Dolmetschen mit Namensschild (die Ausnahme) |
Früher bin ich nur kurz auf Empfänge gegangen, wenn es eine Pause gab oder nichts vorzubereiten war. Jetzt durfte ich Gespräche nachholen und auch neue Menschen kennenlernen.
Zum Beispiel konnte ich endlich Wolf Siegert auf die Frage antworten, was die größte Herausforderung durch und nach der Digitalisierung für mich persönlich ist. Hier der Link zu vielen großartigen Antworten, die jeweils das big picture betreffen. Nur ich war wieder einmal auf meinen Beruf fixiert (weil die Anfeindungen derzeit so groß sind). Die fünfte Antwort stammt von mir: www.daybyday.press
Es war berührend, wie bei der Eröffnungsveranstaltung alle Freund:innen des Hauses begrüßt worden sind und der Nebensatz fiel: "... denn nichts ersetzt die persönliche Begegnung, das wissen wir seit den Coronajahren". Auch das ist eine Antwort auf die Frage "nach der Digitalisierung": Lebens- und Arbeitsqualität durch persönliche Kontakte (was sich nach den Jahren anstrengend und ungewohnt anfühlen kann).
Natürlich war ich auch im Kino, einmal in der Retrospektive, die sichere Bank, ein anderes Mal habe ich Schauspielerinnen und Filmtechnikern bei der Arbeit zugesehen. Das ist durch die Blume gesprochen eine bitterböse Kritik, denn der Film ging für mich nicht auf; charmante Ideen, Repliken, Ansätze, aber das hat keine 90 Minuten getragen. Ich durfte einige Jahre Studierende der Medien- und Filmwissenschaft unterrichten, an diese Zeit hat mich das erinnert. Das Projekt hätte ich, wäre ich in diesen Dozentinnenjahren gefragt worden, wohlwollend als Kurzfilmprojekt begleitet, aber nie und nimmer auf der Leinwand eines A-Festivals gesehen.
Berührend natürlich das Wiedersehen mit den Kinobetreuern, wir kennen uns zum Teil seit einem Vierteljahrhundert. In der Berlinalearbeit "aus den Kulissen" gibt es sonst keine Überschneidungen mehr mit ihnen; und die Berlinale-Mitarbeiterparties fanden auch immer schön nach Sektionen getrennt statt bzw. es wurden nicht einmal die Termine anständig kommuniziert.
Es gab dann noch die Anfrage zu einem Berlinale-Umfeld-Einsatz, wo ich im Vorfeld einen Film hätte sehen müssen, nur war kein Link vorhanden oder kein Wunsch, diesen zur Verfügung zu stellen, wer weiß das schon. Mir wurde von einer jungen Mitarbeiterin des Festivals jedenfalls schnippisch beschieden, ich müsse den Film nicht sehen, ich solle doch nur das Gespräch dolmetschen.
Als ich dann noch wagte, die Notwendigkeit der namentlichen Akkreditierung ohne Ticketpflicht für Dolmetscher anzusprechen (also über einen Tagespassierschein hinaus, der uns bei Bedarf zugeschoben wird), weil Buchungen aus der Industrie immer kurzfristiger reinkommen würden und unsereiner oft keine Zeit für Ticketbeschaffung habe, wusste die Dame nur zu antworten: "Wir sind das Festival, die Verleiher und Weltvertriebe sind ein anderes Paar Schuhe."
Formaljuristisch richtig; früher aber haben wir kommode Akkreditierungen bekommen, mit denen wir bei Bedarf unsere Dolmetschkund:innen auch zur nächsten Etappe im Tagesablauf begleiten konnten, bei Bedarf bis hinter die Bühne, was by the way anderen Festivalmitarbeitern Zeit gespart hat. Damals waren wir eine Festivalfamilie, jetzt gibt es erhöhten Verwaltungsaufwand.
Für mich ist das Ganze Ausdruck eines Kulturverfalls. Den Niedergang der Berlinale beklagen viele, nicht nur ich. Natürlich ändern sich die Zeiten, junge Generationen sind am Start, Stoffe werden neu erfunden, Experimente wiederholt; und mancher Film mag in der Festivalsichtung in einem kleinen Team noch aufgehen, wenn das Umfeld des Gesichteten nicht sehr stark ist, es spielen immer viele Faktoren rein, manchmal eben auch der Bekanntheitsgrad einer Macherin, eines Produzenten, einer Darstellerin, eines Autors.
Und nein, die im Titel genannten Kopfschmerzen gehen nicht auf Alkohol zurück.
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Foto: C.E. (Archiv)
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