Freitag, 29. November 2013

Aus dem Norden

Willkommen auf der Seite einer Französischdolmetscherin und -übersetzerin mit Hauptarbeitsort Berlin. Hier können Sie Einblicke nehmen in unseren Alltag, zu dem auch das Aufschreiben von Begriffen und Redewendungen zählt.

Vokabelnotiz: Dieser Tage, ein seated dinner mit Menschen aus der Me­di­en­welt, immer abwechselnd saßen Männ­lein und Weiblein auf ihren Stühlen. Derlei wird "Bunte Reihe" genannt, nicht zu verwechseln mit dem, was in West­fa­len un­ter "west­fälischer bunter Reihe" ver­stan­den wird, nämlich genau das Gegenteil davon, also eine Sitzordnung, die Frauen und Männer trennt, was laut Wikipedia auf alte Kir­chen­tra­di­tio­nen zurückzuführen sei. (Es gibt wohl Dinge, die er­schlie­ßen sich nur Menschen, die vor Ort sind.)

Wir aber waren im Norden. Der Abend war schön, lang und sehr nahrhaft. Die eine oder der andere musste sogar zwi­schen­durch einen Gang aus­lassen. Dann fiel der Ausdruck: "auswärts dickt nicht". Der Schnack käme aus Schleswig-Hol­stein, heißt es. In diesem nördlichsten Bundesland schei­nen viele Damen ausschließlich zu Hause zu speisen.

Denn von dort ist mir sonst nur der "schleswig-holsteinische Schreitbagger" bekannt für eine Person weiblichen Geschlechts mit überaus beachtlichen Aus­maßen. Aber das ist alles andere als political correct, das nehm' ich augenblicklich zurück!

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Foto: wird nachgeliefert

Mittwoch, 27. November 2013

Beine hoch und runterkommen

Bien­ve­nue ! Wie schön, dass Sie auf den Sei­ten meines Blogs ge­lan­det sind. Hier schrei­be ich, wie der Sprach­be­ruf, ich bin Dol­met­scherin und Über­setzerin, den All­tag verändert. Sogar auf die Nächte wirkt er sich nicht selten aus.

Wenn ich mich entspanne, ist mein Ruhepuls nomalerweise immer, wie er sein soll: Bei 60 Schlägen in der Minute, wie bei einem langsamen Satz von Bach.

Nach dem Dolmetschen ist das anders. Samstagabend stieg ich ohne jeglichen An­flug eines Gedankens an Lampenfieber auf die kleine Bühne im großen Saal des Ki­nos Arsenal am Potsdamer Platz. Eine Regisseurin und Filmkritiker diskutierten über die Frage "Was kann Kritik, was hat sie verlernt, wofür brauchen wir sie heute?" Ich saß neben Ber­nard Payen, der heute für die Cinémathèque Française und die Semaine de la Cri­tique in Cannes Programme kuratiert. Nach der Dis­kus­sion wurde der Sieg­fried Kra­cauer-Preis für Filmkritik vergeben, da dolmetschte ich weiter, auf dass der Gast aus Frankreich sprachlich nicht abgehängt sei. Insgesamt werde ich etwa drei Stunden lang (mit Pausen!) aktiv gewesen sein. (Hier ein Nachtrag: Das Dankeschön des Veranstalters.)

Anschließend wurde gefeiert. Ich war glücklich, mich mal wieder in der Szene aufhalten zu dürfen, in der ich viele Berufsjahre verbracht habe. Um Mitternacht war ich zu­hau­se und hundemüde. Schlafen konnte ich trotzdem nicht. Das Herz­chen bum­mer­te. Um zwei Uhr in der früh lag der der Ruhepuls noch bei 100. Ich bin durch­schnitt­lich sportlich und nicht fett ... und fragte mich, was ich tun kann, um wie­der runterzukommen.

Also saß ich kurz darauf in der Küche und war auf Facebook unterwegs. Ein Freund aus den USA mutmaßte zu viel Kaffee, das war es nicht, nur das Adrenalin der Dau­er­kon­zen­tra­tion, er riet zu einem langweiligen Film. Hm, TV habe ich nicht, mein Verhältnis zu Kino ist ein anderes und überhaupt, der Computer strahlt wach­mach­en­des, blaues Licht aus, also wollte ich nur wenig Zeit hier zubringen. "Milch mit Honig" nach einem Wannenbad, rät Kollegin Giselle, ich verhielt mich folgsam. Katjas Vorschlag mit dem Whiskey scheiterte an den unzureichenden Vorräten. Und Jean empfahl Akupressur, dann entstand eine kurze Diskussion, ob sie wirksam ist, wenn man sie bei sich selbst ausführt.

Nein, keine Angst, diese Hinweise kamen nicht alle noch in der Nacht, die Sprach­branche zeichnet sich nicht durchgängig dadurch aus, dass ihre Mitglieder unter Schlaflosigkeit leiden. Zumal die Hinweise ja von Menschen kamen, die das He­rum­wäl­zen im Bett erfolgreich bewältigt hatten! Ich habe vorgegriffen.

Kurz vor fünf war ich jedenfalls weiterhin müde, Schlaf stellte sich nur für Se­kun­den ein. Kurz nach sieben wachte ich auf und hatte auf Englisch geträumt, wie ich Gespräche zwischen Historikern und Diktatoren aus der europäischen und la­tein­ameri­ka­ni­schen Geschichte verdolmetscht hatte — noch dazu mit schlechten Ar­beits­be­dingungen, keine Sicht auf die Redner, keine Kopfhörer, nur zu leise ein­ge­stell­ten Lautsprechersound. Dolmetscheralbtraum!

Nach zehn Uhr wachte ich gerädert auf und fand eine schöne Würdigung meiner Arbeit durch eine Berlinaleverantwortliche inmitten der Ein­schlaf­­me­­tho­­den­­dis­­kus­sion! Wie schön!

Caroline Elias interpreted meetings of historians with historical dictators - while dreaming. And bad working conditions over the top! /24 novembre, 07:04 // Linda Söffker Liebe Caroline, ich fand das übrigens super wie Du gedolmetscht hast. Sehr angenehm. Aber leider zu wenig gewürdigt mit einem Dankeschön an Dich!! / 24 novembre, 10:29 // Caroline Elias Danke, Linda! Das freut mich zu hören. Und die beste Würdigung ist immer eine Weiterempfehlung [Pouls au repos tjs / Ruhepuls noch immer 80, normalemt./sonst 60].

Die Moral von der Geschicht': Ab Mitte Dezember frische ich meine Kenntnisse in Autogenem Training auf, das ist beschlossene Sache. Denn es ist sinnvoll, Ent­span­nungs­tech­niken in ruhigen Phasen zu lernen, damit sie in Stressphasen angewandt werden können.

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Illustration: facebook

Dienstag, 26. November 2013

Dumping mit öffentlicher Hilfe?

Will­kom­men beim 1. Web­log aus dem In­ne­ren der Dol­met­scher­ka­bine Deutsch­lands. Hier berichte ich regelmäßig über meine Arbeit. Heute kommentiere ich eine aktuelle Fundsache.

No, we are not amused! Die Übersetzer- und Dolmetschercommunity hat sich in den letzten Tagen hierüber ausgetauscht: Eine GmbH in Köln, die ver­mut­lich im Auf­trag der deutschen Arbeitsverwaltung tätig wird, fördert Lohndumping in einem hochqualifizierten Bereich:

Übersetzer/-in auf 400,00 -Basis für spanisch / deutsche Übersetzungen | Unsere Erwartungen an Sie: Für diverse Übersetzungsarbeiten suchen wir regelmäßig spanisch- und deutschsprechende Aushilfskraft auf 400,00 €-Basis. Neben Übersetzungsarbeiten sollten Sie auch in der Lage sein, einem unserer Mitarbeiter die spanische Sprache zu lehren.

Die Frage ist natürlich, ob die gesuchte Person einen halben Nachmittag in der Woche in dem Unternehmen zubringen soll, womit ihre Leistungen mit 25 Euro die Stunde vergütet werden würden, oder doch vielleicht eher häufiger. Komisch, An­zei­gen wie "Für diverse Rechtsberatungstätigkeiten und für die Betreuung un­se­rer Vertragsabteilung suchen wir eine(n) erfahrene(n) Rechtsanwalt/-anwältin auf 400 Euro-Basis ..." finden sich nirgends. Nur mit unsereinem glaubt man of­fen­bar, es machen zu können.

Wie war das gleich noch? Was ab Januar 2014 zum 450 Euro-Job wird, wurde einst eingeführt, damit Unternehmen kurzfristig auftretende Spitzenauslastung mit un­qua­li­fi­zier­ten Kräften ohne großen Verwaltungsaufwand abfedern können und um Rück­keh­rern in die Arbeitswelt den Wiedereinstieg zu erleichtern. Meistens han­delt es sich dabei um Aushilfstätigkeiten im Versand, Pakete packen vor Weih­nachten zum Beispiel, in Gastronomie und Handel.

Dass diese sozialversicherungsfreie Beschäftigungsmöglichkeit in den letzten Jah­ren zu negativen Aus­wüchsen geführt hat, ist inzwischen sogar im Bun­des­kan­zler­amt an­ge­kom­men. In Newsgroups, über die sich Sprachfachleute austauschen, berichtet eine junge Kollegin sogar davon, dass ihr in noch jüngeren Jahren von einer Agentur einmal ein 400 Euro-Job für 40 Wo­chen­stun­den Arbeit angeboten worden sei.

Diese Art Beschäftigungsverhältnis hat sich in den letzten Jahren nicht nur als Arbeitsplatzvernichtungsmaschine entwickelt, die Altersarmut derjenigen, die sich darauf einlassen (müssen), ist programmiert.

Von Spitzenlastabfederung kann hier keine Rede sein: Bei der ausgeschriebenen Stelle, das ist eindeutig, tritt das Arbeitsaufkommen nicht überraschend und vermutlich auch nicht völlig geballt auf, es handelt sich auch nicht um un­qua­li­fi­zier­te Tätigkeiten. Die zweite oft vorgebrachte Begründung für diese Ver­trags­form, dass eine "geringfügige Beschäftigung" ein "Sprungbrett" zurück in den 1. Arbeitsmarkt bieten solle, hat, sozialwissenschaftlichen Stu­dien zufolge, bislang nur in Aus­nah­me­si­tu­a­tionen funktioniert.

