Donnerstag, 24. September 2020

COVIDiary (163)

Willkommen auf den Sei­ten des ers­ten deut­schen Dol­met­scher­blogs aus dem In­ne­ren der Dol­metscherkabine. Gerade schreibe ich coro­na­bedingt vom Büro aus. Wir Konferenz­dolmetscher ohne Konferenz sind wie Fische ohne Was­ser, und wer Was­ser sagt, meint flüssig. Heute wird's erst nass, dann tierisch, zuletzt muss der Motorenvergleich herhalten.

Trees don't panic * WE ARE ONE
Men­schen sollten auch nicht paniken
Mit dem Flüs­sigen haben es viele Frei­berufler der­zeit nicht so, manche(r) erlebt sogar Not. Die großen Tie­re wissen das, also die Re­gie­rung weiß es, es sind in den letz­ten Mo­na­ten so viele Pe­titionen, Stu­dien, Gruß­adressen, Zeitungs­artikel und trä­nen­reivche Repor­tagen produ­ziert, gedruckt und dann ver­sen­det worden, dass es wirk­lich auf kei­ne Kuhhaut geht.

Wer "versendet" sagt, meint, dass es eigentlich niemand merkt. Im TV-Jargon ist "Das versendet sich" ein Synomym für "Das läuft über den Äther und niemand wird's mitkriegen."

Versendet wie versandet. Wir Selbständigen müssen diese Krise sehr oft ohne aus­rei­chen­de Hilfen meistern, obwohl wir den Schlamassel genausowenig verursacht haben wie Beamte, Angstellte oder Arbeitnehmer/innen in Kurzarbeit.

Hier, was das Magazin "Plusminus" gestern gebracht hat: "Überbrückungshilfe: Staat­li­che Unterstützung kommt bei Unternehmen nicht an."  

Von den zur Verfügung gestellten 25 Milliarden Euro Überbrückungshilfe wurden nur knapp 1,1 Milliarden Euro von Frei­beruflern und kleinen Firmen beantragt. Das ist ein noch kleinerer Prozen­tsatz als beim Nicht-Ausschöpfungsgrad im Frühjahr. Zeitgleich droht vie­len Firmen und Freiberuflern die Insolvenz.

Sagen wir's mal so, die Wirtschafts­politik liebt Rösser ja so sehr: Da stehen Pferde im Stall Deutschland, aber die Heunetze wurden weit oberhalb ihrer Köpfe an­ge­bracht, so dass nur ganz wenige der Vier­bei­ner überhaupt drankommen. Und dann sagt der Pferdewirt: "Seht Ihr, die Pferde haben gar keinen Hunger, die brauchen nichts!" Das ist im Höchstmaß töricht, vor allem dann, wenn der Pferdewirt auch noch dabei zusieht, wie die Rösser langsam verschmachten, während er nicht mü­de wird, sich für sein reich­haltiges Heufüt­terprogramm selbst zu feiern.

So viel Tacheles lesen Sie übrigens bei den auf diversen diploma­tischen Parketts geschulten Dolmet­­scherinnen selten. Sie dürfen den Tag in ihrem Kalender an­strei­chen. Grund dafür ist die Stellungnahme des Bundeswirtschaftsministeriums zum Thema: "Die Inanspruch­nahme der Überbrückungs­hilfe ist verhaltener an­ge­lau­fen als ursprüng­lich angenommen. Grund ist, dass die Corona-bedingten Schließungen und Auflagen schneller zurückge­nommen werden konnten als (…) erwartet."

Die Veran­staltungs- und Kongress­wirt­schaft soll der sechstgrößte Wirtschaftszweig Deutschlands sein und geht derzeit vor die Hunde. Absurd: Die Poli­tik tut so, als wären diese Verluste leicht zu verschmerzen. Ich sehe das Ganze als einen großen Motor. Die Politik hat in ihrer unendlichen Weisheit ent­schieden, nur einen Teil des Motos zu ölen. Den anderen lässt sie ungeölt. Keine Pointe.

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Foto: C.E.
(gesehen in Kreuzberg)

Mittwoch, 23. September 2020

COVIDiary (161)

Willkommen bei meinem Blog aus der Arbeitswelt. Wie Dol­met­scher und Über­setzer ar­beiten (und die da­zu­ge­hö­ren­den -in­nen), ist oft nicht gut bekannt. Seit die Pan­demie aus­ge­brochen ist, hat sich unsere Arbeit verändert. Kon­fe­renz­dol­met­scher ohne Kon­ferenz sind wie Fische ohne Wasser. Zum Glück bleibt das Über­setzen.

Pürierturbine

Sage mir noch einer, dass die Arbeit für die Industrie fern von Komik sei. Quatsch!



Ich suche das französische Wort für Pas­sier- und Pü­rier­tur­bine. Das ist eine Art Kran mit Rühr­werk dran und das Endstück passt bestens zu den großen Koch­töpfen, in denen man Drillinge oder mehr Gören auf einen Schlag baden könnte.

Die erste Recherche ergibt robot-coupe ... klingt wie "Robo-Cops". Aber als ich das vermeintliche Begriffspaar per Fotosuche eingebe, gibt es kaum Überschneidungen.

Eine erste Fundstelle
Oha, Robot-coupe ist ein Fir­men­name! Ja, nee, dann doch nicht. Übersetzen und Dolmetschen ist oft Puzzlearbeit, und wer nicht fast detektivisch mit dem Internet umgehen kann, ist verloren.

Vor fast einem Jahr ... Robocobs in Paris

Ich suche mit der Bilder-Inverssuche von Dr. Gargoyle, dem digitalen Datenspeier. Der spuckt mir den spanischen Begriff jirafa de cocina industrial aus. Und eine wei­te­re Vokabel­suche später habe ich den mixeur girafe industriel oder girafe mixeur plongeant gefunden, den Giraffentauchmixer, oder mixeur girafe. Viele Bildernachweisstellen ergibt das zwar nicht, aber verstanden dürfte es werden.
Ich liefere den Alltagsausdruck nach.

Also keine Robocobs, sondern ne Giraffe. Bleibt witzig. Und dann entdecke ich in der Liste die "Planetenrührmaschine", später wird von "Planetenrührwerk" die Rede sein.

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Illustration:
C.E.

