Montag, 30. Juni 2025

Synonyme (I)

Hal­lo! Hier le­sen Sie re­gel­mä­ßig Neu­es aus der Dol­met­scher­ka­bi­ne, vom Über­set­zer­schreib­tisch und aus der Welt der Idi­o­me ... völ­lig sub­jek­tiv ge­fil­tert von mir, ei­ner Dol­met­sche­rin und Über­set­ze­rin für die fran­zö­si­sche Spra­che. In Deutsch­land geht das ers­te Hit­ze­wo­chen­en­de des Jah­res los.

Pochoir auf Papier: Sonne, Fenster, Baum, auf Berliner Fassade
Gesehen in Berlin
Wir ler­nen in der Schu­le, Sy­no­ny­me rich­tig zu ver­wen­den. Im­mer wie­der die glei­chen Be­grif­fe in den Sät­zen ma­chen Tex­te ein­tö­nig. Sy­no­ny­me sor­gen für le­ben­di­ge­re Zei­len.

In mei­nem Be­ruf ha­be ich re­gel­mä­ßig zu kämp­fen, wenn Jour­na­lis­t:in­nen im­mer den Be­ruf "Dol­met­scher" mit "Über­set­zer" gleich­set­zen und an­ders­her­um. Bei­des sind Spra­ch- und Text­be­ru­fe.

Es gibt noch an­de­re: Re­dak­teu­rin, Ter­mi­no­lo­gin, Au­tor, frü­her Set­zer. Ich ha­be er­lebt, dass Jour­na­lis­t:in­nen die Be­grif­fe falsch ver­wen­det ha­ben und, auf den Feh­ler hin­ge­wie­sen, stur da­ge­gen ge­hal­ten ha­ben: "Doch, die Be­grif­fe wer­den wie Sy­no­ny­me ver­wen­det!"

Wer­den sie lei­der oft ge­nug, aber es bleibt falsch. Und wenn Sie Oh­ren­schmer­zen ha­ben, ge­hen Sie auch nicht in die Oph­thal­mo­lo­gie.

Manch­mal hel­fen uns Sy­no­ny­me, die Groß­wet­ter­la­ge bes­ser zu ver­ste­hen. Groß­wet­ter..., das mei­ne ich wört­lich.

Pro-Tipp: Wer das Wort „Kli­ma­schutz“ durch die sy­no­nym­ähn­li­che Be­schrei­bung „Schutz der Le­bens­grund­la­gen auf dem Glo­bus“ er­setzt, könn­te ins Sto­cken ge­ra­ten.

Wir kön­nen uns den „Schutz der Le­bens­grund­la­gen auf dem Glo­bus“ nicht leis­ten, weil er das Wachs­tum ge­fähr­det. Mit dem „Schutz der Le­bens­grund­la­gen“ wur­de es in letz­ter Zeit über­trie­ben. Wir brau­chen heu­te mehr In­no­va­tion und die Wirt­schaft ist zu stär­ken, der "Schutz der Le­bens­grund­la­gen auf dem Glo­bus" ist nicht so wi­chtig, denn wir wol­len un­se­ren Kin­dern ei­ne gu­te Zu­kunft hin­ter­las­sen. Die Wirt­schaft muss brum­men, da­mit wir den Kin­dern und En­kel­kin­dern ein vol­les Bank­kon­to und vie­le Ak­tien ver­er­ben kön­nen, oder?

Sie ha­ben ver­stan­den, wo­rauf ich hin­aus­will. Noch nie war es in Eu­ro­pa En­de Ju­ni so heiß.

Heu­te sind es knapp 40 Grad Cel­sius in Pa­ris und mehr als 40 in der Re­gi­on Aude, so­gar 47 Grad im spa­ni­schen Sevilla, Deutsch­land ist mit 37 Grad in Mann­heim da­bei. Wir ste­hen am An­fang des Som­mers. Die Bö­den sind trocken.

In Frank­reich sind schon jetzt we­gen Klima­ex­tre­men (Hit­ze und Hoch­was­ser) vie­le Schu­len ge­schlos­sen, kön­nen die Kin­der nicht gut ler­nen, Stich­wort Zu­kunft. Ein ers­tes Atom­kraft­werk, dem das Kühl­was­ser fehlt, wur­de dort her­un­ter­ge­fah­ren. Das Atom­ lie­fert kei­ne grü­ne En­er­gie, Stich­wort End­la­ger.

Bei uns im Gar­ten wer­den die Fei­gen reif. Der Fei­gen­baum steht seit drei Jah­ren drau­ßen, ge­schützt im Hof. So ein Fei­gen­baum (Fi­cus ca­ri­ca) stammt aus Klein­asi­en und fühlt sich im Mit­tel­meer­raum wohl, in vie­len sub­tro­pi­schen Län­dern, nun auch in Ber­lin. Bei Nach­barn steht seit Jah­ren ei­ne Pal­me im Gar­ten.

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Bild: C.E.

Montagsschreibtisch (96)

Wie wir Dol­met­sche­rin­nen und Dol­met­scher ar­bei­ten, ist im 19. Jahr das The­ma die­ses Web­logs. Mei­ne Mut­ter­spra­che ist Deutsch, ich ar­bei­te über­wie­gend mit Fran­zö­sisch und Eng­lisch, und die Bü­ro­kol­le­gin über­setzt in die eng­li­sche Spra­che. Hier folgt der mon­täg­li­che Blick auf den Schreib­tisch.

Tisch, Computer, Stuhl, Palme, als Wanddarstellung mit einem Streifen Gehweg unten
Sommerschreibtisch als Wandmalerei
Auch in der letz­ten Wo­che war ich zwi­schen­durch un­ter­wegs.

Diese Wo­che steht da­her an:

⊗ ... noch et­was er­ho­len
⊗ Ak­tu­el­le po­li­ti­sche La­ge
⊗ Nach­be­rei­tung
⊗ Film­gut­ach­ten
⊗ Zwei Kos­ten­vor­an­schlä­ge
⊗ Bü­cher auf­räu­men

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Bild: www.pixlr.com (Zu­falls­fund)

Sonntag, 29. Juni 2025

Echter Konservatismus ist progressiv

Bon­jour, hello & gu­ten Tag! Hier le­sen Sie in Be­rich­ten aus dem Le­ben von Über­set­ze­rin­nen, Über­set­zer, Dol­met­scher­in­nen und Dol­met­scher. Ich bin Fran­zö­sisch­dol­met­sche­rin und ar­bei­te auch mit Eng­lisch (das Id­i­om Shake­spea­res nur als Aus­gangs­spra­che). Sonn­tags werde ich pri­vat, aber mei­ne Ge­dan­ken sind das heu­te gar nicht.

PRES­SE­LEK­TÜ­RE am Sonn­tag. Der Vize­kanz­ler fällt beim Par­tei­tag in der Zu­stim­mung der ei­ge­nen Par­tei zu­rück. Eines sei­ner Wahl­ver­spre­chen — der Min­dest­lohn von 15 € — bleibt bis­lang un­er­füllt. Es wirkt, als set­ze sich in der Ko­a­li­tion vor al­lem die stär­ke­re Kraft durch. Klei­ne und mit­tle­re Ein­kom­men ge­ra­ten aus dem Blick. Doch bräuch­ten wir jetzt eine Po­li­tik, die brei­ten Rück­halt fin­det, über al­le La­ger hin­weg.

Buchstaben auf Wand: misanfobia
Gesehen in Berlin
Gleich­zei­tig wird an­ge­kün­digt, dass Ge­flüch­te­te mit sub­si­di­ä­rem Schutz­sta­tus zwei Jah­re lang kei­ne An­ge­hö­ri­gen nach­ho­len dür­fen. Das trifft über­wie­gend Frau­en und Kin­der. Es fällt schwer, die­sen Schritt mit christ­li­chen oder hu­ma­ni­tä­ren Wer­ten zu ver­ein­ba­ren.

Im Land sinkt die all­ge­mei­ne Le­bens­zu­frie­den­heit, das zei­gen Um­fra­gen.

Ver­spro­chen wur­den mit der Glo­ba­li­sie­rung stei­gen­de Ein­kom­men für al­le. Die In­fla­ti­on je­doch zehrt sie auf. Die Le­bens­mit­tel­prei­se sind seit Be­ginn des Kriegs in der Uk­rai­ne um fast 50 % ge­stie­gen, die Mie­ten im letz­ten Jahr­zehnt gar um mehr als 100 %. Die Zahl der Men­schen, die zur Ta­fel ge­hen, steigt ste­tig.

(Aus mei­ner Sicht, ich bin in den 1970ern auf­ge­wach­sen, war die so­zia­le Un­gleich­heit da­mals weit we­ni­ger spür­bar. Die „Ta­feln“ heu­te er­in­nern mich an Al­mo­sen­ver­tei­lung. Die Ver­sor­gung der Schwäch­sten ge­hört in staat­li­che Ver­ant­wor­tung.)

1989 ZER­BRACH der Ost­block. Im Wes­ten hieß das Ge­gen­mo­dell „so­zia­le Markt­wirt­schaft“. Da­mals war es selbst­ver­ständ­lich, den Un­ter­schied zur DDR sicht­bar zu ma­chen, nicht nur durch Wor­te, son­dern durch kon­k­re­te Po­li­tik. Heu­te wirkt vie­les da­von ver­ges­sen. Der so­zia­le Woh­nungs­bau wur­de zu­rück­ge­fah­ren, öf­fent­li­che Ver­kehrs­mit­tel ver­nach­läs­sigt, Bil­dungs­ein­rich­tun­gen dif­fe­ren­zie­ren stär­ker denn je.

Für Kin­der hängt der Bil­dungs­er­folg von Her­kunft und Geld­beu­tel der El­tern ab, und das so stark wie sonst in kaum ei­nem ent­wic­kel­ten Land (Quel­le: OECD). Die Ideen von Chan­cen­gleich­heit und Auf­stiegs­ver­spre­chen sind Ge­schich­te.

Die Glo­ba­li­sie­rung brach­te güns­ti­ge En­er­gie und güns­ti­ge Wa­ren, aber nur auf den ers­ten Blick, weil wir die Fol­ge­kos­ten aus­klam­mern. Zug­leich sind die öko­lo­gi­schen Be­las­tun­gen un­über­seh­bar ge­wor­den. Das Wis­sen dar­über war längst vor­han­den, es wur­de nur sel­ten nach­ge­fragt.

Heu­te ist En­er­gie teu­er, die Schä­den an der Na­tur be­tref­fen uns al­le. Trotz­dem wird noch im­mer ge­gen ei­nen Wan­del an­ge­ar­bei­tet. Tei­le der Pres­se spie­len da­bei eine frag­wür­di­ge Rol­le, zu groß ist der Ein­fluss be­stimm­ter In­ter­es­sen­grup­pen. Der Jour­na­lis­mus wur­de in den letz­ten Jahr­zehn­ten aus­ge­höhlt: We­ni­ger Zeit, we­ni­ger Re­cher­che, we­ni­ger Un­ab­hän­gig­keit. Und in den so­zia­len Me­di­en lässt sich Mei­nung leicht ma­ni­pu­lie­ren ... durch Kam­pag­nen, Bots und ge­ziel­te Stim­mungs­ma­che.

ICH BIN DANK­BAR. Durch den Be­rufs­wech­sel ha­be ich mehr Zeit zum Ein­le­sen. Auf mei­nen Rei­sen als Dol­met­sche­rin durf­te ich Dör­fer se­hen, in de­nen Bür­ge­rin­nen und Bür­ger selbst ak­tiv ge­wor­den sind. En­er­gie­pro­jek­te, die Wind- oder Bio­gas­an­la­gen be­trei­ben, Pho­to­vol­ta­ik fast über­all, so­gar auf Bus­war­te­häus­chen. Der Strom ver­sorgt die Nach­bar­stadt mit. Neue Ar­beits­plät­ze ent­ste­hen, die Raif­fei­sen­stütz­punk­te blei­ben er­hal­ten. Ein Stück re­gio­na­le Iden­ti­tät kehrt zu­rück, et­wa durch Saat­gut­in­i­ti­a­ti­ven.

In einem Ort konn­te durch die Ein­nah­men aus Bür­ger­en­er­gie das Kul­tur­haus sa­niert wer­den, nam­haf­te Künst­ler gas­tie­ren dort. Ein leer­ste­hen­des Ge­bäu­de wur­de zur Dienst­woh­nung für ein Ärz­te­paar, das die ver­wais­te Pra­xis über­nahm. Men­schen zo­gen zu, dar­un­ter Fa­mi­lien und Äl­te­re. Seit der Pan­de­mie ist Ho­me­of­fice für vie­le All­tag. Die Dorf­kul­tur blüht wie­der auf, Schu­le, Feu­er­wehr, Fuß­ball­ver­ein; so­gar ei­ne Markt­gär­tnerei und ei­nen ge­nos­sen­schaft­lich be­trie­be­nen Dorf­la­den gibt es nun. Ein pen­deln­der Bä­cke­rei­an­ge­stell­ter nutzt sams­tags das his­to­ri­sche Back­haus für ech­tes Land­brot.

