Samstag, 27. Juli 2024

Bonjour ...

... und herz­lich will­kom­men auf mei­ner Blog­sei­te! Was Dol­met­scher und Dol­met­scherin­nen be­schäf­tigt, kön­nen Sie hier seit 2007 mit­le­sen. Das neu­e Jahr nimmt Fahrt auf!

Dol­mets­chen bei Kon­gres­sen, für den Po­li­tik­be­trieb, auf De­le­ga­tions­rei­sen, bei ad­mi­nis­tra­ti­ven Vor­gängen, in der Kanz­lei oder im Kran­ken­haus, bei Werks­be­sich­ti­gun­gen und Hin­ter­grund­ge­sprä­chen — un­se­re Ein­sät­ze sind über­aus viel­fäl­tig.

Grüne Jalousien, grüne Vase, Garten mit Pflanzen
Endlich Sommer
Da­bei über­tra­gen wir In­hal­te kon­se­ku­tiv (in Sprech­pau­sen hin­ein) oder si­mul­tan (na­he­zu zeit­gleich).
In den letz­ten Jah­ren sind wir im­mer öft­er auch online gefragt. Da diese Über­tra­gungs­art für alle an­stren­gen­der ist, klei­ne Mo­ni­tor­bil­der, ge­stauch­te und damit un­na­tür­liche Stim­men, Rau­schen oder Echos, sind die­se Ein­heiten meis­tens kür­zer als nor­ma­le Ein­sätze.

Zur Pla­nung Ihres Dol­metsch­be­darfs er­rei­chen Sie mich be­quem per Mail an ca­ro­line@adazylla.de. Da ich in Teil­zeit ei­ne An­ge­hö­ri­ge pfle­ge, bit­te ich um schrift­li­che Kon­takt­auf­nah­me.

Es gibt ke­ine Bü­ro­sprech­stun­den!

Wir freu­en uns auf Ihre An­fra­ge!

Bit­te be­ach­ten Sie: Krea­ti­ve Tex­te über­tra­ge ich selbst nur ins Deut­sche; an­de­re Spra­chen deckt un­ser Netz­werk ab. Do­ku­men­te be­ar­bei­ten Kol­le­gin und Kol­le­ge au­ßer­halb Ber­lins (im Post­ver­kehr).

Da wir nicht nur Spra­char­bei­terin­nen und Sprach­ar­beiter sind, son­dern auch Men­schen, die be­ob­ach­ten und Ihre Epo­che do­ku­men­tieren, fin­den Sie auf den fol­gen­den Sei­ten mein mit­un­ter sub­jek­tiv ge­präg­tes Ar­beits­ta­ge­buch.

P.S.: Die­se Sei­te ist für die An­sicht im Web­layout op­ti­miert, weil sonst hin­ter den Fo­tos Text ver­schwin­det.

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Foto: C.E.

Freitag, 26. Juli 2024

Mediendolmetschen (8)

Guten Tag oder gu­‍ten Abend! Sie le­‍sen in ei­‍nem Ar­‍beits­ta­ge­‍buch, das den The­men Spra­‍che, Dol­‍met­schen, Über­‍set­zen und Kul­‍tu­ren ge­‍wid­‍met ist. Als frei­‍be­‍ruf­li­‍che Sprach­‍mitt­le­‍rin ar­‍bei­te ich dort, wo ich ge­‍braucht wer­de, oft in der Dol­‍met­‍sch­ka­‍bi­ne, di­‍rekt bei Kun­den oder am Film­‍set.

Ob ich dem Nach­wuchs emp­feh­len wür­de, Über­set­zen und Dol­met­schen zu stu­die­ren mit dem Ziel, für Me­dien und Film zu ar­bei­ten? Da­rauf ein ganz kla­res Nein.

Dolmetscherin, Funkgerät, Mikro (Mobiltelefonie), 1. Rechner: Material, 2. Rechner: Ton vom Dreh, manchmal Kamerabild
Dolmetschen beim Dreh (vom Nebenzimmer aus)
Die­se Ar­beit geht nicht mit TV-Li­ve­shows los, dort lan­den nur sehr we­ni­ge, wer das ist, hängt letzt­lich vom Wohn­ort, von Zu­fäl­len und per­sön­li­chen Be­kannt­schaf­ten ab. Und na­tür­lich vom Ta­lent, der Flüs­sig­keit der Ar­beit, der Qua­li­tät der Stim­me. Zu­vor ist aber jahr­zehn­te­lan­ge Ba­sis­ar­beit nö­tig, auch auf nor­ma­len Kon­fe­ren­zen, die Gründe sind Geld und Trai­ning. Am häu­figs­ten ist im Be­reich Me­dien­dol­met­schen Ar­beit am Set ge­fragt.

Zu­min­dest war das bis­her so.

Vor­re­de: Vor ei­ni­ger Zeit wa­ren mir be­reits im Ar­te-Pro­gramm Deut­sche auf­ge­fal­len, die bei of­fen­sicht­lich in Deutsch­land ge­mach­ten Film­auf­nah­men Eng­lisch ge­spro­chen ha­ben. Nun wur­de mir ein Dreh­tag mit Dol­met­schen ab­ge­sagt. Die Re­dak­teurin ha­be es für lo­gi­scher ge­hal­ten, dass der Protagonist aus Deutsch­land die fran­zö­si­sche Re­gis­seu­rin in der Spra­che des bis­he­ri­gen Mail­ver­kehrs an­spricht. Pa­ra­dox und neu: Der Protagonist ei­nes Do­ku­men­tar­films, der mit Team und Ka­me­ra durch sein Vier­tel läuft und al­les zeigt, soll Eng­lisch spre­chen. Nur für die In­ter­view­se­quen­zen sei noch Ver­dol­met­schung nö­tig.

Sol­cher Sprach­misch­masch mit dop­pel­tem Fremd­sprach­ge­brauch ist meis­‍tens häss­lich und höl­zern. Hin­zu kommt, dass in bei­den Ver­sio­nen des Do­ku­men­tar­films, der fran­zö­si­schen und der deut­schen, in der je­wei­li­gen Sprach­fas­sung über den Ori­gi­nal­ton drü­ber­ge­spro­chen wer­den wird.

Das ist ein No­vum für den be­lieb­ten deutsch-fran­zö­si­schen Kul­tur­sen­der, bei dem bis­lang die Re­gel galt: Je­de(r) spricht in der Mut­ter­spra­che. Der Vor­gang ist Aus­druck des Miss­trau­ens ge­gen­über uns Dol­met­scher ­nen. Un­ser Ziel und Stolz ist es, das Ge­sag­te auf na­tür­li­che Wei­se zu ver­mit­teln, ei­nen ma­xi­ma­len Fluss zu er­rei­chen, so dass der Aus­tausch di­rekt und so na­tür­lich wird, dass wir als „Stim­me“ ver­ges­sen wer­den. Am En­de ist der Aus­tausch tie­fer und fühlt sich für die Be­tei­lig­ten 'nor­mal' an. Wir sind am bes­ten, wenn nie­mand un­se­re Ar­beit be­merkt.

Viel­leicht hat die Re­dak­teurin auch schlech­te Er­fah­run­gen mit Lai­en ge­macht. Das kommt nicht von un­ge­fähr. Die Sen­der ha­ben Pro­duk­ti­ons­bud­gets ge­kürzt. Heu­te jon­glie­ren vie­le Pro­duk­ti­ons­fir­men mit 70 Pro­zent des­sen, was vor zehn Jah­ren üb­lich war, und al­les wird teu­rer. Die­se Fir­men bie­ten un­se­rem­ei­nen in der lo­gi­schen Kon­se­quenz 20 Pro­zent mehr als die 100 Dol­lar an, die zur Zeit des Mau­er­falls üb­lich wa­ren. Wenn wir am En­de bes­ser be­zahlt wer­den, dann ist das das Er­geb­nis müh­sa­mer Ver­hand­lun­gen.

Wer kei­ne Pro­fis be­zah­len will, be­kommt auch kei­ne. Sehr oft wird auf Lai­en zu­rück­ge­grif­fen, die fünf Mi­nu­ten vor­zeig­bar durch­hal­ten. Dann er­schre­cken sie über das, was sie tun, die Hin­win­dun­gen wer­den zu ei­nem Sa­lat, in dem sie her­um­sto­chern. Oder die Men­ge des pro take Ge­sag­ten ist zu viel. Bei ge­film­ten In­ter­views lässt sich eben nicht Satz für Satz ar­bei­ten.

Dann steht die Sprach­bar­rie­re un­über­seh­bar im Raum. Sie wird auch im ge­dreh­ten Ma­te­ri­al sicht­bar.

Ich bin nicht über­rascht, ich bin scho­ckiert. Die Re­dak­teurin weiß nicht, wie wir Dol­met­scher:in­nen ar­bei­ten. Die Un­wis­sen­heit wird durch haus­ge­mach­te Pro­ble­me ver­schärft, das Bud­get! Da­raus er­gibt sich ei­ne wei­te­re "Er­fah­rung". In Sum­me sind bei ge­na­uem Hin­se­hen aber kei­ne Fach­kennt­nis­se, son­dern lai­en­haf­te Mei­nung. Nur: Wer sagt es ihr?

Vor al­lem aber wur­den Re­geln ge­bro­chen, die im Kul­tur­aus­tausch lan­ge selbst­ver­ständ­lich wa­ren. Es ist ein Akt der Di­plo­ma­tie und der Frei­heit, Men­schen ih­re ei­ge­ne Spra­che spre­chen zu las­sen. Ich muss an Genscher (*) den­ken, den ich 2010 ver­dol­met­schen durf­te. Zi­tat: „Auf Eng­lisch sa­ge ich, was ich sa­gen kann, aber in mei­ner Mut­ter­spra­che sa­ge ich, was ich sa­gen will.“

Und wo wol­len die An­stal­ten in ein paar Jah­ren den gut aus­ge­bil­de­ten, fach­lich spe­zia­li­sier­ten Nach­wuchs her­neh­men, wenn ihm nie­mand mehr die Chan­ce gibt, sei­ne Fä­hig­kei­ten am Set zu ver­tie­fen und zu ver­fei­nern?

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Foto: C. Weißgerber (Archiv)
*:
Hans-Diet­rich Genscher, dienst­äl­tes­ter
deut­scher Au­ßen­mi­nis­ter (1974 bis 1992)

Donnerstag, 25. Juli 2024

Prima Aussichten (2)

Wie Dol­met­sche­rin­nen und Dol­met­scher ar­bei­ten, be­schrei­be ich hier seit 2007. Mei­ne Ar­beits­spra­chen sind Deutsch (Mut­ter­spra­che), Fran­zö­sisch und Eng­lisch; mei­ne Bü­ro­kol­le­gin ar­bei­tet als Über­set­ze­rin, al­so schrift­lich, mit Ziel­spra­che Eng­lisch. Wer so lan­ge wie ich ein di­gi­ta­les Ar­beits­ta­ge­buch führt, kann sich selbst über die Schul­ter se­hen. Ein ko­mi­sches Ge­fühl! 

Im Som­mer ha­be ich kaum Le­se­rin­nen und Le­ser, da kann ich al­te Bei­trä­ge her­vor­kra­men, die sonst viel­leicht als "zu kri­tisch" ins Kreuz­feu­er der Kri­tik ge­ra­ten wür­den. It's throw­back thurs­day!

Vor ziem­lich ge­nau vor zwei Jah­ren (Link) hat­te ich bei der Ar­beit nicht et­wa aus Grün­den der Tem­pe­ra­tur ein Brett vorm Kopf, son­dern ei­ne Säu­le brach­te die Hin­win­dun­gen durch­ein­an­der. Der Stütz­pfei­ler stand fett im Weg rum.

Eine Säule versperrt den Blick auf die Leinwand
Säu­le mit Re­vi­si­ons­klap­pe
Es war bei ei­nem Hoch­som­mer­ein­satz, und Hit­ze kam noch on top. Wir ha­ben bei der abend­li­chen Auf­takt­ver­an­stal­tung so gut es ging ver­sucht, drum­her­um­zu­ar­bei­ten ... bis die Ver­an­stal­te­rin uns zum Glück am nächs­ten Mor­gen ei­ne gu­te Sicht ver­schafft hat. Nein, nicht die Säu­le wur­de ver­scho­ben, auch nicht die schwe­re Ka­bi­ne ver­rückt (ei­ne in ei­ner Rei­he von fün­fen); das Bild da­zu am En­de die­ses Links: klick!

Wenn Sie ei­ne Kon­fe­renz pla­nen und sich fra­gen, ob der Raum ge­eig­net ist: Prü­fen Sie die Lage vor Ort, den­ken Sie in Sicht­ach­sen! Im Zwei­fels­fall dür­fen Sie mich ger­ne an­ru­fen. Ich ha­be schon Mo­na­te vor dem Ein­satz Ka­bi­nen­stand­or­te in Grund­riss­plä­ne ein­ge­zeich­net.