Dienstag, 22. September 2020

COVIDiariy (160)

Herzlich will­kom­men! Hier bloggt ei­ne Dol­met­sche­rin. Was Konferenzdolmetscher und Übersetzer machen, wie sie arbeiten, wie sie leben, ist hier seit 2007 re­gel­mä­ßig Thema. Corona hat auch in meiner Branche alles bös durch­ein­an­der­ge­wir­belt und auch sonst einiges verbockt. Dem Jahr 2020 bleiben noch einige Monate zur Rehabilitation.

Corona is a bitch!, stand neulich auf eine Hauswand gesprayt, ein Miststück also. So lässt sich das auch sehen. Hier bringt sie erneut einiges in Bewegung. Die eine Mit­be­wohnerin zieht aus meiner Wohnung aus, die nächste kündigt sich an, sie wird mit ihrem Mann kommen, Frank­reich geht, England kommt. Und nein, ich wusste das nicht seit Monaten, mein re­gel­mä­ßi­ges Hören von BBC4 ist alleine der Tat­sache geschuldet, dass ich meine dritte Spra­che pflegen muss.

Eine frühere Studien­freundin und geschätzte Übersetzer­kollegin lebt seit vielen Jahren mit ihrem britischen Ehemann in England. 

Die hübsche Nachbarin (Pareidolie)
Leider ist sie vor einiger Zeit schwer er­krankt, es ist nicht ganz klar, ob sie Co­ro­na hatte oder Bor­re­lio­se oder etwas ganz anderes. Die Hei­lung geht langsam, Chro­ni­fi­zie­rung droht. 

Ihre Lage spitzt sich derzeit durch die Krise des Gesundheitssystems NHS, die auf­flam­men­de Seuche und den Brexit dramatisch zu.

Die beiden leben in London in­mitten eines Viertels, in dem streng­re­li­giöse Juden sehr traditionell wohnen und viele Familien kinder­reich sind. Dort hat, ähnlich wie in anderen in sich geschlos­senen Gruppen, die Kunde von der Prävention nicht unbedingt alle erreicht.

Der aktuelle Lockdown in Israel sowie über­proportional hohe Opferzahlen in allen irgendwie abgeschotteten Gruppen sprechen ihre eigene Sprache. Für ihre aus Deutschland stam­mende und zur Risikogruppe zäh­len­de Nach­barin wurde leider so das risiko­freihe Einkaufen­gehen zu einem from­men Wunsch, der schwer ein­zu­hal­ten­den Corona­abstände wegen.

Jetzt dürfen wir Freunde zusammentrommeln, ein Team bilden, dann darf ich bei mir am Ufer den Auszug der Mitbe­woh­ne­rin unterstützen und das Un­ter­miet­zim­mer so herrichten, dass es später im Jahr ein Ort der Ruhe und Genesung sein kann.

Dann gilt es Geld aufzutreiben (Notfallfonds der VG Wort? Verbände? Konsulat? Crowd­funding?), ein kompetentes medi­zinisches Team zu finden, dann Auto, Fah­rer, Quarantänewohnung in Frankreich, schließlich Transfer nach Berlin.

Nebenbei sorgt mein Diktierprogramm für unverhoffte Komik. Ein Klassiker: Wir Menschen reagieren auf hochdramatische Momente häufig belustigt, müssen grinsen oder sogar lachen. Die Verhaltensforschung nennt dies eine Über­sprungs­hand­lung. Jetzt reagiert der Rechner derart menschlich, mein Anthro­po­mor­phis­mus am Vormittag. Illustrieren werde ich den Blogpost mit etwas Pareidolie

Aber es ist schon schräg, wenn der kleine Drache* mit Bits und Bytes statt "chassidisches Wohnviertel" ein "rassistisches Wohn­viertel" schreibt. Später macht er aus "Prob­le­men mit Borrelien" "Prob­le­men mit Bordel­len".

Nein, nicht witzig. So, Liste schreiben, Energie sammeln und weitergeben. Corona, der Krisenmodus des Jahres hört nicht auf. Machen wir das Beste draus.

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Foto:
C.E. (gesehen in Neukölln)
(*)
Diktierprogramm ist Dragon

Sonntag, 20. September 2020

COVIDiary (158)

Bonjour und guten Tag! Hier bloggt ei­ne Dol­met­sche­rin. Was Kon­fe­renz­dol­met­scher und Über­setzer machen, und na­tür­lich auch wir Frau­en im Be­ruf, wie sie bzw. wir arbeiten, ist hier seit 2007 re­gel­mä­ßig Gegen­stand in Form von kleinen Epi­soden aus dem Alltag. Am Sonntag zeige ich hier gerne ein Sonntagsbild. Heute ist es ein Lieblingsbild der Woche.

Was Corona verändert hat: Der Wochen­markt erstreckt sich jetzt auch in eine Nachbarstraße hinein. Alle ist luftiger und, wie ich finde, schöner. Mir gefällt hier das zeitlose Moment. So, wie dieser Stand aussieht, könnte er auch vor Jahr­zehn­ten ausgesehen haben.

Ganz plastikfrei ist der Markt noch nicht (die Blumenfrau ist auf gutem Wege)

Was Corona nicht verändert hat: Die Berliner Schnauze.

Kunde fragt Bäckerin: "Ist das Brot von heute?"
Bäckerin: "Nee, det ha' ick letztes Jahr zu Weihnachten jebacken!" 

Ab und zu teste ich, was Online"übersetzer" so bringen. Zu meinem Erstaunen klappt das mit dem Berlinisch überraschend gut. Doch gibt es Kritik an der maschinellen Übelsetzung.

Auf Französisch wird es zu: "Das Brot, ist es heute?" Das Wörtchen de, von, fehlt. Gefragt wird in der Übertragung ein männlicher Bäcker, seine Frau indes liefert die Antwort. Das geschieht es wohlgemerkt nur in der franzö­sischen Fassung, die englische ist soweit unfa­llfrei. Was beide gemein haben: Es wurde "für Weih­nach­ten" gebacken. Dass "zu Weihnachten" auch eine Zeit­angabe sein kann,  fällt hin­ten runter.


 

 

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Foto: C.E.
(der Blumenstand vis-à-vis)
MT:
www.Deepl.com

Mittwoch, 16. September 2020

COVIDiary (156)

Was Dol­met­scher und Über­setzer umtreibt (und Dol­met­sche­rin­nen und Über­set­ze­rin­nen), können Sie hier mitlesen. Dabei beschreibe ich auch, wie Corona unseren Alltag verändert. Die Pandemie legt unsere Stärken und Schwächen offen und wirkt grundsätzlich für alle Phänomene als Verstärker.

