Mittwoch, 17. Dezember 2025

KI ist kein Dolmetscher

Bon­jour & hel­lo! Hier schreibt ei­ne Wort­schub­se! Sie ha­ben rich­tig ge­lesen, ich schub­se Wör­ter. Die All­ge­mein­heit nimmt un­sere Leis­tun­gen ähn­lich sel­ten wahr wie die der Pro­fis im Gas­traum ei­nes Flug­zeugs. Aus Ig­no­ranz ent­steht da­bei oft ge­nug Gleich­gül­tig­keit. Wer dol­met­schen möch­te, braucht auf dem Weg zur Ex­zel­lenz viel Zeit: im Schnitt 7,5 Jah­re Aus­bil­dung in Spra­che, Kul­tur, Fach­ge­bie­ten, Me­tho­dik und Be­rufs­kun­de. Ich dol­met­sche FR, DE und EN, meis­tens si­mul­tan. Heute: KI-Mitt­woch.

Die Be­haup­tung ist rasch auf­ge­stellt und im­mer öf­ter zu hö­ren: „Die KI über­setzt heu­te schon fast so gut wie Men­schen.“ Sie klingt mo­dern, ef­fi­zi­ent und al­ter­na­tiv­los. Und sie taucht zu­ver­läs­sig im­mer dann auf, wenn Bud­gets knap­per und Ver­ant­wor­tung aus­ge­la­gert wer­den.

Ar­beits­platz Dol­metsch­ka­bi­ne
Falsch ist die Be­haup­tung trotz­dem.

Nicht, weil KI nichts könn­te, sie ist nütz­lich: Hier setzt sie zum Bei­spiel Soft hy­phens. Sie hilft manch­mal auch, ei­nen ers­ten Über­blick zu be­kom­men. Die Be­haup­tung mit dem Dol­met­schen ist aber des­halb falsch, weil vie­le Zwei­bei­ner nicht ver­ste­hen (oder nicht ver­ste­hen wol­len), was Dol­met­schen ist.

Warum Dol­met­scher:in­nen nicht ein­fach aus­tausch­bar sind 
Kon­fe­ren­zdo­lmets­chen ist kei­ne Wort-für-Wort-Über­tra­gung. Wer das glaubt, hat noch nie er­lebt, wie Be­deu­tung un­ter Zeit­druck ent­steht. Wir Dol­met­scher:in­nen tref­fen per­ma­nent Ent­schei­dun­gen, und zwar in Se­kun­den­bruch­tei­len. Wir hö­ren nicht nur Wör­ter, son­dern Ab­sich­ten. Wir re­gis­trie­ren Ton­fall, Aus­las­sun­gen, vor­sich­tige For­mu­lie­rungen und ge­ziel­te Un­schär­fen. Und wir wis­sen, wann es klü­ger ist, et­was mi­ni­mal zu glät­ten oder ein falsch ver­wen­de­tes Wort zu kor­ri­gie­ren ... und wann ge­nau das nicht pas­sie­ren darf.

Ei­ne KI ver­ar­bei­tet Spra­che. Ein Mensch ar­bei­tet in Si­tu­a­tionen und bringt Ge­füh­le mit ein. Das ist kein ro­man­tischer Un­ter­schied, son­dern ein funk­tiona­ler. Des­halb sind wir Dol­met­scher:in­nen nicht ein­fach aus­tausch­bar, ge­nau des­halb schei­tert KI dort, wo zwi­schen­mensch­liche Kom­mu­ni­ka­tion Fol­gen hat.

Wo­ran las­sen sich „KI-Übel­set­zun­gen“ er­ken­nen? 
Schlechte KI-Aus­wür­fe, die vor­geben, Über­set­zun­gen zu sein, fal­len sel­ten da­durch auf, dass je­des Wort falsch wäre. Im Ge­gen­teil: Sie wir­ken auf den ers­ten Blick er­staun­lich kor­rekt. Das Pro­blem ist da­bei nie der ein­zel­ne Satz, es ist das Ge­samt­bild, sind An­spie­lun­gen und die kul­tu­rel­len Hin­ter­gründe, die zwi­schen den Text­zei­len hin­durch­schei­nen bzw. eben nicht, weil der KI das kul­tu­rel­le Hin­ter­land fehlt. Bei Tex­ten, die am En­de noch durch ei­nen Sprach­ge­ne­ra­tor ge­jagt wer­den, ist es ähn­lich. Zu­sätz­li­che Feh­ler, die bei die­sem letz­ten Schritt ent­ste­hen, sit­zen on top wie die kan­dier­te Kir­sche auf der Tor­te.