ER­FOLGS­GE­SCHICH­TEN sind kein Zu­fall. Die Tech­nik für de­zen­tra­le En­er­gie­ver­sor­gung schreitet vor­an. Auf Um­welt­mes­sen se­he ich re­gel­mä­ßig Neu­e­run­gen, z. B. klei­ne, leis­tungs­star­ke Wind­tur­bi­nen in Form von Dach­rei­tern auf Pri­vat­häu­sern. Der Markt ent­wi­ckelt sich ra­sant, dort, wo er ge­las­sen wird.

An­de­re Bran­chen ver­lie­ren an Be­deu­tung: in­dus­tri­el­le Nah­rungs­mit­tel­pro­duk­ti­on, in­ter­natio­nale Saat­gut­kon­zer­ne, die fos­sile En­er­gie­branche. In ei­nem Dorf wer­den Land­ma­schi­nen und in­zwi­schen auch Au­tos ge­mein­schaft­lich ver­wal­tet. Nie­mand ver­teu­felt dort die Er­rung­en­schaf­ten der Mo­der­ne. Sie wer­den nur an­ders ge­nutzt.

Die­se Dör­fer zei­gen: At­trak­tive Ge­mein­den ent­ste­hen nicht zu­fäl­lig. Sie sind das Er­geb­nis kla­rer Ent­schei­dun­gen. Und oft steckt bür­ger­li­ches En­ga­ge­ment da­hin­ter. Ich möch­te man­cher staat­li­chen Stel­le Dan­ke sagen, denn durch meine Dol­met­sch­ar­beit auf Rei­sen wurden mir in letz­ten Jah­ren viele Per­spek­tiven er­öff­net.

Der Ent­zug von An­schub­sub­ven­tio­nen oder so­gar neue Steu­ern auf nach­hal­tige En­er­gien dro­hen der­zeit al­ler­dings den neu­en Tech­no­lo­gien den Ga­raus zu ma­chen. Un­ver­ständ­lich bis heu­te: wie ei­ne Par­tei, die sich kon­ser­va­tiv nennt, so die deut­sche So­lar­in­dus­trie zer­stört hat.

ZU­RÜCK IN DIE GROSS­STADT. Als Lern­hel­fe­rin für Ju­gend­li­che mit an­de­rer Fa­mi­lien­sprache als Deutsch er­le­be ich, wo Struk­tu­ren feh­len: ru­hi­ge Lern­or­te, Frei­zeit­an­ge­bo­te, Räu­me für Ent­wick­lung. Die Idee: Bei Schul­neu- und Um­bauten ei­nen zwei­ten Ein­gang schaf­fen zur Schü­ler­bü­che­rei, Kü­che, Grup­pen­räu­men, of­fen auch in den Fe­ri­en, be­treut von So­zi­al- und Kul­tur­ar­bei­ter:in­nen.

Der­zeit se­hen wir das Ge­gen­teil: in Ber­lin wur­den hier fürs näch­ste Schul­jahr für die­se Ar­beit Gel­der ge­stri­chen. Man­ches Hort­team wird in­zwi­schen eh­ren­amt­lich ak­tiv, um Kin­dern zu hel­fen, die in den Fe­ri­en in Ber­lin blei­ben. Dabei ist die staat­li­che Fi­nan­zie­rung von Fe­ri­en­la­gern wich­tig. (In man­chem Bun­des­land sind hier mut­maß­lich ver­fas­sungs­feind­li­che Grup­pie­run­gen ak­tiv.)

Je­des fünf­te Kind in Deutsch­land lebt un­ter­halb oder an der Ar­muts­gren­ze, so die Bertels­mann-Stif­tung. Rund 3,3 Mil­lio­nen Be­rufs­tä­tige brau­chen laut Bun­des­an­stalt für Ar­beit zu­sätz­lich Bür­ger­geld. Die Miet­be­las­tung steigt, Zu­schüs­se sind ge­deck­elt. Man­che El­tern ver­zich­ten still­schwei­gend auf Mahl­zei­ten, da­mit die Kin­der ein sta­bi­les Um­feld be­hal­ten. An Kin­dern, an der Bil­dung zu spa­ren, halte ich für ein Ver­bre­chen. Wir brau­chen je­des Ta­lent. Sie sind un­ser ein­zi­ger Roh­stoff.

DEUTSCH­LAND ist ein rei­ches Land. Um­so mehr for­dern in­zwi­schen auch Men­schen aus bür­ger­li­chen, kirch­lich oder hu­ma­nis­tisch ge­präg­ten Mi­lieus deut­li­che Ver­än­de­run­gen. Der Ein­fluss ex­trem Ver­mö­gen­der muss ein­ge­hegt wer­den. Ihr über­mä­ßi­ger CO₂-Aus­stoß, ihr Zu­griff auf po­li­tische Ent­schei­dungs­pro­zes­se be­schä­digt De­mo­kra­tien, sie­he USA. Jüngs­tes Sym­bol: die pri­va­te Fei­er eines der Tech-Mil­liar­dä­re, die halb Ve­ne­dig ta­ge­lang lahm­legt.

Auch in Deutsch­land braucht es stär­ke­re de­mo­kra­tische Kon­trol­le. Haus­halts­gel­der wie der KTF, ur­sprüng­lich zur För­de­rung von Kli­ma­schutz und In­fra­struk­tur vor­ge­se­hen, dür­fen nicht um­ge­lenkt wer­den, schon gar nicht ein­sei­tig zu­guns­ten je­ner, die oh­ne­hin über Res­sour­cen ver­fü­gen. Wer Kli­ma­neu­tra­li­tät bis 2045 tor­pe­diert, ver­stößt ge­gen das Grund­ge­setz. Auch wer das So­zia­le aus­klam­mert, al­so den we­ni­ger Be­gü­ter­ten Un­ter­stüt­zung ver­wei­gert, ver­fehlt das Ziel.

Der Be­griff kon­ser­va­tiv stammt vom la­tei­ni­schen con­ser­va­re ab, be­wah­ren, er­hal­ten, be­hü­ten. Ur­sprüng­lich ging es um das Fest­hal­ten an dem, was sich be­währt hat, nicht um blin­de Ab­leh­nung des Neu­en. Ech­ter Kon­ser­va­tis­mus schützt Grund­la­gen, er­mög­licht Wei­ter­ga­be und Zu­kunft, nicht Still­stand. Ihm ge­gen­über steht das Dis­rup­tive, vom la­tei­ni­schen dis­rum­pe­re, „zer­rei­ßen, zer­schla­gen“, also das Auf­bre­chen be­ste­hen­der Struk­tu­ren, oft oh­ne Rück­sicht auf Ver­lus­te.
Doch wer heu­te wirk­lich be­wah­ren will, muss sich dem Wan­del stel­len. Wer an über­kom­me­nen Struk­tu­ren fest­hält und Fort­schritt ver­hin­dert, ver­rät den kon­ser­va­tiven Geist. Zu­kunfts­si­che­rung ist das neue Be­wah­ren.

EDIT. Kaum war der Bei­trag fer­tig, kam die­se Mel­dung: Für den Kli­ma­so­zi­al­plan kann Deutsch­land 5,3 Mil­li­ar­den Euro EU-Zu­schüs­se be­an­tra­gen, er­gänzt durch na­tür­lich er­for­der­li­che Bun­des­mit­tel. Der An­trag muss bis zum 30. Juni 2025 bei der EU-Kom­mis­sion ein­ge­hen. Bis­lang liegt kei­ne Ei­ni­gung auf kon­k­re­te Ent­las­tun­gen der Bür­ger:­in­nen vor, für die die Mit­tel ein­ge­setzt wer­den könn­ten. Oh­ne Ein­rei­chung ver­fal­len die Zu­schüs­se.

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Foto: C.E.

Dienstag, 24. Juni 2025

Berufswahl

Hal­lo! Hier le­sen Sie re­gel­mä­ßig Neu­es aus der Dol­met­scher­ka­bi­ne, vom Über­set­zer­schreib­tisch und aus der Welt der Idi­o­me ... völ­lig sub­jek­tiv ge­fil­tert von mir, ei­ner Dol­met­scher­in und Über­set­ze­rin für die fran­zö­si­sche Spra­che. Ich bin Dol­met­scher­in im drit­ten Be­rufs­fin­dungs­an­lauf.

Roter Fahrradweg, Dame mit Rollkoffer
Neu­lich auf der Rei­se
Dermaleinst, ich war noch Schü­le­rin, hat­ten wir so gut wie kei­ne Be­rufs­be­ra­tung an der Schu­le. Ei­ne Leh­re­rin sag­te mal, wir soll­ten uns selbst be­ob­ach­ten und über­le­gen, was un­ser Lieb­lings­fach wä­re. Viel­leicht wür­de uns das auf Ide­en brin­gen.

Neu­lich war ich auf ei­ner De­le­ga­tions­rei­se und da­mit Teil ei­ner Grup­pe, die in ei­ner Wo­che meh­re­re hun­dert Ki­lo­me­ter ge­mein­sam zu­rück­legt, viel Neu­es ken­nen­lernt, Aben­teu­er er­lebt, in Ge­mein­schafts­un­ter­künf­ten näch­tigt, Ho­tels ge­nannt, mit­ein­an­der isst, lacht, die Freu­den, aber auch Sor­gen der an­de­ren bes­ser ken­nen­lernt.

Irgend­wo un­ter­wegs, viel­leicht war es auf Ki­lo­me­ter 512, fiel mir die­ser Be­ob­ach­tungs­auf­trag von da­mals wie­der ein, oder bes­ser: dass mir da­mals nicht viel ein­ge­fal­len war. Mei­ne Ant­wort von da­mals: "Ich lie­be Aus­flü­ge und Klas­sen­fahr­ten."

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Fo­to: C.E.

Montag, 23. Juni 2025

Montagsschreibtisch (95)

Was Dol­met­scher­in­nen und Über­set­zer­in­nen (und die Her­ren im Be­ruf) tag­ein, tag­aus be­schäf­tigt, wie wir ar­bei­ten, be­schrei­be ich hier in mei­nem di­gi­ta­len Ar­beits­ta­ge­buch. Heu­te folgt die Wo­chen­über­sicht.

Am Sams­tag war fête de la mu­sique, auch in Ber­lin, in Frank­reich einst er­fun­den, um den Som­mer­an­fang zu fei­ern. Das war ei­ne lan­ge Nacht, auch weil wir län­ger su­chen muss­ten, um et­was an­de­res als Tech­no zu fin­den. Am Sonn­tag war erst Gar­ten an­ge­sagt, dann ein Ge­burts­tag. Heu­te ist al­so Mon­tag, im vol­len Wort­sinn, der durch­wach­se­ne Tag mit Lang­sam­start, zu­mal ich letz­te Woche durch­ge­ar­bei­tet ha­be. Die Mü­dig­keit steckt mir in den Kno­chen.

Besprechungstisch, Kopfhörer, Empfangsgeräte
Arbeitsplatz mit Aussicht
Die­se Wo­che las­se ich es ge­mäch­lich an­ge­hen. Auf dem Schreib­tisch lie­gen:

❦ Fort­setzung Bau­bio­lo­gie 
❦ Kurz­ein­satz Mit­tel­stand
❦ Kos­ten­vor­an­schlä­ge für Sep­tem­ber und Ok­to­ber
❦ Vor­be­rei­tung Ener­gie­wirt­schaft
❦ Nach­be­rei­tung Bio­le­bens­mit­tel, ve­ga­ne Pro­duk­te, ...
❦ Wei­ter­le­sen zu Ostp­reu­ßen (Hei­mat von Ah­nen, Schreib­pro­jekt)



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Bild: C.E.

Sonntag, 22. Juni 2025

Mal wieder: Garten

Ich bin Kon­fe­renz­dol­met­sche­rin für Deutsch, Fran­zö­sisch (und Eng­lisch) mit Sitz in Ber­lin, ich über­setze auch. Seit über zwan­zig Jah­ren über­tra­ge ich die Wor­te von in­ter­natio­nalen Pro­fis aus For­schung, Po­li­tik und Wirt­schaft, oft zum The­ma Kli­ma­po­li­tik. Ich höre zu­erst, was an­de­re spä­ter nur zu­sam­men­ge­fasst le­sen. Und ich fra­ge mich: War­um han­deln wir nicht? Die Fak­ten sind ein­deu­tig.

Un­ser Hof­gar­ten ist eine klei­ne Idyl­le und ein Bio­top. Neu­lich blieb mir al­ler­dings das Herz fast ste­hen, als ei­ne Mit­gärt­ne­rin mit der Schau­fel im Kom­post rum­ge­hackt hat, um das Ma­te­ri­al ein we­nig run­ter­zu­drü­cken. Wir kom­pos­tie­ren, an die Groß­stadt an­ge­passt, auf we­nig Platz mit nur ei­nem Hau­fen nach dem Wald­kom­post­prin­zip, das ich von mei­nem Va­ter ge­lernt ha­be. Es la­gert im­mer ein we­nig Tot­holz an der Sei­te, da­mit et­was zur Hand ist, sonst ha­ben wir ei­nen Qua­drat­me­ter Kom­post, that's it. Un­ten ent­neh­men wir gu­te Er­de als Kom­post­be­schleu­ni­ger und fürs Gärt­nern, oben wird drauf­ge­packt, ir­gend­wann rutscht es.

