Mittwoch, 31. März 2010

Haben Sie frischen Dorsch?,

fragt eine nette weibliche Stimme am Telefon, "und Sprotten?"

"Nichts davon vorrätig!", kontere ich, noch ehe ich richtig begreife, was da vor sich geht. Ich kürze gerade die ellenlange Begründung eines Preises, in der ich den Aufwand für eine Übersetzerarbeit einschätze und die Gefahren verdeutliche, die mich ein Kunde eingehen lassen möchte, wenn er von mir eine Drehbuchübersetzung inklusive Änderungen im Umfang von 10 % des Ausgangstexts zum leider-leider-Festpreis wünscht und warum ich derlei seit Jahren nicht mehr mache. (Satz zu lang? Macht nichts, die Kundenanfrage war leider eher unsinnig.)

"Was haben Sie denn für Lachs - frischen oder gebeizten?", legt die Anruferin nach. "Hab keinen Fisch!", murmele ich in die Sprechmuschel (die keine mehr ist), stehe auf, verheddere mich in der algen-, äh, ellenlangen Telefonschnur (die längst abgeschafft wurde) und sage: "Verwählt!"

"Entschuldigung, das kann nicht sein", besteht die Anruferin auf der Investition ihrer zehn Telefoncents und liest laut die Koordinaten vom Messbesteck ab, pardon, die Telefonnummer vom Display, ja, zweifelsfrei, das ist meine Nummer, muss ich wohl zugeben, und antworte: "Messfehler, ähh, Schaltfehler, ist zwar meine Nummer, aber nicht der richtige Adressat!", bis ich merke, dass ich in die falsche Richtung gedacht habe, erst Nummer, dann Verbindung.

Eine kurze Navigation im Datenmeer später weiß ich mehr: da hat (außer mir) doch jemand meine Nummer veröffentlicht! Unter seinem Namen! Das hatten wir schon mal, damals hat Onkel Abou Dabou noch in Gemüse gemacht und für sein kleines Lieferfahrzeug wollte mir die Allianz-Versicherung unaufgefordert eine neue Police andrehen!

Ich schnappe nach Luft, ringe um Worte, produziere nur noch Luftblasen. Hilfe!, welch' Welle des Nichtverstehens schwappt mir aus dem Telefonhörer entgegen! Und wenn ich sie mir bildlich vorstelle, meine Anruferin, sie glotzt vermutlich gerade ebenso verständnislos und traurig drein wie der Dorsch, den sie eigentlich kaufen will! Lauch und Sellerie wären mir jetzt lieber! Oder werde ich hier in den April geschickt?

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Mehr zum Aprilfisch hier.

Montag, 29. März 2010

Drehbücher übersetzen

Hallo, bonjour, hello auf meinen Blog­seiten aus dem Le­ben einer Pro­fi­dol­met­scher­in und -übersetzerin. Ich arbeite in Berlin, Leipzig, Hamburg, Lyon, Pa­ris und dort, wo Sie mich brauchen. 

Als Film­dol­met­scherin sitze ich in der allerersten Reihe — ich lerne regelmäßig Filme schon kennen, bevor's überhaupt welche sind. Denn natürlich ist eine Film­dol­metscherin, die auf sich hält, auch Drehbuchübersetzerin!

Letztes Jahr habe ich zum Beispiel zehn Drehbücher übersetzt, insgesamt eine Mil­lion Anschläge, das war viel Arbeit. Ich hätte sogar mehr übersetzen können, wenn mich mancher Produzent mit meinen Fragen und Anmerkungen ernst ge­nom­men hätte. Denn als erste externe Leserin, über deren Schreibtisch viele Dreh­bü­cher wandern, sehe ich Baufehler in der Dramaturgie, höre ich Papier ra­scheln bei Dia­lo­gen, spüre Schwächen von Charakteren. Natürlich übersetze ich (und meine Kollegen) viele Arbeitsfassungen, ist jene, die gerade in Arbeit ist, selten bereits das shooting script oder die Fassung für die internationale Vermarktung, bei Do­ku­men­tar­fil­men der Spre­cher­ka­bi­nen­text.

Da Drehbuchübersetzung relativ teuer ist, weil es — mit viel Aufmerksamkeit und Liebe gemacht — einfach viel Zeit kostet, übersetze ich ungern Bücher in zu frühen Stadien. So kommt es, dass meine Fragen, mein Zögern, meine An­mer­kun­gen manchmal zu Lektoratsaufträgen werden.