1. KI-Pro­duk­te klin­gen glatt, aber leer und oft be­lie­big
Die Sät­ze die­ser Pro­duk­te sind gram­ma­ti­ka­lisch sau­ber, Tipp­feh­ler sel­ten. Der Ton ist neu­tral, manch­mal so­gar ele­gant. Und trotz­dem bleibt am En­de we­nig hän­gen. Was fehlt, ist Po­si­tion, Hal­tung, das Wis­sen um Stand­punk­te, um Kom­mu­ni­ka­tions­ab­sich­ten und Ge­fah­ren.

Kon­fe­ren­zen dre­hen sich meis­tens um die Aus­nah­me, das Be­son­dere, Neue, Ak­tu­el­le. Die KI aber ver­mei­det Zu­spit­zung. Sie scheut Wi­der­spruch, sie kennt kei­ne Ver­ant­wor­tung. Das Er­geb­nis ist Spra­che oh­ne Ge­wicht. In ei­ner Kon­fe­renz, in der Ent­schei­dun­gen vor­be­rei­tet oder le­gi­ti­miert wer­den sol­len, ist das nicht harm­los, son­dern kann ri­skant wer­den. Die Wort­wahl der KI folgt der Wahr­schein­lich­keit, dem ma­the­ma­tischen Durch­schnitt. Als Bei­spiel dür­fen Sie an Ma­ler­fahr­un­gen aus der Kind­heit den­ken: Al­le Far­ben zu­sam­men­ge­mischt er­ge­ben grau.

2. Ma­schi­nen ken­nen Wör­ter, kei­ne Ab­sich­ten
Die KI über­setzt, was ge­sagt wird, nicht das, was ge­meint ist. Iro­nie wird zu Ernst, Vor­sicht wird zu Be­lie­big­keit, Kri­tik klin­gt plötz­lich wie ei­ne sach­liche Rand­be­mer­kung. Für das Pu­bli­kum ent­steht ein völ­lig an­deres Bild, nicht of­fensichtlich falsch, aber ver­zerrt. Ge­nau dar­in liegt die Ge­fahr: Nie­mand springt auf, nie­mand wi­der­spricht oder hin­ter­fragt die State­ments. Trotz­dem hat sich die Be­deu­tung ver­än­dert.

3. Ma­schi­nen ig­no­rie­ren Macht­ver­hält­nisse

Bei Kon­fe­ren­zen spre­chen nicht al­le auf Au­gen­höhe. Das ist kein Ge­heim­nis, son­dern All­tag. Er­fah­rene Dol­met­scher:in­nen hö­ren, wer ab­si­chert, wer pro­vo­ziert und wer de­es­ka­li­eren will. Sie er­ken­nen, wann ein Satz for­mal höf­lich ist, aber in­halt­lich Druck aus­übt. KI er­kennt Satz­struk­turen, aber sie er­kennt nicht, wer ge­rade wem et­was sagt.

4. Ma­schi­nen schei­tern an Fach­lo­gik
Fach­be­griffe sind sel­ten das ei­gent­liche Pro­blem, Fach­lo­gik schon. Die KI kann Ter­mi­no­lo­gie re­pro­du­zie­ren und da­mit Kom­mu­ni­ka­tion si­mu­lie­ren, sie kann aber nicht be­ur­tei­len, ob Be­griffe zu­ein­an­der pas­sen, ob sie im ge­ge­be­nen Kon­text Sinn er­ge­ben oder ob je­mand sie ge­rade stra­te­gisch falsch ver­wen­det. Wir Men­schen kor­ri­gie­ren lei­se, die KI re­pro­du­ziert kon­se­quent, auch dann, wenn der Feh­ler of­fen­bar ist. Sie stellt kei­ne Fra­gen, ist auch hier aal­glatt, be­quem im Um­gang und lie­fert da­mit un­zu­ver­läs­sigen Out­put.