Es rutscht lang­sa­mer, weil wir eben das zu Stü­cken von zehn bis zwan­zig Zen­ti­me­ter klein­ge­mach­te Holz rein­tun, das Luft und an­de­re Or­ga­nis­men ein­bringt. Ich hat­te vor bald zwan­zig Jah­ren da­mit an­ge­fan­gen, ei­nen Kom­post auf­zu­bau­en, da­mit die Um­ge­stal­tung des Hofs in ei­nen Gar­ten be­gon­nen. Aber ich „häck­se­le“ mit der Schau­fel üb­li­cher­wei­se NE­BEN dem Kom­post, nicht IN dem Hau­fen.

Durch mei­ne Ar­beit, Rei­se­ein­sät­ze, An­ge­hö­ri­gen­pfle­ge und mei­ne ei­ge­ne Zeit mit Long Covid, muss­te ich los­las­sen und die Ver­ant­wor­tung über­ge­ben. Ich schau­e re­gel­mä­ßig, ob al­les gut läuft, er­gän­ze, mi­sche ein we­nig durch, im­mer vor­sich­tig. Ich will ja kei­ne tie­ri­schen Mit­be­woh­ner:in­nen ver­schre­cken.

Drei Phasen mit Zeitsprung (drei Jahre)

Das Er­geb­nis, un­ser Gärt­chen, ist auf je­den Fall über­zeu­gend. Im Ber­li­ner Hin­ter­hof wur­de neu­lich ein Hirsch­kä­fer ge­sich­tet, für die Grö­ße und die Ge­schich­te un­se­res nur we­nige Qua­drat­me­ter gro­ßen Pa­ra­die­ses ein klei­nes Wun­der. Als wir an­fin­gen, ha­ben wir viel Kriegs­schutt aus dem Beet raus­ge­sam­melt, Scher­ben von Fla­schen, Ka­chel­öfen, Tier­kno­chen.

Die Na­tur braucht je­den grü­nen Fle­cken. Ich wür­de mir wün­schen, dass das mehr Men­schen be­grei­fen ... und ak­tiv wer­den!

Ein Vier­tel der Vö­gel sind in den letz­ten zwan­zig Jah­ren „ver­schwun­den“, auch sel­te­ne Ar­ten. Über 50 % der ein­hei­mi­schen Bie­nen­ar­ten sind ak­tu­ell vom Aus­ster­ben be­droht. Wir ver­lie­ren nicht nur Be­stäu­ber, son­dern er­le­ben ge­ra­de li­ve, wie ei­ne gan­ze Tier­art ver­schwin­det.

Un­se­re Epo­che ist fort­ge­setzt de­sas­trös. Das in den Pa­ri­ser Kli­ma­ab­kom­men ge­setz­te 1,5-Grad-Ziel, auf das die glo­ba­le Er­wär­mung be­grenzt wer­den soll­te, ist längst ge­ris­sen.

Dort wur­de ein „Rest­bud­get“ be­nannt, aus dem ab­zu­le­sen ist, wie vie­le Treib­haus­ga­se die Mensch­heit noch aus­sto­ßen darf. Wenn wir so wei­ter­ma­chen, wird die­ses Li­mit welt­weit in et­wa drei Jah­ren über­schrit­ten sein. Hier in Deutsch­land sind wir wie­der mal Spit­ze. Wir ha­ben das ge­sam­te ver­blei­ben­de Rest­bud­get für 1,5 Grad be­reits im März 2024 auf­ge­braucht, so der Ex­per­ten­rat für Kli­ma­fra­gen.

Doch po­li­tische Kon­se­quen­zen ...? Fehl­an­zei­ge! Nicht ein­mal die ein­fachs­ten Din­ge wer­den um­ge­setzt, wie ein Tem­po­li­mit oder das Ver­bot von In­lands­flü­gen. Gas­hei­zun­gen wer­den wei­ter mun­ter ein­ge­baut, neue Gas­kraft­wer­ke ge­plant, Fleisch in Un­men­gen „pro­du­ziert“ (har­tes Wort für Le­be­we­sen) und kon­su­miert.

Auch ei­ne tief­grei­fen­de Bau­wen­de fehlt, bei der von Be­stands­bauten aus­zu­ge­hen wä­re. Hier lässt sich mit Steu­ern ... rich­tig!, ... so rich­tig viel steu­ern.

Das Haupt­pro­blem ak­tu­ell sind aber die Krie­ge, wo­mit wir wie­der beim The­ma von ges­tern wä­ren. Die ein­sa­men, un­at­trak­tiven Män­ner, die ih­re Exis­tenz nur da­durch zu spü­ren schei­nen, dass sie an­de­re ter­ro­ri­sie­ren, Krie­ge vom Zaun bre­chen, brand­schat­zen und mor­den, das wer­de ich nie ver­ste­hen. Denn auch die­se hat­ten Müt­ter, die sie ge­liebt ha­ben oder hät­ten lie­ben sol­len. Es ist zum Heu­len.

Die lang­fris­tigen Schä­den der Kli­ma­kri­se wer­den schlim­mer sein als die Krie­ge, die wir der­zeit er­le­ben.

So, ab in den Hofgar­ten mit mir, Ap­fel­bäum­chen pflan­zen.

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Fo­tos: C.E.

Samstag, 21. Juni 2025

Drecksarbeit

Im 19. Jahr schrei­be ich hier über mein sprach­be­ton­tes Le­ben, das ich als Fran­zö­sisch­dol­met­scherin und Über­set­ze­rin führe. In der Haupt­stadt ha­be ich mit ak­tu­el­len The­men zu tun. Hier mein kur­zes Wort zum Sams­tag.

Jetzt muss ich doch auch noch dar­über spre­chen, über die­ses Wort, mit dem der deut­sche Kanz­ler Isra­els An­griff auf den Iran be­schreibt, wenn es dar­um geht, dort die Atom­waf­fen­schmie­de still­zu­le­gen, be­vor es zu spät ist.

Der Be­griff „Drecks­ar­beit“, die Is­rael jetzt für uns alle mache, wur­de ihm von der Jour­na­lis­tin im In­ter­view in den Mund ge­legt. Der BK hat hier zu spon­tan und un­be­dacht re­a­giert. Es ist sein ers­tes po­li­ti­sches Füh­rungs­amt ever.

Drehe ich es um. Die Wel­ten­ge­mein­schaft hat die Atom­her­stel­lung zu lan­ge lau­fen las­sen. Auch po­li­ti­sche Mor­de (ali­as „To­des­stra­fe“) und die Ent­rech­tung von Frau­en lässt die Wel­ten­ge­mein­schaft sehr oft un­kom­men­tiert ge­sche­hen. Iran zählt zu je­nen, die An­grif­fe ge­gen Is­ra­el ko­fi­nan­zie­ren, die et­li­chen Geg­nern kon­kret Waf­fen und Brot in die Hän­de ge­ben. Die Wel­ten­ge­mein­schaft hätte also ei­nen gro­ßen Grund ge­habt, ein­zu­grei­fen; Is­ra­el hat­te meh­re­re. Wie es zu dem Be­griff kom­men kann, ist nach­voll­zieh­bar, trotz­dem ist als men­schen­feind­li­cher Duk­tus wie aus der Lingua Ter­tii Im­pe­rii ein­zu­ord­nen (Link).

Ich wün­sche also den Be­tei­lig­ten, mehr Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men, und zwar so­wohl in welt­po­li­tischer Sicht, als auch in sprach­li­cher Sicht.

Al­te For­men in Ber­lin-Kreuz­berg
Hätte ich jetzt viel Geld zu in­ves­tie­ren, ich wür­de mich für Un­ter­neh­men en­ga­gie­ren, die die an­ste­hen­de Drecks­ar­beit leis­ten, im ori­gi­nä­ren Wort­sinn. Ich spre­che vom Wie­der­auf­bau. Na­tür­lich bin ich für an­ge­stamm­te Bau­wei­sen. Aber dort, wo viel­leicht schon län­ger der in­ter­natio­na­le „Ren­di­te­stil“ do­mi­niert hat, oh­ne ech­ten Cha­rak­ter, und wo ein Ge­fühl für For­men und Er­gän­zun­gen vor­han­den ist, die iden­ti­täts­stif­ten­des Lo­kal­ko­lo­rit ge­ben, wird hof­fent­lich sehr bald ei­ne neue Me­tho­de ak­tu­ell, die Kriegs­schutt zu le­go­ähn­li­chen Zie­geln ver­ar­bei­tet.

Diese Idee stammt aus Deutsch­land, aus Mainz: Link. (In Aus­tra­lien soll ei­ne Fir­ma zeit­gleich Ähn­liches an­ge­fan­gen ha­ben, fin­de ich im Netz.)

In Kriegs- und Kri­sen­ge­bie­ten lie­gen ton­nen­wei­se die Res­sour­cen buch­stäb­lich auf der Stra­ße: Schutt. Die­ser Ab­fall kann, und das ist bes­te Kreis­lauf­wirt­schaft, in Pres­sen zu le­go­ar­ti­gen Bau­stei­nen ge­formt wer­den, zu­gleich Low Tech und passt zur de­so­la­ten La­ge in den Ge­bie­ten.

Die Idee ent­stand im Bü­ro des Bau­in­ge­nieurs Al­fons Schwider­ski im Ge­spräch mit ei­nem sy­ri­schen Prak­ti­kan­ten: „Ei­nes Ta­ges bau­en wir Alep­po wie­der auf“, sag­te die­ser. Der Clou: Wo sonst en­er­gie­in­ten­siv­er Ze­ment ein­ge­setzt wird, kann Asche ge­nutzt wer­den. Er­probt wird die Me­tho­de in Deutsch­land und in Ga­za, wo ei­ne NGO in die Er­pro­bung ein­ge­bun­den ist. Die Stei­ne wie­gen rund elf Ki­lo, grei­fen in­ein­an­der. Das Roh­ma­te­ri­al lässt sich mit ein­fa­chen Brech­ma­schi­nen vor­be­han­deln. Selbst mehr­stö­cki­ge Ge­bäu­de können so ent­ste­hen, auch oh­ne Mör­tel.

Lo­kal ge­nutz­tes Ma­te­ri­al, mo­du­lar ver­ar­bei­tet, so lau­tet der Grund­ge­dan­ke. Die deut­sche Ge­sell­schaft für In­ter­natio­nale Zu­sam­men­ar­beit (GIZ) hat sich der Idee an­ge­nom­men. In Ni­ger et­wa un­ter­stütz­te sie den Bau ei­ner Schul­kan­ti­ne mit vor Ort pro­du­zier­ten Lehm­zie­geln. Auch mit Holz wird hier ex­pe­ri­men­tiert. Da­zu gibt es bis­lang nur High-end-Lö­sun­gen mit Mond­holz und me­tall­frei­en Ver­bin­dun­gen.

Wich­tig wä­re hier auch, neue Ab­hän­gig­kei­ten zu ver­mei­den. Pa­tent­freie Ide­en, die sich be­ste­hen­der Tech­nik be­die­nen, könn­ten hier der Gold­stan­dard sein. Ich muss an den Wie­der­auf­bau von Ber­lin den­ken. Hier wur­de der Schutt ein­fach nur weg­ge­schob­en, nach­dem die un­be­schä­dig­ten Zie­gel­stei­ne von Hand raus­ge­sucht wor­den war­en. Die Stadt „ver­dankt“ dem Krieg ei­ni­ge Hü­gel, hier wer­den sie „Ber­ge“ ge­nannt. Das Stadt­zen­trum ge­gen­über dem Ro­ten Rat­haus liegt an­der­thalb Me­ter hö­her als in der Vor­kriegs­zeit, ab­zu­le­sen an den Trep­pen an der Ma­ri­en­kir­che, die einst von ei­nem wun­der­schö­nen Vier­tel um­ge­ben war.

Je äl­ter ich wer­de und je mehr Fo­tos ich vom al­ten Ber­lin ge­se­hen ha­be, des­to un­ver­zeih­li­cher fin­de ich es, dass die Ge­schich­te über­all mit dem Hand­rü­cken weg­ge­wischt und kom­plett Neu­es, oft Häss­li­ches, Kurz­le­bi­ges aus dem Bo­den ge­stampft wur­de. In der Nach­kriegs­zeit lag das am Ma­te­ri­al­man­gel. Nicht aus­zu­den­ken, wo wir heu­te wä­ren, wenn es die­se bahn­bre­chen­de Idee des Bau­ma­te­ri­al­re­cyc­lings da­mals schon ge­ge­ben hät­te. Ich wün­sche, dass wir sie im heu­ti­gen Deutsch­land mas­siv ein­set­zen.

Wenn ich reich wä­re, wür­de ich also dort in­ves­tie­ren. Und ich wür­de Frie­dens­tau­ben züch­ten. Wie das geht? Weiß doch ich nicht! Dol­met­scher:in­nen wis­sen viel, aber auch nicht al­les.

So, jetzt muss ich noch die täg­li­che Me­lio­ra­ti­on in der Woh­nung um­set­zen, dann ler­nen. Wün­sche all­seits ein schö­nes Wo­chen­en­de.

