passionsfrucht, Winde, Topinambur (gelb)
Wäre die Stimmung nicht so aggressiv ge­we­sen, ich hätte ein Beweisfoto ge­schos­sen. Bei nächs­ter Ge­le­gen­heit mache ich das, wenn wir zu zweit sind, heimlich aus dem Man­tel her­aus. Und jetzt nimmt durch die ein­set­zen­de Herbst­käl­te die Anzahl vor­han­de­ner Men­schen noch mehr zu. Viele Obdach­lo­se suchen hier Zu­flucht.

Je härter es "draußen" wird, desto mehr machen wir Nachbar­innen aus dem Hof­gar­ten ein kleines Paradies. Damit die Kinder zum Spielen hierbleiben, aber auch für unsere eigenen Seelen.
Das Kleinod also. Früher bezeich­nete das Wort vor allem ein Schmuckstück.

Heute wird es auch öfter im übertra­genen Sinne gebraucht. Der Plural heißt Klein­odien.

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Fotos: C.E.

Samstag, 5. Oktober 2019

Steuern

Will­kom­men auf den Sei­ten ei­nes vir­­tu­­el­­len Ar­beits­­ta­­ge­buchs aus der Spra­chen­welt. Ich bin Französischdolmetscherin und -übersetzerin. Hier denke ich über unsere Berufswelt nach und berichte von besonderen Momenten. Es ist Samstag: Link der Woche!

Aus der Frühzeit des Passagierbetriebs
Das Wort Steuern kommt vom Verb steuern. Ein Flug­ka­pi­tän steu­ert sein Luft­schiff in den rich­ti­gen Ha­fen. Au­tos wer­den ge­steu­ert. Und wir al­le zah­len Steu­ern, so­gar jene, die fast nichts haben: Ver­brauchs­steu­ern.

Als Synonym für steuern kann auch das Verb lenken ver­wen­det werden.

Wer lenkt oder steu­ert, hat ein Ziel im Blick. Er oder sie weiß, welche Richtung einzu­schlagen ist. Er oder sie hat einen Überblick, einen Plan, eine Landkarte und trifft Entschei­dungen sehr bewusst. Die grund­sätzliche Entscheidung, die da­hin­ters­teht, hat zur Folge, dass es in Richtung des anvisierten Ziels geht. Die Ent­schei­dung ist also rich­tungs­wei­send.

Das gilt auch für Steuern, die Ein­wohner an den Staat zah­len und die im Inter­esse der Gesell­schaft ausgegeben werden. Und genau diese zielangebende Funk­tion von Steuern finde ich im Maß­nah­men­paket der Re­gie­rung in Sachen Um­welt- und Kli­ma­schutz nicht wieder. Es sieht eher so aus wie der kleinste gemeinsame Nenner.

Inlandsflüge sollen drei Euro teurer werden, titelt der Spiegel. Es gibt viele, die schlicht ihr Verbot fordern. Als Dolmet­sche­rin reise ich meis­tens mit der Bahn. Auch zwi­schen weit ent­fern­ten Or­ten, so­fern das mög­lich ist. Manch­mal sind mei­ne Kun­den, für ich rei­se, nicht ein­ver­stan­den. Ich ha­be noch kei­ne Lö­sung für die­ses Prob­lem.

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Foto: Privatarchiv (1926?)