Dienstag, 28. Oktober 2014

Damenkarte

Ge­plant oder zu­fäl­lig, Sie ha­ben die Sei­ten mei­nes di­gi­ta­len Ar­beits­ta­ge­buchs auf­ge­schla­gen. Wir Sprach­mittler haben eine Art hippokratischen Eid geschworen, sind zu Diskretion ver­pflich­tet, daher werfe ich hier nur Schlaglichter auf all­ge­mei­ne Phänomene aus dem Berufsalltag.

Erster Einstieg: Eigentlich wollte ich heute meine Testberichte fortsetzen und über eine Firma schreiben, in der ich mir ein Kopfkissen aus Naturmaterialien selbst "gebaut" habe. Dieser Bericht muss bis morgen warten. Heute hatte ich alle Hände voll zu tun mit Präsentationen, Fachjargon und Hintergründen, die mir nicht immer sofort eingeleuchtet haben.

Zweiter Einstieg: Es gibt Wörter, bei denen wundere ich mich, dass das Internet sie schon kennt, denn sie stammen aus einer hochgradig analogen Zeit. Das Wort "Da­menkarte" gehört dazu.

Eine solche Karte ist, so klärt das Netz interessierte Leserinnen und Leser gleich an mehreren Stellen auf, "eine speziell für Damen konzipierte Speisekarte", denn sie enthält keine Preisangabe. Weiter mein Textbespiel: "Der Herr erhält dagegen eine Karte mit Preisen, da ihm auch die Rechnung vorgelegt wurde." Interessant hier die unterschiedlichen Tempi, die einander zu widersprechen scheinen. Der Herr er­hält, Präsens, eine Karte mit Preisen, da er, — Achtung, Zeitsprung! —, in der Ver­gan­gen­heit an­schlie­ßend die Rechnung überreicht bekam.

company figures —  revenues (geschwärzt)
anonymisiertes Beispiel aus der Praxis (nur Zahlen + Titel stimmen)

In manchen Restaurants gibt es auch heute noch Damenkarten, das sind jene Be­wir­tungs­be­trie­be, in denen Tischdecken und Servietten aus gestärktem Stoff sind und in denen das Personal auf Zehenspitzen um die wenigen vorhandenen Tische her­um­schleicht. In der Mehrheitsgesellschaft "stehen" Frauen aber jetzt "ihren Mann" und haben ihr eigenes Geld. Da ist auch kein Tabu mehr, was für Speis und Trank so zu blechen ist. (Die jüngere, postfeministische Generation scheint sich allerdings immer häufiger in diese alten Zeiten zurückzusehen.)

Was verbindet nun Einstieg eins und Einstieg zwei? Die berichterstattende Dol­met­scher­in raufte sich heute das darob langsam ergrauende Haupthaar, denn ein Groß­teil der Präsentationen einer anstehenden Konferenz war nach der Art einer Da­men­kar­te gestaltet. Es waren zwar noch hier und dort noch einige Über­schrif­ten übrig, auch die Legenden bleiben nicht ganz stumm, aber alle Zahlen haben ge­fehlt, und damit Entwicklungen, die zu beobachten oder schon mal zu durch­den­ken wä­ren.

Vermutlich sind auch bei den anschließenden Zusammenfassungen einige Punkte gestrichen worden. Nun ja. Ein wenig hinkt mein Vergleich, denn anders als die Preise im (noblen) Restaurant sind Zahlen durchaus wichtige Informationsträger. Aber etliche "Damenkarten"-Präsentationen, auf denen zum Teil sogar nur ein Foto und ein Titel zu finden ist, haben meinen Vorrat an Phantasie aufgebraucht.

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Illustration: anonym

Montag, 27. Oktober 2014

Museum der Wörter 9: Frl.

Hallo, hier bloggt eine Spracharbeiterin. Ab und zu erinnere ich an Begriffe, die wir den jüngeren Generationen erklären müssen. Manche alte Abkürzungen geraten heute in Vergessenheit, genau wie die Wörter, für die sie stehen.
            
          F
rl. (darüber hier mehr, ein alter Text von mir.)

   

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Idee: H.F.

Sonntag, 26. Oktober 2014

Sonntagsbraten ...