P.S.: Mich hat wiederholt die Fra­ge er­reicht, wie in der Markt­for­schung die Ton­auf­nah­men (Ori­gi­nal­ton, mei­ne Dol­met­schung) tran­skri­biert wer­den. Ich ha­be die Fra­ge wei­ter­ge­reicht und auch in ei­nem Film­ver­band (Dok) ge­stellt. Da­zu gibt es dem­nächst hier ei­nen Blog­post.

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Fo­to: C.E. (Wal­de­mar- Ecke Pück­ler­str.)

Freitag, 20. Juni 2025

KI-Nutzung gefährdet das Gehirn

Hallo! Wie Dol­met­scher und Dol­met­sche­rin­nen ar­bei­ten, be­schre­ibe ich hier seit 2007. Meine Haupt­ar­beits­spra­che ist Fran­zö­sisch (in bei­de Rich­tun­gen). Deutsch ist mei­ne Mut­ter- und wich­tigs­te Schrift­spra­che. Die Büro­kol­le­gin über­setzt ins Eng­lische. Wir sind Zeit­ge­nos­sin­nen, den­ken über Kon­fe­ren­zen hin­aus. Heu­te, Frei­tag, geht mein „KI-Mitt­woch“ in die Ver­län­ge­rung.

Körper, Oberstübchen, im Herzen des neuronalen Netzes ein Goldstück
Unser Kopf ge­hört uns!
Lan­ge hat­ten wir es be­fürch­tet, nun ha­ben wir's schwarz auf weiß: Die KI be­droht unsere In­tel­li­genz. Das Mas­sa­chusetts Ins­ti­tu­te of Tech­no­logy (MIT) hat Men­schen nä­her un­ter­sucht, die re­gel­mä­ßig mit ChatGPT ar­bei­ten. Das Er­geb­nis ist be­un­ru­hi­gend.

Die be­kann­te Soft­ware, die als ei­ne von vie­len Zu­griff auf gro­ße Da­ten­men­gen ha­t und die­se neu an­ord­net, oft zu­sam­men­ge­fasst als KI, ist ein prak­ti­scher Tool, der uns je nach Sach­la­ge hel­fen kann. In­ten­si­ver Nut­zung ist in­des für vie­le ge­fähr­lich.

Er­in­nern ist Fehl­an­zei­ge
Mehr als 83 % der Teil­neh­men­den wa­ren nicht in der La­ge, In­hal­te aus Tex­ten wie­der­zu­ge­ben, die sie selbst nur Mi­nu­ten zu­vor mit­hil­fe von ChatGPT er­stellt hat­ten. Man pro­du­ziert Text, klickt auf „spei­chern“ und ver­gisst, weil das ei­ge­ne Den­ken schon vor­her an die Ma­schi­ne aus­ge­la­gert wur­de.

Sicht­ba­re Schä­den im Ge­hirn
Die Scans zeig­ten ei­ne dras­tische Re­duk­ti­on der neu­ro­na­len Ver­knüp­fun­gen, im Durch­schnitt um 47 Pro­zent. Stel­len Sie sich vor, Ihr Lap­top wür­de plötz­lich mit hal­ber Leis­tung ar­bei­tet, er wä­re rasch in der Werk­statt oder im Müll. Hier geht's aber um Köp­fe, und oft nut­zen jün­ge­re Leu­te die neu­en Mög­lich­kei­ten be­sond­ders in­ten­siv.

Tex­te oh­ne See­le
Zum Bei­spiel der Nach­wuchs in der Schu­le. Dort ha­ben Lehr­kräf­te Schwie­rig­kei­ten zu ent­schei­den, wel­che Tex­te mit­hil­fe von KI ver­fasst wor­den wa­ren. Al­ler­dings fiel ih­nen auf, dass viel ge­fehlt hat: Tie­fe, ech­te Re­fle­xi­on, in­di­vi­du­el­le Hand­schrift, ei­ge­ne Ge­dan­ken. Die Spra­che wirk­te glatt, fast per­fekt, aber leer. Un­ser Ge­hirn nimmt sol­che Lee­re wahr, auch wenn wir das Pro­blem nicht gleich be­nennen kön­nen.

Es kommt noch schlim­mer
Als Ver­suchs­per­so­nen, die stark auf ChatGPT ge­setzt hat­ten, da­zu ge­bracht wur­den, ganz oh­ne KI zu schrei­ben, schnit­ten sie schlech­ter ab als je­ne, die nie mit der KI ge­ar­bei­tet hat­ten. Es ist al­so kei­ne Fra­ge der Ge­wöh­nung, es geht um den Ab­bau kog­ni­ti­ver Fä­hig­kei­ten.

Das Ge­hirn ist wie ein Mus­kel, der zu trai­nie­ren ist

Das be­rich­ten uns al­le, für die wir dol­met­schen. Sehr oft hö­ren wir Sät­ze wie: „Ich ha­be Ih­re Spra­che auch an der Schu­le ge­lernt, aber al­les ver­ges­sen.“
Das MIT-Team führ­te über vier Mo­na­te EEG-Mes­sun­gen bei 54 Pro­ban­den durch. Da­bei wur­den un­ter an­de­rem Al­pha­wel­len (für krea­ti­ve Pro­zes­se), Be­ta­wel­len (für ak­ti­ves Den­ken) und Mus­ter neu­ro­na­ler Ver­bin­dun­gen auf­ge­zeich­net.

Was jetzt folgt, ist kei­ne Mei­nung, son­dern mess­ba­re Rea­li­tät: Über­mä­ßi­ger KI-Ge­brauch ver­än­dert das Ge­hirn. Will­kom­men im Pro­duk­ti­vi­täts­pa­ra­do­xon, über das kaum je­mand spricht, denn mit ChatGPT las­sen sich man­che Auf­ga­ben deut­lich schnel­ler er­le­di­gen, im Schnitt 60 % zü­gi­ger, aber die geis­ti­ge Kraft der User:in­nen lei­det dar­un­ter, und die so­ge­nann­te „re­le­van­te kog­ni­ti­ve Be­las­tung“, die fürs ech­te Ler­nen nö­tig ist, sinkt um 32 %.

Output statt Denkfähigkeit
Un­ter­neh­men, die sich über Ef­fi­zi­enz­ge­win­ne freu­en, über­se­hen da­bei oft den lang­fris­ti­gen Ef­fekt: Ih­re Teams bau­en geis­tig ab. Men­schen ge­wöh­nen sich da­ran, nicht mehr selbst zu den­ken, weil das ja aus­ge­la­gert wer­den kann auf Smart­pho­ne oder Com­pu­ter.

An­de­re Stu­di­en kom­men zu ähn­li­chen Be­fun­den. Die For­scher des MIT spre­chen von „kog­ni­ti­ven Schul­den“. Ähn­lich wie ech­te Schul­den im wirk­li­chen Le­ben: Je­de ver­meint­li­che Ein­spa­rung mit­tels KI muss spä­ter zu­rück­ge­zahlt wer­den, aber mit Zin­sen.

Es gibt Hoff­nung
In der vier­ten Pha­se der Stu­die zeig­te sich ein Licht­blick: Per­so­nen, die mit gut aus­ge­bil­de­ten kog­ni­ti­ven Fä­hig­kei­ten in den Test hin­ein­ge­gan­gen wa­ren, konn­ten an­ders von der KI-Nut­zung pro­fi­tie­ren. Bei ih­nen nahm die Hirn­leis­tung so­gar zu. Die­se Grup­pe konn­te leicht die aus­ge­la­ger­ten Auf­ga­ben auch wie­der selbst über­neh­men, meis­tens so­gar schnel­ler ent­schei­den als zu­vor, denn sie hat­te ihr Ent­scheid­ungs­ver­mö­gen im Um­gang mit den Aus­wür­fen der Ma­schi­ne trai­niert.

Lo­gi­sche Kon­se­quen­zen
Die KI soll nicht ver­teu­felt oder ver­bannt wer­den. Aber es ist wich­tig, die­ses Werk­zeug be­wusst und ge­zielt ein­zu­set­zen. Kin­der, Ju­gend­li­che, Men­schen oh­ne aus­ge­präg­ten Bil­dungs­hin­ter­grund müssten wir be­glei­ten, Ler­me­tho­den soll­ten eben­so wie Kri­tik­fä­hig­keit un­ter­richt­tet wer­den.

Wir Men­schen ler­nen zum Bei­spiel, wenn wir la­chen. Hier der Aus­wurf ei­ner App, die Nut­zer:in­nen vor Al­ler­ge­nen schüt­zen wer­den soll: Vor ei­nem Pro­dukt wird ge­warnt, weil in der Be­schrei­bung et­was von „Trink­ge­nuss“ steht. Die KI hat nur den Wort­be­stand­teil „Nuss“ ge­se­hen und an­ge­schla­gen.

EDIT: Die­se For­schung fasst ers­te Er­geb­nis­se zu­sam­men, ist ein Pre­print, muss von der Fach­com­mu­ni­ty ein­ge­ord­net und wie­der­holt wer­den. Al­ler­dings re­agie­ren vie­le, die mit der Tech­nik und vor al­lem mit Ler­nen­den und an­de­ren Nut­zer:in­nen zu tun ha­ben, spon­tan mit Zu­stim­mung.

Sie haben die Wahl
1. Sie kön­nen sich von den di­gi­ta­len An­ge­bo­ten das Den­ken ab­neh­men las­sen, zah­len da­für aber mit ei­ner Matsch­bir­ne. Na­ja, oder mit we­ni­ger Denk­leis­tung.
Oder aber Sie trai­nie­ren Ihre geis­tige Eigen­stän­dig­keit und nut­zen die Tech­nik als Werk­zeug.

2. Kin­der soll­ten so lan­ge wie mög­lich von Bild­schir­men fern­ge­hal­ten wer­den, bis ihr Ge­hirn aus­ge­rei­ft ist. Ers­te kur­ze Kon­tak­te dür­fen nur in Be­glei­tung er­fol­gen, und für gu­te Be­glei­tung brau­chen wir von der Wis­sen­schaft aus­ge­ar­bei­te­te Hin­wei­se, die An­gehö­ri­gen und Men­schen, die mit dem Nach­wuchs ar­bei­ten, au­to­ma­tisch zu­gäng­lich ge­macht wer­den.

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Bild: pixlr.com (Zufallsfund)

Berlin auf Rädern

Was Dol­met­scher­in­nen und Über­set­zer­in­nen (und die Her­ren im Be­ruf) tag­ein, tag­aus be­schäf­tigt, wie wir ar­bei­ten, be­schrei­be ich hier in mei­nem di­gi­ta­len Ar­beits­ta­ge­buch, und ich den­ke auch über die Spra­che nach, über die In­hal­te der Ter­mi­ne und ganz all­ge­mein auch über un­ser Le­ben.

Ein kur­zer Dol­metschein­satz in Ber­lin, es ist der Som­mer der Stadt­spa­zier­gän­ge, aber nicht pri­vat, führt mich an den Pa­ri­ser Platz. Als Dol­met­sche­rin bin ich Teil ei­ner klei­nen De­le­ga­ti­on. Wir ha­ben nur ei­nen of­fi­ziel­len Ter­min. Zu­vor spie­len wir im Her­zen der Stadt kurz mal Tou­ris­ten.

Menschen am Brandenburger Tor, einer sitzt im Rollstuhl
Am Brandenburger Tor
Am Vor­mit­tag be­kom­me ich un­ge­plant Ge­le­gen­heit, neue Er­kennt­nis­se über Berlin aus an­de­rer Pers­pek­ti­ve zu sam­meln. Zum Bei­spiel, wie die Stadt für je­man­den aus­sieht, der kein Fuß­gän­ger ist. Um über die Stra­ße zu ge­lan­gen, sind we­gen knap­per Park­lü­cken gro­ße Um­we­ge nö­tig. Fahr­stüh­le in der U-Bahn funk­tio­nie­ren oft nicht. Da war ein Ho­tel­zim­mer als roll­stuhl­fah­rer­taug­lich aus­ge­wie­sen, der Ein­stieg ins Bett er­weist sich aber als zu schmal. Al­so rasch mal eben ein neu­es Ho­tel für alle fin­den, zen­tral und mit aus­rei­chend Ver­füg­bar­keit. Na pri­ma.

Das war üb­ri­gens kei­ne neue Er­fah­rung. Vor Jahr­zehn­ten bin ich mit ei­nem Rol­li­fah­rer nach Can­nes ge­fah­ren. Mich är­gert, dass sich hier so we­nig ge­än­dert hat.

Ärger­lich auch, was ich als Mensch mit Bril­le schon be­merkt ha­be, näm­lich E-­Scoo­ter quer über dem Geh­weg, aus dem Bo­den ge­bro­che­ne Pflas­ter­stei­ne, wil­de Müll­ent­sor­gung (nicht in Ber­lins Wohn­zim­mer, aber an an­de­rer Stel­le). Al­les we­der schön an­zu­se­hen noch prak­tisch.

Die Stadt soll­te für al­le zu­gäng­lich sein.

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Foto: C.E.