Besser ohne Apostroph
Und heute dann so: Doku­men­ten­über­set­zung (doch mal aus­nahms­weise), das W-Lahm der letzten Tage ist wieder zum W-Lan geworden, daher Buch­haltung, Schreib­arbeiten in Richtung Sach­buch (Über­setzung, Neuzu­schnitt der deut­schen Fassung), Termin­planung von fast ehren­amtlichen Ein­sätzen abstimmen (Kino­mo­deration), Planung der Un­ter­titelung eines Films: Die eng­lische Unter­titeldatei an­fordern, einlesen in Begleit­material, Film nochmal sehen.

Wem dieser Tage der Hals kratzt, zieht sich zurück, jedenfalls in meinem Umfeld. Selbstgewählte Quarantaine, es gibt tat­säch­lich Schlimmeres.

Doch plötzlich mutiere ich zu der Besser­wisserin, vor denen mich meine Eltern immer gewarnt hatten. Mein Vater: "Ich kenne einen Lek­tor, der korrigiert sogar die ein­gehende Post!" Ich setze dem eins drauf und schreibe in der Antwort auf einer Mail von 2873 Anschlägen (natürlich nur als Teil meiner Antwort): "Kleines Lektorat Ihrer Mail: für’s ist falsch, bei der Verschmelzungen von Präpo­sition und Artikel wird kein Apostroph gesetzt. Das Apostroph zeigt an, dass ein E oder etwas mit einem E ausgefallen ist — oder aber eine Auslas­sungen im Wortinneren (Bei­spiel: Ku’damm)." [Es hat sich um eine Lektorats­anfrage gehandelt, lieber Papa im Jenseits, da darf ich das.]

Eine Anfrage, die ich am Ende leider absagen muss, weil's die falsche Zielsprache ist. Die Antwort folgt auf dem Fuße: "Danke fürs (nicht für’s) Ansehen!"

So mag ich das. Doch die Chose wird noch besser: Ich reiche die Anfrage weiter. Der Auf­trag ist leider-leider-leider-leider coronabedingt sehr schlecht dotiert. Ein künstle­risches Projekt, das lobenswert ist und ohne Förderung auskommt. Ich gebe ihn an eine junge, sehr talentierte Kollegin weiter, bei der ich auch eine künst­lerische Begabung sehe. Die Antwort kommt rasch. Sie schreibt: "Das Honorar war ja nicht der Rede wert. Ich habe verhandelt, dass er mir seine Ferien­wohnung in Meck­lenburg ausleiht, anstatt mich zu bezahlen. ;-)"

Leben in Zeiten von Corona. Und mit dem Wissen ist es wie mit der Liebe: Derlei vermehrt sich, wenn wir es teilen!

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Foto: C.E.

Dienstag, 15. September 2020

COVIDiary (155)

Bon­jour, gu­ten Tag & hel­lo auf den Sei­ten des ers­ten deut­schen Dol­met­scher­blogs aus dem Inneren der Dol­metscherkabine. Die Sprachen, das Sprechen und die Tech­nik zu beobachten, ist eine der Grundlagen unserer Arbeit.

Diana Rigg als Agentin Emma Peel  (Mit Schirm, Charme und Melone)
ALS OB! — Hommage an Diana Rigg
Ein abendliches Treffen mit einer Studien­freun­din zum Eis­essen an einem der letzten lauschigen Sommerabende: Wir sehen uns ab uns zu, seit Coro­na häufiger, denn die Pan­demie macht unser direktes Lebens­umfeld wich­ti­ger. Sie wohnt eine Straße von mir entfernt, hat Rus­sisch und Englisch studiert (und arbeitet hauptsächlich mit Russisch), so dass wir nur in Theorie­se­mi­na­ren zu­sam­men­sa­ßen und uns die letzten Jahrzehnte nicht so oft gesehen haben.
Bei den Euro-Betriebsräten, Festivals, De­le­ga­tions­reisen und Konferenzen, die ich üb­li­cher­weise dolmetsche, kommt Russisch nur selten vor. Sie arbeitet öfter beim Eu­ro­päischen Rat, der Russisch­kollegen be­schäf­tigt, und ist auch sonst viel auf Achse.

Vielmehr: Sie war es. Dann kam Corona.

Ich habe Lust auf Ausgehen. Ich ziehe ein Lieblings­kleid an, dazu trage ich eine Ko­rallen­kette und ein rotes Arm­band aus Feuer­bohnen, elegante Hackenschuhe, die Haare frisch gewaschen, den Lippenstift aus den Untiefen der Tasche her­vor­ge­kramt.

Beschwingt komme ich zum Treffpunkt. "Hui!", sagt meine Bekannte, und fragt: "Wie lange hast Du Zeit?" Ich sage ihr, dass ich so viel Zeit mitgebracht hätte, wie wir brauchen. Sie schaut misstrauisch.

Ich ahne, was sie meint, gehe aber erstmal nicht drauf ein. Am Ende des Abends, sie: "Jetzt kannst Du mir's aber verraten: Hast Du eine neue Flamme? Mit wem bist Du gleich noch verabredet?"

Nein, ich wollte einfach mal in Coronazeiten auch privat mal so rumlaufen, als wür­de ich gleich neben Claude Chabrol auf die Ber­li­nale­bühne treten. Sonst frem­de­le ich später dieser öffentlichen Person ge­gen­über, die das (fast) lampen­fie­ber­frei kann, was die Privatfrau nie, nie, wirklich nie könnte.

Kom­munikation besteht nur aus einem geringen Teil aus Wörtern. Wie ich dastehe oder -sitze, wie ich die Kör­per­hal­tung ändere, die Art, wie ich die Hän­de be­nutze, die Finger, Gestik und Mimik ein­set­ze, au­ßer­dem Kleidung, Gesagtes und Auslas­sungen, das alles macht einen Subtext aus, mit dem nicht selten mehr vermittelt wird als mit direkt Aus­ge­spro­che­nem.

By the way ist dieser Subtext genau das, was Compu­ter nicht übertragen können, weshalb Computer­über­set­zungen nie akkurat sein werden. Sie sehen nicht, sie kön­nen nichts einschätzen oder be­werten, denn Computer arbeiten mit Einsen und Nullen. Nullen haben keine Gefühle. Das weiß jedes Kind.

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Foto: C.E.