Mich ärgert diese Anzeige sehr; sie beschädigt unseren Berufsstand. Übersetzen, Dolmetschen und Sprachunterricht sind keine "Aushilfsarbeiten". Und dass sich hier der Staat an der Abwertung beteiligt, denn wer weiterklickt, wird über Seiten des Jobcenters weitergeleitet, ärgert mich noch mehr. Passend dazu: "Datenreport 2013 — Ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland", kann hier als PDF (12,2 MB) heruntergeladen werden.


P.S.: Last but not least ist es nicht selbstverständlich, dass jemand, der übersetzt oder dolmetscht, auch ein guter Pädagoge ist. 
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Illustration: jobkontakt GmbH, Köln

Montag, 25. November 2013

Genauigkeit

Hallo! Hier verzeichnet eine Dolmetscherin und Übersetzerin Notizen aus dem Alltag. Das schließt besondere Fundstücke mit ein.

Übersetzer sind die genauesten Leser (Korrekturleser). Sie nehmen den Autor beim Wort.
Günter Grass
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Sonntag, 24. November 2013

(Kunst)Lichterzeit

Hallo auf den Blog­sei­ten einer Über­setzer­in und Dol­met­scherin. In der Blo­go­sphä­re gehen manch­mal Fragen rum, die wie das #apfel­nuss­man­del­kern-Stöckchen beim Stafettenlauf von Blog­ger zu Blogger wandern. Wibke Ladwig hat mir das Blogstöckchen von Garten2null.de zu­ge­wor­fen, es geht um die Jahrezeit, in der wir uns befinden. 

Wie gestalten Sie das Jahresende?
In Familie: Ritueller Büchertausch, draußen ist es kalt, drinnen warm, die Spei­se­kam­mer voller Spezereien und es wird stundenlang gekocht, erzählt, dis­ku­tiert, Bilder aus dem ab­lau­fen­den Jahr betrachtet, Rückschau gehalten.

Welche lustigen Geschichten haben Sie zu Advent, Weihnachten oder Silvester erlebt?
Als ich acht Jahre alt war, durfte ich bei Nachbarn, die Kinder im Alter von drei und fünf hatten, den Nikolaus spielen. In meinen roten Frottee-Bademantel ge­hüllt, die roten Gummistiefel an den Füßen und eine Nikolausmaske vor dem Ge­sicht, deren Bart ich mit Watte verlängert hatte, ging ich aus dem Haus und über die Straße. Auf dem Weg ins Mietshaus, in dem die Familie wohnte, kam mir jemand entgegen: Ein ausgewachener Nikolaus! Pantomimisch lüften wir die gedachten Hüte, nickten einander zu, der große Nikolaus sagt zum kleinen: "Herr Nikolaus, guten Abend!", der kleine zum großen: "Gute Arbeit wünsch' ich!" Sehr filmisch. Dass sich mir die­se Szene derart "eingebrannt" hat ins Gedächtnis, zeigt, dass ich früh einen Sinn hatte für Szenen und Bilder. Eine meiner Spezialisierungen als Dolmetscherin und Übersetzerin, den Filmbereich, finde ich hier wieder.

Was bedeutet Ihnen der November oder der Dezember?
... Dunkelheit und dass das Wirtschaftsleben nochmal beschleunigt, bevor eine satte Ruhe einsetzt.

Was verbinden Sie mit der Lichterzeit?
Tee auf Stövchen, Weintrauben, Birnen, Walnüsse, Tageslichtlampe, Zeitungen in der Küche
Herbstdeko mit Bullauge
Der natürliche Lichtmangel zu Jah­res­en­de macht mir schwer zu schaffen. Mich ret­tet aber meine Ta­ges­licht­lam­pe, die als heller Schirm auf dem Ess­tisch steht und mir immer wie ein Bull­au­ge im Flieger mit Blick auf Himmel und Wol­­ken­decke vor­kommt, von oben na­tür­lich. Dass schon zu heid­ni­schen Zei­ten die Win­ter­son­nen­wen­de mit Licht ge­fei­ert wurde, kann ich nach­füh­len.

Auf was freuen Sie sich jetzt besonders?
Aufs Batterienauftanken zu Jahresende. Manchmal bietet der Berliner Winter auch große Kälte, die ich mag, weil dann der Himmel blau ist. Aber es gibt auch Monate ohne eine einzige Sonnenstunde wie Januar 2013. Also erhoffe ich erstmal nichts, sondern nehme, was kommt. Ändern kann ich's ja ohnehin nicht.

Was nervt Sie jetzt mehr als im übrigen Jahr?
Schon gestern hörte ich in die ersten Knaller auf der Straße. Das mag ich gar nicht, vor allem, weil es so viele gelangweile, kaum empathische Menschen gibt, die der­lei vom Balkon oder in geschlossenen Räumen werfen. Ein Bekannter einer Freun­din war Berufsmusiker, bis neben ihm in der U-Bahn so ein Teil explodierte. Ich ge­he in diesen Wochen nur mit Ohropax aus dem Haus, muss dann auf meine ge­lieb­ten Kultur- und Politiksendungen des französischen Hörfunks über Kopfhörer ver­zich­ten.

Wie gestalten Sie Ihren Garten, Ihr Haus oder Ihre Wohnung?
Zunächst muss ich sensible Pflanzen und einiges an blauem Glas in die Wohnung holen, was auf dem Balkon den Sommer verbringt. (Mit dem blauen Glas "ankere" ich diese Farbe, denn der Berliner Himmel ist nur einige Wochen im Jahr rei­se­pros­pekt­taug­lich.) In der Wohnung weisen nur wenig selbstgebastelte Sachen auf den Winter hin aber nie vor Anfang Dezember! Freitag sah ich in Ber­lin überall schon Weihnachtsdeko, vor Totensonntag! Das stört mich genauso wie die Armeen von Schokonikoläusen, die zuverlässig exakt dann in der Quen­gel­zo­ne der Su­per­markt­kas­sen aufmarschieren, wenn die Sonnenbrillen und Strohhüte von den Son­der­ver­kaufs­flächen abgeräumt worden sind.  

Welche Bücher lesen Sie jetzt oder haben sich vorgenommen zu lesen?
In meinem Arbeitszimmer stapeln sich ungefähr 30 Bücher in drei Sprachen, alles queerbeet. Ja, in der dunklen Jahreszeit lese ich (noch) mehr als sonst.

Und die Frage aller Fragen: kaufen Sie jetzt schon Geschenke ein? 
Jein, weil hier schon viele Präsente warten. Als Kind einer kinderreichen Familie habe ich in der Regel im August die ersten Sachen in der Hand, bei denen ich ans Jah­res­en­de denke.


So, ich werfe das Stöckchen bei Texttreff.de in die Luft, wer fängt es wohl auf?
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Foto: C.E. (Archiv)

Donnerstag, 21. November 2013

Wer den Cent nicht ehrt ...

Bon­jour, wel­come, gu­ten Tag oder Abend! Sie sind punkt­genau in der Ar­beits­welt einer Sprach­mitt­lerin ge­lan­det. Was ich mache? Hier schrei­be ich über meine Tä­tig­keit als Dol­met­scherin und Über­setzerin. Vor der eigentlichen Arbeit liegt aber die manchmal peinvolle Phase der Honorarverhandlung.

Wir tippen die Farbe von den Tasten ...
... ist des Euros nicht wert, das stimmte früher, als die Redensart noch anders ging, das gilt auch noch heute. Gefeilscht wird manchmal um kleine Be­trä­ge, so kennen wir es. Einem guten Kunden geben wir gerne einige Prozent Rabatt, denn re­gel­mä­ßi­ge Aufträge in hohem Umfang reduzieren den Mar­ke­ting- und Verhandlungsaufwand. Anders ist es, wenn sehr große Nachlässe eingefordert werden, zum Teil geschieht das ziemlich direkt.

Es fühlt sich mitunter so an, als hätte mit Beginn der Spekulationskrise, deren Folgen auf die Staats­haus­halte abgewälzt wurden, manch einer seine gute Kinderstube vergessen. Da kommt schon mal ein sehr bestimmtes: "Bei dem Umfang muss das billiger zu haben sein." Wer sagt das? Jemand, der zum Beispiel irgendein digitales Pinökel in China bau­en lässt und weltweit vertreibt. Wie rechnen ei­gent­lich un­se­re Kun­den?

Die Entwicklung des Pinökels hat die Summe X gekostet, das Investment muss sich über den Ver­kauf möglichst rasch amortisieren. Ist das vorab investierte Geld wieder eingespielt, also einige Zeit spä­ter, ist die Konkurrenz sicher auch schon so weit: Sie hat das Mo­dell (irgendwo im Ausland) abgekupfert oder so ver­ein­facht, dass sich kein Patentgericht dafür in­te­res­siert. Sie verkaufen billiger als "unsere" Firma.

Da die Ent­wick­lungs­kosten (hoffentlich!) wieder zurückgeholt sind, wird nun die Beispielfirma ihren Preis senken, um im Wettbewerb besser da­zu­ste­hen. (Ja, ich weiß, manche Erfindung ist schnell geklaut; deshalb müsste das An­zapfen deutscher Datenströme der Kanzlerin im Grun­de ein sehr gro­ßer Dorn im Auge sein.) Zurück von der Situation des Anrufers zu jener der Angerufenen.

Wir Übersetzer und Dolmetscher entwickeln gar nichts, es sei denn, die eigenen Sprachkenntnisse über die Jahre weiter. Außerdem nimmt die Anzahl der Fachgebiete, in denen wir arbeiten, besten­falls regelmäßig zu. Bei der konkreten Arbeit müs­sen wir allerdings immer wieder von vorne an­fan­gen, wir sitzen immer die gleiche Zeit an Kabinen­pult oder Schreibtisch. Jede neue Arbeit ist wie eine Neuentwicklung.


Natürlich können wir auf Erfahrung zurückgreifen, können eventuell ein "Trans­la­tion Memory System" nutzen, also eine Art digitales Kontextwörterbuch, das aus früheren Pro­jek­ten ähnliche Lösungen herausfiltert und anbietet, mehr allerdings nicht. (Und gerade im künstlerischen Bereich sind solche Übersetzungsspeicher sinnlos. Ich habe mir nie eins angeschafft.)