Donnerstag, 19. Juni 2025

Arbeit in der Marktforschung

Hal­lo, hier kön­nen Sie im 19. Jahr Epi­so­den aus dem Ar­beits­all­tag ei­ner Dol­met­scherin mit­le­sen. Mei­ne Mut­ter­spra­che ist Deutsch. Vor al­lem an­de­ren ar­bei­te ich als Fran­zö­sisch­dol­met­scherin, aber auch aus dem Eng­li­schen ins Fran­zö­si­sche und schrift­lich ins Deut­sche. Kom­pli­ziert, ich weiß. Die Bü­ro­kol­le­gin über­setzt in die eng­li­sche Spra­che. Heu­te der letz­te Tag für die Wirt­schaft, dann folgt die Ar­beit für die Po­li­tik.

Computer mit Lexik, Tasse, Raum im Halbdunkel, gespiegelte Flaschen
POV (point of view) die­ser Ta­ge
Der Raum wirkt reiz­arm. Das ist gut für die Kon­zen­tra­tion. Und die brau­che ich heu­te. Das ein­zi­ge Bun­te hier sind die Ge­trän­ke­fla­schen im Kühl­schrank mit Glas­tür, die sich im One-way screen spie­geln, le miroir sans tain, ei­ner Glas­wand, durch die nur wir aus dem Be­ob­ach­tungs­‚ka­bi­nett‘ hin­durch­se­hen kön­nen. 

Drau­ßen ist Som­mer, drin­nen brummt die Kli­ma­an­la­ge, die wir re­gel­mä­ßig wie­der aus­schal­ten. Auch Mitt­woch saß ich im Mei­nungs­um­fra­ge- und Markt­for­schungs­ter­min.

Es ist an­stren­gend, der Kör­per pro­du­ziert viel Ad­re­na­lin. Am Abend wer­de ich lange brau­chen, um wie­der zur Ru­he zu kom­men.

Nach zwei- bis drei­stün­di­gen Ein­sät­zen brau­che ich vier Stun­den, um die nö­tige Bett­schwe­re zu ha­ben; nach ei­nem sol­chen Tag sind es eher acht Stun­den, was doof ist, wenn auch am Abend In­ter­views an­be­raumt wa­ren.

Die­se Ar­beit ist aber auch be­frie­di­gend, weil es bei meh­re­ren Grup­pen Wie­der­ho­lun­gen gibt und das Vo­ka­bu­lar kom­plett ver­fes­tigt wird. Es geht um Milch­pro­duk­te, ve­ga­ne Pro­duk­te, um die in­dus­tri­el­le, spritz­mit­tel­in­ten­si­ve Land­wirt­schaft, um Öko­land­bau.

Mei­ne Stim­me hält gut durch, ich be­dan­ke mich in­ner­lich je­des Mal bei mei­nen Aus­bil­der:in­nen in der Spre­cher­zie­hung. Ein­mal muss ich nie­sen, die Kli­ma­an­la­ge halt. Ich ste­he die hal­be Zeit, denn am meis­ten lei­det le derrière, das Da­hin­ten. Die Ge­sprächs­part­ner:in­nen auf der an­de­ren Sei­te kön­nen uns wie ge­sagt nicht se­hen, den Gast aus Pa­ris und mich, aber ich wer­de in­di­rekt vor­ge­stellt. Es wird al­ler­dings nicht ge­sagt, ob ich ei­ne Frau oder ein Mann bin.

Das Gan­ze lief ein­fach so durch mich hin­durch wie Was­ser durch ei­nen Fluss. Die Wör­ter und Sät­ze wa­ren da, der Atem hat ge­reicht. Der Kraft­akt lag al­lein in der Län­ge, und der Kör­per war an­schlie­ßend leer.

Die Ver­ab­schie­dungs­run­de dol­met­sche ich schon nicht mehr, sprin­ge am En­de auf wie ein "ge­öl­ter Blitz", so heißt es, und ren­ne in den restroom, um mich zu er­leich­tern. Beim Rück­weg grü­ße ich die In­ter­view­gäs­te am Coun­ter, die ge­ra­de ih­re Auf­wands­ent­schä­di­gung er­hal­ten und nicht ah­nen, dass ich auch an den Ge­sprä­chen be­tei­ligt war. Ko­mi­sches Mo­ment.

Ein Mo­ment, der sich dop­pelt. Di­gi­tal sind per Vi­deo­kon­fe­renz in Pa­ris noch mehr Men­schen zu­ge­schal­tet, die pro­to­kol­lie­ren, Ton mit­schnei­den oder ein­fach nur zu­hö­ren. Am En­de wer­den die bei­den Ton­spu­ren di­gi­tal trans­kri­biert, hal­lo KI, und am En­de von Pro­fis ab­gehört und kor­ri­giert.

Frü­her hät­te da ein gro­ßes Team ab­ge­tippt, was ei­ne recht stumpf­sin­nige Ar­beit ist. Ich hof­fe, dass die Stu­die­ren­den von heu­te, denn das war meis­tens ein Stu­dent:in­nen­job, krea­ti­ve­re Ar­beits­ein­sät­ze ha­ben, um Geld zu ver­die­nen.

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Fo­to: C.E.

Mittwoch, 18. Juni 2025

Schön, glatt, meins, falsch!

Wie Über­set­ze­rin­nen und Über­set­zer, Dol­met­sche­rin­nen und Dol­met­scher ar­bei­ten, be­schrei­be ich hier seit fast zwei Jahr­zehn­ten. Mei­ne Ar­beits­spra­chen sind Deutsch (Mut­ter­spra­che), Fran­zö­sisch und Eng­lisch; mei­ne Bü­ro­kol­le­gin ar­bei­tet als Über­set­ze­rin, al­so schrift­lich, mit Eng­lisch als Ziel­spra­che. Heu­te: KI-Mitt­woch.

Was hat ein Text mit ei­nem Ikea-Mö­bel zu tun? Und was der KI-Aus­wurf mit dem Hoch­glanz­fo­to ei­ner Fe­ri­en­woh­nung im Abend­licht? Dar­über schrei­be ich heu­te.

Ein be­kann­tes Pro­blem ist, dass wir das, was wir da schon mal ste­hen ha­ben an Text, über­schät­zen. Und wenn es die KI ge­lie­fert hat, sind wir auch stolz. Zwei Grund­aus­sa­gen: „Das war mein Prompt“ und: „Es war gra­tis“!

Dann sieht es das kri­tische Auge an und denkt: „Wow, gar nicht schlecht, das ist ja die hal­be Mie­te.“

Ja, Pus­te­ku­chen, ge­nau die­se Mi­schung aus Zu­frie­den­heit und Stolz macht uns be­triebs­blind.

Wer sein ei­ge­nes Ikea-Mö­bel auf­ge­baut hat, ist stolz auf das Teil, weil eben selbst­ge­schraubt, und zwar so­gar dann, wenn es schief steht oder am En­de noch Schrau­ben üb­rig sind. Die Fach­leu­te spre­chen vom Ikea-Mo­ment oder vom Endowment-Ef­fekt. So wird die Nei­gung von uns Men­schen ge­nannt, et­was, was wir be­sit­zen, hö­her zu be­wer­ten als et­was Ab­strak­tes. Ver­wandt ist da­mit der IKEA-Ef­fekt, durch den wir Din­ge, die wir selbst ge­baut ha­ben, als wert­vol­ler be­trach­ten.

Kurz: Hier wird un­se­re kri­tische In­stanz ge­schwächt und am En­de las­sen wir Er­geb­nis­se durch­ge­hen, die, wä­ren sie von der Kol­le­gin ge­kom­men, zer­ris­sen hät­ten.

Schwie­rig, schwie­rig.

Abendlicht, Bett, Strand, Sessel
Viel­leicht ei­ne trü­ge­rische Idyl­le …
So ähn­lich ist es auch mit Aus­wür­fen, die die KI als Über­set­zun­gen aus­gibt. Die­se Wort­samm­lun­gen sind so glatt und har­mo­nisch wie ein Hoch­glanz­fo­to, das uns ei­ne Fe­ri­en­woh­nung im Abend­licht zeigt, in der wir uns gra­tis ein Wo­chen­en­de lang auf­hal­ten dür­fen. Wir kön­nen uns nichts Stö­ren­des vor­stel­len. Der An­blick der Ur­laubs­oase ent­spannt den Kör­per, das Ge­hirn schal­tet auf Pau­se.

Die Ge­fahr: Vor lau­ter Well­ness­ge­fühl ist der kri­tische Geist aus­ge­schal­tet und Tipp- und Denk­feh­ler sind nicht zu se­hen, um im Bild zu blei­ben: der frem­de Haa­re und Flecken in den Ses­sel­rit­zen, stau­bige Plas­tik­pflan­ze, schmut­zi­ge Bett­wä­sche un­ter dem hüb­schen Bett­über­wurf, und ans Meer vor dem Fens­ter kom­men wir auch nur mit dem Au­to über die Auto­bahn.

Ob­acht!

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Il­lust­ra­tion: pixlr.com (Zu­falls­fund)

Dienstag, 17. Juni 2025

Je nach Marktlage

Bon­jour, hello & gu­ten Tag! Hier le­sen Sie in Be­rich­ten aus dem Le­ben von Über­set­ze­rin­nen, Über­set­zer, Dol­met­scher­in­nen und Dol­met­scher. Ich bin Fran­zö­sisch­dol­met­sche­rin und ar­bei­te auch mit Eng­lisch (das Id­i­om Shake­speares nur als Aus­gangs­spra­che). Diens­tag, die Wo­che ist noch fast neu: Wäh­rend die Kol­le­gin mit Ob­jekt­be­schrift­un­gen für ein Mu­se­um kämpft, les car­tels, ler­ne ich Le­bens­mit­tel­wirt­schaft & Co.

Abb. 3: Von ChatGPT, dann per Hand über­ar­bei­tet
Nach dem Mor­gen­kaffee sit­ze ich da und pauke. Heu­te ist der ers­te Mei­nungs­um­fra­gen- und Markt­for­schungs­tag als Dol­met­sche­rin. Das The­ma wurde ge­än­dert, ich bin nun ein­ge­teilt zur Gruppe über Bio­le­bens­mit­tel, Obst, Ge­müse, ve­gane und ve­ge­ta­rische Pro­duk­te. Es geht auch um Spritz­mit­tel, Ver­pa­ckung, Ver­trau­en.

Gleich wer­de ich run­ter auf den Wo­chen­markt ge­hen, den ich von mei­nem Bü­ro­bal­kon aus sehe.

Am Bio­stand kaufe ich dann Früch­te und Ge­mü­se, auch für die Pau­se bei der Ar­beit. Und ich se­he mich schon jetzt, wie ich am Abend nach­hau­se­kom­men werde, auf dem Weg, das May­bach­ufer run­ter, links und rechts wird der Markt ein­ge­packt, die gro­ßen Rest­ge­bin­de mit Plas­tik­fo­lie um­wi­ckelt wer­den, „fo­lie­ren“ nen­nen sie das.

Frü­her wur­den dazu gro­ber Rup­fen­strick und -säcke ver­wen­det, noch wirk­lich ge­schnürt und ge­kno­tet. Das hat na­tür­lich Spu­ren auf den Hän­den hin­ter­las­sen. Das Plas­tik heu­te ist „haut­scho­nen­der“. Auch die vie­len Kis­ten und Scha­len so­wie an­de­re Sa­chen sind auf dem Markt zu 100 Pro­zent aus Plas­tik. Ja, es gibt noch Papp­kis­ten und Holz­pa­let­ten, aber ich sehe jetzt im­mer öf­ter Pa­let­ten aus Plas­tik da rum­ste­hen, die we­ni­ger wie­gen.

Der Preis da­für ist hoch. Wir im Wes­ten neh­men Wo­che für Wo­che so viel Mi­kro­plas­tik auf, wie eine Kre­dit­kar­te wiegt. Ge­sund ist das nicht. Das kann nie­mand nicht kom­plett ver­mei­den, auch nicht mit Bio­es­sen, denn Plas­tik ist längst im Was­ser, in der Luft, er­reicht so­gar die Na­bel­schnur von Neu­ge­bo­re­nen.

Das ech­te Foto stammt aus ei­ner Zeit des Auf­bruchs, viel­leicht An­fang/Mit­te der 1950er.

Abb. 1: Vor­la­ge, könn­te fast am May­bach­ufer sein
Der Krieg war nicht lan­ge her, lang­sam kam der Wohl­stand. 55 Pfen­nig für ein hal­bes Kilo Obst war da­mals auch nicht bil­lig. Obst gab es zu­dem nur sai­so­nal. Ver­packt war es meis­tens in Span­kör­ben (sie­he das ers­te Bild). Das Schild wur­de mit Ta­fel­far­be ge­stri­chen, die mit ge­üb­ter Hand mit Krei­de­far­be be­schrif­tet wur­den. Derlei ha­be ich En­de des letz­ten Jahr­tau­sends noch in Pa­ris ge­se­hen.
Als das Fo­to auf­ge­nom­men wur­de, war das Kon­zept „Bio“ un­be­kannt. Es wur­de kaum ge­spritzt, fast al­les war „Bio“.