Ausreichend Zeit zu haben ist das eine, die gute Terminplanung das andere. Wenn Sie erwägen, von mir oder uns ein Drehbuch übersetzen zu lassen — ich arbeite ge­le­gent­lich im Team und habe Kollegen, die in/aus andere/n Sprachen arbeiten, die wir natürlich ob ihrer Qualität aussuchen — ist es immer sinnvoll, beizeiten an­zu­fra­gen. Manche Monate (z.B. Dezember/Januar, vor der Ber­li­na­le, oder und ab April, vor Cannes) könnten wir meist dreifach ausbuchen. Machen wir aber nicht, weil wir sonst das Niveau unserer Arbeit in Gefahr sähen.

Dolmetschen und Übersetzen wird oft der zweitälteste Beruf der Welt genannt.

Schreibtisch mit Kalender
Terminplanung mit Drehbuchstapel
Er wird auch so schnell nicht aussterben, dafür sind die bi­nä­ren Codes zu schwach. Das Hin­über­tra­gen von In­hal­ten von einer in die andere Spra­che ist ein zu­tiefst mensch­li­cher Vorgang. Wir über­tragen dabei auch Ge­füh­le und An­spie­lun­gen aus einer Kultur in die andere. Dabei schwingen immer Wissen um Literatur, Soziales, Po­li­tik, Wirt­schaft und Geschichte mit.

Je mehr wir wissen, desto komplizierter kann es am Ende sein. Wir müssen ent­schei­den, möglichst ebenso pragmatisch in der Umsetzung wie elegant im Er­geb­nis. Übersetzung liegt im Schnittfeld zwischen Wissenschaft und Dichtkunst. Wir zerlegen alles in kleinste Einheiten und setzen es so neu zusammen, dass nie­man­dem der Vorgang später auffällt.


P.S.: Reparaturarbeiten an Drehbüchern, die von Nichtprofis oder Nach­wuchs­kräf­ten in­fol­ge klei­ner Un­ter­bie­tungs­schlach­ten über­tra­gen worden, machen wir nicht mehr, denn im schlimmsten Fall ist unser Korrektorat (in Stun­den ab­ge­rech­net) am Ende teurer als eine Neu­überset­zung. Auf jeden Fall macht es schlech­te Laune, und auch die kann das Er­geb­nis be­ein­träch­ti­gen.
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Foto: C.E.

Freitag, 26. März 2010

Mehr Luft, bitte!

Will­kom­men auf den Sei­ten ei­nes vir­­tu­­el­­len Ar­beits­­ta­­ge­buchs aus der Welt der Sprachen. Ich bin Dolmetscherin und Übersetzerin für die französische Sprache und aus dem Englischen. Hier berichte ich über einen abwechslungsreichen Alltag.
 
In den Dolmetschkabinen ist es ja oft stickig, weil eng, aber was ich dieser Tage in Paris erlebe, spottet jeder Beschreibung. Eine riesige Halle mit Dutzenden von Ständen, hunderten von Ausstellern und tausenden von Fachbesuchern, parallel dazu eine Konferenz - und die Luft ist verbraucht und warm wie in einem Gewächshaus. Das ist noch der freundliche Begriff, schlimmeres kommt später noch.

Auf jeden Fall ist es eine Zumutung, in einem Raum zu arbeiten, in dem man ständig das Gefühl hat, der Erstickungstod stünde kurz bevor. Kundengespräche zu dolmetschen, logistische Lösungen in die andere Sprache rüberzuwuppen, dafür zu sorgen, dass ein deutsches Hafenterminal im besten Licht dasteht, ist sprachlich schon Herausforderung genug. Aber wenn einem stets auf gut Berlinisch die Ömme kurz vorm Wegdämmern ist vor lauter Sauerstoffknappheit, dann ist die Chose eine echte Herausforderung.

Die großen Firmen sitzen gleich vorn, die Häfen und Küstenregionen an den Seiten und hinten. Schön, wie in "Nord-Pas-de-Calais" eine leichte Brise weht oder das, was man gern dafür halten möchte, weil da irgendwo eine Außentür offensteht.

Aber das Aufatmen ist nur von kurzer Dauer. Kaputt wie selten nach Messetagen schleppen wir uns am letzten Tag zum Ausgang. Warum in Paris-Villepinte die offenbar unter dem Dach montierte Klimaanlage nicht benutzt wird, kann uns auch die freundliche Dame nicht erklären, die uns kurz vor der Garderobe anspricht. Sie erfragt die Zufriedenheit der Messebesucher - auf unsere Kritik hin meint sie nur trocken: "Das kritisieren hier alle als erstes. Ich kenne den Grund auch nicht, habe aber von Energieeinsparungen gehört."

