Freitag, 27. Oktober 2017

Sauberlaufmatten

Hallo! Sie lesen hier in einem Arbeits­ta­ge­buch aus der Welt der Spra­chen. Als Dol­met­sche­rin bin ich oft unterwegs, mitunter länger, wenn ich gegen Grippeviren kämpfen muss. Umso irritierender, dass mich die Werbewirtschaft noch nicht als Kundin von Immunstärkern entdeckt hat. Während in Berlin der Mitbewohner die Blumen gießt .... 

Chefsessel bei Linguee
Der übertragene Sinn steht im Vordergrund
Werbung für Fahnenmasten, Chefsessel und Sau­ber­lauf­mat­ten und derlei landet re­gel­mä­ßig in meinem Post­fach. Ich weiß, dass un­ge­betene Wer­­bung im­mer auch ein Spie­gel des ei­ge­nen Surf­ver­hal­tens ist. Muss ich mir über mich selbst Sorgen machen?

Ich dre­he die Sa­che wie­der zu mei­nen Guns­ten um.

So lerne ich bislang nicht so sehr bekanntes Vokabular kennen. Der Fahnenmast: la hampe oder mât de drapeau, der Chefsessel im Übertragenen: fauteuil oder siège de direction, im Konkreten: fauteuil de cuir. Lustig sind diese "Sau­ber­lauf­mat­ten", ein Wort, das bislang nicht zu meinem aktiven Wortschatz gehört hat. Auf Fran­zö­sisch finde ich paillassons pour entrées, tapis d'intérieur oder paillasson anti-cras­ses, übertragen sind das diese länglichen Plas­tik­tep­pich­din­ger, wie sie im Ein­gangs­be­reich von Ladengeschäften liegen, die wie kleine Bürstchen die Schuhe der wer­ten Kundschaft reinigen.

Wer weiß denn schon, wann ich diese Wörter mal brauchen kann?

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Illustration: Linguee

Samstag, 14. Oktober 2017

Statusmeldung

Blick aus der Kabine von oben auf das Geschehen
Messe in Vo­gel­flug­pers­pek­ti­ve
Bonjour, hello, guten Tag. Hier bloggt im 11. Jahr eine Dolmetscherin, übli­cher­wei­se mehrmals die Woche. Wo eine Regel, da auch eine Ausnahme ...

Kurzer Zwischenstand, um die Sendepause zu erklären, die hier eingetreten ist: Unter dem Sturm durfte ich neulich hin­durch­fahren für eine Last-Mi­nute-Aktion mit Ver­dol­met­schun­gen von Filmen auf Rügen. Diese Einsätze waren vor­zu­be­rei­ten.
Anschließend ging es weiter auf dem Land­weg nach Frankfurt, wo ich derzeit bin, während der Mit­be­woh­ner Ruhe zum Schrei­ben hat. Zwischendurch wurde noch ein Dreh­buch­lek­to­rat geliefert.

Bonjour, je suis à Francfort en ce moment, à la foire du livre. Le silence du Blog n'est pas dû à la tempête ...

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Foto folgt

Montag, 2. Oktober 2017

Einsprechübersetzung

Hier bloggt eine Übersetzerin und Dolmetscherin über ihren Be­rufs­all­tag. Heute wird's praktisch. Aus gegebenem Anlass einige ...

Hinweise für das Übersetzen fremdsprachiger Untertitel zum Einsprechen

UNTERTITEL (UT) werden einfache oder doppelte Textzeilen genannt, die unter oder (z.B. bei asiatischen Sprachen) neben Filmbildern eingeblendet werden. Meistens geben sie den Filmton wieder, vor allem Dialoge.

Sie bestehen aus einer vorab festgelegten Anzahl von Zeichen. Viele Sender oder Titelgeneratoren haben eine eigene festgelegte Anzahl von Anschlägen (Anschläge = Zeichen inklusive Leerzeichen). 

Die meisten Menschen hören in der gleichen Zeiteinheit mehr Wörter als sie lesen können. Außerdem ist der Filmschnitt zu berücksichtigen. Es ist z.B. nicht üblich, Titel auf Schnitte zu setzen.

Daher geben Untertitel die Filmdialoge oft verkürzt wieder. Außerdem lenken UTs (besonders Ungeübte) vom Bild ab. Das Spiel der Darsteller, Sound und Musik brau­chen Raum bei der Sinneswahrnehmung. Das macht das Erstellen von Un­ter­ti­teln oft zu einer Knobelarbeit, die mit dem Entwerfen von Kreuzwort­rätseln verglichen werden kann — oder mit einer Form von Dichtung. Denn UTs geben den Filmdialog meistens in gestraffter Form wieder. Hier besteht die Kunst darin, Weg­ge­fal­le­nes zwischen den Zeilen aufscheinen zu lassen.

Wie sehen UTs aus?
Untertitelsoftware
Visuelles Beispiel (einige Jahre alt)
1.
00:02:17,440 --> 00:02:20,375

Hier ein kurzes Beispiel,

ich fand nichts Besseres.

