Mittwoch, 9. Januar 2008

Berlinale-Dolmetscher

Waren Sie schon einmal in Osteuropa, zum Beispiel in Masuren an einem nasskalten Juniabend? Wo der Wald dunkler ist als anderswo, der Horizont größer, die Besiedelung dünner und Sie mit Freuden entdeckt haben, einen Fernseher in der Ferienwohnung zu haben?

Dann haben Sie Filme gesehen, die nach Osteuropa importiert und die für das polnische Publikum übersprochen worden sind. Ich schreibe hier nicht über Synchronisierung (meine schon gar nicht das wunderbare Wort Lippensynchronizität), sondern einfach über eine Stimme, männlich oder weiblich, die alle Rollen spricht. Das wirkt für die Zuhörer am Anfang ziemlich irritierend, vor allem, weil das Original akustisch darunter "hervorscheint". Mit der Zeit, so die Ergebnisse kleiner, nicht repräsentativer Befragungen, lege sich das mit der Irritation.

Für Wettbewerbsfilme großer Festivals arbeiten wir genauso. Berlinale-Verdolmetschung bedeutet Ausdauer und Nervenstärke - auch für uns am Mikrophon.

Parallel zum Film sprechen wir die Filme simultan ein, das ist eine Art "Dolmetschen vom Blatt", wobei der Ausgangstext in einer anderen als der gesprochenen Sprache ist. Beispiel: "Yella" von Christian Petzold, die Untertitel des Films sind auf Englisch, und ich sitze in einer kleinen Kabine im fünften Stock des Berlinale-Palasts. Zuhörer, die schlecht oder gar kein Deutsch und Englisch verstehen, hören dann die französische Übersetzung per Kopfhörer.

Das ist alles nicht so einfach. Die Zeit drängt, wir bekommen nur selten vorab Gelegenheit, den Film zu sehen. Und unsere Texte, Dialoglisten oder der Ausdruck der Untertitel, geben keine Auskunft darüber, wer was zu wem in welcher Situation sagt, im Vorfeld ist also Raten angesagt. Dafür haben wir meist einen halben Tag Zeit, uns vorzubereiten: Hintergrund über den Film zu recherchieren, Sequenzen zu durchdenken, Fachtermini nachzuschlagen (einmal musste ich eine halbe Armee rauf und runter mit der jeweiligen Funktion benennen!)

Film geht manchmal Schlag auf Schlag, es gibt Phasen mit wenig Atempausen, die Repliken wurden monatelang entwickelt, verfeinert, geschliffen. Als Hilfsmittel bleiben uns oben in der Dachjuché wenigstens die Untertitel in der jeweils anderen Sprache. Wenn ich das Glück habe und die Berlinale hat mir eine Untertitelliste zur Verfügung gestellt, sehe ich durch die ebenfalls ausgedruckten Zählerstände des Films (sogenannte Time Codes), wann es jeweils eng wird. Dann muss ich kürzen, um Zeit fürs Atmen zu finden. Die Untertitel sind noch für eine Sache gut: zur Orientierung. Vom Lesetext her kenne ich, anders als sonst in der Dolmetscherkabine, die Richtung, die das (Film-)Gespräch nimmt. Ich kann mich also an den Untertiteln orientieren, "sehe" Einsätze, die ich sonst hören würde. Denn normalerweise dolmetschen wir immer das, was wir hören - hier spielt das Lesen und das Sehen eine wichtige Rolle, die Arbeit wird dadurch komplexer, weil (noch) mehr Hinregionen als sonst aktiviert sind. Wir sind danach immer sehr geschlaucht und freuen uns über jede Pause, zum Beispiel wie hier in einer Wohnrauminstallation der Sektion "Internationales Forum des Jungen Films" im Filmhauskeller.

Im Anschluss an die gedolmetschte Pressevorführung findet meist eine Pressekonferenz statt, die übertragen werden will, dann gibt es noch Filmgespräche, Interviews, Juryberatungen und Koproduktionsgespräche, viele Situationen also, zu denen wir angefordert werden. Mehrere Dutzend Dolmetscher arbeiten auf der Berlinale, und die beginnt in weniger als einem Monat.


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Andere Festivalsequenzen hier:
-
Press Junkets
- Interviews dolmetschen
- Das denken manche Regisseure, wenn ihre Filme eingesprochen werden
- Die Kunst der richtigen Sprechhaltung
- So sieht ein Berlinale-Tag aus ...
- Yella (Berlinale-Pressekonferenz)
- Filmgespräch (und was eine Dolmetscherin dabei fühlt)
- Auf der Woche des französischen Films in Berlin
- Pannen beim konsekutiven Filmgespräch

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