In Ber­lin se­he ich mich auch vor Ort um. Wir ha­ben so­gar ei­nen Ent­fer­nungs­mes­ser mit La­ser im Bü­ro. Ich weiß, wie viel Platz für ei­nen Stuhl, für die Luft da­zwi­schen und für die Gän­ge vor­ge­se­hen ist. Wir sind be­ra­ten­de Dol­met­sche­rin­nen und Dol­met­scher und wir lie­ben gu­te Ar­beits­be­din­gun­gen!

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Fo­to: C.E. (Ar­chiv)

Mittwoch, 24. Juli 2024

Kreatives Textübersetzen

Bonjour, hello & gu­ten Tag! Auf die­sen Sei­ten er­hal­ten Sie Ein­bli­cke in mei­nen Ar­beits­all­tag als Dol­met­scherin. Mei­ne Mut­ter­spra­che ist Deutsch, und ich ar­bei­te haupt­säch­lich mit Fran­zö­sisch als Ausgangssprache. Als Dol­met­scherin bin ich al­ler­din­gs bi­la­te­ral tätig, in bei­de Rich­tun­gen, Eng­lisch grund­sätz­lich nur als Aus­gangs­spra­che. Da­für über­setzt mei­ne Büro­kol­le­gin ins Eng­li­sche.

Am Mon­tag er­hielt ich die An­fra­ge, ob ich ein KI-vo­rüber­setz­tes Dreh­buch re­di­gie­ren wol­le. Das an­ge­bo­te­ne Ho­no­rar be­trug nur 20 Pro­zent mei­nes üb­li­chen Sat­zes für ei­nen Text die­ses Schwie­rig­keits­gra­des. Mei­ne Ant­wort war klar: Nein, das will ich nicht. So­fort kam die Rück­fra­ge, ob ich je­man­den emp­feh­len kön­ne. Auch hier: Nein. Der Preis passt nicht zum Auf­trag, und der Auf­trag passt nicht zu ei­nem krea­ti­ven Text, der ei­ne ma­nu­el­le Über­set­zung er­for­dert.

Ich ha­be der po­ten­zi­el­len Kun­din nur kurz ge­ant­wor­te­t, möch­te mich aber hier aus­führ­li­cher er­klä­ren.

Ein Wald ist mehr als die Sum­me sei­ner Bäu­me

Über­tra­gen heißt das: Ein Text ist mehr als die Sum­me sei­ner Wör­ter. Au­tor:in­nen wäh­len be­stimm­te Be­grif­fe be­wusst, spie­len auf kul­tu­rel­le Phä­no­me­ne, Buch­ti­tel oder Film­zi­ta­te an, ver­mei­den ab­ge­nutz­te Be­grif­fe. Sie schaf­fen ein Ge­dan­ken­ge­flecht aus Ide­en und Be­zü­gen. All dies bleibt in ei­ner ma­schi­nel­len Über­tra­gung, die das Er­geb­nis an­ge­wand­ter Ma­the­ma­tik ist, auf der Stre­cke. Wir Men­schen in­des ken­nen das sprach­li­che und his­to­ri­sche Hin­ter­land der Begrif­fe, wir haben As­so­zia­tions­ta­lent, die Ma­schi­ne nicht. So­weit das kul­tu­rel­le Ar­gu­ment. 

Diverse merkwürdige Darstellungen von "Dolmetscher:innen"
Alles verrutscht. So sah 2023 die KI meinen Dolmetscherberuf
Nun zu mei­nem Zeit­bud­get: Beim so­ge­nann­ten Post-Edi­ting muss ich zu­erst den Aus­gangs­text und dann die ma­schi­nel­le Über­set­zung le­sen. Mei­ne Au­gen sind auf ge­druck­te Tex­te trai­niert, und es dau­ert län­ger, bis ich mich von ei­ner vor­ge­ge­be­nen "Über­set­zung" lö­sen kann. Spra­che ist im­mer auch Mu­sik. 

Der Klang der ma­schi­nel­len "Lö­sungs­vor­ga­ben" be­ein­träch­tigt zu­sätz­lich mei­ne Ar­beit. Es ver­geht al­so mehr Zeit, bis ich pro­duk­tiv wer­de.

Wört­er und Pro­so­die er­ge­ben den Stil ei­nes Tex­tes. Beim Auf­pep­pen ei­ner see­len­lo­sen Vor­la­ge kann ich nicht wirk­lich krea­tiv ar­bei­ten. Mein Ge­hirn ist dar­auf trai­niert, schnell aus Ver­si­on A die Ver­si­on B zu ma­chen — nicht um­sonst bin ich seit über 30 Jah­ren Dol­met­scherin und Kul­tur­ver­mitt­le­rin.

Zeit­auf­wand und Er­go­no­mie

Die­ses Hin und Her beim Edi­tie­ren hin­dert mich dar­an, in ei­nen krea­ti­ven Flow zu kom­men. Ich ver­su­che, gleich­zei­tig auf meh­re­ren Ebe­nen zu ar­bei­ten und ver­lie­re da­bei oft den Ge­samt­text aus den Au­gen. Auch die KI über­trägt nur von Satz­an­fang zu Satz­en­de, was zu ei­ner dop­pel­ten Kurz­sich­tig­keit führt. Ich schaf­fe ma­xi­mal die Hälf­te in der vor­ge­ge­be­nen Zeit und bin am En­de wirk­lich er­schöpft. 

Ein sol­cher Auf­trag wä­re al­so ein mehr­fa­ches Pro­blem hin­sicht­lich Zeit­auf­wand, Er­go­no­mie und Ar­beits­zu­frie­den­heit. Soll­te ei­ne Kun­din dar­auf be­ste­hen, dass ich ma­schi­nell vor­ge­wähl­te Be­grif­fe ver­bes­se­re, müss­te ich mehr als das Dop­pel­te mei­nes nor­ma­len Prei­ses ver­lan­gen.

Ein­zel­ne Ma­schen statt kunst­vol­les Text­ge­flecht

Rich­tig übel wird es, wenn ich mir den Aus­gangs­text er­neut in Ru­he vor­neh­me und dem kul­tu­rel­len und sprach­li­chen Hin­ter­land nach­spü­re. Beim ver­ba­len Bal­ken­tur­nen (im­mer der vor­ge­ge­be­nen Li­nie ent­lang) bleibt zu viel auf der Stre­cke. Ich kann mei­ne Kom­pe­ten­zen beim "Edi­ting" von ma­schi­nell "Über­setz­tem" nicht voll ein­brin­gen, weil al­les an der Ober­flä­che bleibt. Ein Text ist eben mehr als die Sum­me sei­ner Wör­ter. 

Kurz ge­sagt: Es fühlt sich an, als wür­de ich mit an­ge­zo­ge­ner Hand­brem­se ein Au­to­ren­nen fah­ren. Ein pas­sen­de­res Bild, da ich kei­nen Füh­rer­schein ha­be: Es ist, als müss­te ein Renn­pferd mit ei­nem al­ten Holz­kum­met ei­nen Acker pflü­gen, da­bei wis­sen wir doch heu­te, dass wir weg­müs­sen vom Pflü­gen, hin zur Di­rekt­saat!

Nach­re­de

Auf mei­ne Kurz­fas­sung ant­wor­tet die Kun­din, dass sich die ma­schi­nel­le Über­set­zung gar nicht so schlecht le­sen wür­de. Es sei recht flüs­sig, man müs­se nur ein paar "Stop­per" aus­tau­schen, den gro­ßen Auf­wand se­he sie nicht. Ich schi­cke ihr ei­nen Ab­satz, den ich von Hand über­setzt ha­be, di­rekt da­vor das ma­schi­nel­le Er­geb­nis und er­klä­re in Kom­men­ta­ren hier und da mei­ne Wort­wahl. Die Kun­din wird nun mit der Fir­men­lei­tung Rück­sprache hal­ten. Drückt mir die Dau­men!

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Fo­to: Dall:e (Vorgaben: realistic, 3D,
french, painting, historic)

Dienstag, 23. Juli 2024

It's hot, baby!

Aus dem Ar­beits­­all­tag ei­ner Dol­met­sche­rin kön­nen Sie auf die­sen Sei­ten ei­ni­ges er­fah­ren. Mei­ne Mut­ter­spra­che ist Deutsch, ich ar­bei­te haupt­säch­lich mit Fran­zö­sisch, ein we­nig mit Eng­lisch. Sehr häu­fig dol­met­sche ich zu Um­welt- und Klima­the­men, Um­welt­tech­nik, Na­tur- und Flä­chen­schutz, Flä­chen­neu­in­an­spruch­nahme (ar­ti­fi­cia­li­sa­tion des sols) und nach­hal­ti­gem Bauen. Für mich ist es manch­mal schwer zu ver­ste­hen, dass nicht längst alle He­bel um­ge­legt wor­den sind ...

Teddybär und Stickdecke beim Trödler: "Schön Wetter"
Klima ist nicht gleich Wetter
Sta­tis­ti­ker ver­mel­den, dass sich die Zahl der jähr­li­chen Hitze­tage in Deutsch­land seit den 1950er Jah­ren bis heute auf neun Tage ver­drei­facht hat. Dem steht ein Rück­gang der "Eis­tage" ge­gen­über. Dazu zäh­len alle Tage, an denen die Luft­tem­pe­ra­tur unter null Grad Cel­si­us liegt. In den 50er Jah­ren waren es noch 28 per annum, heute sind es 19.
Des­halb geht es jetzt da­rum, die Städ­te an­ders zu pla­nen, mehr auf be­reits er­schlos­se­ne Flä­chen zu­rück­zu­grei­fen, den Be­stand klima­gerecht um­zu­bau­en, Stich­wort Schwamm­städ­te, mit Retentions­flä­chen, Zis­ter­nen und viel, viel mehr Grün als heute, auch an den Fassaden, in den Hö­fen und Gär­ten, um das Regen­was­ser dort zu sam­meln, wo Pflan­zen küh­len und Schat­ten spen­den.

Es gibt be­reits wun­der­ba­re Bei­spie­le für ver­ti­ka­le und hori­zon­ta­le Be­grü­nun­gen von Neu- und Alt­bau­ten, von Ab­luft­tür­men als über­di­men­sio­na­le Rank­sys­te­me und von Mikro­wäl­dern, auch Tiny Forest ge­nannt. (Un­se­re Stadt­vä­ter und -müt­ter soll­ten mal ei­nen Ab­ste­cher nach Singapur und Japan ma­chen — oder öfter die ent­spre­chen­den Fach­kon­fe­ren­zen be­su­chen).

Es fällt mir schwer, Men­schen zu ver­ste­hen, die ak­tu­el­le Ent­wick­lun­gen leug­nen oder auf na­tür­li­che Pro­zes­se schie­ben. Im Zug füh­re ich manch­mal sol­che Ge­sprä­che. Ich bin in­zwi­schen zu ei­ner Sa­la­mi­tak­tik über­ge­gan­gen. Ein paar emo­tio­na­le Zu­stim­mun­gen, un­ter­füt­tert mit ei­ge­nen Le­bens­er­fah­run­gen, könn­ten die Leu­te aufs rich­ti­ge Gleis set­zen, um im Bild zu blei­ben. Da war der zu hei­ße Ur­laub in Süd­eu­ro­pa, heute fühlt sich der Ost­see­strand oft an wie Ita­lien, ers­tes Ni­cken. Die Leu­te stim­men wei­ter zu, wenn wir auf die In­sek­ten zu spre­chen kom­men, die wir vor nicht all­zu­lan­ger Zeit im­mer von der Wind­schutz­schei­be krat­zen muss­ten bei län­ge­ren Fahr­ten.

Schmet­ter­lin­ge und Li­bel­len, ken­nen das die Kin­der von heute? Au­ßer dem "Klei­nen Kohl­weiß­ling" se­hen wir heute oft fast nichts mehr flie­gen. Und das Vo­gel­ge­zwit­scher ist lei­ser ge­wor­den. (Klei­ne Bio­lo­gie­stun­de für Lai­en: "Kein Wun­der, die fres­sen ja In­sek­ten!") ...

Irgend­wann den­ke ich laut über die ei­gent­lich lang­sa­me Evo­lu­tion nach, dass Pflan­zen und Tie­re nor­ma­ler­wei­se gar nicht so schnell wan­dern können, es sei denn, sie sind im Ballast­was­ser von Schif­fen ge­fan­gen oder ste­cken zwi­schen Wa­ren, die mit dem Flug­zeug kom­men. Be­vor mein Ge­gen­über auf krude pseu­do­wis­sen­schaft­li­che The­men kommt, len­ke ich das Ge­spräch auf die Ti­ger­mü­cke und die Ge­fah­ren neuer Krank­hei­ten. Oder die Zu­nah­me von Ze­cken, die ge­fähr­li­che Krank­hei­ten über­tra­gen, und das ver­mehr­te Auf­tre­ten von Tro­pen­ze­cken. Heute kennt lei­der je­der je­man­den, der an Bor­re­liose er­krankt ist. Das Ge­gen­über nickt wie­der.