2
.
00:02:20,476 --> 00:02:22,501

… aber es hilft schon mal!

Dort noch ein Grundsatztext über Untertitel: Blogeintrag vom März '14.

EINSPRECHEN ist eine Vertonungsart von Festivalfilmen, für die es noch keine Un­ter­ti­te­lung (in der gewünschten Zielsprache) gibt sowie für manche Werke des in­ter­na­tio­na­len Filmerbes (Beispiel: Billy Wilder). Hierbei werden Titellisten, Dreh­buch- oder Roh­über­set­zun­gen von Dolmetschern adaptiert und eingesprochen. Oder aber es liegen er­prob­te, lektorierte Titel vor, die auch von anderen Fach­kräf­ten ein­ge­le­sen werden können.

Dabei spricht eine Stimme alle Rollen, Frauen, Männer, Greise, Kinder, über die Dauer des gesamten Films (oder Kurzfilmprogramms) hindurch. Nicht alle Dol­met­scher oder Spre­cher sind hierzu geeignet. Eine gute Sprechstimme, Stressresistenz und Ausdauer sind Voraussetzung.

Auf der Berlinale haben wir einen Film pro Tag eingesprochen, und zwar zwei- bis dreimal. Hier war ausreichend Zeit für die Vorbereitung vorhanden. Bei anderen Fes­ti­vals kann es sein, dass ein Sprecher pro Tag drei Filme einsprechen muss. In solchen Fällen ist es besser, die Untertitellisten zuvor fürs Einsprechen zu über­setzen. Das Ergebnis wird sich am Ende nicht gleich als neue Titel setzen las­sen, bil­det dafür aber eine gute Grundlage.

Hier noch einige Regeln für das Zuarbeiten in diesem Fall:
1. Eingesprochene Filme sind keine Synchronisationen, sondern Filme mit ge­spro­che­nen Untertiteln. Es gilt in beiden Fällen: So viel wie nötig, so wenig wie mög­lich.
2. Dialoge und UTs lehnen sich an gesprochene Sprache an. Es gilt: „Mit den Ohren schreiben, nicht mit der Hand.“
3. Zur Bearbeitung von Einsprechlisten gibt es im Idealfall einen Filmlink. Es em­pfiehlt sich, im Script Stellen zu markieren, die sehr schnell sind, z.B. durch Kur­siv­setzung. Über die Geschwindigkeit geben auch die Timecodes Auskunft (die Zahlenreihe vor dem Titel).
4. In sehr hektischen Passagen ist es wichtig, die Atem­pausen des Einsprechers zu berücksichtigen. Tipp: Wer fürs Ohr schreibt und übersetzt, sollte zwischen­durch auch laut lesen, vor allem bei der Übertragung einer sparsamen Sprache wie Eng­lisch in eine ausführlichere wie Deutsch.
5. Anders als bei der Buchlektüre können Ohr und Auge im Kino nicht zu­rück­sprin­gen. Eindeutigkeit ist wichtig, Manierismen jeder Art sind zu vermeiden.
6. Abkürzungen, sofern gebräuchlich, dürfen mit etwas größerer Sorglosigkeit ver­wen­det werden als bei echten Untertiteln. Ein lässiges „er war im Haus­tür­ver­kauf tätig“, wir sehen aber, dass er „Außendienstmitarbeiter“ ist, darf anstelle von Il a fait du porte-à-porte, zu Il était VRP [voyageur représentant placier] verkürzt werden.
7. Sprichwörter werden mit der Entsprechung aus der andren Kultur übertragen, außer ein zitiertes Element kommt in der Geschichte vor. Dann muss abgewogen werden zwischen direkter Übertragung und Verschiebung in Richtung einer anderen sprichwörtlichen Metapher (die im Film vorkommt).
8. Probleme und Fragen jedweder Art bitte anmerken und deutlich vom Rest des Textes abheben.
9. Anders als in der Dolmetscher­kabine sind drastische Ausrufe 1:1 wiederzugeben. Hier sind keine diplomatischen Folgen zu befürchten.
10. Have fun while working! Arbeitszeit ist Lebenszeit.


Früher, als Filme noch als Rollen ins Kino kamen, wurden die Untertitel in das Trä­ger­ma­te­rial eingebrannt. Heute sind werden sie im Schnitt oder vom Vor­führ­ge­rät zugespielt. Damit sind sie auch später noch redaktionell veränderbar. Die Über­pro­duk­tion von Filmen führt aber leider dazu, dass nach Fertigstellung einer über­eil­ten Festival­fassung später nur noch selten korrigierend eingegriffen wird. Außerdem haben erhöhte Nachfrage und andere Markt­gesetze die Preise von Un­ter­ti­teln verdorben. Es ist daher allen in der Festival- und Filmaus­wertungskette gedient — nicht zuletzt uns selbst, denn wir sind ja alle Zuschauer —, wenn ak­ku­rat ge­ar­bei­tet wird.

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Foto: C.E. (Archiv)