Freitag, 11. September 2020

COVIDiary (153)

Die künstlerische Arbeit an Texten und Filmen konnte ich jahrelang mit dem Dol­metsch­business querfinanzieren. Das Ferndolmetschen ist eine Option für die Lebensgrundlage der kommenden Monate, indes: Es gibt nur eine geringe Nach­frage. Es ist auch umständlicher, anstrengender. Manchmal ist indes es ganz leicht, sich die neue Arbeitsweise vertraut zu machen.

Fenster, Leiter zum Hochbett, Spiegel, schmales Fenster, Tisch und Stuhl, Computer mit Kopfhörer, rechts angeschnitten der Ärmel einer Anzugjacke
Eingerahmt zwischen Hochbettleiter und Anzugjacke
Fast ein normaler Arbeitstag: Am Morgen dolmetsche ich eine kurze Videokon­ferenz im Kon­se­ku­tiv­mo­dus. Hier dis­ku­tie­ren zwei Herren aus dem Bereich Werks­küchen und Gas­trono­mie über neu­e Pro­jek­te miteinander. Wäh­rend ich in der Kleider­kam­mer in Berlin auf einem höl­zernen Kino­klapp­stuhl sit­ze, sind die bei­den in ihren Bü­ros in Dres­den und in Reims.

Das sind zwei Städte, die mir von Kindesbeinen an vertraut sind, anfangs nur dem Klang der Städtenamen nach. Meine Vorfahren aus der sächsischen Garn­dy­nas­tie waren regelmäßig an beiden Orten, wir haben alte Fotografien, Postkarten und Briefe aus den Städten im Archiv, in der Verwandte auch Gebäude hinterlassen haben, waren immer wieder vor Ort. Auch das macht mir das Setting irgendwie vertraut.

Ich bin froh, dass ich als Studentin in meiner année de mise à niveau, dem Vor­kur­sen in französischer Sprache und Landeskunde während des erstens Studienjahrs, auch einige Seminare "Französisch für Wirtschaft und Handel" absolviert zu ha­ben. Die Grundbegriffe sind mir so vertraut, dass sich fast ein wohliges Gefühl einstellt, als hätte ich als Kind im Kontor meiner Ahnen in der Ecke gesessen und ihnen beim Spielen zugehört. Das hab ich in der Tat nur im unwahrscheinlichen Fall, wenn ich eine Zeitreisende sein sollte. Doch Zeitreisenden fehlt bekanntlich ein Teil des Gedächtnisses, wie schon jedes Kind weiß, so dass ich es nicht be­stä­ti­gen kann.

Epigenetik mal wieder. Das gleiche Gefühl stellt sich ein, wenn ich alte Stoffe von höchster Qualität in der Hand habe. Oder im Garten zugange bin. Oder abends Pflanzen bestimme, die sich im Hofgärtchen selbst ausgesät haben.

Inzwischen ist mir auch das Onlinedolmetschen sehr vertraut, voraus­gesetzt, ich kenne die Beteiligten. Die beiden Herren durfte ich schon am Anfang ihrer Zu­sam­men­arbeit vertonen, als ich noch keinen von ihnen persönlich kannte. Dabei war die Stim­mung eher un­ent­spannt, ein Stres­sor für mich als Dolmetscherin. Ich habe damals versucht, so cool wie möglich zu sein, mich wenig emotional darauf ein­zu­las­sen. Dolmetschen, das Vorwegnehmen dessen, was kommt, wenn das deutscher Verb wieder mal auf sich warten lässt, funktioniert aber mit Iden­ti­fi­ka­tion, mit "Einschmiegen" und Spie­gel­neu­ronen. Ich sehe hier einen Wi­der­spruch. Hinzu kommt beim Fern­dol­met­schen die Sorge um die Technik, das Jong­lieren mit ver­schluck­ten Silben und Echo.

Jetzt, nachdem wir im Hochsommer zwei Tage gemeinsam auf Dienst­reise waren, ist das völ­lig anders, alle mögen sich, die Arbeit fällt mir leicht. Ich sitze heute in meiner Kleiderkammer mit Hochbett, auf dem regel­mäßig Gäste näch­ti­gen. Dort ist ein Arbeitsplätzchen eingerichtet, an dem sich ruhig sitzen lässt. Zur Straße hin ist es heute zu laut, die einfache Sprecherbox reicht nicht aus, um ener­vier­te Hu­pen und die Rangier­geräusche vor dem Haus wegzu­filtern. Die Me­ga­kreu­zung am Staßenende wird seit wenigen Tagen umgebaut, ist komplett ge­sperrt. Und freitags ist ja immer Wo­chen­markt ... (Wo sind die Ein­bahn­stra­ßen­schilder?!)
 
Später geht es an den nächsten Arbeitsplatz. Dort schreiben, korrigieren und for­mu­lieren eine Nachbarin und ich, suchen Fotos aus, lektorieren. Über den Hof hö­ren wir die Stimme von A., meiner Mitgärtnerin, die jetzt ihre Telko hat. Plötz­lich ist un­ser Haus ein Großraumbüro! Das hätte die alte Eigentümerschaft, als sie un­ser Mietshaus zu Sommeranfang an einen Immobilienkonzern verscherbelt hat, sicher nicht im Sinn, dass wir jetzt alle noch näher aneinanderrücken.

Happy drücken wir lange vor der Einreichungsfrist auf den Sendeknopf. Wir nehmen an einer Aus­schreibung um Corona-Stipendien des Berliner Senats teil. Künstlerinnen und Künstler in Berlin sind wie andre Solo-Selbständige in Coronazeiten auf "Hartz IV mit abgesenkter Zugangsschwelle" verwiesen worden.

In den Regelungen zur Grundsicherung sind allerdings Aktien- oder andere An­la­ge­for­men fürs Alter gegenüber z.B. der Riesterrente schlechtergestellt, denn nur be­rufs­­stän­­dische Vor­sor­ge­program­me (die meine Bran­che nicht kennt) und Spar­pläne wie Riester gelten als "echte" Rücklage fürs Alter, während die anderen Rücklagen vor Antragstellung bitteschön erstmal aufzubrauchen sind, was nicht nur Altersarmut pro­gram­miert, sondern grund­sätz­lich altersrassistisch ist, haben junge Leute doch meistens erst geringere Summen zurückgelegt. Und nochmal, weil in den Kom­men­tar­spal­ten der Gazetten besonders viel Häme gegen uns Freiberufler ausgeschüttet wird: Eine solche Pandemie war weder für Selb­ständige und Künstler versicherbar, noch kommt unsereins in die Arbeitslo­senversicherung rein. Wir ha­ben an der Ge­samt­lage genauso wenig schuld wie Kurzarbeiter oder einige Be­am­te, die zwar aktuell keine Arbeit, dafür aber Einkommen haben. Aus Steu­er­ein­kom­men, das wir mitfinanzieren. (Die Kassen der Arbeitsanstalt sollen leer sein, ist zu hören.)