Mir ist es wich­tig, Leug­ner durch sol­che Plaudereien be­hut­sam aus ih­rer ar­gu­men­ta­ti­ven Rit­ter­burg her­aus­zu­ho­len bzw. sie gar nicht erst rein­kom­men zu las­sen in ihr De­bat­tensche­ma mit den Sprach­stan­zen. Ich ma­che das hin und wie­der als Hob­by. Ich füh­re sie von den Tot­schlag­ar­gu­men­ten zu­rück auf den Bo­den ih­rer ei­ge­nen Be­ob­ach­tun­gen. Es geht mir dar­um, ih­re Auf­merk­sam­keit zu schär­fen, da­bei an ih­re Er­fah­run­gen an­zu­knüp­fen, ich brin­ge da­bei auch im­mer ei­nen ge­wis­sen Kon­ser­va­tis­mus ins Spiel. Der Be­griff be­deu­tet ja eigent­lich "be­wah­ren, er­hal­ten", und wir wol­len ja nicht noch mehr Ri­si­ken pro­vo­zie­ren, son­dern wün­schen uns für un­se­re An­ver­wand­ten und Freun­de eine Zu­kunft mit mög­lichst viel Si­cher­heit, oder?

Na­tür­lich ge­hört zur Si­cher­heit auch ei­ne ge­wis­se Be­rech­en­bar­keit. Beim The­ma Schie­ne ist es ähn­lich. Meis­tens sit­zen wir in ei­nem ver­spä­te­ten Zug. Irgend­wann be­nen­ne ich das Bahn­dra­ma als das, was es ist: Fol­ge der ge­plan­ten Pri­va­ti­sie­rung, der un­ter­las­se­nen In­ves­ti­tio­nen in Er­halt und Mo­der­ni­sie­rung, obwohl In­ves­ti­tio­nen in staat­li­che In­fra­struk­tur rech­ne­risch keine Schul­den sind, weil ih­nen ge­bau­te Ver­mö­gens­wer­te ge­gen­über­ste­hen, mit denen wie­der­um ge­ar­bei­tet wird, was Um­satz, Ein­kom­men und Steu­er­ein­nah­men ge­ne­riert.

Ich hoffe, dass In­dus­trie, Ban­ken und Ver­si­che­run­gen lang­sam mehr Druck auf die Po­li­tik aus­üben. In­ves­ti­tio­nen in den Klima­schutz sind bil­lig im Ver­gleich zu den Fol­ge­kos­ten, die sonst in ei­ni­gen Jah­ren und Jahr­zehn­ten auf uns zu­kom­men.

Zum The­ma wer­de ich wei­ter­le­sen und mir auch klei­ne Kärt­chen zum Aus­wen­dig­ler­nen ma­chen. Link zum PIK, für das ich schon ge­dol­metscht ha­be. Ich nen­ne das Ar­beit an der De­mo­kra­tie.

P.S.: Der letz­te Sonn­tag war welt­weit der hei­ßes­te Tag seit Be­ginn der Auf­zeich­nun­gen. Pr­osit!

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Foto: C.E. (ge­se­hen in Sach­sen)

Montag, 22. Juli 2024

Montagsschreibtisch (52)

Kabine, Monitore, Mischpult
Hier links sitzt der Techniker
Bon­jour & hel­lo! Sie lesen hier in einem di­gi­ta­les Tage­buch aus der Spra­chen­welt. Ich über­setze ins Deut­sche und dol­met­sche bi­la­te­ral Fran­zö­sisch und Deutsch so­wie aus dem Eng­li­schen. Die Früh­jahrs­sai­son wur­de vor allem durch Sommer­uni­ver­si­täts­ein­sät­ze ver­län­gert, von denen ei­ni­ge wie in Corona­zei­ten "re­mo­te" statt­fin­den. 

Puh, schon wie­der Mon­tag! Was liegt vor?

⊗ Nach­hal­ti­ges Bauen (Stu­di­en­grup­pe) 
⊗ Spiel­film­dra­ma­tur­gie (Nach­be­rei­tung)  
⊗ Kos­ten­vor­an­schlä­ge schrei­ben 
⊗ Klei­dung durch­sehen und re­pa­rie­ren 

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Foto: C.E. (Archiv)

Samstag, 20. Juli 2024

Elite ist kein Fruchtjoghurt

Bon­jour und herz­lich will­kom­men! Hier bloggt eine Sprach­ar­bei­te­rin. Fran­zö­sisch in Ber­lin, Deutsch in Frank­reich, so geht mit mei­ner Sprach­kom­bi mei­ne De­fi­ni­ti­on für Dol­met­scher los. Wir müs­sen uns im­mer wie­der mit gro­ßer Leich­tig­keit an die Um­ge­bung an­pas­sen, die wir ver­to­nen. Heu­te: Lieb-Link der Wo­che!

Hans Sachs,  Holzschnitt von Michael Ostendorfer (1545)
Der his­to­ri­sche Hans Sachs (Holz­schnitt von 1545)
Schon als Schü­le­rin ha­be ich un­ter­schied­li­che Mi­lieus stu­diert, al­ler­dings eher un­frei­wil­lig. Ein­ge­schult wur­de ich in ei­ner mit­tel­hes­si­schen Uni­stadt, be­such­te die Grund­schu­le in der Nach­bar­schaft mit ei­nem ge­walt­tä­ti­gen Ex-Na­zi als Leh­rer. Als Freun­des­grup­pe wech­sel­ten wir im ers­ten Schul­halb­jahr ge­schlos­sen in ei­ne Grund­schu­le am Stadt­rand. 

Hier, im Neu­bau­ge­biet, lei­te­te ein al­ter, hu­ma­nis­tisch ge­präg­ter Di­rek­tor die Schu­le. Er war in den letz­ten zwei Jah­ren un­ser Klas­sen­leh­rer, er hieß Hans Sachs, ich ver­eh­re ihn bis heu­te.


Er präg­te das Kli­ma in der Schu­le, in der ge­stal­te­ri­sche Früh­er­zie­hung eben­so an­ge­bo­ten wur­de wie Chor­ge­sang. Sol­che kul­tu­rel­len Leucht­tür­me braucht je­der Stadt­teil. Die Nach­bar­schu­le war ei­ne neue Ge­samt­schu­le mit jun­gen Leh­rern, wir wech­sel­ten spä­ter wie­der als Grup­pe, und al­les in al­lem ein­fach toll. Es gab ein Sprach­la­bor, ei­ne Schul­kü­che, Holz- und Me­tall­werk­stät­ten, ein Fo­rum, das für de­mo­kra­ti­sche Pro­zes­se ge­nutzt wur­de und ei­ne sehr gro­ße Sport­hal­le. An der Schu­le tra­fen sich Kin­der aus den un­ter­schied­lichs­ten Schich­ten.

Dann, nach ei­nem Um­zug aufs Land und nach Ba­den-Würt­tem­berg: An ei­nem Pro­vinz­gym­na­si­um traf ich auf al­te Leh­rer­in­nen und Leh­rer mit zum Teil merk­wür­di­gen Me­tho­den. Ei­ner von pre­dig­te uns stän­dig, wir sei­en die Eli­te. Den Be­griff kann­te ich da­mals nur als Mar­ke ei­nes Frucht­jo­gurts, der spä­ter zur Haus­mar­ke ei­nes Dis­coun­ters wur­de.

Heu­te: Ge­dan­ken zu ei­nem um­strit­te­nen Be­griff und der Link zu ei­nem Zei­tungs­ar­ti­kel, der mir aus dem Her­zen spricht. Es fol­gen die Kern­the­sen von "Hilfe, ich bin eli­tär" aus der Fe­der von Georg Se­eß­len, die ta­ges­zei­tung, 17.7.2024. 

Der Be­griff „Eli­te“ wird oft miss­ver­stan­den und miss­braucht. Kei­ne Ge­sell­schaft kann oh­ne Eli­ten aus­kom­men, aber es ist ho­he Zeit, die Eli­ten zu de­mo­kra­ti­sie­ren und gleich­zei­tig der De­mo­kra­tie eli­tä­re Zü­ge zu ver­lei­hen.

Ei­ne Eli­te be­steht aus Men­schen, die über­durch­schnitt­li­che Fä­hig­kei­ten oder Kennt­nis­se ha­ben. Es gibt ver­schie­de­ne Ar­ten von Eli­ten, dar­un­ter be­ruf­li­che, wis­sen­schaft­li­che, po­li­ti­sche und kul­tu­rel­le Eli­ten. Je­de Be­rufs- und Wis­sens­ge­mein­schaft hat ih­re ei­ge­nen Eli­ten, und der ge­gen­wär­ti­ge Fach­kräf­te­man­gel kann auch als ein Man­gel an Eli­ten ver­stan­den wer­den.

Eli­ten sol­len Wis­sen, Macht und Ei­gen­tum kon­trol­lie­ren, aber nicht zu selbst­re­fe­ren­ti­el­len, macht­be­ses­se­nen Sub­sys­te­men wer­den. Rech­te Be­we­gun­gen rich­ten sich nicht ge­gen Eli­ten per se, son­dern nur ge­gen de­mo­kra­ti­sche Eli­ten.

Eli­ten soll­ten mit ih­ren Pri­vi­le­gi­en und ih­rer Macht ver­ant­wor­tungs­voll um­ge­hen und ih­re Ar­beit der Ge­sell­schaft zu­gu­te kom­men las­sen. Die Ge­sell­schaft braucht Eli­ten, aber sie müs­sen de­mo­kra­tisch kon­trol­liert wer­den und ihr En­ga­ge­ment muss al­len zu­gu­te kom­men.

Ei­ne der ers­ten For­de­run­gen muss des­halb lau­ten: Die bes­te Bil­dung für al­le!  Wo­mit ich wie­der bei Hans Sachs wä­re, nicht bei dem his­to­ri­schen Mann, son­dern bei dem Schul­di­rek­tor, über den im Netz lei­der nichts zu fin­den war.

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Il­lus­tra­ti­on (Wi­ki­me­dia): Hans Sachs, 

Freitag, 19. Juli 2024

KI-Murks (3)

Ein­‍blicke in den Ar­‍beits­‍all­‍tag ei­‍ner Dol­‍met­‍sche­‍rin kön­nen Sie hier neh­men. Mei­‍ne Mut­ter­‍spra­‍che ist Deutsch, ich ar­‍bei­te mit Fran­‍zö­‍sich und Eng­‍lisch; die Büro­‍kol­le­‍gin über­‍setzt in die Spra­‍che Shakes­‍peares. Na­tür­‍lich be­‍ob­‍ach­‍ten wir auch im Som­‍mer un­‍ser Ar­‍beits­‍ma­te­‍ri­‍al, die Spra­‍chen.

High-‍Tech-‍Fa­‍ser mal an­‍ders
Die Über­‍set­‍zer:‍in­nen­‍welt freut sich, wenn die KI z.B. aus dem bü­‍gel­‍lo­‍sen BH ei­‍nen draht­‍lo­‍sen BH macht, der dann in der "Übel­‍set­‍zung" zum ka­‍bel­‍lo­‍sen BH mu­‍tiert. Des­‍sous mit Funk­‍ver­‍bin­‍dung, très chic!
An­‍de­‍res Be­‍spiel: Mens­‍tru­‍a­ti­‍ons­‍un­ter­‍wä­‍sche, auf ei­‍ner Mo­‍de­‍web­‍sei­‍te ein­‍so­‍rtiert un­ter Män­‍ner­‍klei­‍dung. Der Grund da­‍für ist ein­‍fach. Die KI hat nur die ers­‍ten drei Buch­‍sta­‍ben "ge­‍le­‍sen", and it's a men's world.

Die all­‍seits be­‍lieb­‍ten "to­‍ten Ta­‍schen" (KI-Schreib­‍wei­‍se) wer­den ger­‍ne von den To­‍te-‍Ho­‍sen-‍Fans ge­‍tra­gen. Ich bin kei­‍ne Fa­‍shio­‍nis­ta und ler­ne: Die "To­‍te Bag" (weil DIE Ta­‍sche), Lang­‍fas­‍sung 'To­‍te Bag Shop­‍per', wird über der Schul­‍ter, am Arm oder als Um­‍hän­‍ge­ta­‍sche ge­‍tra­gen."

Nur die KI zu bas­‍hen ist mir zu lang­‍wei­‍lig. Ich spin­ne das The­‍ma wei­‍ter. Auf Fran­‍zö­‍sisch hieß ei­‍ne grö­‍ßere Hand­‍ta­‍sche einst­‍mals bai­‍sen­‍vil­le.
20 Jah­‍re als Dol­‍met­‍sche­‍rin in der di­‍plo­‍ma­‍ti­‍schen Welt ha­‍ben Spu­‍ren hin­‍ter­‍las­‍sen. Ich ha­‍be Mü­‍he, den Be­‍griff wört­‍lich zu über­‍tra­gen ... aber es wird gleich deut­‍lich.

