Donnerstag, 15. Dezember 2011

Grand malheur ...

Bon­jour, Sie ha­ben das Log­buch einer Sprach­mitt­le­rin auf­ge­schla­gen. Ich bin Fran­zö­sisch­dol­met­sche­rin und schreibe hier mit­ten aus der All­tags­hek­tik in der Ka­bi­ne her­aus ... oder be­rich­te vom hei­mi­schen Über­set­zer­schreib­tisch. Fran­zö­sisch und Deutsch sind mei­ne Ar­beits­spra­chen; Kul­tur, Po­li­tik, So­zia­les und Me­di­en mei­ne Schwer­punk­te. 

"Grand mal­heur de caque!", pfle­ge mein ost­el­bi­scher Groß­va­ter im­mer dann zu sa­gen, wenn et­was da­ne­ben­ging. Da­ne­ben den­ken und laut le­sen muss ich auch, wenn ich wie die­ser Tage die Über­set­zung eines Dreh­buchs fli­cke, denn manch­mal ver­birgt sich hin­ter einer halb­wegs deut­schen For­mu­lie­rung ein Zwölf­en­der aus der Rei­he "se­ri­el­le Miss­ver­ständ­nis­se beim Kul­tur­trans­fer".

Arbeitsplatz
Sekretär in Berlin
Grand mal­heur de caque, pfleg­te schon des­sen Va­ter, mein ost­el­bi­scher Ur­groß­va­ter, zu sa­gen, wenn er auf der Fahrt nach Hau­se war. Die Ent­fer­nung auf dem Lan­de zwi­schen den Bahn­hö­fen und dem hei­mi­schen Gut war so weit, dass er zwi­schen dem ei­nen und dem an­de­ren Bahn­hof im­mer die Not­brem­se zog. Dar­auf er­schien der Schaff­ner, grüß­te freund­lich, mach­te die Hand auf, mein Ur­groß­va­ter reich­te das ab­ge­zähl­te Geld hin­über, ver­ab­schie­de­te sich eben­so freund­lich und stapf­te über das Feld von dan­nen.

Der Weg über einen der bei­den Bahn­hö­fe und dann mit der Kut­sche heim ins (klei­ne) Tra­keh­ner­ge­stüt wäre wei­ter ge­we­sen.

Grand malheur de caque, sage ich, wenn eine merkwürdige Übersetzung auf mei­nen Tisch flattert, die von jemandem übersetzt worden ist, der oder die sich viel­leicht lieber anderen Textarten, Sprachen oder Berufen zugewandt hätte. Nicht jede(r) kann jedes, auch ich habe viele Schwächen. Aber dann erwartet eine Pro­duk­tions­fir­ma von mir, dass es eins, zwei, fix "gefixed" wird, dieses Fehl am ta­de­lungs­wür­di­gen Text, und ich kann ihnen nur sagen (wie der Handwerker, der be­trübt auf ein Küchengroßgerät blickt, das den Dienst verweigert): "Au weia, das wird teuer!"

Grand malheur de caque, den­ke ich dann noch und rech­ne die Stun­den zu­sam­men, die diese Flick­schus­te­rei kos­ten wird. Manch­mal ist eine Neu­über­set­zung bil­li­ger. Noch güns­ti­ger wäre es ge­we­sen, gleich einen Pro­fi zu be­auf­tra­gen, selbst wenn's auf den ers­ten Blick teu­rer aus­sieht, was auch bei der Fahr­kar­te plus Straf­ge­bühr für den au­ßer­plan­mä­ßi­gen Halt mei­nes Ur­ahns in der Hei­mat der schö­nen Tra­keh­ner­pfer­de der Fall ge­we­sen sein muss. Aber die ganz lan­ge Stre­cke, Um­fah­rung und Kut­sche, ist am Ende ein­fach noch teu­rer.

Was ich als Über­set­ze­rin dar­über hin­aus be­zah­le, wenn ich sol­che Jobs an­neh­me, und was nicht kal­ku­lier­bar ist: Es kos­tet mich meist Tage, mich von den sprach­li­chen Miss­grif­fen eines/einer an­de­ren zu be­frei­en, die kle­ben näm­lich. Nee, aber auch.

Zum Glück gibt's Schmerz­ens­geld, und non olet, sag­te mal ei­ner.

Ich sehe mir selbst über die Schul­ter, be­mer­ke mei­nen ge­ho­be­nen Stil, weiß, dass ich da­mit über­kom­pen­sie­re, dass mir heu­te ei­gent­lich nach der­ben Wor­ten ist! Muss wohl dar­an lie­gen, dass auch die auf die net­tes­te Wei­se vor­ge­tra­ge­nen schlech­ten Aus­sich­ten auf eine letz­te über­vol­le Ar­beits­wo­che im Jahr, die bis­lang frei von Ver­pflich­tun­gen war, mir erst­mal auf den Or­ga­nis­mus schla­gen. Ich bin ja sonst nicht so derb ver­an­lagt ... Und zi­tier' jetzt doch noch Jar­ry: Merd­re !