Kurz: Unsereiner entwickelt jedes Mal neu, testet den "Protoypen", entwickelt ihn bis zur |Marktfähigkeit| Abgabefähigkeit: Das bedeutet übertragen, nachschlagen, feilen, lernen, üben und am Ende doch noch einmal Korrektur lesen. Oder wie zu Wo­chen­an­fang. Da musste ein schon im Sommer abgeschlossenes Projekt aufgrund eines Computerproblems über Nacht erneut getippt werden, um vom Kunden wei­ter­be­ar­bei­tet zu werden. Das Schreibbüro hat seine Sache gut gemacht, nur mit den Einzügen, die so ein Drehbuch aufweist, hat es nicht so recht geklappt.

Also habe ich meinen Nachtschlaf verkürzt und saß von sechs bis halb neun Uhr morgens am Schreibtisch, las Korrektur und vereinheitlichte das Layout. (Eine Optimierung hät­te wohl noch mehr Zeit beansprucht.) Hier führt die Masse der Arbeit auch nicht ge­ra­de dazu, dass es schneller geht, hier gilt nur der alte und immer wieder gern zitierte Slogan: Put on some appropriate music. Bite down hard. Get it done.

Den Mehraufwand werden wir unserem Kunden nicht in Rechnung stellen, denn niemand kann nachvollziehen, wo und zu welchem Zeitpunkt sich der Virus, der mit Zeitabstand sein unschönes Antlitz gezeigt hat, eingeschlichen hat.

Dass wir Sprachmittler kostenbewusst arbeiten, liegt oft darin begründet, dass wir Einzelkämpfer sind, die sich häufig zu einem Netzwerk zusammengeschlossen ha­ben (oder mit Kollegen Korrekturdienstleistung tauschen). Anders als so manche große Agentur, die mehr Geld in Werbung und re­prä­sen­ta­ti­ve Büros als in die End­fer­ti­gung investiert, bekommen die Kunden bei uns "mehr Sprachdienstleistung" für ihr Geld. Ein kurzes Beispiel mit Zahlen kommt morgen.


Vokabelnotiz:
Pinökel ist ein umgangssprachlicher Begriff für einen winzigen nadelähnlichen Ge­gen­stand (Herkunft: Ostwestfalen bis Norddeutschland).
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Fotos: C.E. (Archiv)

Mittwoch, 20. November 2013

Küchenutensilien

Hallo! Sie le­sen hier ei­ne Sei­­­te des ersten Web­logs aus dem In­neren der Dol­met­scher­ka­bine. Ich schreibe als Dol­met­scherin und Über­setzerin für die fran­zö­sische Spra­che und aus dem Eng­li­schen über un­se­ren Beruf­sall­tag. Eine Liebe zu Spra­chen haben sicher alle von uns schon im Kindesalter entwickelt.

Gestern und heute habe ich mich jeweils verschrieben beim Versuch, einen kurzen Blog­ein­trag zu texten. "Verschrieben" möchte ich hier im Sinne wie "verlaufen" oder "verirrt" verstanden wissen. Das ist eine individuelle Verwendung der Sprache, ich genehmige sie mir, aber ich dränge sie niemandem auf.

Mancher fremde Sprachgebrauch wird einem als Bürger mitten in Europa von den Bildungseinrichtungen aufgedrängt. Auch dann, wenn Begriffe allzusehr nach ei­nem schlechten Kalauer klingen.

Drei Kochlöffel mit Loch darin: LochlöffelRückblende: Marburg an der Lahn, vergangenes Jahr­hun­dert. Im polytechnischen Un­ter­richt der hessischen in­te­grier­ten Ge­samt­schu­le hatten wir Haus­wirt­schafts­un­ter­richt. Ich fand das gut und lehrreich. Mein Cousin in der DDR ging schließ­lich auch auf eine poly­tech­nische Ober­schu­le, und viel über Technik wollte ich auch lernen.

Wenn da nicht die Klassenarbeiten gewesen wären! Die Fragen waren oft an Ein­fäl­tig­keit kaum zu überbieten. Einmal, wir hatten gerade diverse Kü­chen­ge­rät­schaf­ten durchgenommen, sollten wir auf die Frage antworten: "Wie nennt man einen Kochlöffel mit Loch darin?"

Für den Fortgang der Geschichte muss ich jetzt erzählen, dass wir an Grup­pen­ti­schen saßen, dass ich in allen Fächern außer Mathe einigermaßen gute bis gute Noten hatte und dass ich zu denjenigen zählte, die den Ton angaben. Außerdem war ich gerade erst mit 12 Jahren große Schwester geworden, weshalb ich in der Fach­un­ter­richts­stunde vor der Klassenarbeit zu Baby und Mutter ins Krankenhaus durfte.

Aus Gründen, an die ich mich nicht erinnere, verließ die Lehrerin kurz den Klas­sen­raum, ich wurde angestupst, Finger deuteten auf die bewusste Frage. Ich zuckte mit den Achseln und ließ ein als Kalauer gemeintes: "Bestimmt Lochlöffel" fallen.

Wenig später erhielten wir die Klassenarbeiten zurück. Vor unserem Tisch stehend sagte die Lehrerin: "Hier sitzen fünf, die sehr gut aufgepasst haben, denn alle haben die Kochlöffelfrage völlig richtig beantwortet! Alle, bis auf eine ..." Ich wurde trotzdem auch gelobt dass ich nicht abschreiben würde, sei hiermit bewiesen. Die Frage wurde zudem nicht gewertet, denn ich hatte den Stoff ja wegen Ba­by­be­suchs­ur­laubs verpasst. Ja, ich glaube, wir haben manche unserer Lehrer nicht ernstgenommen.

Verwissenschaftlichung von Nicht-Wissenschaftlichem heißt das.

Aber sonst war die Schule toll. Viel besser, als das naturwissenschaftliche Gym­na­si­um in Baden-Württemberg, auf dem ich mich anschließend einige viel zu lange Jahre mit zum Teil rechts­ex­tre­mem Lehrpersonal herumquälen musste. Unser Chemie-Fachleiter, der mich besonders gepiesackt hatte, ließ sich mit Eintritt ins Rentenalter von den Re­pu­bli­ka­nern aufstellen. Mal 'ne Frage: Wurde ihm eigentlich auch aus an­ti­de­mo­kra­ti­schen Gründen die Pension gekürzt, wie es mit den DDR-Funktio­nä­ren und anderen im Staatsapparat tätigen (z.B. Chefdolmetschern) der Fall gewesen ist?

Aber das ist eine ganz andere Geschichte.


P.S.: Mit Bildungsstudien lässt sich noch heute nachweisen, dass in der DDR im Schnitt die besseren Schulen standen, ging es hier doch um den positiven Wett­be­werb, möglichst viele Talente zu entdecken und zu fördern. Im Westen hing/hängt schulischer Erfolg oft vom Nachhilfebudget der Eltern ab; das gräßliche Wort "Se­lek­tion" führte nämlicher Chemiefachleiter täglich ins Feld.
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Foto: C.E.

Montag, 18. November 2013

Mark Twain (1)

Bon­jour! Hier bloggt eine Dol­met­scher­in und Über­setzer­in für die fran­zö­sische Sprache. Die­ser Tage eile ich zwischen Kabine und Bibliothek hin und her. Tags­über sind noch Ka­pazitäten frei, abends erhole ich mich mit dem guten Buch ...

Mal wieder Mark Twain zur Hand genommen, nachdem ich mit den weltbesten Patensohn bei seinen Schritten von der Kinder- zur Jugendliteratur begleiten durfte.

Twain (1835–1910) reiste 1878 durch Deutschland. Was er darüber schrieb, liest sich stellenweise, als hätte es ein angeschwipster Anthro­po­lo­ge verfasst. Die Deutschen beschrieb er als "warmherzig, gefühlvoll, impulsiv, be­geisterungs­fä­hig, beim zartesten Anstoß kommen ihnen die Tränen, und es ist nicht schwer, sie zum Lachen zu bringen." OK, keine Einwände, Euer Ehren!

Mit der deutschen Sprache wurde er nicht warm. Sein Résumé: "Die deutsche Sprache sollte sanft und ehrfurchtsvoll zu den toten Sprachen abgelegt werden, denn nur die Toten haben die Zeit, diese Sprache zu lernen." Meine heiße Lese­empfehlung, "Die schreckliche deutsche Sprache", ist auch online lesbar.

Der Text ist zudem für Dolmetscher relevant, ich sage nur 'das Verb kommt am Ende'. Na, dann kann die Welt aber mal froh sein, dass es uns Übersetzer gibt. Wir sind, laut Twain, "verwegene Kämpfer, die den Turm von Babel angreifen.“

Dann ist ja alles klar. So, nun will ich mal weiterkämpfen, am Abend weiterlesen.

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Foto: M.T. (Wikimedia, creative commons)

Sonntag, 17. November 2013

ÖPNV-Leser

Draufsicht: Zwei Buch- und ein Zeitungsleser in der Reihe. Die gegenüberliegende Seite liest nicht.Willkommen auf den Seiten meines virtuellen Arbeitstagebuchs. Hier schreibe ich über den Berufsalltag von Sprachmittlern. Einmal in der Woche werde ich privat: Sonntagsbilder!







Der Sommer ist vorbei. Anfang November sah ich noch einen Leser im Pulli, Mitte des Monats tragen in der U-Bahn alle dicke Mäntel.

Die anderen Bilder dieser Serie sind erst wenige Wochen her: Eine Lesende und ein Paar auf der Bank in Hamburg (dass sie vorliest, ist leider auf dem Bild nicht zu erkennen), Leserin am Paul-Lincke-Ufer und Lesende am Maybachufer.











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Fotos: C.E.

Samstag, 16. November 2013

Mikro-Gau

Bonjour ! Zu­fäl­lig oder ab­sicht­lich haben Sie mei­n vir­­tu­­el­­les Ar­beits­­ta­­ge­­buch an­ge­steuert. Ich ar­bei­te in Hamburg, Straßburg, Berlin, Paris und dort, wo mich Kunden brauchen, als Sprach­mitt­lerin mit den Fach­ge­bie­ten Wirtschaft, Politik, Soziales und Kultur. Es ist Samstag, Zeit für den Link der Woche.