Es geht al­‍so um das et­‍was grö­‍ße­‍re Ta­‍ges­ge­‍päck, die et­‍was klei­‍ne­‍re Rei­‍se­‍ta­‍sche. Ich habe bai­‍sen­‍vil­le aus der Li­‍te­‍ra­‍tur als ein Uni­‍sex-‍Ac­‍ces­‍soi­re in Er­‍in­‍ne­‍rung, Sei­‍tensprün­ge sind ja nicht vom Ge­‍schlecht ab­‍hän­‍gig, ich habe das Wort ein einziges Mal gehört, das war im Se­‍mi­‍nar an der Uni, viel­‍leicht wur­‍den die ech­‍ten Fran­‍zö­‍sin­‍nen und Franzo­‍sen im Raum aus den glei­‍chen Grün­‍den wie ich oben nicht deut­‍lich. Denn das Netz be­‍steht dar­‍auf, dass es ei­‍ne Män­‍ner­‍ta­‍sche oder ein klei­‍nes Köf­‍fer­‍chen sei, und heu­‍te ein Re­‍vi­‍val er­‍le­‍be.

Le Bai­‍sen­‍vil­le oder le bai­‍se-‍en-‍vil­le, das un­‍ver­‍än­‍der­‍li­‍che männ­‍li­‍che No­‍men geht der Quel­‍le zu­‍fol­ge auf das Jahr 1934 zu­‍rück und sei sehr um­‍gangs­‍spra­‍chlich. Das Ge­‍päck sol­‍le ac­‍cueil­‍lir le strict né­‍ces­‍sai­‍re pour pas­‍ser une nuit hors du foy­‍er, heißt es, al­‍so das Mi­‍ni­‍mum des­‍sen auf­‍neh­‍men kön­‍nen, was für ei­‍ne Nacht au­‍ßer­‍halb nö­‍tig ist (oder si­‍cher auch für ein klei­‍nes "5 à 7", sie­‍he un­‍ten, Links fol­‍gen).

Die Zeit um 1934 in Fran­‍k­reich wird im Netz in fol­‍gen­‍den Kon­‍text ge­‍stellt: C'était une épo­‍que d’o­‍pu­‍len­‍ce qui voit éclore la so­‍cié­‍té de con­‍som­‍ma­‍ti­‍on et avec une nou­‍vel­le ma­niè­‍re de vi­‍vre où il est ques­‍tion de pro­‍fi­‍ter de la vie ! Le cli­‍mat est lé­‍ger et le ba­‍di­‍na­‍ge amou­‍reux, for­‍cé­‍ment de mi­‍se ! Le bai­‍sen­‍vil­le est donc à pren­‍dre au pied de la let­‍tre, il con­‍tient le kit de sur­‍vie né­‍ces­‍sai­‍re à une soi­‍rée de dé­‍couch­‍a­‍ge. Un pas­‍sé sul­‍fu­‍reux très bien as­‍su­‍mé par ces nou­‍veaux por­‍teurs, qui l'ap­‍pré­‍cient pour son as­‍pect mo­‍de mais éga­‍le­‍ment pour son his­‍toire qui en fait sou­‍ri­‍re plus d'un.

Rasch von Hand über­‍tra­gen: "Es wa­‍ren Jah­‍re des Über­‍schw­‍angs und der Fül­‍le, in der die Kon­‍sum­ge­‍sell­‍schaft ent­‍steht und mit ihr ei­‍ne neue Le­‍bens­‍wei­‍se, und zwar das Le­‍ben in vol­‍len Zü­‍gen zu ge­‍nie­‍ßen. Die Stim­‍mung ist leicht und amou­‍rö­‍ses Ge­‍plän­‍kel ge­‍hört ein­‍fach da­‍zu! Die "Bai­‍sen­‍vil­le" ist al­‍so wört­‍lich zu ver­‍ste­‍hen, es ent­‍hält das Über­‍le­‍bens­‍not­‍wen­‍di­‍ge für die lust­‍voll aus­‍häu­‍sig ver­‍brach­‍te Nacht. Über das er­‍neut in Mo­‍de ge­‍kom­‍me­‍ne Ac­‍ces­‍soi­re und die schlüp­‍fri­‍ge Ge­‍schich­‍te, die da­‍bei mit­‍schwingt, wird heu­‍te­‍zu­‍ta­‍ge wis­‍send ge­‍schmun­‍zelt."

Das frag­‍li­‍che Ge­‍päck­‍stück könn­‍ten wir ein Tech­‍tel­‍mech­‍tel­‍täsch­‍chen nen­‍nen. Ich ha­‍be mich für die kur­‍ze Über­‍set­‍zung ein we­‍nig auf dem da­‍zu­ge­‍hö­‍ren­‍den Wort­‍feld um­ge­‍se­‍hen. Wä­‍re das hier ein Über­‍set­‍zungs­‍auf­‍trag, wür­‍de ich Groß­‍stadt­‍ro­‍ma­‍ne der da­‍ma­‍li­‍gen Zeit zur Hand neh­‍men, zum Bei­‍spiel "Das kunst­‍sei­de­‍ne Mäd­‍chen" von Irm­‍gard Keun. Aus den Hirn­‍win­‍dun­‍gen kra­‍me ich ne­‍ben dem Tech­‍tel­‍mech­‍tel noch das Rum­‍pous­‍sie­‍ren her­‍vor. Aber ein Wort für ein ent­‍spre­‍chen­‍des Hand­ge­‍päck ist mir auf Deutsch nicht be­‍kannt.

Okay, Ma­‍da­‍me nimmt al­‍so die to­‍te Ta­‍sche mit zum Stell­‍di­‍chein, sie­‍he den ein­‍gangs rap­‍por­‍tier­‍ten Über­‍tra­‍gungs­‍feh­‍ler durch die KI, und ich sie­‍de­le das Gan­‍ze in Mün­‍chen an und bas­‍te­le ihr ein Gspu­‍si­‍da­‍scherl, Mon­‍sieur kommt mit der Bai­‍sen­‍vil­le, das bi­na­‍tio­‍na­‍le Ren­‍dez-‍vous mit vui Gfui kann be­‍gin­‍nen. So­‍lan­‍ge der Wlan-‍BH dann nicht den Stand­‍ort funkt ...

Ver­‍bun­‍de­‍ne Ein­‍trä­‍ge (z.T. im Netz ver­‍schwun­‍den, Re­‍cher­‍che läuft!)
— Du 5 à sec: Link folgt
— Le lit na­tio­‍nal: 1. Link (ak­‍tiv), 2. Link (folgt)
— Das Ren­‍dez-‍Vous: 1. Link (ak­‍tiv), 2. Link (folgt)

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Fo­‍tos: Netz­‍fun­‍de (be­‍ar­‍bei­‍tet)

Donnerstag, 18. Juli 2024

Prima Aussichten (1)

Guten Tag oder gu­‍ten Abend! Sie le­‍sen in ei­‍nem Ar­‍beits­ta­ge­‍buch, das den The­men Spra­‍che, Dol­‍met­schen, Über­‍set­zen und Kul­‍tu­ren ge­‍wid­‍met ist. Als frei­‍be­‍ruf­li­‍che Sprach­‍mitt­le­‍rin ar­‍bei­te ich dort, wo ich ge­‍braucht wer­de, oft am Film­‍set, bei Kun­den oder in der Dol­‍met­‍sch­ka­‍bi­ne. 

Dolmetscherin im Dunkel der Kabine, gestikuliert, Blick gesenkt
So sieht der Blick IN die Ka­‍bi­‍ne aus
In der Som­‍mer­‍pau­se dür­‍fen wir Dol­‍met­‍scher und Dol­‍met­‍sche­‍rin­nen durch­‍at­men und Mus­‍kel­‍ka­ter ab­‍bau­‍en.

Das Hirn hat manch­‍mal wel­‍chen, aber auch an­de­‍re Mus­‍keln sind ge­‍for­‍dert. Oben ha­‍be ich die Dol­‍met­‍sch­ka­‍bi­nen er­‍wähnt. Nun, es gibt da sol­‍che und sol­‍che Bo­‍xen.

Heu­te bringt uns mein Throwback thurs­day zu ei­‍ner her­‍aus­‍for­‍dern­den Aus­‍sicht! 
Bitte hier ent­‍lang: klick!


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Fo­‍to:  Merci beaucoup à Pierre-Jérôme
Adjedj, Pidji Photography

Mittwoch, 17. Juli 2024

Korridor

Durch Zu­fall oder Ab­sicht sind Sie hier auf den Sei­ten ei­nes di­gi­talen Tage­buchs aus der Ar­beits­welt ge­lan­det. Was Dol­met­scher und Über­setzer tun, be­schäf­tigt mich hier. (Ich be­nutze heu­te den männ­li­chen Ober­be­griff, um im Netz bes­ser ge­sehen zu wer­den, ob­wohl wir in der Mehr­zahl Frau­en sind). In mei­nem Be­ruf ha­ben wir ein selt­sa­mes Hobby: Wir sam­mel­n Be­griffe (und das Wis­sen da­hin­ter). 

End­lich, end­lich wird die Bahn von Grund auf sa­niert bzw. wer­den gan­ze Ab­schnit­te neu ge­baut. Den An­fang macht die Strecke Frank­furt-Mann­heim.
Blick auf Schienenstränge
Blick aus mei­nem 2. Wohn­zim­mer­fens­ter

Als Dol­met­sche­rin und Fa­mi­lien­frau le­ge ich der­zeit 40.000 Ki­lo­me­ter im Jahr mit der Bahn zu­rück. Lan­ge Zeit wur­de mir ein per­sön­li­ches Bahn­pech nach­ge­sagt, die rei­hen­wei­sen Ver­spä­tun­gen, von de­nen ich im Fa­mi­lien- und Freun­des­kreis be­rich­ten konn­te, gal­ten als le­gen­där. Ir­gend­wann griffen die Me­di­en die La­ge auf, nein, nicht mei­nen se­ri­el­len Är­ger, die Ge­samt­la­ge na­tür­lich!

Heu­te fal­len mir den Me­di­en Be­griffe auf. Ein we­gen Sa­nie­rungs­ar­bei­ten ge­sperr­ter Stre­cken­ab­schnitt wird von der Bahn "der Kor­ri­dor" ge­nannt, hö­re ich ges­tern in den Nach­rich­ten. Spon­tan den­ke ich, auf Fran­zö­sisch wür­den wir hier le tronçon sa­gen, zu­rück­über­setzt bie­ten sich Al­ter­na­tiven zum "Kor­ri­dor" an, näm­lich: Stre­cken­ab­schnitt oder Teil­strecke.
Wer viel weiß, sieht auch, wie viel sie oder er nicht ein­mal ahnt. Cogito et cetera. Ich bin sehr für ei­nen all­ge­mei­nen Bil­dungs­op­ti­mis­mus.

Al­so schla­ge ich nach und ler­ne: Ein "Bahn­kor­ri­dor" ist eine zen­tra­le Ver­bin­dungs­ach­se im Schie­nen­netz, Sy­no­ny­me sind "Ei­sen­bahn­kor­ri­dor", "Ver­kehrs­kor­ri­dor" oder eben ver­kürzt "Kor­ri­dor". Da­bei kommt es auf die zen­tra­le La­ge und der Nut­zungs­in­ten­sität des Ab­schnitts an; der Be­griff kann so­wohl stark fre­quen­tier­te Ver­bin­dun­gen des Gü­ter- als auch des Per­so­nen­ver­kehrs be­zeich­nen.

Wie­der et­was ge­lernt. Ob es wohl einen ähn­li­chen Be­griff im Fran­zö­si­schen gibt? Eine kur­ze Su­che im Netz hat spon­tan nichts er­ge­ben. Mal se­hen, ob sich hier je­mand mel­det, die oder der es weiß.

Das Ge­gen­teil des oben Be­schrie­be­nen ist der Dun­ning-Kru­ger-Effekt: Leu­te, die von et­was ein Fit­zel­chen Ah­nung ha­ben, stei­gern sich durch gren­zen­lo­se Selbst­über­schät­zung in ver­meint­li­ches Ex­per­ten­tum hin­ein und ma­chen sich da­mit sehr laut sehr lä­cher­lich. Ei­gent­lich. Da die Häl­fte der öf­fent­li­chen Kom­mu­ni­ka­tion im Netz und in den "a­so­zia­len Me­di­en" aus so et­was be­steht, schei­nen im­mer we­ni­ger Men­schen ein Be­wusst­sein für diese Art von Pein­lich­keit zu ha­ben.

Ich ken­ne mei­ne Wis­sens­ge­bie­te und bin an­son­sten be­schei­den. Wich­tig ist, wo wir In­for­ma­ti­onen fin­den und wen wir fra­gen kön­nen und zu ler­nen, die ei­ge­nen Quel­len ein­zu­schät­zen. Das sind ne­ben Le­sen, Schrei­ben, Den­ken und Spre­chen die wich­tigs­ten Kul­tur­tech­ni­ken. Wich­ti­ger als der Füh­rer­schein!

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Foto:
C.E. (Archiv)

Dienstag, 16. Juli 2024

Schnack-Snack (4)

Wie Über­set­zerin­nen und Dol­met­scherin­nen ar­bei­ten, aber auch Über­set­zer und Dol­met­scher, er­fah­ren Sie auf die­sen Sei­ten. Als Deutsch-Mut­ter­sprach­le­rin mit Zweit­spra­che Fran­zö­sisch bin ich Teil ei­nes in­ter­na­tio­na­len Netz­werks. Mei­ne Bü­ro­kol­le­gin über­setzt ins Eng­li­sche. Als Sprach­wis­sen­schaft­le­rin ha­be ich im­mer ein Au­ge auf Wör­ter und Schreib­wei­sen.