Hinweise für die Kal­ku­la­tion von Dreh­bü­chern: Bei Word steht unter "Ex­tras" und "Wör­ter zäh­len" die Zahl der An­schlä­ge in­klu­si­ve Leer­zei­chen. Jene Zahl le­gen wir bei Kos­ten­vor­an­schlä­gen zu­grun­de, The­ma und Sprach­ni­veau des Buchs sind wei­tere Fak­to­ren. Um mal grob eine "Haus­num­mer" zu nen­nen: eine Über­set­zung kos­tet um die 25 bis 30 Euro je Dreh­buch­sei­te für einen nicht­ei­li­gen Auf­trag — das ist nur ein Nä­he­rungs­wert. Die letz­te "Re­pa­ra­tur" schlug mit 19 Euro je Dreh­buch­sei­te zu Bu­che.

Post Scrip­tum von 2022: Der Bei­trag ist lei­der so ak­tu­ell wie einst. Er­set­ze Nicht­pro­fi durch KI, und da ha­ben Sie die Mi­se­re bei krea­ti­ven Tex­ten. Stan­dard­sa­chen wie Weg­be­schrei­bun­gen oder Kü­chen­re­zep­te kann die KI recht gut. Sonst agiert so­gar DeepL in Zwei­fels­fäl­len wie ChatGPT: ger­ne mal er­fin­de­risch beim KI-Aus­wurf. Le­se­link: "Ich wei­ße die Ver­ant­wor­tung von mir." (sic!)
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Foto: C.E. (Archiv)

6 Kommentare:

OHE hat gesagt…

Ist "Merdre" nicht Ubu Roi?
Gruß, H.

caro_berlin hat gesagt…

Oui, c'est exact !

caro_berlin hat gesagt…

Der Vollständigkeit halber sei angefügt, dass das innerfamiliäre Lektorat schrieb: "Es war ein Gutshof mit Ackerbau und Viehzucht, zwei Vorwerken und einem bei uns in Ehren gehaltenen 'Fels'."

Die Autorin dieses Blogs gibt zu bedenken, dass sie ihre Informationen von der Großtante hat, einer Pferdenärrin wie sie selbst, und dass die Beschreibungen der alten, resoluten Dame ebensowenig nach Höfle geklungen hat wie die Pferde nach Ackergäulen ;-)

Sollten wir mal hinfahren, nachsehen.

Grüße,
C.

frenja hat gesagt…

Nicht zu vergessen, dass das Korrigieren einer verhunzten Übersetzung (mich zumindest) oft mehr Zeit kostet als eine Neuübersetzung. Was kann man gerade noch so stehen lassen, was muss anders, was ist mehr eine Stil- oder Geschmacksfrage? Und egal, wie sehr Profi man ist, es wird hinterher nie so aus einem Guss sein wie eine eigene Übersetzung. Korrekturaufträge für vermurkste Übersetzungen sind aus der Hölle. Deshalb mache ich das höchstens für Kolleginnen, die ich gut kenne und schätze.

caro_berlin hat gesagt…

Ja, das stimmt, die Brüche bleiben auch nach stundenlangem Schuften irgendwie immer sichtbar. Genauso ist es mit der Drehbuchüberarbeitung durch den dritten Koautor, der die Hinweise des fünften Dramaturgen einflechten muss.

Ich übertreibe hier sicher nur wenig, denn mir fällt auf, dass die oft willkürlichen (und an Geschmacksfragen orientierten) Entscheidungen der öffentlichen Förderer im Vorfeld für viel Verunsicherung sorgen, die dann eine ganze Handvoll Leute auszubaden haben (ganz zu schweigen von dem Frust, der den/die Erstautoren bei sowas ereilen muss).

Reparaturarbeiten mache ich daher gar nicht mehr, denn den Aufwand, den unsereiner da reinstecken muss, kann sich am Ende niemand vorstellen.

Grüße und Guten Rutsch!
Caroline

P.S.: Willkürlich meint hier, dass es oft nicht primär um Qualität geht, sondern darum, welche Firma mal wieder "dran" ist, welche anderen Firmen zeitgleich welche Summen zugesprochen bekamen und ob nicht vielleicht doch eher der Kompromisskandidat ... da scheint's so zuzugehen, wie beim Aushandeln, wer jetzt einen begehrten Job kriegt.

André hat gesagt…

Ich hock grad an einer Vorstufe zu verhunzter Übersetzung. Quelltext ist in "italienischem Englisch" geschrieben. D.h. ich darf fröhlich das ursprünglich gemeinte erraten und dann besser formuliert schreiben. Da möchte man hin und wieder auch in die Tischkante beißen. Glücklicherweise schlägt es sich im Honorar nieder.