5. Ma­schi­nen ma­chen Feh­ler, Men­schen auch
Kon­fa­bu­la­tionen oder vor­schnel­le In­ter­pre­ta­tionen der KI ha­ben in­zwi­schen wohl al­le schon mal ge­lesen. Die KI kann sich nicht selbst aus­brem­sen und ist nicht selbst­kri­tisch. Wenn am En­de 20 Pro­zent des Aus­wurfs 'un­scharf' ist, er­fun­den oder ver­pei­lt, warnt die Ma­schi­ne ei­nen nicht. Was soll das Pu­bli­kum am En­de glau­ben? Und wenn Men­schen Feh­ler ma­chen, und Men­schen ma­chen Feh­ler, er­kennt die KI das nicht, warnt nicht vor Miss­ver­ständ­nissen, über­trägt 1:1. Grund­sätz­lich gilt: Die KI kennt kei­ne Feh­ler.

Bei Kun­den führ­te das zu viel Auf­ruhr, weil ei­ne Text­über­tra­gungs-KI das Ge­gen­teil von dem pro­du­ziert hat, was ge­meint war: klick. Das war 2021. Auch heu­te fin­den sich im­mer wie­der gro­be Feh­ler in Tex­ten.

Die „KI“ ar­bei­tet zu­dem nicht al­lein:
Oh­ne mas­sen­haf­te Aus­beu­tung in ar­men Län­dern ist sie nicht mög­lich

Ré­su­mé: Was Auf­trag­geber re­gel­mäßig falsch ver­ste­hen 
Vie­le Auf­trag­geber ge­hen da­von aus, dass es beim Dol­met­schen vor al­lem dar­um geht, dass „es ir­gend­wie an­kommt“. Das reicht aber nicht: Ge­rade bei Ver­hand­lun­gen, po­li­tischen Ge­sprä­chen oder fach­lich sen­sib­len The­men ent­schei­det der Ton über die Wir­kung. Wir al­le ken­nen die Aus­sa­gen, dass die Kör­per­spra­che ei­nen we­sent­lichen An­teil an der Kom­mu­nika­tion hat, wenn nicht gar den größ­ten.

Ei­ne KI hat kei­nen Kör­per, kei­nen Auf­tritt, wenn es um Vor-Ort-Ver­hand­lun­gen im Klei­nen oder um die gro­ße Büh­ne geht. Ei­ne KI fragt nicht vor dem Ein­satz die si­tu­a­ti­ons­typi­schen Be­griffs­ver­wen­dun­gen ab. Ei­ne KI über­schrei­tet un­sicht­bar die Schwel­le ih­rer ei­genen In­kom­pe­tenz. Wir Men­schen ha­ben die Grö­ße, Lü­cken ein­zu­ge­stehen, wir Men­schen fra­gen nach oder über­le­gen ge­mein­sam mit den Kun­den, um gu­te Mus­ter­über­set­zun­gen zu fin­den, soll­te ter­mi­no­lo­gi­sches Glat­teis dro­hen, al­so „Bei­n­bruch­gefahr“ be­ste­hen. Die KI hat kein Bein, er­kennt al­so auch sol­che Ge­fah­ren nicht.

We­sent­lich: Ei­ne mi­ni­ma­le Ver­schie­bung kann Be­zie­hun­gen be­schä­di­gen, Miss­ver­ständ­nisse er­zeu­gen oder Ver­trau­en un­ter­gra­ben. Die KI be­merkt das nicht, weil sie nicht weiß, was Ver­trau­en ist. Men­schen schon. Und sie ge­ben In­hal­te, an­ders als vie­le KI-Sys­teme, nicht stan­dard­mäßig an Tech-Kon­zer­ne wei­ter.

Warum KI trotz­dem gern ein­gesetzt wird

Nicht, weil sie bes­ser wäre, son­dern weil sie bil­lig er­scheint, so­fort ver­füg­bar ist und Ver­ant­wor­tung ver­schiebt. Das ist be­quem, aber kein pro­fes­sio­neller Um­gang mit Kom­mu­ni­ka­tion. Wenn et­was schief­geht, war es die Tech­nik und kein per­sön­liches Ver­sagen, kein Feh­ler im Sys­tem. Mög­licher­weise wur­de aber aus „bil­lig“ plötz­lich rich­tig teu­er.

Kon­fe­renz­dol­met­schen ist kein tech­ni­sches Fea­ture, son­dern mensch­liche Kom­pe­tenz. Da­her sind wir zwei­bei­nigen Kon­fe­renz­dol­met­scher:in­nen un­er­setz­lich, und das gilt auch für je­ne von uns, die viel­leicht im Rol­li sit­zen oder mit Krü­cken an­kom­men.

Bis zum nächs­ten KI-Mitt­woch!

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Foto:
C.E. / Wikicommons (mechanical Turc)

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