Auf den Sozialstaat kann man sich verlassen. Nur Selbständige leider nicht.

Meine wirtschaftliche Grundlage war immer ein Mix aus Konferenzdolmetschen und künstlerischer Übersetzertätigkeit. Auf Letztere bin ich jetzt zurückgeworfen, An­fang der Woche habe ich in meinen Kalendern der letzten drei Jahre ausgezählt, wieviel Zeit ich normaler­weise mit Business (Dolmetschen) zubringe und wieviel Zeit mit künstlerischem Übersetzen.

Die kreative Arbeit entspricht über 60 Pro­zent der Tage, aber nur knapp 30 Pro­zent der Ein­nahmen. Die künstlerische Existenz ist derzeit meine Hauptein­nah­me­quelle. Daher der Antrag. Die Stipen­dien sind für alle profes­sionellen künst­le­ri­schen Beschäf­ti­gungen ausgelobt worden, auch für literarisches Über­setzen und Untertiteln. Die Nachbarin und ich haben uns also mit guter Laune vollgepumpt und unsere Portfolios erstellt. Die Begünstigten werden per Los­ver­fah­ren er­mit­telt.

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Textillustration: Bund (modifiziert)
Foto: C.E.

Dienstag, 8. September 2020

COVIDiary (151)

Bon­jour, gu­ten Tag & hel­lo auf den Sei­ten des ers­ten deut­schen Dol­met­scher­blogs aus dem Inneren der Dol­metscherkabine. Gerade schreibe ich vom Büro aus, das seuchenbedingt deutlich ruhiger ist als sonst üblich. Grundlagen erkläre ich trotzdem immer wieder gerne.




Alte Telefone aus den Anfangsjahren der Fernkommunikation
Arbeitsgerät des Zwischenhandels
"Sind Ihre Dolmetscher alle festangestellt?", wollte eine Kundin neulich wissen.
Nein, "meine" Dolmetscher sind Freiberufler, wir ar­bei­ten im Netzwerk zusammen. Die meisten Dol­met­sche­rin­nen und Dol­metscher sind Freiberufler, nur wenige Kol­legin­nen und Kollegen sind bei öffentl­ichen Ein­rich­tun­gen wie Ministerien fest­an­gestellt.

Diese Arbeitgeber kön­nen einander bei Extra­bedarf untereinander über die so­ge­nann­te Amts­hilfe regelmäßig Arbeits­kräfte zur Verfügung stellen. Ist der Bedarf größer kommen wir Freien ins Gespräch, die wir aber auch für Kunden aus Wirt­schaft und Handel, aus der Kultur, der Veranstaltungs­industrie und für Privat­kunden tätig sind. (Also normalerweise, ohne Corona.)

Wir sind ähnlich wie Fachärzte oder Fach­anwälte spezialisiert, erweitern aber ständig unsere Bereiche. Andere arbeiten als Gerichts­dolmetscher und im me­di­zi­ni­schen Bereich. Darüber schreibe ich ein an­deres Mal.

Aus dem Dolmetschen wird dann ein Gewerbe, wenn sich jemand entschließt, eine Agentur zu gründen, also eine Firma. Der Begriff "Agentur" ist irreführend. Bei ei­ner Schauspiel­agentur kümmert sich ein Büro um eine feste Gruppe von Schau­spie­ler­in­nen und Schau­spielerin, vertritt sie, versucht, sie für sie Aufträge zu den für die Darsteller bestmöglichen Konditionen heranzuziehen und bekommt einen fes­ten Prozentsatz dafür.

Im Bereich Sprache arbeiten Agenturen allerdings nicht wie Agenten, sondern eher wie Makler: Billig einkaufen, teuer verkaufen. Sie ahnen, welche Abgründe diese Logik birgt. Dolmetsche­rinnen und Dolmetscher sind hier per se nicht fest­an­ge­stellt, nur die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die die Bürotätigkeit erledigen.

Eine größere Struktur ist nicht unbedingt schlagkräftiger, besser, professioneller und der bessere Dienstleister, nur weil sie sich mit einer großen Firma einer an­de­ren Branche ver­glei­chen lässt. Aus der Perspektive von uns Freiberuflern, die von diesen Struk­tu­ren angefragt werden, ist meistens sogar das Gegenteil der Fall. Re­prä­sen­ta­ti­ve Büroräume, viele Mitarbeiter, IHK-­ und Gewer­be­steuerbeiträge und dann die oben­stehende Definition macht die Zusam­menarbeit mit diesen Firmen nicht unbedingt lukrativ.

Wer erfahren und gut im Geschäft ist, wird sich darauf eher nicht einlassen. Leider ist dieses Wissen in der Allgemeinheit nicht weit verbreitet. Wir haben sogar schon Gewerkschaften und Firmen der Sozial­wirtschaft erlebt, die über die Makler mit den ... allerschicksten Adressen gegangen sind, um die Chose di­plo­ma­tisch aus­zu­drücken. 

Dabei ist die Sache logisch: Wenn der Zwischenhandel eine Ware nicht teurer macht, wird wohl der Lieferant die Zeche zahlen müssen. Oder die Lieferantin.

Und mit Statussymbolen ist es es mit dem Wohnen: Wohn­wert­entscheidend ist letzten Endes nicht das Marmor­waschbecken nebst güldenem Wasserhahn, sondern die richtige Lage, ein guter Schnitt, solide Architektur, gerne etwas Gartengrün, freundliche Nachbarn, die Kosten sowie eine zuver­lässige, effiziente Verwaltung. Da kann einem ein Makler sonstwas erzählen!

Außerdem arbeiten wir schon lange mit Computern und anderen Gegenständen, die bis vor kurzer Zeit noch für manche Menschen "Neuland" waren; wir dol­met­schen jetzt manchmal sogar online und arbeiten eben nicht überwiegend mit der Technologie vergangener Zeiten wie Telefonie, Fax oder Brieftaube.

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Foto:
C.E.