Mit "Dep­pen-Apostroph"
Kurz­nach­rich­ten­dia­log am Mo­bil­te­le­fon mit ei­ner Mit­ku­ren­den, als ich an der See war:

 Ich geh ein kau­fen, brauchs­te was?
— Was gehst du kau­fen? Wo?
— Wie im­mer.
— Ver­steh' ich nicht.
— Obst + Voll­korn­ Brot, wie im­mer und noch Ken's Ei's. Soll ich dir eins mit ­brin­gen?

Nein, bloß nicht! Ich will kein Ei von Ken! Im Ernst, sie mein­te ei­ne Eis­die­le bzw. den Eis­wa­gen. Die zwang­haf­te ge trennt Schrei­bung nervt.

Die letz­te Recht­schreib­re­form hat uns die­se all­ge­mei­ne Ver­un­si­che­rung ein­ge­brockt. Die Da­me hat stu­diert und zwei Kin­der durch die Grund­schu­le be­glei­tet.

Dan­ke, ich ha­be kei­ne Fra­gen mehr.

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Il­lus­tra­ti­on: Dall:e, im Stil von Henri Ma­tis­se

Montag, 15. Juli 2024

Montagsschreibtisch (51)

Bien­ve­nue im di­gi­ta­len Log­buch ei­ner Sprach­ar­bei­te­rin. Was Dol­met­scher und Über­set­zer (und Dol­met­sche­rin­nen und Über­set­ze­rin­nen) ma­chen, wie sie bzw. wir ar­bei­ten, be­schrei­be ich hier seit 2007. Fran­zö­sisch ist mei­ne zwei­te Ar­beits­spra­che, schrift­lich ar­bei­te ich nur ins Deut­sche, aber auch aus dem Eng­li­schen. Au­ßer­halb der Kon­fe­renz­sa­ison sit­ze ich am Über­set­zer­schreib­tisch.

Der Blick auf den Mon­tags­schreib­tisch. 

Draußen arbeiten ...
Auch eine Art Open air-Büro
Die­ser Ta­ge geht's um:

⊗ Long Co­vid-For­schung (als Zu­ar­bei­te­rin für die Pres­se, das hilft, die selbst ge­mach­te Er­fah­rung zu ver­da­uen)
⊗ Ver­ar­bei­ten, was in den USA pas­siert ist (auch hier: Me­dien­dol­met­schen)
⊗ Ener­gie­wirt­schaft (für den Herbst)
⊗ Bo­den­ge­sund­heit (für al­le)
⊗ Do­ku­men­tar­film­script re­wri­ten (für eine Kun­din)

Al­so ei­ne Mi­schung aus Nach­be­ar­bei­tung und Pro­jekt­ar­beit. Die Sommer­ruhe hat eben erst be­gon­nen. Statt vor dem La­den sit­zen wir ab­wechs­elnd auf dem Bal­kon oder im küh­len Alt­bau­wohn­zim­mer.

Das po­li­ti­sche Leben ist mir im Mo­ment zu auf­re­gend. Das At­ten­tat in den USA hat, fürch­te ich, die Wahl für den Al­t­prä­si­den­ten ge­dreht, das war mein ers­ter Ge­dan­ke.

Das Set­ting hat et­was Shake­spea­re­haf­tes. Die Ge­schich­te des At­ten­tä­ters, ein Mob­bing­opfer, soll­te al­len zu den­ken geben. Ei­nem al­ten Do­ku­men­tar­film zu­fol­ge, in dem die Kind­heit und Ju­gend des New Yorker Immo­bi­lien­be­sit­zers be­schreibt, wur­de auch er als Kind ge­mobbt.

Den Mor­gen ha­be ich mit einer Stunde le­xi­ka­li­scher Ar­beit be­gon­nen. Wort­fel­der be­ackern "er­det" mich und bringt mich in den Flow, dazu trin­ke ich grü­nen Tee, lau­warm und mit In­gwer und Zi­tro­ne, da­mit es nicht nach ein­ge­schla­fe­nen Fü­ßen schmeckt. Neu­er Zun­gen­bre­cher: "Mit Csik­szent­mi­ha­lyi im Schat­ten der Eyja­fjalla­jö­kull­wol­ke Lo­mo­no­sov-Tee in der Tad­shi­ki­schen Tee­stu­be trin­ken."

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Foto: C.E. (Ar­chiv)

Freitag, 12. Juli 2024

Protokollfragen

Aus dem Ar­beits­­all­tag ei­ner Dol­met­scherin kön­nen Sie auf die­sen Sei­ten ei­ni­ges er­fah­ren. Mei­ne Mut­ter­spra­che ist Deutsch, ich ar­bei­te hauptsächlich mit Fran­zö­sisch, ein wenig mit Eng­lisch. Für den Be­ruf darf ich viel ler­nen und auch rei­sen. Manch­mal ist die Vor­be­rei­tung um­fang­rei­cher und bezieht sich nicht nur auf den In­halt.

Kleine Packtäschchen, Nähzeug, Kabel, Handytasche mit Aufdruck "Bla, bla, bla", Holzbesteck und Serviette (für die Rückfahrt), Deinfektionsmittel und Antijuck
Mit ei­ner Ex­tra­por­tion an Wör­tern
Und dann stand ich plöt­zlich vor neu­en Fra­gen, denn ein­e zwei­tä­gi­ge Land­par­tie mit Mi­nis­ter war an­be­raumt: Sei­den­strümp­fe ja oder nein? Nor­ma­ler­wei­se weiß ich, dass es ab Staats­se­kretär:in­nen­e­be­ne "pro­to­kolla­risch" wer­den kann und so et­was wie Eti­ket­te das Set­ting be­ein­flusst oder so­gar be­stimmt.

Nur ei­nes ist klar: Früh­er wä­ren sol­che Ein­sät­ze im Hoch­som­mer un­denk­bar ge­we­sen. Im letz­ten Jahr­zehnt hat­ten wir das wie­der­holt als Fol­ge lan­ger Koali­tions- oder Bud­get­ver­hand­lun­gen und von Co­ro­na, nur eben noch nie so hoch­ran­gig.
 
Also ste­he ich vor ei­ner neu­en Si­tua­tion.

Im Vor­feld war Fort­bil­dung in Sa­chen Bu­si­ness Ca­sual Out­fit an­ge­sagt, al­so ein­deu­tig nicht "Business", nicht das stren­ge Kos­tüm­chen oder der klas­si­sche Ho­sen­an­zug, son­dern schlich­te Ele­ganz, die auch ein we­nig som­mer­lich und ro­bust sein darf, Stoff­ho­se statt Jeans, die Schu­he im Snea­ker-Schnitt nur dann, wenn das Ober­ma­te­ri­al edel ist, z.B. glän­zend po­lier­tes Le­der. Im Pro­to­koll stand et­was von "kur­zem Kleid", ich über­set­ze: die Knie sind be­deckt. Was ist mit San­da­len? Und über­haupt, Land­wirt­schaft! Wie weit geht es auf den Acker raus, wie weit rein in den Stall?

Ich ha­be eine ele­gan­te Som­mer­gar­de­ro­be aus­ge­sucht, dar­un­ter ein Kleid, das ich von ei­ner äl­te­ren Be­kann­ten ‚ge­erbt‘ ha­be, ei­ner stets best­ge­kleide­ten Ge­sell­schafts­lö­win. Da sie et­was run­der und klei­ner ist als ich, die aber Schul­tern per­fekt pas­sen, hat ei­ne Schnei­de­rin Stoff aus der Brei­te her­aus­ge­nom­men, um das Hemd­blu­sen­kleid mit Man­schet­ten für mich zu op­ti­mie­ren (mei­ne Ar­me sind ex­tra­lang). 

Wer Land­par­tie sagt, denkt an Mücken und Brem­sen: Das Fläsch­chen­ mit Des­in­fek­tion­smit­tel, das im pas­sen­den In­nen­fach des Ruck­sacks wohnt, wird durch ein Fläsch­chen mit ei­nem na­tür­li­chen E­li­xier ge­gen Juck­reiz er­gänzt.

Für den Abend noch ein Jäck­chen, fürs Ta­blet mit Tas­ta­tur ei­ne Power­bank, da­zu ein Hut und Son­nen­milch so­wie zwei Trink­fla­schen statt ei­ner ein­ge­packt, das soll­te pas­sen.

Auf Nach­fra­ge op­tiert das Amt übri­gens fürs Weg­las­sen der Sei­den­strumpf­ho­se bei der Hit­ze, es sei schließ­lich kein Staats­be­such auf al­ler­höchs­ter Ebene. Ich las­se die Strümp­fe im klei­nen Stoff­täsch­chen (in dem einst ein Re­gen­schirm ge­wohnt hat) und ori­en­tie­re mich an dem, was die an­de­ren Da­men so tra­gen (ich grei­fe vor: ein Tag mit, ein Tag oh­ne). Das Er­satz­paar blieb in der hauch­zar­ten Ein­kaufs­ta­sche in der Li­mou­si­ne, in der auch Was­ser­nach­schub, Son­nen­milch und ein Fächer auf ih­ren Ein­satz ge­war­tet ha­ben.

Mein Vor­be­rei­tungs­ma­te­ri­al hat 50 Sei­ten plus zehn Sei­ten Le­xik um­fasst. Ich ha­be mir al­les, was ich in den letz­ten Jah­ren zum The­ma be­reits be­ar­bei­tet hat­te, noch ein­mal an­ge­schaut und dann ei­ne Art "Wis­sens­spei­cher" dar­aus ge­macht, die Wie­der­ho­lun­gen wie vor ei­ner Prü­fung sys­te­ma­tisch ge­plant und durch­ge­führt.

Mei­ne Lern­zeit kann ich vor­ab gut ein­schät­zen, die Über­le­gun­gen zu den For­ma­li­tä­ten al­ler­dings kos­ten ei­ne un­be­kann­te Men­ge Zeit und au­ßer­dem Geld (Schnei­de­rin! Wech­sel­gar­de­ro­be! Ex­tra­schu­he!) ... Die­se Kos­ten kann ich lei­der nicht bei der Steu­er­er­klä­rung gel­tend ma­chen, hier­in ist un­se­r­ei­ner Mon­teu­ren oder Ärz­tin­nen ge­gen­über be­nach­tei­ligt, denn ich könn­te die "Kle­dage" ja auch pri­vat tra­gen.

Was in der Pra­xis na­tür­lich Quatsch ist, zu­mal die ol­len Sei­den­strümp­fe am En­de ka­putt wa­ren. Die Som­mer­gar­de­ro­be für das di­plo­ma­ti­sche "Par­kett" auf Agrar­tour wird an­schlie­ßend ge­wa­schen und gut ver­staut. Nach der De­le­ga­ti­ons­rei­se ist vor der De­le­ga­ti­ons­rei­se!

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Foto:
C.E. (Mit Holzbe­steck von
Mu­ji für die Rück­rei­se)

Mittwoch, 10. Juli 2024

Schatten (Fortsetzung)

Bon­jour und will­kom­men! Hier bloggt eine Sprach­arbei­terin. Fran­zö­sisch in Ber­lin, Deutsch in Frank­reich, so geht mit meiner Sprach­kom­bi mei­ne Definition für Dol­met­scher los. Als Dol­met­scher­in sam­mle ich Wör­ter. Ich weiß, dass ich viel von Men­schen mit Deutsch als Zweit- oder Dritt­spra­che ge­le­sen wer­de, da­her be­acke­re ich hier ab und zu ein se­man­ti­sches Feld.

Person im Schatten mit Brückengeländer
Schattenselbstportrait
Er­gän­zung zu gestern: Je­mand "hat ei­nen Schat­ten" be­deu­tet, je­mand ist geis­tig nicht auf der Hö­he, je­mand ist nicht bei Trost, je­mand hat nicht al­le Tas­sen im Schrank.

Ei­ne Per­son, die von ei­ner an­deren in den Schat­ten ge­stellt wird, ist nicht so "hel­le" wie die an­de­re. Wer nicht auf Dauer ver­däch­tigt wer­den möch­te, ei­nen Schatten zu ha­ben, darf ver­su­chen, aus dem Schat­ten der an­deren Per­son heraus­zutreten.

So, und ich "sprin­ge jetzt über mei­nen ei­ge­nen Schat­ten"und ma­che etwas, vor dem mich schon länger graust!

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Foto: C.E.

Dienstag, 9. Juli 2024

Schatten(wort)spiele

Durch Zu­fall oder Ab­sicht sind Sie hier auf den Sei­ten ei­nes di­gi­talen Tage­buchs aus der Ar­beits­welt ge­lan­det. Was Dol­met­scher und Über­setzer tun, be­schäf­tigt mich hier. (Ich be­nutze heu­te den männ­li­chen Ober­be­griff, um im Netz bes­ser ge­sehen zu wer­den, ob­wohl wir in der Mehr­zahl Frau­en sind). Durch mei­nen Be­ruf ha­be ich ein Hobby: Ich sam­mle Be­griffe (und das Wis­sen da­hin­ter). 