Wir Dolmetscher sind unsichtbar, ich schrieb erst Donnerstag darüber. Wir Dol­met­scher haben bei der Arbeit natürlich auch keine eigene Meinung. Und wir Dol­met­scher sprechen nur dann, wenn jene, die wir vertonen, auch sprechen.

Soviel zur Theorie. Ja, es stimmt, wir sind Dienst­leister und damit nichts als Dienstleister; was wir denken, lassen wir ebe­nso brav zu Hause wie Saaldiener oder Kellner es tun.

Wenn dann ein Missgeschick geschieht und eine Meinung plötzlich publik wird, ist das natürlich peinlich. (Und ich äußere mich hier nicht über Inhalte, ich bin ge­nau­so neu­tral wie das Mikrofon.) Gestern passierte einer UN-Kollegin ein Mikro-Gau. Bei der Sitzung standen zehn Resolutionen gegen Israel auf dem Programm, von denen neun auch verabschiedet wurden. Die Wahlgänge erfolgten wie immer elek­tro­nisch, vorher waren Reden zu verdolmetschen, bei der Abstimmung ergaben sich die üblichen Wartepausen.

Und so hat die Kollegin nicht bemerkt, dass ihr Mikro offen war, als sie unter Ka­bi­nen­kol­legen sagte:

I mean, I think when you have five statements, not five, like a total of ten re­so­lu­tions on Israel and Palestine, there's gotta be something, c'est un peu trop, non? I mean I know. ... There's other really bad shit happening, but no one says anything about the other stuff," ("Also ich denke, fünf Erklärungen, nein, nicht fünf, son­dern insgesamt zehn Resolutionen zu Israel und Palästina, das ist schon heftig (?), das ist vielleicht zu viel, oder? Ich meine ... ich weiß ... draußen passiert wirklich noch andere Scheiße, aber darüber sagt niemand was.")

Jene, die Kopfhörer auf den Lauschern hatten, die auf "Englisch" ge­schal­tet waren, mussten ihre Worte mit anhören. Im Saal breitete sich Zeugen zufolge peinlich berührtes Gelächter aus. Die Sitzungsleiterin reagierte cool: I understand there was a prob­lem with the interpretation? ("Wenn ich richtig verstehe, gab es ein Problem mit der Verdolmetschung?")

So ganz verstehe ich die Panne vom technischen Gesichtspunkt her allerdings nicht. Kurz vor dem launischen Kommentar aus der Kabine hatte ein spanischer Redner gesprochen. Der war offenbar von einer der Nachbarkabinen übersetzt worden und der Englischkanal müsste demnach auf die Spanischkabine ge­schal­tet worden sein. Damit die Zuhörer nicht hin- und herschalten müssen, machen wir Dolmetscher das ja, unterstützt von Technikern, die alles bewachen und im Be­darfs­fal­le Regler schie­ben.

Für die weitere Klärung des Vorfalls müsste ich jetzt wissen, in wieweit der bei YouTube gepostete Ausschnitt "montiert" ist. Ich erkläre mich: Ist die Tonspur original oder wurde da etwas geschnitten? Wurde da eventuell eine Ver­dol­met­schung gelöscht (Spanisch-O-Ton ins Englische)?

Barak Ravid meint auf dem Blog von Haaretz, die Stimme sei aus der Spanisch-Englisch-Kabine gekommen. Ich denke aber, die Sprechende und der/die An­ge­spro­che­nen (*) saßen in der Französischkabine. Wäre die Stimme aus der Spa­nisch­ka­bi­ne gekommen, hätte der Beitrag des spanischen Redners ja verdolmetscht sein müssen.

Vergessen wir, aus der Leitung "raus­zu­ge­hen", kann der Ton aus der jeweils an­de­ren, aus der gerade ins Englische ge­ar­bei­tet wird (hier logischerweise Spa­nisch) gar nicht auf dem Englischkanal ankommen. Dann haben die Zuhörer keinen Ton auf den Kopfhörern und es wird rasch unruhig im Saal ... bzw. der Techniker steht sofort in der Kabine. (Wir ken­nen das alle vom Beginn unserer Karriere oder bei extrem über­zo­ge­nen/an­strengenden Terminen.)

Was ist also hier passiert? War es nicht vielleicht eher eine Technikpanne und kein "Schaltfehler" einer enerviert kommentierenden Dolmetscherin? (Ich musste an ein altes Räuspertastenproblem denken.) Ich bin auf die Meinungen der Kol­le­gin­nen und Kollegen hier im Blog gespannt und habe noch eine Bitte an die "Eng­län­der" unter Euch: Haut die Übertragung von there's gotta be something hin?



Vokabelnotiz
YouTube beschrieb die Worte als "candid comments".
candid (engl.) — aufrichtig, unumwunden, ehrlich
candide (frz.) — naiv, arglos, unbedarft
Mehr "same words, different meanings" hier: klick!

P.S. (Nachtrag com 17.11.): Laut Jerusalem Post soll der israelische Mi­nister­prä­si­dent Netanyahu der Dolmetscherin inzwischen einen Job angeboten haben, falls sie in New York rausfliegen sollte.
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Illustration: United Nations Webcast via YouTube
(*): Bei großen Institutionen sitzen oft drei Sprach-
mittler je Sprachenpaar in der Kabine

Donnerstag, 14. November 2013

Meine Herren!

Will­kom­men auf den Web­sei­ten ei­ner Über­setz­er­in und Dol­met­scher­in für die fran­zö­si­sche Spra­che. Hier be­rich­te ich in lo­ser Fol­ge über Epi­so­den aus mei­nem Be­rufs­all­tag.

POV Dolmetscherin: Konferenzsaal, Gäste, Servicepersonal und zwei MikrofoneAls ich den Fahrstuhl betre­te, bin ich noch sichtbar und Da­me. Ein Mann lässt mir den Vortritt. Wir, das sind drei Her­ren und ich, befinden uns in einem sehr repräsentativen Ge­bäu­de im Herzen Berlins. Wir tra­gen alle Anzüge in ge­deck­ten Farben. In der Hand halte ich den kleinen Flüster­kof­fer, der wie ein Ak­ten­kof­fer aus­sieht (*).

Die kurze Reise soll uns bis unter das Dach führen, wo die nächsten drei Stunden eine Jahrestagung stattfinden wird. Auf der Fahrt nach oben werde ich unsichtbar. Im 2. Stock geht die Tür auf. Vor dem Fahrstuhl stehen zwei Frauen, die keine An­zug­trä­ger sind. Sie haben elegante Kittelschürzen an und transportieren kleinere Rei­ni­gungs­ge­rät­schaf­ten (die ich nicht benennen könnte).

Einer der mitreisenden Herren sagt: "Hereinspaziert, die Damen!" Die Damenwelt im Putzfrauenkittel antwortet unisono: "Vielen Dank, die Herren!"

Wir kommen oben an. Die Tagungsleitung weist mir ein Stühlchen an, auf dem ich später hinter einem französischen Medienmann Platz nehmen soll — Wasser, Tee oder Kuchen wären damit außer Reich­wei­te. Zum Glück hat mein Dolmetschkunde sich selbst schon einen Platz ge­sich­ert, für mich einen mit. Ja, einen "echten" Sitzplatz. (Dolmetscherkabinen sind, wenn es nur eine Person zu beflüstern gilt, nicht üblich.)

Im Raum sind an die 30 Herren mit ergrautem oder sich lichtendem Haupthaar und zunächst zwei, dann drei Damen versammelt (ich zähle als dienstleistendes Per­sonal hier nicht mit). Die Diskussion wird eröffnet: "Meine Damen und Herren ..." Wenig später wer­den die "Herren der 1. Stunde gewürdigt", währenddessen ser­vie­ren eine Dame und ein Herr Tee und Kaffee. In der französischen Regierung sind die Mi­nister­posten quotiert; im deutschen Regierungsviertel gilt gender parity, wenn's gut läuft, immerhin schon mal fürs Bedienungspersonal.

Unberührter KuchentellerDass ich in pole position zum Kuchen sitze, nützt mir übri­gens nicht viel. Der erste Stol­len dieses Win­ters bleibt un­be­rührt. Wie gesagt, drei Stun­den wird die Sitzung dau­ern. Als An­wei­sung bekam ich für die Solo-Nummer den Tipp, ich müsse ja nicht jedes Detail dol­metschen und könne auch pausieren, wann immer es nötig sei.

Ich hatte 15 Minuten Pause je Zeitstunde |ausbedungen| erbeten. Man ging davon aus, dass die Veranstaltung selbst auch kurze Unterbrechungen haben würde. Hat­te sie aber nicht. Und welche der Worte (oder Minuten) des äußerst spannenden (abgelesenen!) Vortrags samt Diskussion lasse ich jetzt weg? Ich komme gar nicht dazu, diesen Gedanken zuende zu denken.

Es gibt Themen wie Filmwirtschaft, Bildung und inzwischen auch Europapolitik (so­lange es nicht um Gesetzesdetails geht), die "fahre" ich per "Autopilot", die dol­met­sche ich nicht aus der frisch erlernten Lexik, dem Arbeitsspeicher, hier wird die Festplatte selbst aktiv, sie ist größer, das System ist weniger störanfällig und läuft weniger schnell heiß. Kurz: Vokabeln, mit denen ich seit Jahren jongliere, machen mir keine Angst mehr. Mein Dolmetschkunde, den ich seit 1991 kenne, auch nicht. Ich setze mich also möglicherweise etwas undamenhaft entspannt hin, schalte das Mobiltelefon und mein Ego aus und rede. (Danke, meine Herren, dass keiner zum Fotohandy griff!)

Nur einmal kommt Stress auf. Es ist der Moment, als die Herrschaften neben uns wie Schulbuben zu schwätzen anfangen. Sorry für meine Beschreibung und dafür, dass ich es hier vielleicht ein wenig an Respekt mangeln lasse, aber durch sowas wird es schwierig bis unmöglich, das Saalende zu verstehen und gleichzeitig zu sprechen. Zum Glück hatte ich ja Kopfhörer und Mikrofon dabei, den Flüsterkoffer, so dass ich der Störquelle aus­wei­chen konnte. Hm, vielleicht hat ja mein Dau­er­flüstern die Jungs auch angeregt?