Montag, 7. September 2020

COVIDiary (150): Hinweise zum guten Ton

Herzlich will­kom­men! Hier bloggt ei­ne Dol­met­sche­rin. Was Konferenzdolmetscher und Übersetzer machen, wie sie arbeiten, wie sie leben, ist hier seit 2007 re­gel­mä­ßig Thema. Haben Sie schon mal mit Dolmetschern zusammengearbeitet?

Dolmetschen wirkt auf Nichtdolmetscher oft wie Zauberei, geheimnisvoll und un­klar. "Wie geht das: zuhören und gleichzeitig sprechen?", ist daher wohl die am häufigsten gehörte Frage, ergänzt durch ein: "... das muss doch sauschwer sein!" Naja, geht so. Wir haben es halt gelernt. Und wir wissen selbst nicht so genau, wie wir das machen.

SOSO, Jahr 2020!
Unser Beruf ist aller­dings von außen kom­pli­ziert geworden. Von uns unverschuldet. Plötzlich ergeht es den meisten, die sonst rege Nachfrage verzeichnen konn­ten, wie vie­len Schau­spie­ler­in­nen und Schau­spie­lern: Ohne Re­gis­seu­rin oder Re­gis­seur, ohne Publikum oder Kamera kön­nen diese nicht arbeiten, nur im stillen Käm­mer­lein Rollen studieren. Das machen wir auch, denn 80 Prozent un­se­rer Arbeit liegt in der Vorbereitung. Aber die 20 Pro­zent fehlen, die Bü­hne, der Einsatz.
Fast alle großen Konfe­renzen wurden vi­rus­be­dingt auf 2021 verschoben. Online-Kurzfor­mate sind selten, denn nicht nur der Auf­wand ist höher als sonst, sie sind für alle Be­tei­lig­ten anstren­gender.

Es hilft nichts, wir müssen da alle durch. Ge­mein­sam. Die Anstrengungen kennen Sie aus den letzten Monaten, von Zoom- oder Microsoft-Meeting-Sessions (oder mit welcher Technik Sie auch Erfahrungen gemacht haben): Die Konzen­tration fällt schwer, da meist der Ton schlecht ist, es hallt, Teil­nehmer oder Red­ner­in­nen gehen verloren.

Außerdem ist es schon etwas anderes, ob wir alleine zuhause oder zusammen mit anderen in einem Raum oder Kongress­zen­trum sitzen. Der nonverbale Anteil der Kom­mu­nikation fehlt, Blicke, Verab­redungen für Nach­fragen während der Kaf­fee­pause, Infomaterial zum Durch­blättern — und bei Kongressen mit Besichti­gungs­anteil eben auch die unterwegs im Team gemachten Erfahrungen und Be­ob­­ach­tun­gen.

Nach vielen einsprachigen "Videocalls" beginnt diesen Spätsom­mer die Zeit, in der sich mehr­spra­chi­ge On­line­­events häu­fen werden. Auch für uns Dolmet­­scherinnen und Dol­metscher sind die anstren­gender und schwieriger als die Arbeit früher. Das geht mit der Vorbe­reitung los: Wir haben mitunter Mühe, im Vorfeld an alle wich­ti­gen Informationen he­r­an­­zu­­kom­­men. Es entfällt die Erin­ne­rung an den Re­de­text "vor Ort", denn es gibt keinen ge­mein­sa­men Ort, oder die kurze Nach­frage zu ei­nem schwer ver­ständ­­lichen Absatz, in den sich vielleicht ein Fehler ein­ge­schli­chen hat. Wir sind auch die "ersten Lese­rinnen"* und konnten schon manches im Vorfeld auszu­bügeln helfen.

Nicht ausbügeln können wir leider diese Soundschwierigkeiten, die sich sogar auf unsere Dolmetschleistung auswirken können. Dar Grund dürf­te sich Ih­nen schnell er­schlie­ßen, denn es ist fast wie beim Kinderspiel "Stille Post": Wenn ich etwas nicht akkurat verstehe, kann ich es auch nicht akkurat weitergeben.

Was viele nicht wissen: Zur allgemeinen Soundqualität kann jede Einzelne, jeder Einzelne beitragen. Das ist auch der Grund, weshalb wir un­se­ren Teil­neh­men­den gerne folgen­de Liste ans Herz legen. Unsere Bitten:

— Setzen Sie sich zu Videocalls in den ruhigsten Raum, der Ihnen zur Verfügung steht;
— Handelt es sich dabei um einen Raum mit viel Raumhall (z.B. durch kahle Be­ton­wän­de, große Glas­flächen), wählen Sie bitte den zweit­ru­higsten Raum oder schließen Sie die Vorhänge und sprechen Sie bei Gelegen­heit eine In­nen­ar­chi­tek­tin* an. Die Verbesserung der Raum­akustik wird Ihnen auch nach Corona die Ge­sprächs­at­mos­phäre erleichtern;
— Besorgen Sie sich ein Headsets mit USB-Anschluss und gutem Mikrofon (Kauf­em­pfeh­lung gerne auf Anfrage);
— Setzen Sie sich nicht weit entfernt vom Monitor (und der Monitorkamera) hin, sondern in Monitornähe. Sie helfen uns damit, denn wir Dolmetscher/innen lesen einen Teil des Gesagten vom Mundbild ab;
— Schließen Sie Ihren Rechner mit einem Lan-Kabel an, das erhöht die Ge­samt­qua­li­tät der Übertragung;
— Schließen Sie andere Browserfenster und ar­beits­spei­cher­fressende An­wen­dun­gen, stellen Sie Tele­fone und andere po­­ten­tiel­le Stör­quellen stumm;
— Wenn Sie nicht sprechen, klicken Sie auf das Mikrofonsymbol und stellen es da­mit aus (seien Sie dabei bitte freundlich zu Kindern und Haustieren);
— Bei großen Veranstaltungen: Sagen Sie immer vorab Ihren Namen (mit dem Sie sich bitte auch im Konferenzsystem anmelden), damit wir die vor dem Event ge­le­se­nen Informationen auch mit Gesichtern und der Ge­sprächs­si­tua­tion verknüpfen können.

Und wenn Sie Dolmetscherinnen und Dolmetscher bestellen, wenden Sie sich bitte an Freiberuflerinnen und Freiberufler, die meistens gut per Mail erreichbar sind, und bitten Sie um einen telefonischen Beratungstermin.