Man­che Wör­ter über­raschen mich. Ich möch­te ein mo­dernes Ge­mälde rah­men las­sen und ler­ne das Wort "Schat­ten­fuge", das ei­nen lee­ren Rah­men oh­ne Glas be­zeich­net, der et­was grö­ßer ist als das Bild, so­dass zwi­schen Bil­der­rah­men und be­mal­ter Lein­wand ei­ne Lücke ent­steht. Die­se Fuge ist der "Schatten".

Ein an­deres "Schat­ten­wort" ler­ne ich beim Spa­zieren­ge­hen, ich kann­te es auch noch nicht. Es ist ein Fach­be­griff und wird hier spon­tan neu­er­fun­den und an­ders ver­wen­det, als es, spä­ter nach­ge­lesen, laut De­fi­ni­tion sein soll­te.

Spaziergang mit Regenkleidung im Wald
Vor einigen Tagen war es richtig kalt!
Es nie­selt. Wir füh­ren trotz­dem den in­ne­ren Schwei­ne­hund Gas­si. Da­bei wird der Kö­ter lei­der nass, weil er kei­nen Schirm hal­ten kann. Wir lau­fen lan­ge un­ter Bäu­men, dann wie­der in of­fe­nem Land, seit­lich steht ir­gend­wann ei­ne Bank un­ter ei­nem Baum. "Oh, schaut mal, hier ist 'Re­gen­schat­ten'!" Ei­ne kur­ze Rast ist an­ge­sagt. In der Tat, wir sit­zen troc­ken, so dicht ist das Blatt­werk.

Ei­ne schö­ne Wort­schöp­fung! 

Wie ge­sagt, den Be­griff gibt es schon: Re­gen­schat­ten wird der Teil ei­nes Ge­bir­ges ge­nannt, der vom Wind ab­ge­wandt ist. Es ist der Wind, der den Re­gen bringt, al­so re­gnet es dort sel­te­ner. Die ge­gen­über­lie­ge­nde Sei­te des Ge­bir­ges wird wie in der Schiff­fahrt be­zeich­net, es ist die Luv­sei­te. Span­nend auch, dass ein Be­griff von Meer und See es in die Ber­ge ge­schaf­ft hat.

Krea­ti­ve Tage sind das. Das Zu­sam­men­le­ben mit sehr al­ten und sehr jun­gen Men­schen kann höchst be­rei­chernd sein.

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Foto: C.E.

Montag, 8. Juli 2024

Montagsschreibtisch (50)

Über den Ar­beits­all­tag ei­ner Dol­met­sche­rin kön­nen Sie auf die­sen Sei­ten eini­ges er­fah­ren. Meine Mut­ter­sprache ist Deutsch, ich ar­bei­te über­wie­gend mit Fran­zö­sisch und Eng­lisch. Ich schrei­be hier manch­mal auch über das, was un­se­re Ar­beit als Dol­met­sche­rin­nen und Dol­met­scher all­ge­mein so aus­macht. Heu­te wird's wie­der per­sön­lich.

Die Kopf­hö­rer in der Pau­se
Der Ju­li ist tra­di­tio­nell ein ru­hi­ger Mo­nat. Die­ses Jahr sind wir ge­fühlt wie­der im Co­ro­na­jahr­mo­dus. Wir ar­bei­ten jetzt mehr als üb­lich, und zwar ge­nau dann, wenn an­de­re im Ur­laub sind, was mit dem spät in­kraft­ge­tre­te­nen Bun­des­haus­halt (= Pla­nungs­ver­zö­ge­run­gen) so­wie der Frank­reich­wahl zu­sam­men­hängt. Frei­be­ruf­le­rin­nen­schick­sal!

Was liegt ge­ra­de auf dem Schreib­tisch?
⊗ Sa­hel-Kon­fe­renz (Nach­be­rei­tung)
⊗ Sit­zung ei­ner po­li­ti­schen Stif­tung (Frank­reich­ko­ope­ra­ti­on)
⊗ Wahl­nach­be­rei­tung (Me­dien)
⊗ Ökolandbau

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Foto: C.E. (Ar­chiv)

Sonntag, 7. Juli 2024

Kompostwissen

Gu­ten Tag oder gu­ten Abend! Sie le­sen hier ein Ar­beits­ta­ge­buch, das sich mit den The­men Spra­che, Dol­met­schen, Über­set­zen und Kul­tu­ren be­schäf­tigt. Als frei­be­ruf­li­che Sprach­mitt­le­rin ar­bei­te ich in Pa­ris, Ber­lin, Mar­burg und wo im­mer ich ge­braucht wer­de, oft vor Ort, re­gel­mä­ßig in der Dol­metsch­ka­bi­ne. Sonn­tags­bild!

Neu­lich sa­ßen mei­ne Mut­ter und ich an ei­nem Sams­tag nach dem Ein­kauf auf dem Markt­platz der Klein­stadt, in der ein Teil mei­ner An­ge­hö­ri­gen woh­nen. Wir stärk­ten uns mit ech­ten fran­zö­si­schen Crois­sants und Kaf­fee, als nach­ein­an­der zwei Leu­te mich vor­sich­tig an­spra­chen, ob sie mich et­was fra­gen dürf­ten. 

Balkonien
Da­zu muss ich er­wäh­nen, dass es in der Nach­bar­schaft ei­nen Ge­mein­schafts­gar­ten gibt, in den ich manch­mal ge­he, um mein Wis­sen über Kom­post wei­ter­zu­ge­ben. Dort brin­gen wir auch un­se­re Ge­mü­se­ab­fäl­le, Ap­fel­griebse, Tee­res­te und Kaf­fee­satz hin. Mein En­ga­ge­ment hat mir dort den Spitz­na­men "Frau Kom­post" ein­ge­bracht.
Die Fra­gen­den hat­ten so schö­ne Pro­ble­me wie: "In der Plas­tik­ton­ne mei­ner Mut­ter be­wegt sich seit Jah­ren nichts mehr in Sa­chen Kom­post, was kön­nen wir tun?" Ma­da­me hat ei­nen gro­ßen, grau­en Kom­post­be­häl­ter an der Haus­ecke ste­hen. 

Ei­ne an­de­re Per­son be­rich­te­te von ei­nem Kom­post­hau­fen, der in der pral­len Son­ne stand und wo auch nicht wirk­lich was "ab­ging". Die Lö­sun­gen wa­ren ein­fach: Der Kom­post­be­häl­ter könn­te ein Ther­mo­kom­pos­ter oder ein Wurm­kom­pos­ter sein, auf je­den Fall fehlt es ihm an Le­ben und Feuch­tig­keit. Wenn es un­be­dingt ein Plas­tik­be­häl­ter sein muss, dann soll­te man sich ein we­nig be­le­sen, im Netz gibt es Quel­len, da­mit ha­be ich noch keine Erfahrung.

Grund­la­ge: der Stand­ort

Ich emp­feh­le im­mer, ei­ne Ecke im Gar­ten zu wäh­len, wo der Kom­post Kon­takt zum Bo­den hat. Und zwar so, das war auch die Ant­wort an die zwei­te Per­son, dass der Kom­post­hau­fen im Schat­ten steht. In sehr hei­ßen Wo­chen ist es rat­sam, den Kom­post al­le zwei bis drei Ta­ge mit­zu­gie­ßen (die Men­ge hängt von der Grö­ße des Kom­post­hau­fens ab), auch ge­le­gent­lich in der kal­ten Jah­res­zeit, wenn es lan­ge nicht ge­reg­net hat, nur nicht bei Mi­nus­gra­den.

Ein­fa­che Pro­ble­me, ein­fa­che Lö­sun­gen. In Ber­lin ge­be ich manch­mal klei­ne Kur­se in Sa­chen Hin­ter­hof­kom­post oder Kom­post­kis­te auf dem Bal­kon, da­bei ge­be ich ger­ne den je­weils be­nö­tig­ten "An­satz" fürs Kom­pos­tie­ren mit, ei­ne Schip­pe Er­de, in der mehr Wür­mer zu sein schei­nen als Kru­me, das Gan­ze bei Be­darf auch auf Eng­lisch oder Fran­zö­sisch, hej, ich bin Dol­met­sche­rin und ar­bei­te sehr ger­ne auch zu den The­men Hu­mus­auf­bau und Bio­land­wirt­schaft!

Ge­erb­tes Wis­sen

Bei ei­nem sol­chen back­yard com­pos­ting and bal­co­ny com­pos­ting-Ein­satz ist mir neu­lich raus­ge­rutscht, dass sich 200 Jah­re Gar­ten­wis­sen in mir sam­meln. Dar­auf hab ich gro­ße Au­gen bei der ge­neig­ten Zu­hö­rer­schaft ge­ern­tet. Ich mei­ne es ernst, schon mein Ur­ur­groß­va­ter war ein be­geis­ter­ter Gärt­ner und be­wirt­schaf­te­te aus Lieb­ha­be­rei ei­nen Ar Ge­mü­se­gar­ten samt Ge­wächs­haus. In der DDR durf­te un­ser Va­ter als "Ka­pi­ta­lis­ten­sohn" nicht stu­die­ren und hat erst ein­mal Gärt­ner ge­lernt. 

Paw­low wei­ter­ent­wic­kelt

Spä­ter ha­be ich beim Kaf­fee­trin­ken noch et­was über Epi­ge­ne­tik er­zählt, die Leh­re von der Wei­ter­ga­be von In­for­ma­tio­nen, die sich über das Ba­sis­ge­nom hin­aus an die nächs­te Ge­ne­ra­ti­on ver­er­ben. Vor Jah­ren ha­be ich mal auf ei­ner Kon­fe­renz fol­gen­de Ver­suchs­an­ord­nung ver­dol­metscht, die ich in der Li­te­ra­tur noch nicht wie­der­ge­fun­den ha­be: ei­ne Hand­voll Na­ge­tie­re, ich glau­be, es war die klas­si­sche wei­ße La­bor­maus, sitzt in ei­nem Kä­fig und hat Hun­ger. Am an­de­ren En­de des Kä­figs wird 'le­cker Fress­chen' rein­ge­stellt. Die Mäu­se lau­fen nun zum an­de­ren En­de und las­sen es sich schme­cken.

Bei den nächs­ten Ma­len kommt ein op­ti­scher Reiz ins Spiel: Der Bo­den leuch­tet plötz­lich hell­gelb, aber nur in ein­zel­nen Be­rei­chen, durch die zu­gleich Strom fließt. Das ver­sperrt vi­su­ell den Weg zum Fres­sen, denn der Strom ist für die Mäu­se­pfo­ten zwar nicht töd­lich, aber schmerz­haft. Zu­nächst lau­fen die Mäu­se im­mer wie­der dar­über und sind er­schro­cken, ei­ni­ge ren­nen zu­rück; bald mei­den die Mäu­se den be­leuch­te­ten Bo­den, war­ten lie­ber hun­grig, bis das gel­be Licht er­lischt und sie ge­fahr­los dar­über lau­fen kön­nen.

So weit, so gut. Die­se Mäu­se be­kom­men Jun­ge, die noch nie in die­sem elek­tri­fi­zier­ten Kä­fig wa­ren, die noch nie ih­re El­tern dort be­ob­ach­tet ha­ben, bis sie ei­nes Ta­ges hun­grig hin­ein­ge­setzt wer­den, das gel­be Licht an­geht und den Bo­den er­hellt ... und ja, lie­be Le­se­rin, lie­ber Le­ser, Sie ah­nen es rich­tig, die klei­nen Mäu­se er­schro­cken ste­hen­blei­ben und war­ten, bis der Bo­den nicht mehr hell­gelb leuch­tet.

Das gilt auch für uns

Jetzt dür­fen wir al­le selbst un­se­re Schlüs­se zie­hen in Sa­chen trans­ge­ne­ra­tio­nel­le Wei­ter­ga­be von |Wis­sen| In­tui­tion, Vor­lie­ben, Ängs­ten und Trau­ma­ta.

(Und als 'Gar­ten­tan­te' be­hal­te ich mei­ne na­tür­li­che Um­ge­bung im Au­ge und muss fest­stel­len, dass zum ers­ten Mal seit mehr als 25 Jah­ren ei­ne grö­ße­re An­zahl von Mö­wen am Land­wehr­ka­nal zu se­hen ist, die in die­sem Jahr nicht in ihr Som­mer­quar­tier ans Meer ge­zo­gen sind, son­dern — war­um auch im­mer — im Win­ter­quar­tier am May­bach­ufer ge­blie­ben sind).

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Fo­to: C.E.

Freitag, 5. Juli 2024

frühstücksbrötchenkomatös

Herz­lich will­kom­men beim Web­log aus dem In­ne­ren der Dol­met­scher­ka­bi­ne. Über den All­tag der Dol­met­sche­rin­nen und Dol­met­scher schreibt hier je­mand aus der Fran­zö­sis­chka­bi­ne. Wir werden in Paris tätig, in Hei­del­berg, Ber­lin und an­ders­wo. Der Wo­chen­an­fang war an­stren­gend, weil ich kurz­fris­tig ein­sprin­gen muss­te.