Die Wa­ren wa­ren re­gio­nal, ka­men aus klei­nen Gär­ten oder vom Land. Sie her­zu­stel­len war ‚per­so­nal­in­ten­si­ver‘.

Heu­te Abend wird (wie im­mer kurz vor Markt­schluss) das stark ge­spritz­te Obst bil­lig sein, Obst, das ich nicht es­sen darf. Ich re­a­gie­re stark al­ler­gisch auf die Ag­rar­che­mie.

Den Un­ter­la­gen der In­ter­views, die ich am Mor­gen durch­ge­he, ent­neh­me ich, dass sich et­li­che Fra­gen beim Dol­metsch­ein­satz auf die­se Wi­der­sprü­che be­zie­hen, auf die Angst, sich zu ver­gif­ten, auf die Sor­gen, was aus der Zu­kunft der Kin­der wer­den könn­te.

Von ChatGPT "nachgebildetes" Bild mit einem schwebenden VW-Käfer vor der Warentafel und einer künstlichen Glätte
Abb. 2: Zwi­schen­stand mit Feh­lern
Es gibt Wil­len zur Ver­än­de­rung in der Be­völ­ke­rung, oft aber auch viel Gleich­gül­tig­keit in Zei­ten, in de­nen vie­le das Ge­fühl ha­ben, dass ih­nen ein­fach zu viel pa­ral­lel ab­ver­langt wird und zu vie­le Nach­rich­ten über sie he­rein­bre­chen. 

Am Abend wer­de ich mü­de sein, aber froh, dass die Leu­te, de­ren Wor­te ich ver­dol­metscht ha­ben wer­de, sich Mü­he ge­ge­ben ha­ben, ech­te Fra­gen zu stel­len und Ant­wor­ten zu su­chen. Und ich wer­de hof­fen, dass un­ser al­ler An­stren­gun­gen auch wirk­lich Kon­se­quen­zen ha­ben.

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Bil­der: Ar­chiv Elias Los­sow / „KI-Über-
ar­bei­tung“ plus Re­tu­schen durch mich

Montag, 16. Juni 2025

Montagsschreibtisch (94)

Im 19. Jahr be­schrei­be ich hier mei­nen sprach­be­ton­ten All­tag, als Fran­zö­sisch­dol­met­sche­rin und Über­set­ze­rin. In der Haupt­stadt ha­be ich mit ak­tu­el­len The­men zu tun. Das ist nicht im­mer ver­gnü­gungs­steu­er­pflich­tig.

Verschiedene Köpfe, bunte Schöpfe, Brillen, Münder oder auch nicht, Augen oder auch nicht, Hautfarben, Teints, Schlipse oder Westen oder Blusen oder ...
Wir sind das Volk!
Heu­te folgt wie­der mein Blick auf den Schreib­tisch die­ser Wo­che. Es wer­den wie­der vol­le Ta­ge.

Ich be­schäf­ti­ge mich mit fol­gen­den The­men:
❁ Hand­wer­ker:­in­nen und ihre In­ter­es­sens­ver­tre­tung in D'land
❁ Kü­chen­ma­schi­nen (Markt­for­schung)
❁ An­ti-Kor­rup­tions­ge­set­ze der EU und die Stim­mungs­la­ge da­zu in Deutsch­land

❀ ❀ ❀

Zum drit­ten Schwer­punkt die­ser Wo­che ei­ni­ge Wor­te. Es wird schmut­zig. Wäh­rend der­zeit in vie­len eu­ro­pä­i­schen Staa­ten neue Maß­nah­men ge­gen Kor­rup­tion auf den Weg ge­bracht wer­den, blo­ckiert die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land im EU-Mi­nis­ter­rat eine ge­plan­te Richt­li­nie zur Kor­rup­tions­be­kämp­fung, die zum Ziel hat, Amts­miss­brauch und an­de­re For­men von Kor­rup­tion EU-weit als Straf­ta­ten zu de­fi­nie­ren und ein­heit­li­che Min­dest­stan­dards dafür zu schaf­fen, wie Staa­ten Kor­rup­tions­ri­si­ken sys­te­ma­tisch ver­hin­dern sol­len.

Made in France ...
Ein­schub: Der fran­zö­si­sche Ex-Prä­si­dent Nico­las Sar­ko­zy ist nicht nur in­zwi­schen ein ver­ur­teil­ter Straf­tä­ter mit Haus­ar­rest, was eine Fuß­fes­sel kon­trol­liert, son­dern ihm wur­den kürz­lich die Aus­zeich­nun­gen der Eh­ren­le­gi­on aber­kannt. Zu­recht, denn wir dür­fen ihn als kor­rup­ten Po­li­ti­ker be­zeich­nen. Im Grun­de müss­ten auch sei­ne Al­ters­be­zü­ge um den An­teil ge­kürzt wer­den, die aus dem letz­ten gro­ßen Amt stam­men. Die Un­gleich­be­hand­lung, Nor­mal­bür­ger wan­dern für we­ni­ger in den Knast, er re­si­diert wei­ter­hin in sei­ner Vil­la, sorgt wei­ter­hin bei vie­len für Un­mut. Ein­schub­en­de.

Rück­sprung nach Deutsch­land. Die ak­tu­el­le Re­gie­rung ver­wei­gert nicht nur Zu­stim­mung zur neu­en Richt­li­nie, son­dern auch die Dis­kus­sion da­zu. Deutsch­land ist das Land, das sich gern als Ver­tei­di­ger rechts­staat­li­cher und de­mo­kra­tischer Prin­zi­pien prä­sen­tiert. In Brüs­sel und Pa­ris schüt­teln sie mit dem Kopf.

Der Fo­kus der ge­plan­ten EU-Richt­li­nie liegt kei­nes­wegs auf re­vo­lu­tio­nä­ren Maß­nah­men, es geht um Grund­le­gen­des: Trans­pa­renz, Nach­voll­zieh­bar­keit und in­sti­tu­tio­nel­le Schutz­me­cha­nis­men ge­gen Macht­miss­brauch. Die ab­leh­nende Hal­tung Deutsch­lands fällt um­so stär­ker ins Ge­wicht, da das Land selbst in den ver­gan­ge­nen Jah­ren im­mer wie­der mit Kor­rup­tions- und Lob­by­skan­da­len kon­fron­tiert war, ich nen­ne nur Mas­ken­deals in den Co­ro­na­jah­ren, en­ge Ver­bin­dun­gen zwi­schen po­li­ti­schen Ent­schei­dungs­trä­gern und In­dus­trie­ver­tre­tern, um es di­plo­ma­tisch aus­zu­drü­cken.

Feh­len­de Kon­se­quenz bei Ver­stö­ßen
Auch im Be­reich von Steu­er­ver­mei­dung und ‑hin­ter­zie­hung hat Deutsch­land trotz wie­der­hol­ter An­kün­di­gun­gen we­nig un­ter­nom­men, um ef­fek­ti­ve Sank­tio­nen zu eta­blie­ren. Be­son­ders gra­vie­rend sind die Schä­den durch so­ge­nann­te Cum-Cum- und Cum-Ex-Ge­schäf­te. Bei die­sen il­le­ga­len Steu­er­tricks lie­ßen sich Be­tei­lig­te Ka­pi­tal­er­trags­steu­ern mehr­fach vom Fis­kus er­stat­ten, die sie gar nicht ge­zahlt hat­ten. Der Fis­kus sind im Grun­de wir: die Sum­me al­ler, die Steu­ern zah­len.

Laut Re­cher­chen des Tax Jus­tice Net­work und der Platt­form Cor­rec­tiv be­lau­fen sich die durch Cum-Ex/Cum-Cum ver­ur­sach­ten Ver­lus­te in Eu­ro­pa auf min­des­tens 55 Mil­li­ar­den Eu­ro, da­von al­lein über 10 Mil­li­ar­den in Deutsch­land. Die Dun­kel­zif­fer dürf­te deut­lich hö­her lie­gen. Auch das Bun­des­zen­tral­amt für Steu­ern und der Bun­des­rech­nungs­hof kri­ti­sier­ten mehr­fach, dass die recht­li­chen und or­ga­ni­sa­to­ri­schen Ge­gen­maß­nah­men un­zu­rei­chend sind. Bank­leu­te spre­chen da­von, dass die Mo­del­le in ver­än­der­ter Form bis heu­te lau­fen.

Ein Glaub­wür­dig­keits­pro­blem
Wenn ein Land in­ner­halb der EU An­ti-Kor­rup­tions­maß­nah­men blo­ckiert und gleich­zei­tig bei der Auf­ar­bei­tung wirt­schafts­kri­mi­nel­ler Prak­ti­ken hin­ter­her­hinkt, stellt sich un­wei­ger­lich die Fra­ge nach der po­li­ti­schen Glaub­wür­dig­keit. Es geht da­bei nicht nur um ein­zel­ne Fäl­le, son­dern um struk­tu­rel­le Ver­ant­wor­tung: Wer po­li­ti­sche Äm­ter und öf­fent­li­che Res­sour­cen schützt, muss auch be­reit sein, sich wirk­sa­men Kon­troll­me­cha­nis­men zu un­ter­wer­fen. Das gilt auch für die in­ter­natio­nale Ebe­ne.

De­bat­ten um Rechts­staat­lich­keit dür­fen nicht se­lek­tiv ge­führt wer­den. Ein Land, das Un­garn oder Po­len re­gel­mä­ßig für De­fi­zi­te im Jus­tiz­sys­tem kri­ti­siert, soll­te auch ei­ge­ne De­fi­zi­te be­nenn­en und ab­stel­len.

Fa­zit
Ge­ra­de in Zei­ten glo­ba­ler Kri­sen be­steht die Ge­fahr, dass wich­ti­ge in­nen- und eu­ro­pa­po­li­tische Ent­wick­lun­gen aus dem Blick­feld ge­ra­ten. Doch der Schutz de­mo­kra­tischer In­sti­tu­tio­nen be­ginnt nicht mit spek­ta­ku­lä­ren Skan­da­len, son­dern bei der Be­reit­schaft, grund­le­gen­de, trans­pa­ren­te Stan­dards zu ge­währ­leis­ten. Wer bei der Kor­rup­tions­be­käm­pfung bremst, ris­kiert das Ver­trauen der Be­völ­ke­rung. Er treibt ex­tre­mis­ti­schen Par­tei­en neu­es Wahl­volk zu.

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Il­lus­tra­tion: Pixlr.com (Zu­falls­fund)

Samstag, 14. Juni 2025

Hitze!

Hal­lo! Hier le­sen Sie re­gel­mä­ßig Neu­es aus der Dol­met­scher­ka­bi­ne, vom Über­set­zer­schreib­tisch und aus der Welt der Idi­o­me ... völ­lig sub­jek­tiv ge­fil­tert von mir, ei­ner Dol­met­sche­rin und Über­set­ze­rin für die fran­zö­si­sche Spra­che. In Deutsch­land geht das ers­te Hit­ze­wo­chen­en­de des Jahres los.

Mil­lio­nen von Men­schen le­ben in Woh­nun­gen, die un­zu­rei­chend vor Hit­ze ge­schützt sind. Schon Mit­te der Nuller­jah­re ha­ben wir auf Ar­chi­tek­ten­kon­fe­ren­zen ver­dol­metscht, dass Ge­bäu­de hit­ze­si­cher ge­macht wer­den soll­ten, und zwar am bes­ten gleich ab Bau:
❦ Grö­ße, Art und Aus­rich­tung von Ge­bäu­de und Fens­tern
❦ tie­fe Dach­über­stän­de, die im Win­ter Son­ne rein­las­sen, wenn sie nied­rig steht, im Som­mer aber die Räu­me schüt­zen
❦ di­cke Wän­de aus nach­hal­ti­gen Bau­stof­fen, z.B. leim- und me­tall­freie Holz­ver­bund­wän­de, Lehm, be­deu­tet auch: dau­er­haf­te Ge­bäu­de, Fach­werk wei­ter­ge­dacht [Ne­ben­ef­fekt: hier wer­den auch die Fens­ter in­di­rekt ge­schützt]
❦ hel­le oder am bes­ten wei­ße Au­ßen­an­stri­che
❦ Holz­rol­lä­den vor den Fens­tern, am bes­ten mit Aus­stell­funk­ti­on, so wie frü­her, da­mit Licht rein­kommt (sie­he Fo­to)
❦ Däm­mung mit na­tür­li­chen Ma­te­ria­li­en (Nach­rüs­tung)
❦ im Kern des Ge­bäu­des ggf. Mau­er / Ge­bäu­de­kern, al­so et­was, das für ho­he La­tenz­spei­che­rung von Wär­me oder Käl­te taugt
❦ Be­grü­nung von Dä­chern, Hö­fen und Fas­sa­den
❦ Ver­mei­dung von Wär­me- und Käl­te­brü­cken
❦ Lüf­tungs­pla­nung, die auch mit ein­be­zieht, was sich z.B. in Nord­af­ri­ka als er­folg­reich er­wie­sen hat: In­nen­hof, Luft­zir­ku­la­ti­on be­wusst pla­nen, Holz­wän­de mit Durch­brü­chen an Ter­ras­sen oder vor Fens­tern oder zum Flur hin, durch die die Luft frei zir­ku­lie­ren kann, le mouch­ara­bieh von Ma­schra­biy­ya (ara­bisch مشربية, maš­ra­bī­ya).