Maklerfirmen, die (fast) alle Sprachen (beinahe) rund um die Uhr anbieten und an renommierter Adresse ein Sekretariat beschäftigen, investieren einen größeren An­teil der von Ihnen gezahlten Honorare in Repräsentations- und Werbekosten. Diese Firmen haben keine Kolleginnen und Kollegen festangestellt, sie su­chen an­schlie­ßend unter den freiberuflich Tätigen nach jenen, die für das rest­li­che Geld wil­lens und hof­fentlich auch in der Lage sind, zu arbeiten.

Viele gestandene Kolleginnen und Kollegen mit besten Referenzen und lang­jäh­riger Erfahrung sind dazu eher nicht be­reit. Wa­rum soll ich ei­nem Mit­tels­mann* 30, 40 oder 50 Pro­zent mei­nes Hono­rars für einige Telefonate über­las­sen, wenn er mir da­r­ü­ber­­hin­­aus noch den Kontakt zu den End­kunden er­schwert, der für den rei­bungs­­lo­­sen Informationsfluss im Vorfeld un­ab­dingbar ist? Wie gesagt, Dolmet­schen ist zu 80 Prozent Vorbereitung ...

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Illustration: Pracownia N22 (in Neukölln)
(*) oder Leser / Innenarchitekten / Mittlerin

Freitag, 4. September 2020

COVIDiary (147)

Was Dol­met­scher und Über­setzer umtreibt (und Dol­met­sche­rin­nen und Über­set­ze­rin­nen), können Sie hier mitlesen. Die meisten von uns sind Freiberufler. Nach ei­nem ersten Megaprogramm scheinen wir Selbständigen in Deutschland die Ver­ges­senen aller Corona-Rettungspläne zu sein.

Von Luft und Liebe und Speisewasser leben
Schon das Megaprogramm hatte erheblich Schlagseite, durften doch mit den So­fort­hil­fe­gel­dern vor allem die laufenden Be­triebs­kos­ten wie ge­werb­liche Mie­ten, Kredit- und Lea­sing­­ra­ten be­gli­chen wer­den. Während die Büros nun gerettet scheinen, dar­ben nicht wenige Menschen, die darin tätig sind, denn Hilfe zum Lebens­un­terhalt erhal­ten viele nicht.

Das Problem verschiebt sich: Wer Rücklagen fürs Alter hat, darf erst die ver­knus­pern, bevor ihm oder ihr geholfen wird. (Hier wird Altersarmut programmiert. Das Problem muss die Regierung lösen.)

Einschub: Jetzt folgt ein kleines Sherlock-Holmes-Wortspiel aus mei­ner zwei­ten Hei­mat. Der Super­detektiv belehrt oft seinen normalbegabten Weg­­be­­glei­­ter und Hausarzt, Dr. Watson, indem er sagt: Elementary, my dear Watson! "Das ist von grundlegender Bedeutung!" Franzo­sen machen daraus gerne mal ein C'est ali­men­tai­re, mon cher Watson! Auf Deutsch: "Das ist Teil der Ernäh­rung, mein lieber Watson!" Und so gehört meine Arbeit für ver­schiedene Betriebs-, Groß- und Schul­küchen seit ge­rau­mer Zeit zur ele­men­ta­ren Nahrungs­grundlage in Zeiten von Corona.

Diese Küchen reichen jetzt via Onlinedolmetschen bis in mein Büro hinein: Ge­flies­te Wände, immer mal wieder läuft jemand mit Haube und Mund­schutz durchs Bild, die Köche tragen weiße Kittel und moderne Kopfmützen. Nur der Koch der einen Betriebs­küche sitzt zuhause, denn seine Tochter hat Covid-19 von der Schule oder vom Sport nachhause gebracht.

Es geht um Saucen­herstellung, um das Binden von Saucen und wie diese im Falle des Vor­kochens vielleicht sogar den Tiefkühl­prozess überstehen. Hier wird nach den richtigen Zutaten gesucht. Denn die Klebe­bindung von normaler Stärke aus Getreidemehl wird von den Säuren und Enzymen, die in der Zube­reitung enthalten sind, nach einigen Tagen zersetzt.

Trikolore in der Großküche (Energiezentrale)
Daher werden in verschie­de­nen Küchen dazu Alter­na­ti­ven ausprobiert, und Fran­zo­sen und Deutsche tau­schen sich unter­ein­ander aus. Am Ende überlegen wir einen Termin für die Nach­be­spre­chung.

Der Koch in Quarantäne meint, das ginge für ihn lei­der erst wieder in einigen Wochen. Als ich ihn frage, ob sein Home­office nicht auch eine Home­kü­che habe, lacht er schallend und meint, dass es beim Kochen im­mer auch um Mengen gehe.

Und ich dachte immer, Groß­küchen würden alles nur "skalieren", einfach die Grö­ßen­ord­nung ändern. Kochen ist ein faszi­nierender und auch ein etwas geheim­nis­um­witterterer Prozess. Ich habe mich nie gefragt, ob ich bei der Soßen­her­stel­lung eine (heiße) Ein­brenne oder Mehl­schwitze (le roux) mit kaltem oder heißem Fond ablösche. (Kalt wird hier empfohlen. Immer über Kreuz: Ist der Fond heiß, sollte die Mehl­schwitze abgekühlt sein). Soßen lassen sich auch anders bin­den (lier). Eine Soße mit etwas Stärke und Flüssigkeit anbinden, lier une sauce avec un peu d'ami­don et de liquide, heißt auf Französisch travailler à blanc, weiß arbeiten.

Das kam vor meiner Zeit an die Tür
Die Körnung einer Mehl­bin­dung, la gra­nu­lo­mé­trie, hängt wie der Ge­schmack auch vom Kochvorgang ab. Mehl muss immer ein wenig mitkochen, damit es auf­ge­spal­tet wird und sich mit anderen So­ßen­be­stand­tei­len verbindet. Das klingt nach Chemielabor. Nach dem Ein­satz schnappe ich mir in der Küche mein Lieb­lings­koch­buch.

Das ist der Kochbrevier* des Küchenchemieerklärers Hervé This (in Deutschland als Hervé This-Benckhard bekannt), in dem so kuriose Hinweise stehen wie der da: "Flößen Sie zunächst dem Fasan ein Glas Schnaps ein."