Abgesehen von der Müdigkeit, die mich morgen ereilen wird, weisen lange So­lo­ter­mi­ne noch einen gravierenden Unterschied auf. Normalerweise kon­zen­trie­ren wir uns beim Sprechen auch auf die Schönheit der Worte. Wir sprechen einen Satz, der in der Luft hängt, durchaus schon mal zuende, ver­knüpfen lo­se En­den, bauen ge­le­gent­lich eine kleine rhetorische Schleife ein mit der Wiederholung eines Kern­be­griffs, wenn es der Verständlichkeit hilft. Ich vergleiche das immer mit den Zier­kap­pen eines Autoreifens. Die fahrbaren Untersätze rollen auch so, mit Zier­kap­pen ist's aber schöner.

Bin ich alleine im langen Einsatz, haushalte ich mit der Energie und beschränke die Auf­hüb­schungs­maßnahmen auf ein Minimum. Das Ergebnis klingt weniger druck­reif. Gerade die deutsche Gram­matik bietet in ihrer Komplexität und mit dem Verb am Ende viele Möglichkeiten, Sätze ins Endlose zu mäandern, um den Abgrund wenigstens zart an­zu­deu­ten.

Als sich dann der einzige nicht mehr aktive Politiker Deutschlands, der in ge­schlos­senen Räumen öffentlich rauchen darf, eine Zigarette ansteckt, bin ich ihm dank­bar dafür, dass dies erst nach etwa anderthalb Stunden geschah. Viel Rück­sicht, einer Dame gegenüber! Vielleicht war ich doch nicht unsichtbar.


Vokabelnotizen:
Aktenkoffer — attaché case auf "Franglais", das deutsche Wort musste ich nach dem Marathon nachschlagen.
Zier- oder Schmuckkappe — enjoliveur oder chapeau de roue
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Fotos: C.E.

Dienstag, 12. November 2013

Heimat

Hallo! Sie le­sen in ei­nem Ar­beits­ta­ge­buch. Ich bin Fran­zö­sisch­dol­met­scher­in und spreche für Politiker, Künstler, Wirtschaftsbosse und diverse Vertreter der Zi­vil­ge­sell­schaft, aber auch für Privatkunden. Studiert hatte ich zunächst Literatur, und ich lese noch heute gerne.

Schöne Fundsache:
"Wir wohnen nicht in einem Land,
 sondern in einer Sprache."           
                             (Emile Cioran)

Montag, 11. November 2013

Dolmetschen für eine Delegation

Bonjour auf den Seiten mei­nes vir­­tu­­el­­len Ar­beits­­ta­­ge­­buchs. Ich ar­bei­te in Paris, Ber­lin und an­ders­wo als Sprach­mitt­lerin mit den Fach­ge­bie­ten Wirtschaft, Politik, Soziales und Kultur.

Hier in kurzen Schlaglichtern der schon länger angekündigte Rückblick auf unsere Delegationswoche Ende Oktober/Anfang November.

Dolmetscherinnen im Rückspiegel * Dolmetschkoffer * Rathauskeller * abendlicher StraßenverkehrDie Reisenden verbrachten nach dem An­rei­se­sams­tag einen ruhigen Sonntag in Berlin und durften ne­­ben der Überwindung des Jetlags auch ein wenig Berlin entdecken. In den Folgetagen gab es al­ler­dings keine Zeit für Tourismus. For­schungs­rei­sen, die mit Geldern der öffentlichen Hand fi­nan­ziert werden, haben ja auch keine Orts­er­kun­dun­gen zum Gegenstand, es sei denn, Ar­chi­tek­ten und Ur­ba­nisten sind unterwegs.

Also taten wir, was wir konnten, um unseren Gästen einen Eindruck von Berlin zu vermitteln. Die Terminkalender unserer Gesprächspartner machten wiederholte Durchquerungen Berlins nötig. Ko-Kabine Isabelle und ich lieben beide Berlin und interessieren uns für Geschichte.

Also erzählten wir "unsere" Stadt, erklärten Wen­de- und Nach­wendezeit, wiesen auf Bauwerke hin, brachten Hintergrund, stellten Verbindungen her. Dazu nahmen wir spätestens ab dem 2. Tag im Reisebus auf den Klappsitzen der "Stadt­bild­er­klä­rer" Platz, wie Reiseführer auf Ostdeutsch hießen. Uns hat es Spaß gemacht (wenngleich wir diese Fahrten dann nicht für Kurzschlafphasen nutzen konnten), den Gästen auch.

Einer der Gäste kommentierte am Ende: "Ich wäre am liebsten gar nicht mehr aus dem Reisebus aus­ge­stiegen."

Versalzene Tomatensuppe im Rathauskeller! Die Dol­met­scherkollegin erklärte das deutsche Sprich­wort, dem zufolge bei zu stark gesalzenen Speisen der Koch verliebt sei. Ich allerdings hätte die Sache gerne reklamiert, machte Anstalten, die Bedienung herbeizuwinken. Die Referentin eines hohen neukaledonischen Beamten sah mich er­schrocken an: "Nein, auf keinen Fall ...!" Ich beugte mich den Gepflogenheiten unserer Gäste, wir Dol­met­scher­in­nen sind ja nur Sprach­rohr.

Plötzlich ist mir peinlich, dass ich eben durch ener­gi­sches Bestellen einer "heißen Zitrone" auf­ge­fal­len war. Dem Kellner hatte man wohl ver­bo­ten: "Das haben wir nicht!" zu sagen. Er meinte: "Ich kann Ihnen Cola oder Saft anbieten oder Kaffee!"


Ich sagte darauf: "Ich bin leicht erkältet ..." und erklärte, wie eine heiße Zitrone 'gebaut' wird. Der Kellner wiederholte seine Worte. Ich darauf: "Dann nichts." Wenig später geschah ein Wunder: Das Wunschgetränk wurde doch serviert; ja, es hat geholfen, mich fit zu halten.

Das Moment ist aufschreibenswert, leben wir Dolmetscher doch davon, dass wir spontan sprechen und dass sich unsere Selbstzensur in den Bereichen Wortwahl und grammatikalische Richtigkeit abarbeitet. Sich in Anwesenheit weitgereister Gäste nicht danebenzubenehmen, ist manchmal gar nicht so einfach.


Mikro und Menschen drinnen // Menschen draußenEinmal standen wir im "Lernladen" Neuköllns, hier können sich in einem Ladengeschäft Ju­gend­li­che und Erwachsene in Sachen Aus- und Fortbildung beraten lassen. Der Raum war klein, die meisten mussten draußen warten. Wir spra­chen leise ... und als Fragen gestellt wurden, hielt ich das Mikro dem Fragenden hin, dol­metsch­te eben diese Frage anschließend kon­se­ku­tiv für unsere Gastgeber. Warum? Damit die Drau­ßen­ste­hen­den nicht nur die Antwort zu hören be­kam­en. Parallel zum Dolmetschen griff ich schnell noch zum Fotoapparat ...

Dann verließen wir den Raum und zogen in ei­nen Konferenzraum um, denn niemand wollte laufende Beratungen stören.

 

POV Dolmetschertisch * Nüsse und TrockenfrüchteEs gab ein kurzes Tagungsprogramm sowie ein dickes Bändchen mit allen Ortsangaben, ge­nau­en Zeiten und sonstigen Pla­nungs­be­stand­tei­len. Auf unsere Frage nach Extrawünschen hatte ich Wochen zuvor etwas von "Stu­den­ten­fut­ter" ge­mur­melt. Der dicke Leitfaden war auf Eng­lisch. Al­so zogen sich "nuts and dried fruits" durch die Woche. Zurückübersetzt wurde das al­ler­dings nie.
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Unsere Reisenden waren immer mit dem Roll­kof­fer unterwegs, darin befanden sich Pros­pek­te und Gastgeschenke, Handgemachtes aus Neu­ka­le­do­nien, Salz im Schmuckfass, Stoff­taschen, Bild­bände und Schirmmützen.

Gastgeschenke * herbstlich dekorierter KonferenztischAlle Gesprächspartner wurden beschenkt. So überreichte der Arbeitsminister Neu­ka­le­do­niens einem Mitarbeiter einer Berliner Se­na­to­rin einen bebilderten Tisch­ka­len­der für das Jahr 2014, eine Schirmmütze sowie Prospekte. Der deutsche Beamte berichtete daraufhin trocken, dass er persönlich keine Geschenke annehmen dürfe. Er werde seiner Ministerin aber davon berichten, die Geste sei es ja, die zähle, die Sachen würden dann bei einer Ge­schen­ke­sam­melstelle abgegeben, die wie­derum über ihre Verwendung zu ent­schei­den hätte.

Als er diese Worte vernahm, sah der neu­ka­le­do­ni­sche Minister gar nicht glücklich aus.

Hinweisschild "Delegation Neukaledonien" * Gäste in NeuköllnEr sagte einige Worte zur traditionellen Gast­freund­schaft seines Landes und seiner tribu (sei­nes Stammes), der deutsche Beamte ver­such­te daraufhin mutig, die etwas be­klom­me­ne Stim­mung wegzuparlieren. Das gelang indes einem Dritten, einem französischen Staats­be­am­ten, der in dem fernen Inselparadies arbeitet. Geistesgegenwärtig meinte er, dass es sich bei den Sachen ohnehin nur um "In­for­ma­tions­ma­te­ri­al" handeln würde, vielleicht seien hier die Re­geln nicht so streng. Der Se­nats­be­am­te setzte flugs sein Informationsmaterial auf den Kopf, lüftete es wenig später und verabschiedete sich.

Die ab Werk zugenähten Jackentaschen meiner Winteranzüge hatte ich nie geöffnet, das war einst der Tipp meiner Sprecherziehungslehrerin, und der geht so: "Wer keine Anzugjackentaschen hat, kann auch vor Verlegenheit seine Hände darin nicht vergraben." Ich musste das allerdings ändern und griff zur Schere, denn bei De­le­ga­tions­rei­sen müssen immer Ersatzakkus für die Empfangsgeräte dabei sein. Komisch, habe ich immer nur im Sommer Delegationen begleitet?