Was lecker aus­sieht, sind nur Bits & Bytes
Mei­ne Hand auf der Tas­te schal­tet das Pult au­to­ma­tisch aus. Ich ha­be eben die Be­grü­ßungs­re­den und das For­ma­le ge­dol­metscht, jetzt über­nimmt die Kol­le­gin. Ich muss mich zu­sam­men­rei­ßen, um nicht auf­zu­seuf­zen. Mü­dig­keit hängt schwer in der Luft.
Es fühlt sich an, als wä­re der Sau­er­stoff in der Ka­bi­ne knapp, als würde mir Ener­gie ent­zo­gen. So kom­pli­ziert wa­ren die Be­grü­ßun­gen am ers­ten Kon­fe­renz­mor­gen jetzt nun nicht, den­ke ich noch und ge­be es auf, mich ge­gen den Ul­tra­kurz­po­wer­nap zu weh­ren.

We­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter schaue ich in die Run­de. Et­li­che Teil­neh­men­de kom­men erst jetzt in den Saal, die Kaf­fee­be­cher in der Hand. Wa­ren auch die mü­de nach der ers­ten Mahl­zeit des Ta­ges und sind erst­mal raus an die frische Luft? Was wir er­le­ben, ist kein Sup­pen­ko­ma, son­dern ein ve­ri­tab­les Früh­stücks­bröt­chen­ko­ma.

Wie kann meine Kol­le­gin nur so wach sein?

Da wir al­le wich­ti­gen In­fos, Teil­neh­mer­lis­ten, Fir­men- und Stel­len­be­zeich­nun­gen und Key­notes vorab erhalten haben, nut­ze ich die Ge­le­gen­heit, um Luft zu schnap­pen.

An der Kaf­fee­bar, zum Glück wird der Kon­fe­renz­ton auch hier­her über­tra­gen, sodass ich mit hal­bem Ohr mit­hö­ren kann, ge­he ich kurz in mich. Ich muss mei­ne Ge­wohn­hei­ten än­dern. Wir ha­ben ge­ra­de mal Tag eins von drei Ta­gen im Kon­fe­renz­ho­tel, in dem wir auch woh­nen. So möch­te ich mich nicht durch die hal­be Woche schlep­pen. Ich muss Wege fin­den, um mei­ne Mü­dig­keit nach dem Früh­stück zu über­win­den.

Ich über­le­ge, was ich tun könn­te. In­ter­vall­fas­ten wä­re viel­leicht eine Op­tion, um mei­nen Kör­per zu ent­las­ten und mei­ne Ener­gie zu stei­gern. Wenn da nur nicht das Ma­gen­knur­ren wä­re. (Mein Or­gan ist da be­son­ders kom­mu­ni­ka­tiv.) Viel­leicht könn­te ich auch ei­ne et­was län­ge­re Yo­ga­ses­si­on als mein aus­führ­li­ches, fünf­mi­nüti­ges Recken und Strecken oder eine kur­ze Me­di­ta­ti­on in mei­ne Mor­gen­rou­ti­ne ein­bau­en, um mei­ne Kon­zen­tra­ti­on zu ver­bes­sern.

Ein Bul­let­proof Cof­fee könn­te mir den nö­ti­gen Ener­gie­schub ge­ben, oh­ne mei­nen Ma­gen zu be­las­ten. Kann ich so­was im Ho­tel­re­stau­rant be­stel­len? Eher nicht. Eben­so­ we­nig ein ke­to­ge­nes Ga­bel­früh­stück, das zu ver­dau­en bei mir nicht so sehr ins Kon­tor schla­gen wür­de.

Könnte ich ir­gend­wo hand­li­che Sau­er­stoff­am­pul­len be­sor­gen? Dol­met­sche­r­ka­bi­ne mit Frisch­luft­zu­fuhr aus der Do­se, so­was würde Mü­dig­keit ver­trei­ben.

Ich ha­be vie­le ernst­ge­mein­te und we­ni­ger ernst­ge­mein­te Ideen. Was ich rea­li­sie­ren kann, hängt von der Ho­tel­kü­che ab. Ich werde das mor­gen früh gleich an­spre­chen, denn so geht's nicht wei­ter.

Und, oh Wun­der, der Ober­kel­ler kennt nicht nur Bul­let­proof Cof­fee, son­dern er hat die Zu­ta­ten vor­rä­tig, da auch er mor­gens ger­ne ei­nen trinkt, also mil­den Kaffee, gute Wei­de­but­ter und un­ge­süß­tes Nuss­mus, und in die­ser aus­ge­wähl­ten Her­ber­ge wird uns das dann auch gleich an­ge­bo­ten. Die Kol­le­gin ist neu­gie­rig und macht mit. Wir sind bei­de an­ge­nehm über­rascht: Kei­ne Post­früh­stücks­mü­dig­keit und ei­nen kla­ren Kopf macht das.

Eine Stunde vor dem Mit­tag­es­sen wird uns ein Obst­teller ge­reicht. In den zwei­ten Kon­fe­renz­tag bin ich mit fri­scher Ener­gie ge­star­tet und ha­be die kür­ze­re Früh­stücks­zeit in Yo­ga in­ves­tiert.

Und ich ha­be ei­ne Wet­te ge­won­nen, ein Wort mit vier Um­lau­ten ge­fun­den und be­bloggt!

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Il­lus­tra­tion: Pixlr.com 

Dienstag, 2. Juli 2024

Im Baumarkt

Wie Dol­met­sche­rin­nen und Dol­met­scher ar­bei­ten, be­schrei­be ich hier seit 2007. Mei­ne Ar­beits­spra­chen sind Deutsch (Mut­ter­spra­che), Fran­zö­sisch und Eng­lisch; die Büro­kol­le­gin ar­bei­tet als Über­set­ze­rin, al­so schrift­lich, mit Ziel­spra­che Eng­lisch.

ABINENTE in Pappbuchstaben vor "Home & Living"
Der Kopf kann nicht ver­mei­den, al­les zu le­sen
Kurz in den Baum­arkt ge­huscht und dort gaa­nz weit oben ein ko­mi­sches Wort ge­se­hen. Ich ma­che den Test.
In Sicht­wei­te da­zu ist ein In­for­ma­ti­ons­stand. Und zu­fäl­lig ist da nicht nur ein Mit­ar­bei­ter vor Ort, son­dern auch kei­ne Schlan­ge. Ich fra­ge nach der De­ko­ab­tei­lung. Er weist in gro­ßer Ges­te Rich­tung Re­gal 114 und sagt: "Dort ent­lang, wo "Am­bi­en­te" steht.

Sag' ich's ihm oder sag' ich's ihm nicht? Ich bin ja bil­dungs­op­ti­mis­isch und fin­de: Mit dem Wis­sen ist es mit der Lie­be und ver­mehrt sich, wenn wir's tei­len. Auf der an­de­ren Sei­te könn­te es ober­schlau­mei­erisch und mit Bil­dungs­schicht­ar­ro­ganz da­her­kom­men. Und der Typ ist ein Kerl im Mus­kel­bu­den­style mit Deutsch­land­tri­kot un­ter der Bau­markt­ja­cke und Tä­to­wie­run­gen bis zum Hals.

Wo fängt Schul­meis­te­rei an, wo geht das Ret­ten der Wis­sens­ge­sell­schaft und der De­mo­kra­tie los? F*ck­f*ck­f*ck, ich kann nicht ein­mal mehr nor­mal in den Baum­arkt ge­hen mit mei­ner Be­rufs(ver)­bil­dung (dé­for­ma­tion pro­fes­sion­nel­le).

Wie ging die Sa­che aus? Ich hab's ihm ge­sagt.

Der Kerl grinst über bei­de Oh­ren und lacht: "Ach, die Schul­zeit grüßt, ich und Recht­schrei­bung!" Dann schiebt er mir ei­nen Zet­tel hin­: "Auf­schrei­ben, bit­te!" Als ich vom Gar­ten­be­reich zu­rück­komme, hat­ er's schon kor­ri­giert.

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Foto: C.E.

Montag, 1. Juli 2024

Montagsschreibtisch (49)

Ein­blick in den Ar­beits­all­tag ei­ner Dol­met­sche­rin kön­nen Sie auf die­sen Sei­ten neh­men. Mei­ne Mut­ter­spra­che ist Deutsch, ich ar­bei­te über­wie­gend mit Fran­zö­sisch und Eng­lisch, die Büro­kol­le­gin über­setzt in die eng­li­sche Spra­che. Von Zeit zu Zeit be­ar­bei­ten wir im Team in grö­ße­rem Um­fang ge­mein­sam Tex­te.

In der ver­kürz­ten Früh­jahrs­sai­son ha­ben sich wie­der vie­le Da­ten und Un­ter­la­gen an­ge­sam­melt, von de­nen ei­ni­ges di­gi­ta­li­siert wird, das meis­te in der "Run­d­ab­la­ge P" lan­det, ei­ni­ges aber auch zwi­schen nach Fach­ge­bie­ten (oder, bei klei­nen The­men, al­pha­be­tisch) sor­tier­ten Pap­pen­deckeln auf­be­wahrt wird, da­mit ich mich bei ei­nem ähn­li­chen Nach­fol­ge­auf­trag mit be­reits Be­kann­tem vor­be­rei­ten kann. So fan­ge ich je­den­falls im­mer an.

Das ist ein Lern­tipp. "Wie­der­se­hen macht Freu­de", lau­tet das Sprich­wort, das gilt für Freun­de, lie­be An­ge­hö­ri­ge, aber auch für Wör­ter und In­hal­te. Se­ro­to­ni­ne wer­den aus­ge­schüt­tet, das Ler­nen und die neu­en The­men be­wusst po­si­tiv be­setzt ... so ver­kürzt sich je­der Ein­stieg! (Hier da­zu ein al­ter Blo­gpost von 2018.)

Recher 1, Recher 2, Tablet, 3-Terrabyte-Festplatte ...
Gleich geht's dann rich­tig los!
Ak­tu­ell auf dem Mon­tags­schreib­tisch:

⊗ Da­ten­si­che­rung
⊗ hier und da neue Soft­ware (da­her das Fo­to mit dem Alt­mo­bil­pho­ne ge­knipst)
⊗ noch ein Kurz­termin Woh­nungs­re­no­vie­rung in der Nach­bar­schaft
⊗ Buch­hal­tung
⊗ Rei­se­pla­nung und Kos­ten­vor­an­schlä­ge für den Herbst

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Fo­to: C.E.

Freitag, 28. Juni 2024

Gewitter am Horizont

Gu­ten Tag oder gu­ten Abend! Sie le­sen in ei­nem Ar­beits­ta­ge­buch, das den The­men Spra­che, Dol­met­schen, Über­set­zen und Kul­tu­ren ge­wid­met ist. Als frei­be­ruf­li­che Sprach­mitt­le­rin ar­bei­te ich in Pa­ris, Ber­lin, Mar­burg und dort, wo ich ge­braucht wer­de, oft in der Dol­met­sch­ka­bi­ne, oft vor Ort. Mein Be­ruf ist mei­ne Pas­si­on. Aber jetzt? Ganz ehr­lich? Die ak­tu­el­le po­li­ti­sche La­ge macht mir gro­ße Angst.

"Made in France"
Frankreich steu­ert auf schwe­re Zei­ten zu. Die recht­sext­re­me Par­tei RN könn­te im Par­la­ment die Mehr­heit be­kom­men. Sie plant in al­len wich­ti­gen Ent­schei­dun­gen Fran­zo­sen ge­gen­über Zu­ge­wan­der­ten vor­zu­zie­hen, die so­ge­nann­te pré­fé­ren­ce na­tio­na­le. Auch an­de­re Pro­jek­te deu­ten auf ei­ne öko­no­mi­sche Ab­schot­tung Frank­reichs und auf Kon­fron­ta­ti­ons­kurs ge­gen­über der EU. Wirt­schaft­li­che Kon­tro­ver­sen schei­nen da­mit pro­gram­miert zu sein. Ein an­de­rer mög­li­cher Wahl­aus­gang: Un­kla­re Mehr­hei­ten und sich wie­der­ho­len­de Patt­si­tua­tio­nen.

Die sa­ti­ri­sche Wo­chen­zei­tung Le Ca­nard en­chaî­né, die schon mal mit dem Slo­gan "Die Pres­se­frei­heit nutzt sich nur ab, wenn sie nicht ge­nutzt wird" wirbt, be­rich­tet über die Plä­ne der recht­sext­re­men Par­tei RN, die, soll­te sie an die Macht ge­lan­gen, aus­län­di­schen Stu­den­ten die Bei­hil­fen und die Zim­mer in Wohn­hei­men kün­di­gen möch­te.