Altes Haus um 1900
Oben rechts im 1. Stock: Aus­stel­ler­rol­la­de
In den Städ­ten ist das The­ma Luft­zir­ku­la­ti­on und Hit­ze­in­seln zen­tral. Durch die Be­grü­nung von Dä­chern, Fas­sa­den und Hin­ter­hö­fen, die Schaf­fung und Be­wah­rung von Grün­flä­chen, die Ent­sie­ge­lung von Bö­den wird Ver­duns­tungs­käl­te entstehen. In vie­len Ge­mein­den ist schon das Ver­bot von Schot­ter­gär­ten er­folg­reich. Es reicht of­fen­sicht­lich nicht, auf Ein­sicht zu set­zen.

Da­bei gibt es vie­le gu­te Bei­spie­le, auch für bio­lo­gisch und en­er­ge­tisch nach­hal­ti­ges Bau­en, z.B. bei Aurélien Collombet, und un­ter Be­rück­sich­ti­gung des Was­ser­ma­nage­ments, Was­ser­man­gel (Stich­wort: Schwamm­stadt) bzw. Stark­re­gen (Link zum Bun­des­ins­ti­tut für Bau-, Stadt- und Raum­for­schung).


Vo­ka­bel­lis­te
sans injonction extérieure — oh­ne äu­ße­ren Zwang (wört­lich: oh­ne Auf­for­de­rung)
l'inertie thermique — Wär­me­spei­che­rung / Käl­te­spei­che­rung
les fortes chaleurs — gro­ße Hit­ze
la terre crue, le pisé — Lehm / Stampf­lehm
maison bioclimatique — bio­kli­ma­ti­sches Haus
matériaux denses — dich­te Ma­te­ria­li­en
ventilation naturelle — na­tür­li­che Be­lüf­tung

Deutsch­land­weit sind Mil­lio­nen Men­schen an ih­rem Wohn­ort ex­tre­mer Hit­ze aus­ge­setzt. Zum zwei­ten Mal hat die Deut­sche Um­welt­hil­fe 190 deut­sche Städ­te bei ei­nem Hit­ze-Check aus­ge­wer­tet, hier geht es zu den Er­geb­nis­sen: Deut­sche Um­welt­hil­fe ... klick! Aus­ge­wer­tet wur­den 190 Städ­te, 31 von ih­nen er­hal­ten ei­ne ro­te Kar­te. Mann­heim, Lud­wigs­ha­fen und Worms sind am stärks­ten von Hit­ze be­trof­fen. Hier feh­len Bäu­me, Parks, Was­ser­läu­fe, ent­sie­gel­te Flä­chen. Nur 28 Städ­te wur­den mit "gut" be­wer­tet.

Was sonst so los ist: Lan­ger Tag der Stadt­na­tur in Ber­lin mit vie­len Vor­trä­gen und der Öff­nung man­cher sonst schwer zu­gäng­li­cher Kleinst­oa­se, mehr In­fos hier: klick. heu­te und mor­gen. 40 Jah­re Schen­ge­ner Ab­kom­men, so ak­tu­ell wie nie, mehr In­fos: Bun­des­zen­tra­le für po­li­ti­sche Bil­dung, klick!

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Fo­to: Ar­chiv Elias Los­sow

Freitag, 13. Juni 2025

Fundstück mit Nachhall

Bon­jour und hal­lo! Im 19. Jahr schreibe ich auf die­sen Sei­ten über das wech­sel­vol­le Ar­beits­le­ben ei­ner Dol­met­scher­in für die fran­zö­si­sche Spra­che. Das kann ich, denn die Fran­zö­sisch­dol­met­scher­in bin ich. Das darf ich, denn ich schüt­ze al­le pri­va­ten In­for­ma­tio­nen und Da­ten. Auch mein Be­rufs­stand hat sein Schwei­ge­ge­lüb­de. Manch­mal schütz­te ich In­for­ma­tio­nen so­gar vor mir selbst.

Nussmuß, Kaffe, Äpfel: schneller Snack
Spaß bei­sei­te, dumm ge­lau­fen: Beim Lö­schen al­ter Nach­rich­ten finde ich ei­ne al­te Emp­feh­lung, um die ich da­mals ge­be­ten hat­te. Ich weiß nicht, war­um sie in Ver­ges­sen­heit ge­riet, als sie vor Jah­ren in mei­nen Mail­brief­kas­ten flat­ter­te und da ganz un­ten ver­blieb, als Ent­wurf zu ei­ner Ant­wort.

Ich kann es er­ahn­en. Ich hat­te wohl vor, noch nach ei­nem Fo­to zu fra­gen. Die Hek­tik des All­tags schlug zu, als ich die Nach­richt schrei­ben woll­te, und hat sich dann über­schla­gen.

Es war (und ist) viel los: Pfle­ge, Pan­de­mie, Kin­dern beim Abi hel­fen, Post-Co­ro­na-Wirt­schafts­kri­se und Long Co­vid, Krieg ge­gen die Ukrai­ne mit den be­kann­ten Aus­wir­kun­gen auf die Öko­no­mie, ... Das hier soll kein Rück­blick über die Ruhs hours der letz­ten Jah­re sein. Hier folgt die Em­pfeh­lung, für die ich dan­ke!

Kurz­fris­tig ein­ge­sprun­gen für ei­nen Abend in der Ber­lin-Bran­den­bur­gi­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten zum The­ma ‚Se­xua­li­tät, woher kommen Tabus, Gewalt und Scham?‘, hat Ca­ro­li­ne E­li­as ei­nen nicht ein­fa­chen Part als Dol­met­scher­in über­nom­men – und ihn mit Bra­vour ge­meis­tert. Da­bei hat sie sich den sprach­li­chen Ge­ge­ben­hei­ten ele­gant an­ge­passt und kon­se­ku­tiv fürs Pu­bli­kum aus dem Eng­li­schen ins Deut­sche und dann si­multan ins Fran­zö­si­sche ge­dol­metscht, und zwar für Nora Amin, The­ater­re­gis­seu­rin und Au­to­rin aus Kai­ro.

Hell­wach, punkt­ge­nau, ein­fühl­sam und da­bei im­mer sym­pa­thisch und zu­rück­hal­tend, hat Frau E­li­as dem deut­schen Pu­bli­kum Frau Amin ver­ständ­lich ge­macht.

Ganz gleich zu wel­chem The­ma — nach die­sem Abend über ein wahr­lich nicht ein­fa­ches The­ma wür­de ich Ca­ro­li­ne Elias im­mer wie­der ein­set­zen. Es er­geht ei­ne herz­li­che Emp­feh­lung!


Mar­ga­re­te Schwind, Ku­ra­to­rin der Ber­li­ner Re­li­gi­ons­ge­sprä­che in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften; eine Ge­sprächs­rei­he des Ver­lags der Welt­re­li­gio­nen / der Udo Kel­ler Stif­tung.

Ich er­in­ne­re mich an den Tag, als wä­re es ges­tern. Mar­ga­re­te Schwind rief mich am Nach­mit­tag an, als ich ge­ra­de mit ei­nem Kun­den beim Be­hör­den­gang war. Der Ein­satz war am glei­chen Abend. In­fo­ma­te­ri­al gab es nicht. Ich hat­te dann im Be­hör­den­flur auf dem Han­dy mög­lichst viel raus­ge­sucht, auf Brief­um­schlä­gen mei­ne Le­xik an­ge­legt, ge­paukt, mich zu­hau­se schnell um­ge­zo­gen, Apfel und Brot mit Nuss­muß ge­ges­sen, die Vo­ka­bel­lis­te zu­sam­men­ge­klebt, No­tiz­pa­pier ge­schnappt … und dann vor Ort mei­ne All­ge­mein­bil­dung be­müht. 

Ein Hoch auf all­ge­mein­bil­den­de Schu­len und Stu­di­en­gän­ge!

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Bild: Pixlr.com (Zu­falls­fund)

Donnerstag, 12. Juni 2025

Ein ewi­ger Auf­trag

Was Dol­met­scher­in­nen und Über­set­zer­in­nen (und die Her­ren im Be­ruf) tag­ein, tag­aus be­schäf­tigt, wie wir ar­bei­ten, be­schrei­be ich hier in mei­nem di­gi­ta­len Ar­beits­ta­ge­buch, und ich den­ke auch über die Spra­che nach, über die In­hal­te und über un­ser Le­ben.

Am 12. Ju­ni des Jah­res 1929 wur­de in Frank­furt am Main ein Ba­by ge­bo­ren, dem als jun­ges Mäd­chen Schreck­li­ches wi­der­fuhr. Ich ge­den­ke der Au­to­rin An­ne Frank an ih­rem Ge­burts­tag.

Anne Frank als Portrait aus Punkten
Anne Frank
Ihr Nach­lass, das Ta­ge­buch, hat die gan­ze Welt be­wegt. Oder viel­leicht nicht die gan­ze Welt. Ich emp­fin­de ich es als be­son­de­res Dra­ma, dass so­gar in un­se­rer frei­heit­li­chen Ge­sell­schaft vie­le Kin­der und Ju­gend­li­che nichts von der deut­schen Ver­gan­gen­heit wis­sen.

In an­de­ren Tei­len der Welt er­le­ben wir kal­te In­for­ma­tions­krie­ge, die Do­ku­men­te wie dieses ver­bie­ten möch­ten, aber auch "hei­ße" Krie­ge, ei­nen Re­li­gi­ons­krieg, der – an­ders als der his­to­ri­sche 30-jäh­ri­ge Krieg – schon län­ger an­dau­ert. Und da­ne­ben füh­ren ei­ni­ge Ul­tr­arei­chen Krieg ge­gen den Rest der Be­völ­ke­rung und ge­gen die Um­welt und die Na­tur, de­ren Teil auch sie sind.

Ge­walt und Mord, Un­ter­drü­ckung und Ver­fol­gung von Frau­en und Min­der­hei­ten, re­li­giö­ser To­ta­li­ta­ris­mus und Zer­stö­rungs­wut durch Ir­re und Ex­tre­mis­ten gibt es der­zeit ge­fühlt so viel wie seit Jahr­zehn­ten nicht.

An­ne Frank spricht bis heu­te di­rekt zu uns. Wir müs­sen nur hö­ren und Em­pa­thie auf­brin­gen. Aus dem Ta­ge­buch von An­ne Frank, 1943: Drau­ßen ge­sche­hen schreck­li­che Din­ge ... Fa­mi­li­en wer­den aus­ein­an­der­ge­ris­sen; Män­ner, Frau­en und Kin­der wer­den ge­trennt. Kin­der kom­men von der Schu­le nach Hau­se und stel­len fest, dass ih­re El­tern ver­schwun­den sind.

Wir wis­sen, wie es wei­ter­ging. We­ni­ge Mo­na­te vor Kriegs­en­de fan­den An­ne und ih­re Schwes­ter Mar­got in Ber­gen-Bel­sen den Tod.

So grau­sam die heu­ti­ge Zei­ten sind, die in­dus­tri­el­le Mas­sen­ver­nich­tung, in Deutsch­land er­fun­den, kennt nichts Ver­gleich­ba­res. Ge­nau dar­aus müs­sen wir ei­ne Ver­ant­wor­tung ab­lei­ten, und da­mit mei­ne ich die ge­sam­te Be­völ­ke­rung des Lan­des, auch die Zu­ge­wan­der­ten.

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Il­lus­tra­ti­on: Hes­si­scher Land­tag,
Annes Bild ist seit heute dort vor Ort.

Mittwoch, 11. Juni 2025

Try now, pray later?

Will­kom­men auf den Sei­ten ei­ner Kon­fe­renz­dol­met­scherin für die fran­zö­si­sche Spra­che und aus dem Eng­li­schen, die in den Be­rei­chen De­mo­kra­tie, Spra­che, Kul­tur, Wirt­schaft und Ge­sell­schaft ar­bei­tet. Die neue Fol­ge mei­nes KI-Mitt­wochs lau­tet so:

Mensch ge­gen Ma­schi­ne, hier die ge­fühl­te Fol­ge Nr. 534. Die War­nung, die ich mich bis­lang noch nicht wei­ter­zu­lei­ten ge­traut ha­be, kommt di­rekt aus der Schalt­zen­tra­le des Fort­schritts: Google Deep­Mind hat ein bri­san­tes Pa­pier fol­gen­den In­halts ver­öf­fent­licht: „Wir könn­ten bald Ma­schi­nen bau­en, die klü­ger sind als wir, und das war’s dann mit der Mensch­heit!“

Na dann: Fro­he Zu­kunft!
Wo­rum geht’s ge­nau? Deep­Mind rech­net ernst­haft da­mit, dass so­ge­nann­te Ar­ti­fi­cial Ge­ne­ral In­tel­li­gence (AGI) — al­so KI mit men­schen­ähn­li­cher Denk­fä­hig­keit — be­reits bis 2030 start­klar ist, also fast über­mor­gen.