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Fotos: C.E.
Andere Einträge
zum Thema: Muskelkater,
Lacher, müde, Nachbereitung

Sonntag, 10. November 2013

Denkorgan

Will­­kom­­men auf den Sei­­ten ei­­ner Dol­­met­­scher­in für die fran­­zö­­si­sche Spra­che (und aus dem Eng­li­schen). Hier denke ich über den Arbeits­all­tag in der Ka­bi­ne und am Über­­setzer­schreib­tisch nach. Zeit für das Sonntagsbild!

Bunt gefüllte Gläser auf gestreiftem Tablett ...
Mein heutiges Sonntagsbild entstand vor zwei Ta­gen, der Anlass ist aber länger her. Am Freitag, dem 1. November, kam ich am späten Nach­mittag vom Dolmetscheinsatz. Ich schlief fast im Gehen. Wir hatten fünf Tage lang eine ausländische Delegation be­glei­tet und waren dabei nicht ganz auf die er­for­der­li­chen Schlafmengen ge­kom­men.
Ich nahm alles überscharf war. Zwei Aben­de zuvor hatte ich bereits eine be­son­de­re Er­fah­rung gemacht. Überdreht lag ich im Bett. Der Körper schrie nach Ruhe, der Geist war hellwach. Anstatt ruhig weg­zu­däm­mern, erlebte ich (nicht ohne eine fast wissenschaftliche Neugier) eine REM-Phase im Wachzustand.

Ich konnte beobachten, wie alles absurd wurde, spürte meine Augen in Bewegung, wollte mich nicht mehr bewegen. Das Ganze dauerte ca. zehn Minuten, dann war ich wieder 'wacher' ... und konnte erst 1,5 Stunden später einschlafen.

An jenem Freitag also kam ich am späten Nachmittag nach Hause. Bei mir um die Ecke findet dienstags und freitags immer der Wochenmarkt statt. Plötzlich durch­zog ein Schauer meinen Körper. Es war ein wohliges Gefühl. Ich spürte etwas Pas­to­ses, Süßes, fühlte dem Zuckerschock im Hirn nach, etwa in der Nähe des Hin­ter­haupts­lochs saß etwas, das eine andere Form von Müdigkeit ausstrahlte. Mein Geist fragte sich, was das zu bedeuten habe, dachte an den Gemüse- und den Brot­stand der Ufa-Fabrik, den Käsemann und den Quarkwagen. Aber nichts passte zu dem Gefühl. Die genannten Kaufstellen besuche ich seit vielen Jahren.

Jünger ist ein anderer Stand, und blizartig war mit dem Bild eines gekrönten Bauch­na­bel­bä­ren die Erkenntnis da: An den Stand mit dulce de leche (Milchcreme) und Aro­ma­ho­ni­gen, dem Stehtisch mit Knäckebrot zum Probieren hatte sich der Kör­per er­in­nert, und zwar lange, bevor ein Bild da war ... und noch viel länger, bevor ein Wort hinzukam. Die mir selbst gestellte Frage: In welcher Sprache findet mein in­ner­er Monolog am häufigsten statt, auf Französisch oder auf Deutsch?, findet hier eine klare und überraschende Antwort: In der Körpersprache.

Der Ausgangspunkt meines Textes, die Müdigkeit und ihre Folgen, ist bitte nicht als Beschwerde zu lesen, ich beschreibe nur. Wenn das Arbeitspensum unserer Kunden hoch ist, folgen wir so gut wir können. Ausschlafen können wir ja, wenn sie wieder abgereist sind.

Und ohne diese mitunter extrem anmutenden Arbeitsphasen wäre ich um einige Erfahrungen ärmer.

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Foto: C.E.
Kaiser-Honige und -Milchcremes: hier.

Samstag, 9. November 2013

Paris, Reichtum, Allmende

Will­kom­men auf mei­nen Blog­sei­ten! Ich dol­met­sche und über­setze, lebe mit und in den Sprachen. Samstags poste ich hier, was mir in der vergangenen Woche auf­ge­fal­len ist. Den Link der Woche gibt's heute wieder im Plural.

Eine Augen- und Zeitreise ins Paris vom Anfang des 20. Jahrhunderts lässt sich über le journal du siècle unternehmen. Sehr seltene Aufnahmen sind hier zu sehen — und sie sind in Farbe! Sie entstanden mit der autochrome-Methode der Gebrüder Lumière, einer Methode, die sich Auguste und Louis Lumière 1903 patentieren ließen. Die Autochrom-Platte ermöglichte Farbaufnahmen dank winziger Kar­tof­fel­stär­ke­par­ti­keln. Die Methode war derart einfach, dass es ab 1907 Autochrom-Platten für jedermann zu kaufen gab.

Balkon und Vorgarten mit Töpfen und Beeten, das ganze durch ein umranktes Tor hindurch fotografiert.
Grün in Schöneberg
Die Bilder stammen ursprünglich aus dem Haus des Bankiers Albert Kahn in Bou­log­ne-Billancourt, einem der europäischen Fotografie- und Filmpioniere, der auch ein beachtlicher Gartenliebhaber war. Leider kann die Webseite, über die viele der Bil­der noch Anfang des Jahres zu betrachten waren, nicht mehr aufgerufen werden (www.paris1914.com). Liegt es daran, dass die BBC einen Bildband mit Werken aus der Sammlung des Fotografen ver­öf­fent­licht hat?

(Vielleicht wird ja der Film "L'insaisissable Albert Kahn" von Robin Hunzinger über AK mal wieder gezeigt, ich poste hier dann einen Link.)

Wir reisen weiter in Zeit und Raum. In den USA wurden Studien darüber gemacht, ob und dass Reiche rücksichtsloser sind, öfter Gesetze übertreten als weniger Wohl­ha­ben­de, sich am Eigentum der anderen ohne Reue bedienen. Sehr span­nend: www.truthseekerdaily.com: Take two 'normal' people, add money to just one of them, and watch what happens next. Der weltbeste Patensohn versteht den Film leider noch nicht, sonst wüsste er jetzt, warum ich mich bei "Monopoly" im­mer gelangweilt habe (und mich dem Spiel verweigere).

Zurück nach Berlin. Kleinräumiges und solidarisches Wirtschaften mit Blick auf das Gemeinwohl sowie Allmende sind wichtige Begriffe einer nachhaltigen, wis­sens­ba­sier­ten und von Respekt gegenüber Mitmenschen und Natur geprägten Zu­kunft. Im Prinzessinnengarten am Moritzplatz wird in diese Richtung gearbeitet und geforscht. Diese Woche habe ich den Blog mit Links zu vielen anderen urban gardening-Beispielen entdeckt: www.prinzessinnengarten.net.

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Foto: C.E. (August in Schöneberg)

Donnerstag, 7. November 2013

Nachbereitung

Will­kom­­men auf den Sei­­ten einer Ber­­li­ner Sprach­­ar­bei­ter­in. Ich dol­­met­sche aus dem Deut­schen, Fran­­zö­­si­schen und Eng­lischen. Die gesamte letzte Woche waren eine Kol­le­gin und ich mit einer Delegation aus Neukaledonien in Berlin und Pots­dam un­terwegs. Was danach geschah ... 

Hand, Kugelschreiber, Ring: Terminologieliste und Notizen mit Kürzeln und Pfeilen.
Die Müdigkeitsbugwelle ebbt langsam ab. Es ist wie jedes Mal: Zunächst bleibt un­ser­ei­ner hyperaktiv, zwischendurch rettet uns tiefer Schlaf, dann kommt die Phase der |Blödheit| mentalen Dumpfheit, am Ende taucht der Geist wieder auf.

Jetzt steht die Nachbereitung an. Wir hat­ten es in den fünf Tagen mit ca. 20 Power­Point­Prä­sentationen und Infoblättern zu tun, es waren auch "nur" rund 20 Ein­zel­ter­mi­ne, die sich oft nicht voneinander un­ter­scheiden ließen, da mancher Redner zwei Vorträge gehalten und Diskussionen ge­lei­tet hat. Weiteres Hintergrundmaterial er­stellten wir zum Teil en passant.

Eine vergleichende Übersicht über die Bezeichnung der Schulklassen in Frankreich und Deutschland und das jeweilige Schüleralter veröffentliche ich hier nächste Woche zum freien Download.

In Vorbereitung der Delegationsreise erreichten uns zehn Präsentationen eine knap­­pe Woche im Voraus, einige wurden von einem Mitveranstalter ins Fran­zö­si­sche übertragen, weitere Dokumente flatterten uns erst am Vorabend von Ter­mi­nen ins Mail­post­fach. Die allerletzten trage ich jetzt für den Kongressband zu­sam­men. Wir zählen aus, was wir übersetzt haben, schreiben die Rechnung sowie ei­nen Kosten­vor­an­schlag für den nächsten Schritt. Das Büro belebt sich wieder.

Wir lernen aus jedem Projekt. Dieses Mal reichte die Zeit nicht dafür aus, dass wir zwei Dolmetscherinnen, die die Woche begleitet haben, auch alle Unterlagen hät­ten eigenhändig übersetzen können. Also waren wir zu viert. Wir arbeiteten Hand in Hand, be­ob­ach­teten aber gewisse Reibungsverluste, die auch durch nicht immer kompatible Software ausgelöst wurden.

Wir werten unsere Schwachstellen aus. Dieser Tage schreibe ich jetzt einen für das ganze Team verbindlichen Leitfaden zur Benennung der Dokumente, aus denen durch Prä- und Suffixe der jeweilige Bearbeitungsstand hervorgeht. Ich selbst ar­beite schon lange so, hoffte bislang immer darauf, dass das Beispiel abfärben mö­ge. Aber der Stress ist oft so groß, dass derlei ohne eine klare An­lei­tung nicht von allein geschieht. (Das System werde ich hier vor- bzw. zur Dis­kus­sion stellen. Vielleicht gibt's ja eine bessere Lösung als das, was wir planen.)

Was noch ansteht: Nachbereitung der letzten Begriffe. Der nächste Einsatz zum Thema folgt bestimmt. Wir tauschen uns aus, lesen jeweils die Eintragungen der anderen gegen, das Glossar wird nicht nur länger, sondern auch bunter. 

Ansonsten durfte ich als "Kabinenchefin" dafür Lob ernten, wie freundlich und zu­vor­kommend mit uns umgegangen wurde, denn ich war für den Kontakt zum Kun­den zuständig. 50 % der Präsentationen vorab zu erhalten, die hier 80 % aller Sei­ten entsprachen, war ein guter Schnitt. Dieses Lob gebe ich gerne an die Ver­an­stal­ter weiter. (Besonders an Euch, Sabine und Anastasie!)