Der Hin­ter­grund dürf­te sein, dass am Stamm­tisch vie­le aus­län­di­sche Stu­den­ten böswillig in den Ge­ne­ral­ver­dacht ge­bracht wor­den sind, sich ein Vi­sum zu er­schlei­chen, um in Frank­reich schwarz­zu­ar­bei­ten und es sich an­schlie­ßend in der 'so­zia­len Hän­ge­mat­te' ge­müt­lich zu ma­chen. 

Das ist auf meh­re­ren Ebe­nen sehr kurz­sich­tig. Aus­län­di­sche Stu­den­t:in­nen steu­ern je­des Jahr ein Net­to­sal­do von 1,3 Mia. Euro zu den Staats­fi­nan­zen bei. Den aus der Hei­mat nach Frank­reich mit­ge­brach­ten fünf Mia. Euro ste­hen na­tür­lich Aus­ga­ben für Bil­dungs­ein­rich­tun­gen, Men­sen, Wohn­heim­plät­zen und För­der­gel­dern ent­ge­gen. Aus dem Ge­samt­um­satz er­ge­ben sich zu­dem Steu­er­ein­nah­men (Quel­le: www.cam­pus­france.org).

Fran­zö­sisch­spre­chen­de im Aus­land sind wich­tig, um die Ex­por­te Frank­reichs am Lau­fen zu hal­ten  vor al­lem in Zei­ten, in de­nen im "He­xa­gon" im­mer we­ni­ger Schü­ler Deutsch ler­nen und des­halb für vie­le of­fe­ne Stel­len, die Deutsch­kennt­nis­se vor­aus­set­zen, kei­ne ge­eig­ne­ten Be­wer­ber:in ­nen mehr zu fin­den sind. Das Image Frank­reichs im Aus­land ver­bes­sert sich durch die aus­län­di­schen Stu­die­ren­den.

Nicht zu­letzt feh­len auch in Frank­reich Per­so­nen, die Me­di­zin, In­ge­nieur­we­sen, In­for­ma­tik oder Er­zie­hungs­wis­sen­schaf­ten stu­diert ha­ben. Kurz: Die "na­tio­na­le Prä­fe­renz" der Iden­ti­tä­ren ist nir­gend­wo ei­ne gu­te Idee.

Und was ma­che ich ab Sonn­tag mit mei­ner so­zia­len Ader, mei­nen Fach­ge­bie­ten und der ei­ge­nen Er­fah­rung, in Frank­reich stu­diert und da­mit mei­ne Exis­tenz­grund­la­gen ge­legt zu ha­ben? Muss ich dann mei­nen Blog hier durch­ge­hen und al­le kri­ti­schen Pos­tings auf "pri­vat" stel­len? Oder soll ich mir gleich ei­nen neu­en Be­ruf su­chen, ei­ne Fest­an­stel­lung, ir­gend­wo, ir­gend­was?

Im Kol­leg:in­nen­kreis je­den­falls ist es ex­trem ru­hig, al­le hal­ten die Luft an.

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Il­lus­tra­tion: Mi­nis­tère de l'Éco­no­mie et des Fi­nan­ces

Donnerstag, 27. Juni 2024

Mikroplastik, Meere, Böden, Biodiversität

Bien­ve­nue auf den Sei­ten dieses Blogs! Ein­blicke in das Le­ben einer Sprach­ar­bei­te­rin kön­nen Sie hier er­hal­ten. Ich bin Dol­met­scher­in für die fran­zö­si­sche Spra­che, und ich über­set­ze auch aus dem En­g­li­schen. Der Don­ners­tag ist An­lass für einen Rück­blick. Es geht um Grund­sätz­li­ches!

Pflanzen, Blüten, die Hand der Gärtnerin
Im Stil von Hen­ri Ma­tis­se (KI)
Rück­bli­cke sind in­te­res­sant, kön­nen aber auch frus­trie­rend sein. Span­nend, wie lan­ge ich mich schon mit ei­ni­gen The­men be­schäf­ti­ge, er­schüt­ternd, wie we­nig die­se The­men, die die zen­tra­len Grund­la­gen un­se­rer mensch­li­chen Exis­tenz auf dem Glo­bus be­tref­fen, ins all­ge­mei­ne Be­wusst­sein ein­ge­wach­sen sind.

Be­reits 2008 ha­ben wir als Dol­met­sche­r:in­nen ers­te Kon­fe­ren­zen, die mit der Mi­kro­plas­tik­ka­tas­tro­phe und den Mee­ren zu tun hat­ten, be­treut.

Mi­kro­plas­tik ist das As­best des frü­hen 21. Jahr­hun­derts, die For­schung zu den to­xi­ko­lo­gi­schen Aus­wir­kun­gen der Fa­sern auf Le­be­we­sen noch recht jung, die Ver­spä­tung, mit der das The­ma ernst­haft be­forscht wird, nur schwer zu er­klä­ren.

Ein wei­te­res gro­ßes The­ma, das wir schon En­de der Nuller, Be­ginn der Zeh­ner Jah­re in der Ka­bi­ne über­tra­gen ha­ben: Bio­di­ver­si­tät. Mit den Ur­sa­chen fürs Mi­kro­plas­tik hängt auch das Mas­sen­aus­ster­ben auf den fes­ten Tei­len des Glo­bus zu­sam­men, und das geht mit dem Ver­fall der Bö­den ein­her, hier der Link zu einem Bei­trag von 2017 über die Bö­den und über das Ler­nen.

Die Hu­mus­schicht, von der wir le­ben, wird im­mer dün­ner und dün­ner. (Und die Mensch­heit, die­sen Satz kann ich mir lei­der nicht ver­knei­fen, wird im­mer düm­mer und düm­mer.)

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Il­lus­tra­tion: Dal­l:e

Mittwoch, 26. Juni 2024

Petersburger Hängung

Per Zu­fall oder mit Ab­sicht: Sie le­sen ge­ra­de in ei­nem di­gi­ta­len Ta­ge­buch aus der Ar­beits­welt, ge­nau­er: der Dol­met­scher und Über­set­zer. (Der Auf­find­bar­keit im Netz we­gen nut­ze ich heu­te den männ­li­chen Ober­be­griff, ob­wohl in un­se­rem Be­ruf Män­ner die Aus­nah­me sind.) Mein Be­ruf be­deu­tet vor al­lem eins: life­long lear­ning.

"Ihr seid wie Wein", hat­te unser Do­zent im­mer mal wie­der ge­sagt: "Mit dem Al­ter wer­det ihr im­mer bes­ser." Dann mach­te er ei­ne Pau­se und leg­te nach: "Des­halb le­gen wir hier so gro­ßen Wert dar­auf, dass der jun­ge Wein von ho­her Qua­li­tät ist."

Da­ran durf­ten wir dann selbst wei­ter­den­ken.

Bild an Bild, Hängweise in Sankt Petersburg
Ge­mäl­de von Edu­ard Hau (1860)
Das Schö­ne am Äl­ter­wer­den ist ne­ben der Rou­ti­ne der Zu­wachs an Wis­sen. Auch wenn wir uns im größ­ten Stress in der Ka­bi­ne die De­tails oft nicht mer­ken kön­nen, so bleibt durch die mehr­tä­gi­ge Be­schäf­ti­gung im Vor­aus und Wie­der­ho­lungs­ein­sät­ze dann doch ei­ni­ges hän­gen. 
Bu­li­mi­sches Pau­ken, rein­fres­sen, raus­kot­zen, reicht da meis­tens nicht; wir ler­nen prü­fungs­re­sis­ten­t, al­so un­ter Druck re­pro­du­zier­ba­re In­hal­te.

Wir Dol­met­scher:innen sind Lern­jun­kies. Et­was nicht zu wis­sen, ist An­sporn fürs Ler­nen. Man­ches fällt uns aber auch zu. Das Glück der Ge­burt hilft da wei­ter.

Beim Ein­satz neu­lich roll­te die Kol­le­gin mit den Au­gen, denn je­mand sprach plötz­lich von "Pe­ters­bur­ger Hän­gung". Es ging ei­gent­lich gar nicht um Kunst, son­dern um kli­ma­re­sis­ten­tes Bau­en und um ei­nen Tech­nik­raum, in dem al­les eng auf eng steht bzw. teil­wei­se hängt. Die er­fah­re­ne Dol­met­sche­rin wür­de so­was erst­mal über­sprin­gen, denn der Sinn war durch das pro­ji­zier­te Fo­to klar: kaum Luft da­zwi­schen, und al­les passt rein. Nun hat das Pu­bli­kum nach­ge­fragt und es war doch plötz­lich ein sel­ten ver­wen­de­ter Be­griff aus Kunst­ge­schich­te oder In­nen­ar­chi­tek­tur nö­tig.

Hier war ich im Team die Äl­te­re und hat­te da­mit schon zu tun. Ich habe also bei mei­nem Schalt­pult auf "On" ge­drückt und wei­ter­ge­macht. Der Be­griff be­zeich­net Kunst­wer­ke in ex­trem dich­ter Hän­gung, auf Fran­zö­sisch ac­cro­cha­ge pé­ters­bour­geois oder à la Saint-Péters­bourg oder style sa­lon. Wer Kunst liebt, ger­ne sam­melt und nicht aus­wäh­len mag, hängt die Wer­ke eng auf eng. (Oder, wer, wie einst der Adel, aus ei­nem Gel­tungs­drang her­aus han­delt.)

Der Ter­mi­nus geht auf die dich­te Hän­gung, ober-, über- und ne­ben­ein­an­der in der Eremitage in Sankt Pe­ters­burg zu­rück, sie­he oben. In der Dok­tor­ar­beit mei­nes Va­ters kam die als an­hal­ti­ni­sche Prin­zes­sin ge­bo­re­ne rus­si­sche Kai­se­rin Ka­tha­ri­na die Gro­ße vor, der Grün­de­rin die­ser Eremitage.

Die nächs­ten Zei­len sol­len kei­ne Ober­schlau­mei­e­rei sein, ich kann wirk­lich nichts da­für. Ich hab im Mu­se­um lau­fen ge­lernt, un­ter den Au­gen ei­nes kunst­his­to­ri­schen Se­mi­nars, und bin spä­ter in mei­nem Le­ben noch öf­ter Men­schen be­geg­net, die da­von be­rich­tet ha­ben (o-ber-pein-lich, sag ich da nur, o-ber-pein-lich). 

Auf je­den Fall ha­ben wir, als die El­tern noch stu­diert ha­ben, in ei­ner sehr klei­nen Hin­ter­haus­woh­nung am Hang unterhalb des Mar­bur­ger Schlos­ses ge­lebt und es gab we­nig Platz, da­für um­so mehr Bil­der. Sie ah­nen es, an den Wän­den hing al­les recht eng. Ir­gend­wann mein­te mal ein Be­suchs­gast: "Ihr habt aber vie­le Bil­der!" Da­rauf Fräu­lein Na­se­weis, al­so ich, in an­de­ren Wor­ten "noch ein Drei­kä­se­hoch" und ge­ra­de im­stan­de, in kor­rek­ten Sät­zen zu spre­chen: "Das ist die Pe­ters­bur­ger Hän­gung". 

Noch so 'ne Epi­so­de, die mir frü­her oft aufs Brot ge­schmiert wur­de, lan­ge zu mei­nem Un­mut. (Heu­te wür­de ich das ger­ne öf­ter hö­ren, aber die Ge­ne­ra­ti­on dünnt sich aus.) 

Und hier noch rasch ei­ne Pa­ral­le­le zur "Neu­köl­lner Mö­blie­rung": Al­les, was vier Bei­ne hat und sich nicht von selbst be­wegt, lan­det als Stuhl, Tisch, Bu­ffet oder Bü­cher­re­gal in den Knei­pen und Ca­fés des Ber­li­ner Be­zirks Neu­köl­ln, einst ein Ar­bei­ter­be­zirk, dann ein Ar­beits­lo­sen­be­zirk mit Bes­ser­ver­die­ner­in­seln, jetzt ein Be­zirk mit Tur­bo­gen­tri­fi­zie­rung und hier und da so­gar Lu­xus­woh­nun­gen, die 30 Eu­ro den Qua­drat­me­ter kos­ten.

Die­ses Ameu­ble­mang darf auch als Pro­test auf den Mi­ni­ma­lis­mus des be­gin­nen­den 21. Jahr­hun­derts und die aus dem Man­gel ent­stan­de­ne Schlich­t­heit der 2. Hälf­te des letz­ten Jahr­hun­derts ge­le­sen wer­den, die in­dus­tri­el­le, nüch­ter­ne, funk­tio­na­le Fer­ti­gung und Aus­stat­tung von Ge­bäu­den und In­nen­räu­men, die oft den Charme ei­nes Bahn­hofs­war­te­saals ver­strö­men. 

"Von was bit­te­schön?", hö­re ich ein Echo hä­misch la­chen. Schon klar, in der To­tal­kom­mer­zia­li­sie­rung al­ler Le­bens­be­rei­che, auch Neo­li­be­ra­lis­mus ge­nannt, gibt es kei­ne Bahn­hofs­war­te­sä­le mehr!

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Il­lus­tra­tion: Die er­wähn­te Ere­mi­tage / Wi­ki­me­dia