Sprachpolitik, Sprechverbote, Propaganda, Filter, Bias in Schleife, Big Brother, Simulation, Zensur, Halluzinationen, Desinformation, Maschinenlogik, Autokratie
Gefahr: Technik ersetzt Mensch
Das wirk­lich Er­staun­li­che am Pa­pier ist aber nicht die Zeit­pro­gno­se, son­dern ein Satz, der im Be­richt recht nüch­tern da­her­kommt, der ei­nem aber bei ge­nau­e­rem Le­sen das Blut in den Adern ge­frie­ren lässt: AGI könn­te „die Mensch­heit dau­er­haft ver­nich­ten“, wenn sie falsch pro­gram­miert oder miss­braucht wird.
Oha.

Die Re­de ist nicht von Un­fäl­len oder Re­chen­feh­lern, son­dern von ei­nem mög­li­chen En­de der Spe­zies.

Das klingt wie ei­ne fie­se Dys­to­pie aus Hol­ly­wood. Es ist aber ein ernst­ge­mein­tes Sze­na­rio aus dem Her­zen der Tech-Eli­te.

Ei­ne Art UN für die KI, bit­te!
De­mis Has­sa­bis, der Chef von Deep­Mind, schlägt vor, ei­ne Art Welt-KI-Rat zu grün­den, ei­ne in­ter­natio­nale Or­ga­ni­sa­tion, die über al­le AGI-Ent­wick­lun­gen wacht. Ein biss­chen wie die UNO, nur mit mehr In­for­ma­ti­kern und mit we­ni­ger Di­plo­ma­ten.

Oder bes­ser noch die Atom­for­schungs­be­hör­de CERN als Vor­la­ge, nur eben für die KI, als glo­ba­les For­schungs­kon­sor­ti­um mit Eh­ren­ko­dex und ge­teil­ten Si­cher­heits­stan­dards. (Die Phy­si­ker:­in­nen dürf­en ja auch nicht al­lein am Higgs-Bo­son schrau­ben.)

Ob sich die KI-In­dus­trie auf Ethik­grund­sät­ze ei­ni­gen kann, ist frag­lich. Wer heu­te schon bei Chat­bots um Markt­vor­tei­le in Pro­zen­ten kämpft, dürf­te bei der Fra­ge „Wem ge­hört die Su­per­in­tel­li­genz?“ nicht zur Ko­o­pe­ra­tion nei­gen.

Ein gan­zer Chor von War­nern
Mit sei­nen Sor­gen steht Has­sa­bis nicht al­lein da. Geof­frey Hin­ton, der so­ge­nann­te „God­fa­ther of AI“, hat sei­nen Job in der For­schung quit­tiert und ver­bringt sei­ne Zeit als Warn­stim­me. Er warnt ein­dring­lich vor Sys­te­men, de­ren Ver­hal­ten wir nicht mehr nach­voll­zie­hen oder kon­trol­lie­ren kön­nen.

Der ewi­ge Op­ti­mist in Sa­chen Tech­no­lo­gie Ray Kur­z­weil, Lei­ter der tech­ni­schen Ent­wick­lung bei Goo­gle LLC, bleibt auch hier ge­las­sen. Er rech­net da­mit, dass schon 2029 der Durch­bruch zur men­schen­ähn­li­chen KI er­folgt. Auch er sieht Ri­si­ken. Wenn er sich äu­ßert, klingt das aber mehr nach ka­put­ter Hei­zung als nach Welt­un­ter­gang.

Try now, pray later?
Wir ha­ben uns an­ge­wöhnt, Tech­nik nach dem Prin­zip „Tri­al and Er­ror“ zu ent­wick­eln. Dumm nur, dass bei exis­ten­zi­el­len Fra­gen nach­träg­li­che Feh­ler­ana­ly­sen ir­gend­wie ein we­nig zu spät sind.

Wir brau­chen wahr­schein­lich ei­ne Art di­gi­ta­les Ky­o­to-Pro­to­koll. Doch dar­über denkt in den hek­ti­schen Zei­ten nie­mand nach. Po­li­tik und Me­di­en wer­den von den Tech Bros und ih­ren Hand­lan­gern mit an­de­ren Din­gen in Atem ge­hal­ten: Mi­li­tär schießt im In­land auf Men­schen, das droht in den USA. Ein Haus­halt, der den Ärm­sten den Zu­gang zu Ge­sund­heit und Le­bens­mit­teln er­schwert? Auch dort­selbst.

Ver­schie­bun­gen
Hier las­sen wir Rechts­extre­me in den Par­la­men­ten ge­wäh­ren. Wo bleibt das vom Grund­ge­setz vor­ge­se­he­ne Ver­bot? Die Mit­tel­schicht ver­schwin­det, die Ärms­ten wer­den noch är­mer. Was ist mit Steuer­flucht, Cum-Cum und Cum-Ex? Die For­de­rung, Ver­mö­gens­steu­ern wie zu Hel­mut Kohls Zeiten wie­der ein­zu­füh­ren, gilt mitt­ler­weile als links­extrem.

Re­gie­ren mit Zah­len
Sind die weni­gen Total­ver­wei­ge­rer wirk­lich das Prob­lem unse­rer Sozial­kassen? Oder wer­den der­zeit nicht eher die gut in­te­grier­ten Ge­flüch­te­ten mit un­ge­klär­tem Sta­tus ab­ge­scho­ben, weil sie im Ge­gen­satz zu Un­ter­ge­tauch­ten über­haupt greif­bar sind? In einer Gesell­schaft, in der Statis­ti­ken das Maß aller Din­ge sind, be­stim­men Zah­len den Wahl­kampf, auch wenn dieser ei­gent­lich längst vor­bei ist.

Nehmt doch lie­ber für Eure Nach­rich­ten die Wahr­schein­lich­keit, mit der die KI aus dem Ru­der zu lau­fen und am En­de uns den Ste­cker zu zie­hen droht. (Aus Sicht der KI übrigens logisch: Wir sind schließ­lich die größte Bedro­hung für das Gleich­ge­wicht der Na­tur auf die­sem Pla­ne­ten.)

Die KI ge­fähr­det schon jetzt die De­mo­kra­tie
Schon jetzt hat KI große Ein­falls­tore zur Kon­trolle und Mani­pu­la­tion zwi­schen­mensch­li­cher Kom­mu­ni­ka­tion ge­schaf­fen. Begriffe kön­nen ver­bo­ten oder gezielt umge­deu­tet wer­den, ein Werk­zeug zur Steue­rung der „Sub­jekte“ (also uns), durch das, was uns über­haupt noch er­reicht. Mo­ment, das klingt doch sehr be­kannt? Es ist längst Rea­li­tät! Wir könn­ten gelis­tet, un­sere Iden­ti­tät „ge­sperrt“ wer­den, wenn's in die fal­schen Hän­de gerät. Oder ist es dort schon längst?

Wer den vol­len Deep­Mind-Be­richt lesen möch­te (Ach­tung, nichts für schwa­che Ner­ven!): An Approach to Technical AGI Safety / DeepMind (PDF).

Schluss­no­tiz
Wer offe­nen Auges in den Ab­grund schaut, und das soll­ten wir, braucht be­wuss­ten Aus­gleich, um nicht hand­lungs­un­fä­hig zu wer­den: Mit­men­schen, gutes Es­sen, Na­tur, Kul­tur, Hob­bies.
Passt gut auf Euch auf!

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Gra­fik: Pixlr.com, von mir er­gänzt

Dienstag, 10. Juni 2025

🔒 Vertraulich!

Hal­lo, hier fin­den Sie im 19. Jahr den Ar­beits­all­tag einer Dol­met­scherin skiz­ziert. Meine Mut­ter­spra­che ist Deutsch, ich arbei­te über­wie­gend mit Fran­zö­sisch und Eng­lisch, die Büro­kol­le­gin über­setzt in die eng­lische Spra­che. Der Mon­tags­schreib­tisch ent­fällt. Diese Woche be­rei­te ich mich auf zwei große po­li­tische Ein­sätze vor. Keine De­tails!

Was ich hier mache, scheint mei­nem Be­ruf zu wi­der­sprechen. Als Dol­met­scherin habe ich mit 🔒 ver­trau­li­chen In­for­ma­tio­nen 🔒 zu tun, und hier schrei­be ich in lo­ser Folge über meine Ar­beit.

Grund­sätz­lich gilt: Was Sie ei­ner Dol­met­scherin an­ver­trau­en, bleibt in­tern, es sei denn, Sie ste­hen ge­ra­de auf einer Thea­ter­büh­ne im Pu­bli­kums­ge­spräch oder sit­zen auf ei­ner Pres­se­kon­fe­renz.

Die Dol­metsch­welt hat einen Eh­ren­ko­dex, der so stark ist wie der hip­po­kra­tische Eid von Me­di­zi­ner:­innen. Ihre Un­ter­la­gen wer­den bei mir nach allen Re­geln des Da­­ten­schut­zes be­han­delt und re­gel­mä­ßig ge­löscht.

🔒 Ver­trau­lich­keit ist Teil mei­ner Ar­beit. Wir Sprach­ar­bei­te­rin­nen ha­ben da einen kla­ren Auf­trag — und wir hät­ten zu­dem einen Ruf zu ver­lie­ren. Und doch habe ich schon Ge­schäfts­be­zie­hun­gen ge­stif­tet, alle Be­tei­lig­ten ein­zeln ge­fragt, im Nach­hin­ein ver­mit­telt, zur gro­ßen Freu­de aller. Der Dank der wer­ten Kun­d­schaft zahlt sich aus: Ich be­kom­me zum Jah­res­en­de im­mer einen Prä­sent­korb mit lecke­ren Schna­bu­lie­re­rei­en. 

P.S.: Das letz­te Wort mei­nes Tex­tes gibt es (noch) nicht, es ist ei­ne Ei­gen­kre­a­tion, ba­sie­rend auf 'schna­bu­lie­ren'.

schnabulieren – Schreibung, Definition, Bedeutung ... Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache https://www.dwds.de › schnabulieren etwas Süßes essen · knabbern · naschen · schlecken ○ schlickern norddeutsch · knuspern ugs., regional · schnabulieren ugs.
Der Wort­stamm mei­ner ver­ba­len Neu­schaf­fung

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Il­lus­tra­tion: Di­gi­tales Wör­ter­buch der
deut­schen Spra­che

Sonntag, 8. Juni 2025

Er, sie, es IST

Bien­ve­nue, hier schreibt ei­ne Lin­gu­is­tin. Wie Über­set­ze­rin­nen, Über­set­zer, Dol­met­scher­in­nen und Dol­met­scher ar­bei­ten, kön­nen Sie hier mit­le­sen. Mei­ne Ar­beits­spra­chen sind (ne­ben Deutsch) Fran­zö­sisch und Eng­lisch (das Id­i­om Shake­speares nur als Aus­gangs­spra­che). Heu­te: Sonn­tags­bild.

Be­rufs­be­zeich­nun­gen wer­den auf Deutsch mit dem kon­ju­gier­ten Verb "sein" ver­bun­den: Er ist Bus­fah­rer, sie ist Ärztin. Nach Jahr­zehn­ten im Be­ruf fehlt mir hier ein Verb.

Ich den­ke an Klaus, ei­nen Bus­fah­rer, der frü­her ein her­vor­ra­gen­der Fo­to­graf war. Die Ent­schei­dung fiel aus fa­mi­liä­ren Grün­den. Ich glau­be, er wür­de ger­ne an­ders sei­ne Bröt­chen ver­die­nen. Und ich den­ke an Cla­ra, ei­ne Ärz­tin. Sie hat ei­ne Zeit­lang ei­nen an­de­ren Be­ruf aus­ge­übt und ist zu­rück in die Me­di­zin ge­gan­gen. Sie ist Me­di­zi­ne­rin durch und durch, ru­hi­ge Aus­strah­lung, Zu­ge­wandt­heit, Stär­ke ge­hen von ihr aus. Sie IST Ärz­tin: Sie ver­kör­pert den Be­ruf durch und durch.

Kön­nen Sie mir, kannst Du mir fol­gen?

Boote, Blätter, Wellen
Beim Abend­spa­zier­gang ge­samm­el­te Ein­drü­cke








Ich ha­be den ers­ten Som­mer­be­such. An­de­re füh­ren mor­gens den Hund Gas­si. Ich brin­ge höchs­tens den in­ne­ren Schwei­ne­hund ins Licht. Ge­he mit ihm um den Block, zum Ki­osk, Zei­tun­gen kau­fen, Crois­sants mit­brin­gen.

Dann wird beim Mor­gen­kaf­fee ge­le­sen. Da ich be­son­de­re Stel­len oder Wör­ter an­strei­che und man­ches auch aus­rei­ße und ab­hef­te und The­men­ord­nern zu­schla­ge, fin­de ich Pa­pier gut. Es wird no­tiert, nach­ge­schla­gen und ver­schlag­wor­tet, der ent­spre­chen­de Ord­ner ge­holt, quer­ge­le­sen, Fra­gen für Fach­leu­te for­mu­liert. Wis­sens­ar­beit ist klein­tei­lig. Sie hört nie auf.

So sieht bei mir ein ent­spann­tes Früh­stück in der Frei­zeit aus. Auch hier wä­re die­ses zwei­te Verb pas­send.

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Fo­tos: C. E.