Kaffee- und Kuchentafel hinter herbstlichem BlumenbouquetAußerdem wurden wir regelmäßig mit brain food versorgt und um unser Befinden wa­ren die Organisatoren ständig besorgt. Wir sind Dienstleister, das Wort "dienen" steckt im Wort; unsere Arbeitsleistung aber steht und fällt mit den Rah­men­be­din­gun­gen. Hier müssen wir vorab immer Auf­klä­rungs­ar­beit leisten, dieses Mal hat es geklappt. Ein kurzes Memo für Kunden zu Über­setzungs­vo­lu­mi­na, ter­mi­no­lo­gischer Arbeit und Briefing über die Ziele der "Mission", wie unsere Einsätze im politischen Feld heißen, wird auch noch abfallen.

Wir werden es Anfang 2014 in drei Spra­chen auf unserer Webseite veröffentlichen.


P.S.: Computer können in drei Jahren abgeschrieben werden. Schneller, als es die Steuerbehörden vorsehen, erleben wir, dass Softwareprodukte nicht mehr un­ter­ein­an­der kompatibel sind. Ich spreche über einen 2,5 Jahre |alten| jungen Com­pu­ter. Den Vorgängerrechner mit seinen logiciels ("Software" auf Deutsch) hatte ich noch fünf Jahre in Benutzung.
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Fotos: C.E.

Mittwoch, 6. November 2013

Mundmuskelkater

Hal­lo beim Blog ei­ner Dol­met­scher­in und Über­setz­er­in! Hier können Sie mehr über unsere Arbeit erfahren. Derzeit kuriere ich mich von einem einwöchigen Einsatz aus.

Eine Schweizer Schauspielerin, die in Berlin lebt und perfekt Hochdeutsch spricht, berichtet immer wieder von Muskelkater im Mundbereich, wenn sie urlaubshalber in die Schweiz zurückkehrt

Sprechender Kopf vor Dolmetscherschaltpult und etwas, das wie ein Monitor aussieht, es ist aber die Berlinale-LeinwandWenn ich nach Marathoneinsätzen pro­be­hal­ber die Klappe aufreiße, spüre ich müde Muskeln. Es gibt dann einen Wi­der­stand, Trägheit, leicht ziehenden Schmerz. Überhaupt verfalle ich nach großsprecherischen Momenten (wie der letzten Woche) gerne ins Schweigen.

Wer mich kennt, weiß, dass das etwas Besonderes ist.

Ich neige sonst zur Gesprächigkeit; andersrum gesprochen: Ich habe das Glück, meine größte Schwäche zum Beruf gemacht zu haben.

Und ich lerne auch die Tugenden des bewussten Schweigens. Manche Abgründe habe ich in Gesprächen in letzter Zeit nur noch angedeutet, zum Beispiel, wenn man direkt auf die liebe Agenturkonkurrenz oder Platzhirsche angesprochen wird. Da sind knappe Worte mit anschließendem Schweigen wirksamer, wie ich neulich erfahren durfte. So soll es sein: Lifelong learning.

Aber das machen wir ja ohnehin ständig. Dolmetschen ist ein Beruf für Lern­jun­kies, die am liebsten stunden- und tagelang in der Studierstube sitzen. So gesehen ist die anschließende Gesprächigkeit nur Nachholen von nicht­ge­spro­chen­en Wör­tern. Oder das Schweigen nach Großeinsätzen. So, jetzt halte ich die Klappe, um den Muskelkater auszukurieren. Und lerne weiter. Nach dem Job ist vor dem Job.

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Foto: privat (Archiv/Berlinale)

Dienstag, 5. November 2013

Tipp

Guten Tag/Morgen/Mittag/Abend. Hier bloggt eine Dolmetscherin, derzeit aus dem Post-Dolmetsch-Tief.

Heute kommt hier nur der eilige TV-Tipp, unbedingt vor heute Abend ansehen: "Der große Reibach", sehr eindrucksvoller Film übers Finanzsystem auf arte: klick! (Der Film ist leider nur noch bis heute Abend online.)

Und ich eile in die Pressevorführung, französischsprachiges Kino. Und falls ich einpennen sollte: "Im Kino schlafen heißt dem Film vertrauen." Jean-Luc Godard

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Fotos: C.E.

Montag, 4. November 2013

Schwebezustand

Bonjour ! Schön, dass Sie mein Blog an­ge­steu­ert (oder die Sei­ten abon­niert) ha­ben! Hier schrei­be ich über den wechsel­vol­len All­tag von uns Sprach­mittlern. Als Über­­setzerin und Dol­met­scherin für die fran­zö­si­sche Sprache arbeite ich zum Beispiel in Berlin ... für die Bereiche Medien, Wirtschaft, Politik und Soziales.

Den Titel des heutigen Blogposts musste ich erst im Wörterbuch nachschlagen. In einem sonst auf Deutsch gedachten Satz schwamm plötzlich das Wort flotter he­rum, das schweben, flattern, fliegen, schwimmen usw. bedeutet. Für deutsche Au­gen schwingt hier das Wörtchen "flott" mit, eventuelle etymologische Zu­sam­men­hän­ge kann mein müdes Zentralorgan derzeit nicht einmal erahnen.
Ich schwebe!

Geldablageschale meiner Reinigung mit der Aufschrift: "Pep und Schwung durch Reinigung"
heute würde hier "Pepp & Schwung" stehen
Nach einem Einsatz von fünf Tagen plus drei kurzen Abend­schich­ten bin ich hundemüde; es ist diese Müdigkeit, bei der Übel­keit hinzukommt. Ich habe erstmal 14 Stunden tief ge­schla­fen. Da ich sonst leicht und kurz schlafe, ist das eine kleine Sen­sa­tion. Dann waren 20 Schuh­paare aus dem Woh­nungs­ein­gang wieder in den Schuh­schrank umzuziehen. Ich muss grinsen: Die Fußbekleidung hatte also auch ihre Konferenz.

Müde bin ich auch noch heute, Montag. Immerhin fällt mir am Blogeintrag vom Samstag etwas auf. Ich hatte geschrieben: "... in den Büros der Hersteller ...". Die Augen stoppten. "Des Herstellers" müsste es wohl auf Deutsch heißen, dachte ich, aber mein Sprachgefühl, das sich nach den Anstrengungen ein wenig zwischen den Sprachen ausruht, vermied das sehr typisch deutsche, so scharf zischende Ge­ni­tiv-S. Und überhaupt, in der Reihung im Originalsatz mit dem "S" von "Büros"? Ach, die gehören ja auch ins Singular, schwant es mir.

Les bureaux ist typisch Französisch, fragen Sie mich jetzt bitte bloß nicht warum. Der Pflegeproduktproduzent der besonderen Hautcreme wird über mehrere Büros verfügen, sicher, aber ich kenne auch geistige Tagelöhner und sonstige Krauter in Frankreich, die wie ich selbst auf Französisch über nos bureaux oder mes bureaux sprechen. Auch hier habe ich heute nicht die mindeste Ahnung davon, weshalb das so ist.

Also:
— "in den Büros der Hersteller" steht unter französischem Einfluss, und
— "im Büro des Herstellers" ist zweifelsfrei die say it deutscher-Variante.

Der Kopf trudelt dieser Tage zwischen den Idiomen hin und her. Der geistige Schwimmzustand wird auch durch das ausgemacht feuchte Wetter befördert. Es dauerregnet. Il pleut, la ville pleure le départ de la délégation. Es regnet, die Stadt beweint die Abreise der Delegationsgruppe. So ein intensiver Einsatz kann unsereinen schon mal melancholisch werden lassen. Jeden Tag 200 % geben und dann plötzlich nichts mehr, da droht das Premierenloch, wie das im Theater heißen würde.

Um da nicht reinzufallen, sind Routinen wichtig. Blogposts schreiben zum Bei­spiel. Freunde sehen. Zu Pressevorführungen französischer Filme gehen. Lesen. Auf­räu­men, zur Reinigung, zur Schneiderin. In Ruhe kochen und essen. Kurz: Nach­tanken in jeder Form.

Die Woche hat mich drei Kilo gekostet. OK, ich hatte sie vorrätig, das ist keine Beschwerde, nur eine Feststellung. Ich habe in der Woche stets gut gegessen, oft zwei Desserts, ich kenn' das Spiel schon. Die Taschen haben wir bei solchen Mo­men­ten zudem immer voller Fruchtschnitten und Nüsse. Wir können gar nicht so viele Kalorien nachfuttern, wie wir verheizen. Eine Berlinale mit guter Auslastung kostet mich fünf Kilo. Alles im grünen Bereich. Ich setze mich jetzt aufs Sofa, den Dolmetschkater streicheln.

Dann langsam weiter. Sehr langsam. Und planen, was ich hier über die letzte Wo­che berichte. A demain, liebe Leser, bis morgen, so Sie möchten, si vous le voulez bien.

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Foto: C.E.

Sonntag, 3. November 2013

Weltreise vor der Haustür

Hallo! Sie sind auf einer Blog­seite ge­lan­det, hier geht es um Übersetzen und Dol­­met­schen Deutsch Fran­zö­sisch in Ber­­lin, Pa­ris, Leip­zig, Köln und an­ders­wo. Sonntags werde ich privat: Zeit für Sonntagsfotos.

Samstag um 13 Uhr und 52 Minuten gelangte ich zu lokaler Berühmtheit. Nach einem ver­träumten Morgen zog es mich auf den Kunst­markt "Neuköllner Stoff" am May­bach­ufer, wenige Hausnummern von meiner Woh­nung entfernt. Dort habe ich zunächst ein "Zen­wich" verspeist, mir dazu ein Glas Fe­der­­wei­ßer in der "Maybar" genehmigt, bevor ich diesen trüben, aber milden No­vem­ber­sams­tag zum Einkaufsbummel nutzte.