Diese Energieeinsparungen sind sicher auch Kostenersparnisse. Schön für den "Parc des Expositions" und seine Halle 6, die vor nicht allzu langer Zeit extra zu dem Behufe erbaut wurde, Messen und Märkten Obdach zu bieten - indes offenbar mit einem Energiekonzept aus dem 18. Jahrhundert. Oder ist der technische Direktor der Messe aus Nord-Pas-de-Calais" und will seiner Region einen Vorteil verschaffen?

So, jetzt kommt noch die böse Bezeichnung für das Gesehene (oder auch Verspürte). In Cannes auf der MIP, die ich acht Jahre in Folge für den mitgliederstärksten deutschen Filmverband, die AG DOK, besuchte, sorgt stets die Klimaanlage für ein kühlschrankähnliches Ambiente. Wer schlecht saß, fühlte sich wie ein Erlkönig im Windkanal. Das Gefühl, ein solcher Auto-Prototyp beim Windschnittigkeitstest zu sein, schwindet aber plötzlich in der Stunde, in der die Messe ihre Türen schließt und wir Aussteller vielleicht noch die letzten Kisten packen: Der Veranstalter stellt die Klimaanlage ab. Nach einer Stunde fühlt es sich an wie bei den exotischen Pflanzen eines Botanischen Gartens, nach zwei Stunden, die Demontage der Stände ist in vollem Gange, wie im Primatenhaus eines Zoos, wenn Sie verstehen, was ich meine ...


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Donnerstag, 25. März 2010

Le Jardin du Luxembourg

Konferenzen, Messen und Märkte sind für unsereinen Stress pur. Also geht das nur mit größtmöglicher Entspannung bei der Vorbereitung und in den Pausen. Der Frühling lockt die Menschen nach draußen - und mich mit. Zwischen den Lernen beobachte ich im Jardin du Luxembourg Spaziergänger, tobende Kinder, jungen Demoisellen, hier eine Gruppe Männer, die von weither nach Paris kamen, lernende Studenten, Verliebte, dort zwei alte Paare im Gespräch.
Im Wechsel mit Lerneinheiten: Kultur (Violinkonzert von Bach in der Sainte Chapelle, Kino), bestes Essen (le petit Vatel am Marché Saint-Germain, leider letzte Woche vor Schließung), Spaziergänge.

Und während in Berlin mein Untermieter die Blumen gießt, lasse ich es mir gut gehen ...

Natürlich muss ich, à propos Jardin du Luxembourg, dann gleich auch an Erich Kästner denken (und an mich, als ich als junges Fräulein durch den Park ging auf der Suche nach einem ruhigen Platz zum Lernen und mich irgendwie fürchtete).

Jardin du Luxembourg

Dieser Park liegt dicht beim Paradies.
Und die Blumen blühn, als wüßten sie's.
Kleine Knaben treiben große Reifen.
Kleine Mädchen tragen große Schleifen.
Was sie rufen, läßt sich schwer begreifen.
Denn die Stadt ist fremd. Und heißt Paris.

Alle Leute, auch die ernsten Herrn,
spüren hier: Die Erde ist ein Stern.
Und die Kinder haben hübsche Namen
und sind fast so schön wie auf Reklamen.
Selbst die Steinfiguren, meistens Damen,
lächelten (wenn sie nur dürften) gern.

Lärm und Jubel weht an uns vorbei.
Wie Musik. Und ist doch nur Geschrei.
Bälle hüpfen fort, weil sie erschrecken.
Ein fideles Hündchen läßt sich necken.
Kleine Neger müssen sich verstecken,
und die andern sind die Polizei.

Mütter lesen. Oder träumen sie?
Und sie fahren hoch, wenn jemand schrie.
Schlanke Fräuleins kommen auf den Wegen
und sind jung und blicken sehr verlegen
und benommen auf den Kindersegen.
Und dann fürchten sie sich irgendwie.

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Quelle: Doktor Erich Kästners lyrische Hausapotheke.
Gedichte für den Hausbedarf der Leser.

Freitag, 5. März 2010

Fundsache

Das Schicksal der Welt hängt heute in erster Linie von Staatsmännern ab, in zweiter Linie von Dolmetschern."

Trygve Lie
1946-1952 Generalsekretär der Vereinten Nationen