Guten Tag, bonjour, hello! Sie lesen im ersten deutschen Weblog aus dem Inneren der Dolmetscherkabine. An dolmetschfreien Tagen übersetze ich normalerweise (oder auch nicht).
Gestern war für mich ein Arbeitstag wie viele andere Sonn- und Feiertage auch. Ich beging den 21. Jahrestag der deutschen Vereinigung mit der Lektüre eines Drehbuchs, das mir zur Übersetzung angeboten wurde.
Um mit dem Ende anzufangen: Ich werde es ablehnen. Das Buch spielt in der DDR.
Als Westspross einer sächsischen Familie kannte ich das Land gut und war sehr gespannt, als ich mit dem Lesen anfing. Die Enttäuschung ließ leider nicht lange auf sich warten. Der Protagonist des Buches wandert für einen relativ unbedeuteten, kritischen Satz in den Bau zu einer Zeit, in der selbst Würdenträger in der Halböffentlichkeit heftiger vom Leder gezogen haben. Wie dann der zugreifende Staatsapparat dargestellt wird, Verhaftung, Kontrolle der Familie und Konsequenzen für dieselbe, Verhöre, Wachfolter usw. wird in einer Art und Weise dargestellt, dass Leser (und künftige Zuschauer) eher an die Methoden des "3. Reichs" denken als an die späte Phase der Arbeiter- und Bauerndiktatur.
Diese "Illustration" eines allmächtigen Staates vermag ich nicht als Kunstgriff zu lesen. Die DDR war sicher ein Unterdrückungsstaat, der Menschen bis aufs Blut quälen und auch töten konnte, aber im Alltag, zumindest in der Provinz, sah das Leben fröhlicher aus als das, was hier als vorgebliche Normalität dargestellt werden soll. Nein, das "Ländle", um es mit Ruth Berghaus zu sagen, war kein rotangestrichenes Groß-KZ mit einerseits freudlos und ergeben in ihr Schicksal durch die Straßen schlurfenden Insassen und andererseits übereifrigen, den ganzen Tag nur mit Orden am Revers und marxistischer Literatur unter dem Arm herumpatrouillierenden Funktionären, wie es das Drehbuch glauben machen mag.
Auch das Mitmachen einer teilweise staatsferneren Funktionselite war weitaus differenzierter, als es heute (vor allem vielen Westlern) als Ergebnis von Schwarz-Weiß-Denken erscheint. Aber je nach persönlicher Situation konnten sich viele erstaunlich effizient durchwursteln: Oft genügte in den 1980-er Jahren einfaches
Dekonspirieren (oder dessen Ankündigung), um sich zum Beispiel lästigen Fragen des Apparats nach deutlich engerer Mitarbeit zu entziehen.
Ich bin aufgrund
meiner Biographie niemand, der die DDR in Schutz nehmen würde. Ich weiß aber auch um etliche, hübsche Nischen, die Pflege der Kultur, der Musik, und dass der heutige Kapitalismus mit seinem Warenüberangebot genauso zerstörerisch ist wie die Produktionsweisen der knappen Verbrauchsgüter in der Vormaligen, die oft keinerlei Rücksicht auf die Natur oder die Gesundheit der Menschen nahmen. Natürlich waren die Grundrechte eingeschränkt und der Filz der
herrschenden Kaste dicht, aber die meisten DDR-Bürger lebten einen beschaulichen Alltag mit Höhen und Tiefen, Glück und Unglück, das nicht immer vom Staatsapparat bestimmt wurde.
Aber auch dramaturgisch hakelt das Buch, oder bin ich jetzt Opfer der Fortbildungen, an denen ich teilgenommen habe? Geschrieben wurde das Buch von einem älteren Franzosen. Er ist kein unbekannter Drehbuchautor, und ich nehme an, er hat als junger Mann selbst unter der Ausgrenzung durch Salonkommunisten gelitten, da er aufgrund seiner Lebensgeschichte von dieser Gesellschaftsschicht fernblieb. Warum hat er sich um Himmels willen denn nur die DDR rausgesucht, um seinen Zorn zu verarbeiten? Ein eigener Bezug zu diesem Land wird es kaum sein, denn einige deutsche Dialogpassagen verraten mir, dass er Deutsch nicht kann. Warum hat ihm sein Produzent nicht gesagt, dass er bitte seine eigene Geschichte aus dem Paris der Nachkriegsjahre erzählen soll?
Nein, ich werde das Buch nicht übersetzen, selbst wenn ich im Oktober/November Zeit dafür hätte. Aber es geht um Lebenszeit, und die möchte ich nicht für Geschichtsklitterung verwenden. Mit anderen Worten, und ich zitiere einen mir Nahestehenden: Nicht der Beruf hat, mich, ich habe einen Beruf. Und der macht nur dann Spaß, wenn er sinnvoll ist.
Auch dem Produzenten gegenüber werde ich höflich, freundlich und vorsichtig dekonspirieren. Große Namen reichen heute nicht mehr; das, was sie abliefern, muss auch noch gut sein.
P.S.: Dekonspiration ist übrigens wieder hochaktuell, in vielen Bereichen des Lebens. Das Unbotmäßige, von dem alle so tun, als wäre es normal, einfach völlig entspannt benennen, ist auch heute eine gute Methode, um unangefochten aufrecht leben zu können.
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Foto: C.E.