"Wir Dolmetscher denken mit dem Rücken­mark", sagte einmal der Wis­sen­schaf­tler und Dolmetscherkollege Vincent von Wroblewsky. Will sagen: Unsere Gedanken sind schnell, das Sprechen oft automatisch, ge­wis­ser­ma­ßen als Teil der vitalen Funktionen, be­son­ders nach einem mehrtätigen Einsatz ist der Kopf oft noch "auf Sendung". Ich flanierte also an einem Kuchenstand vorbei, auf dem Back­wa­ren aus Italien, Argentinien, Spanien und di­ver­sen anderen Ländern auf Schönste feil­ge­bo­ten wurden.
Und vor den Anbieterinnen kommentierte ich, was ich sah: "Ah, eine Weltreise in Ku­chen­form"!

Stoff, Knöpfe, Reißverschlüsse und ein Schild: "Wer klaut, stirbt!"Schweigen. Dann fingen plötzlich alle gleichzeitig an zu sprechen. Aus dem Stimmengewirr heraus konnte ich die Worte "das ist unser Slogan!" deut­lich wahrnehmen. Die Sprecherin hatte einen fran­zö­si­schen Akzent. Ich schaltete um.

Und erfuhr, dass es bei mir um die Ecke ein neues Café und Bistrot gibt, MISU & MUSI, und dass ich das Konzept der Bistroterweiterung bzw. der Ku­chen­ta­fel auf dem Kunst­markt intuitiv erfasst hatte. Meine Worte durfte ich gleich in großen Lettern verewigen, wurde auch dazu angehalten, das Schild zu signieren — und erhielt mein Ho­no­rar fürs Untertitelerfinden in Form einer kleinen Kuchenmahlzeit. Da musste ich dann doch einmal kräftig grinsen, war es doch der zweite Slogan binnen 14 Tagen, den ich mal eben so raus­ge­hau­en habe (und mit dem ich spontan mit Es­sens­ein­la­dungen honoriert werde. Gruß nach HH).

Wenige Stände davon entfernt konnte ich gleich weiter Französisch parlieren. Hier wurden Hosen ver­kauft, die eine Französin zwar nicht in Berlin, aber immerhin in Europa fertigen lässt. Außerdem spannend: Das Fahrrad aus Bambus made in Ber­lin.

Hosenanprobe Einige Stände weiter: Chido's mushrooms, der Pilz­gar­ten auf Kaffeesatz, den "blue eco­no­my"-Prin­zi­pien getreu, dieses Projekt stammt aus dem nahen Bezirk Schöneberg. Der Markt bietet neben den "Fressbuden" eine schöne Mischung aus Kunst­hand­werk, überwiegend lokaler Textilindustrie und un­ver­näh­ter Meterware an.
Für ein neues Kostüm fand ich einen wun­der­schö­nen, maschinenwaschbaren Wollstoff, die Knöpfe gab's gleich nebenan. In der Nachbarschaft wurde fair trade-Kleidung aus der 3. Welt feilgeboten, in diesem Kontext muss ich die Wollsachen aus Al­paca rühmen.

Dann landete ich noch bei einem meiner Lieblingsstände, der Filzpapeterie. "Neu­köll­ner Stoff" sei Dank, ich konnte schon am 2. November die ersten Weih­nachts­ge­schen­ke kaufen. Lieber so, als dass es am Ende in Stress ausartet. Ich ent­stam­me einer großen, kinderreichen Sippe, dazu gibt es viele Wahl­ver­wandte und Freun­de, die zu Jahresende bedacht sein wollen.

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Fotos: C.E.

Samstag, 2. November 2013

zum Schmieren

Hallo! Zu­fäl­lig oder ab­sicht­lich le­sen Sie in mei­nem vir­­tu­­el­­len Ar­beits­­ta­­ge­­buch. Ich ar­bei­te in Paris, Ber­lin und an­ders­wo als Sprach­mitt­lerin mit den Fach­ge­bie­ten Wirtschaft, Politik, Soziales und Kultur. Samstags folgt hier immer mein Link der Woche.

"Das kannste Dir in die Haare schmieren!" habe ich irgendwann in den 1990-er Jahren zum ersten Mal als saloppe Redewendung für "vergiss' es" vernommen. Für die Nicht-Muttersprachler unter uns: Beides meint, dass etwas nie eintreten wird, dass es vergeblich ist, auf etwas zu hoffen.

Um mal wieder anderen Stoff für meine Kolumnen zu haben, hoffe ich als blog­gen­de Spracharbeiterin (und ohne jede Schadenfreude) indes manchmal auf kom­mu­ni­ka­ti­ve Super-GAUs, solange wir sie nicht selbst produzieren. (Die Welt von Sprache und Diplomatie ist oft rutschig genug, nicht selten schlittern wir selbst am einen oder an­de­ren verbalen "größten anzunehmenden Unfall" (GAU) vorbei. Ein Beispiel für eine solche Situation beschrieb ich bereits, es war bei der Eröffnung eines Se­mi­nars zu Marguerite Duras' Schreiben. Ein anderes Beispiel erzähle ich in einigen Mo­na­ten, wenn sich die Aufregegung gelegt hat.)

www.LaMer.deHeute sandte mir eine frühere Kollegin ein Foto. Etliche deut­sche Firmen ver­wen­den die Spra­che Molières, um ihre Geschäfte anzukurbeln. |Arzt und Apo­the­ker| Dol­met­scher und Übersetzer empfehlen in solchen Fällen, eine Fach­frau oder ei­nen Fach­mann in Sa­chen Sprache hin­zu­zu­zie­hen, denn die Gefahren sind doch deren viele.

Vom Haargeel (oder auch nicht, siehe oben) zur Hautcreme: Ein deutscher Hersteller pflegender Substanzen hat sich einen fran­zö­sichen Namen ausgesucht, la mer, das ist die Sorte Creme, bei der ich mit einer leichten Neu­ro­der­mi­tis aufhorche. Aber nicht deshalb schreibe ich hier heute darüber. Wer in unseren Tagen an den Markt geht, braucht auch eine Webseite. Und die Endung für Deutschland lautet nun ein­mal auf .de ...

So weit, so gut. Das Unternehmen ging online, aber ohne vorherige Beratung durch die oben erwähnten Fachkräfte. Den Namen der gewählten Domain entnehmen Sie bitte der Werbung ...

Französische Leser, die den Punkt elegant überlesen, erkennen darin eine Sub­s­tanz, die sich garantiert niemand weder in die Haare noch auf die trockene Haut schmieren würde. Wir haben täglich mit ihr zu tun und freuen uns, wenn wir sie reibungslos hinter/unter uns lassen können. Der Begriff ist weder "tantenfein", wie das in mei­nen Kindertagen hieß, noch eigentlich bühnenfein. Alfred Jarry schmug­gelte ihn dennoch auf die berühmten Bretter, ein zusätzliches "R" sorgte für Ver­frem­dung, trotzdem löste einst der Ausruf des schimpfenden Königs Ubu, der ein merdre ! raus­don­ner­te als wäre es ein Produkt seiner Peristaltik, bei der Ur­auf­füh­rung minutenlange Tumulte aus. (Auf Deutsch wird das gerne mit "Schreiße" wie­der­ge­ge­ben.)

Sowas in der Preislage wird schlussendlich auch im Büro des Herstellers dieser Hautpflegesubstanz zu hören gewesen sein. Die Seite, die in der Frauenzeitschrift angegeben worden war, ist nicht mehr online, es wird automatisch weitergeleitet auf www.cremedelamer.de. Ein wenig besser ist das schon, ja, aber warum nicht die Endung .org oder etwas anderes wählen?

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Foto: Hélène Kohl (merci pour la photo !)
Das Bild, in einem 2. Fenster aufgerufen,
lässt sich vergrößern.

Freitag, 1. November 2013

Müde Erlköniginnen

Will­kom­men bei mei­nem Ar­beits­ta­ge­buch, das in der Dol­met­scher­ka­bi­ne entsteht. Es gibt aber Tage und Wochen, da sitzen wir gar nicht in der Kabine, sondern mit­ten im Raum, denn unsere Zielgruppe befindet sich auf Studienreise. So war es diese Woche.

Freitag, letzter Tag einer Delegationsreise, die wir begleiten und verdolmetschen durf­ten. Die Gäste aus Neukaledonien reisten im Rahmen des Europäischen So­zial­di­a­logs nach Berlin; sie kamen her, um die deut­sche Arbeitsmarktpolitik näher ken­nen­zu­ler­nen.

Wir sind zentral untergebracht. Da die Ur­sprün­ge meiner Arbeit in den Bereichen Theater und Kino liegen, ist natürlich die­ses Foto für mich symbolisch. An der Stel­le, an der wir heute tagen, befanden sich in der DDR eine Grünfläche samt kleiner Galerie, die in einem einstöckigen Ge­bäu­de un­ter­ge­bracht war.

Fünf Tage mit einer knapp 30-köpfigen Grup­pe, gefühlte 20 Termine (ich zähle nächste Woche in Ruhe nach und berichte ge­nau­er), etliche Fahrten mit dem Rei­se­bus quer durch die City, viele Power­Point­Prä­sen­ta­tio­nen, manche kamen erst am Vortag rein, und spannende Gespräche, diese Art von Aufträgen lieben wir Dol­met­scher­in­nen, weil wir zusammen mit un­se­ren Kunden Themen vertiefen dürfen.

Am Ende wird die Sache allerdings zur Kno­chen­arbeit, was leider auch am Raum liegt. In Berlin kenne ich leider noch kein aus Sprach­mittlersicht ideales Hotel. (Wer es gefunden hat: bitte mitteilen!)

Hier war der erste Konferenzraum fen­ster­los, im zweiten steht der Dol­met­scher­tisch direkt unter einer besonders aktiven Kli­ma­an­la­gen­düse. Wir fühlen uns wie Autos, die auf Windschnittigkeit getestet werden sol­len, sind müde Erlköniginnen!

Ich bin besonders matt. An zwei Abenden hatten wir nach dem Dolmetschen noch Material übersetzt, das ging auf Kosten des Schlafs. Zum besseren Entspannen eilte ich am vorletzten Abend in die Sauna. Erst hinterher erfuhr ich, dass Schwitzen die Denkschnelligkeit mindert (bzw. den IQ). Leider blitzt mir dieser Gedanke heute beim Sprechen durchs leicht wattöse Hirn.

Merke: Sauna immer erst dann, wenn die Delegation wieder im Flugzeug sitzt.

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Fotos: C.E.
P.S.: Danke ans Hotel für die Gelegenheit,
die Sauna zu testen!