Vokabeln
eine Soße andicken — épaissir une sauce 
glutenfreies Maismehl — fleur de maïs sans gluten
Kartoffelstärke — fécule
Wir können beobachten, wie die Soße zerfällt. — On peut oberserver la dissocation de la sauce.
Stärke — amidon
ausgeprägte ↔ leichte Verdickung — épaississement léger ↔ notable de la sauce
Fette setzen sich ab — les graisses se délient
Klümpchenbildung ist zu vermeiden — on évitera les grumeaux
Suppengemüse — bouquet garni (Parallelbegriff: la garniture) 

Als ich beim Dolmetschen mal kurz das Wort "Schöpfgerichte" nachschlagen will, wer­den mir "Schöffengerichte" angeboten oder tribunaux de la créativité, Ge­rich­te, in denen über die Kreativität Recht gesprochen wird. Na klar ... Also erkläre ich: ein mit einem Schöpflöffel serviertes Gericht ist ein plat, servi à la louche, auf Englisch bowl food.

Nebenbei gelernt: Köche können am Geschmack erkennen, ob es sich bei einer Soße um eine weiße oder eine braune Soße handelt. Es sind eben doch Zauberer, c'est élémentaire, Watson!

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Fotos: C.E.
(*) Rätsel und Geheimnisse der Kochkunst: natur-
wissenschaftlich erklärt,  München / Zürich 2014

Donnerstag, 3. September 2020

COVIDiary (146)

Gu­ten Tag & hello auf mei­nen Blog­seiten. Ich ar­bei­te seit 2005 in Pa­ris und Ber­lin als Kon­fe­renz­dol­met­sche­rin, früher auch oft als Über­set­ze­rin. (Für die bes­se­re Un­­ter­schei­dung der Begriffe: siehe oben.) Heute wieder: Sprachschatz!

Dass das Home Office im Vereinigten Königreich von England unserem In­nen­mi­nis­te­rium entspricht, habe ich hier im Frühjahr schon mal geschrieben.

Neuerdings kursiert in Deutschland auch "HO" als Abkürzung fürs Heimbüro "Home­office", al­ler­dings habe ich das nur von jüngeren Menschen gehört. Lustig, diese vielen Schich­ten von Kürzeln, die das Leben da so auf­ein­an­der­packt. Als DDR-Kennerin lese ich HO natürlich als "Handelsorganisation", HO hie­ßen dort viele Lebensmittelläden, während für meinen Vater, den lang­jäh­ri­gen Cheflektor dieses Blogs, als kleiner Junge seine geliebte Spiel­zeug­ei­sen­bahn so ähnlich aussah, H0, ge­spro­chen: Ha-Null, das bezeichnet die Spurweite.

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Foto: wird nachgereicht

Dienstag, 1. September 2020

COVIDiary (145)

Bon­jour, gu­ten Tag & hel­lo auf den Sei­ten des ers­ten deut­schen Dol­met­scher­blogs aus dem Inneren der Dol­metscherkabine. Gerade schreibe ich vom Büro aus, das seuchenbedingt brachliegt. So persönlich wie dieses Jahr war dieser Blog noch nie. Durch Corona verändert sich auch mein Radius.

Blumen im Bleiglaserkerfenster
Gesehen in Luxemburg
Es klingelt an der Tür. Mein Büro hat kei­nen Pub­li­kums­verkehr, außer Kolleginnen vielleicht, die zum Lernen, Tex­te­tau­schen oder auch zum Fern­dol­metschen kom­men, denn wir arbeiten ja neuer­dings immer öf­ter von anderen Orten aus als jenen, an denen die Kunden sitzen.

Vor der Tür steht Claude, ein junger Fa­mi­lien­vater, der Doku­mente übersetzt haben möchte. Das mache ich nicht. Der Staat hat vor einigen Jahren bei seiner Gebüh­ren­­ta­belle die obersten Ho­no­rar­sät­ze weg­ge­schnit­­ten, die Stun­densätze ent­spre­chen nicht immer dem Auf­wand. In die­sem Kon­text haben viele Kollegen ihre Beglau­bi­gungs­stempel zurückgegeben.
 
Die Dokumente hat er trotzdem vor mir foto­grafiert, ich hatte sie in der Hand, ha­be sie gegen das Licht gehalten, sieht alles nach Originalen aus. Jetzt bekommt eine Kol­legin den Kunden zugeschickt. So hat die Begutachtung statt­ge­funden und sie kann von einem anderen Ort aus die Über­setzung machen.
 
Vor dem Haus ist Wochenmarkt. Ein Trom­peter pustet nicht immer die richtigen Töne in die Luft, versucht sich an Jazz und an Pippi Langstrumpf, "... ich mach mir die Welt, ... wie sie mir gefällt!" (Leider muss ich jetzt an eine frühere SPD-Vor­sitzende denken und auch an eine De­mons­trantin, die am Samstag in der Ber­li­ner Stadt­mit­te Frem­de ab­ge­knutscht hat.)

Vor Corona habe ich Respekt und ja, ich kannte Menschen, die daran gestorben sind und ja, es könnte sein, dass ich es im Januar hatte, einen derart bö­sen Hus­ten hatte ich noch nie wie "damals", als drei Wo­chen lang ein Baby­ele­fant auf mei­nem Brust­korb gewohnt hat. Abstand­halten ist inzwischen Alltag geworden. Neu­lich habe ich von über­großer Nähe geträumt und war er­schrocken. Aber rich­tige Coro­na­alpträume wie am An­fang habe ich nicht mehr.

Heute schreibe ich eine etwas detaillier­tere Be­schreibung zu Fern­dol­metschen für die Kunden, die meiner Bitte nach Headsets und dem An- und Ausschalten von Mi­kro­fo­nen einmal nachkamen, es beim nächsten Mal aber schon wieder vergessen hatten. Diese Menschen bekommen jetzt Gründe erzählt! Außerdem lese ich die Power­Point­Präsentation einer Kol­le­gin zum Fern­dolmetschen gegen.

Neue Anfragen lassen auf sich warten, aber es wird kommen. In der Zwi­schen­zeit zum Auf­fri­schen wieder aus dem Aktenregal gezogen: Empower­ment von Frau­en im ländlichen Raum des globalen Südens. Außerdem trage ich nach: Vo­ka­bu­lar in Sa­chen Neu­bau­planung, mein Kurz­ein­satz von gestern, darunter Begriffe wie Re­vi­sions­schacht, Mehrschicht­ver­bund­rohr, Kondensat­ab­lauf, Werk­planung, Au­ßen­wand­schornstein.
 
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Foto:
C.E.