... gibt es bei uns heute nicht. Nach einem ausgiebigen Käse- und Obstbrunch mit an­schließendem Frischkornmüsli, Rezept folgt, bleibt die Küche erstmal kalt. Statt­des­sen habe ich den zweiten Arbeitssonntag in diesem Monat, den zweiten in Folge.
Das, was Sie gerade lasen, sind die ersten Zeilen meines neuen Blog­ein­trags. Als Übersetzerin und Dolmetscherin schreibe ich hier regelmäßig, inzwischen schon im achten Jahr.
Letzte Woche hatten wir in Berlin mit gefühlten 24 Grad Celsius fast noch mal ei­nen Sommertag; heute liegt das Termometer im für die Jahreszeit üblichen knapp zwei­stel­li­gen Bereich. Die Enten quaken laut auf dem Kanal, im Sonnenblumenhain wurden gestern Wildrosenstöcke gepflanzt und ich bin mit meiner se­ri­el­len Rei­se­film­über­setzung nach Sri Lanka gereist.

Schade, dass die Bohnensaison auf dem Gärtnerinnenhof Blumberg, der mich zwei- bis drei­mal die Woche mit frischem Gemüse beliefert, schon zu Ende ist. Denn ge­ra­de habe ich ein Bohnencurryrezept übersetzt.

Es geht so: Man nehme frische Bohnen, schneide sie längs einmal und mehr­fach quer durch, füge kleingeschnittene Curryblätter hinzu, das Ganze kommt in ein Gefäß, wo es dann mit kleingeschnittenen grünen Chilischoten, Safran und gelbem Currypulver gemischt wird. Dann Zwiebeln und Knoblauch kleinschneiden, an­bra­ten, das Boh­nengemisch hinzutun, mit Wasser ablöschen. Noch etwas rotes Cur­ry­pul­ver dar­über­streu­en und 15 Minuten köcheln lassen. Dazu wird natürlich Reis gereicht.

grüne Chilischoten — piment vert
Arbeitsplätze

Mit grünem Chili habe ich es nicht so, den kann ich wie grüne Paprika leider nicht gut verdauen. Daher zögerte ich bei dem Wort. Zum Glück hilft in Zweifelsfällen auch die Bildersuche bekannter Suchmaschinen weiter.

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Illustration: Werkbank

Donnerstag, 23. Oktober 2014

Kurztrip nach Kanada

Hallo und guten Tag! Hier bloggt eine Übersetzerin und Dol­met­scher­in. Ei­­gent­lich sollte hier heute der Rück­blick auf den Welt­ge­sund­heits­gipfel im Aus­wär­ti­gen Amt folgen, aber heute fehlt mir zwischen Transportlogistik in urbanen Zentren und québecer Schätzen aus Natur und Historie die Ruhe dazu. Ich hoffe auf morgen.

Gerade bei längeren Reportagen, deren Kommentartextübersetzung mit viel Re­cher­che verbunden ist, merke ich, dass ich den Wechsel, den mir das Blog­schrei­ben sonst bietet, derzeit kaum brauche.

Hier haue ich mal eben eine oder zwei Seiten runter, sehe dann wieder zehn Mi­nu­ten Film, den ich aus Motivationsgründen nur häppchenweise betrachte, lek­to­rie­re andere Stellen, recherchiere Hintergründe, komme dem Texter auf die Schliche (na­ja, Fehler muss die deutsche Fassung nicht übernehmen) und setze last but not least meine zugegeben derzeit recht launischen An­mer­kun­gen, Links und Hin­wei­se an den Autor der deutschen Fassung als Kommentare an den Blatt­rand. Er wird mei­ne Textübertragung als Grundlage seiner Fassung nehmen.

Denn natürlich ist der Filmtext für ein deutschsprachiges Publikum ein anderer, als das, was in französischsprachigen Landen gehört werden kann. Ist eben immer eine Frage des Vorwissens, der Zielgruppe. So konnte ich mit der Übersetzung auch nicht anfangen, bevor ich nicht eine Idee von Sender und Sendeplatz hatte.

Vier Fenster zum raschen Arbeiten
Vier Fenster zum raschen Arbeiten
Der visuelle Kurztrip nach Kanada, den mir ein öffentlich-rechtlicher Sender "spen­diert" hat, ist damit wenigstens kurzweilig. Zwischendurch nervt mich eine zer­schos­se­ne Textdatei, Sonderzeichenalarm! Weitere Urlaubsregionen fol­gen, aber nicht unbedingt hier im Blog. Das Ganze ist wieder eine Art Put-on-some-ap­pro­pri­ate-music.-Bite-down-hard.-Get-it-done-Job.

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Illustration: Werkbank, verfremdet

Mittwoch, 22. Oktober 2014

Kaffeepause!

Bonjour, guten Tag! Sie haben die Seite einer Übersetzerin und Dolmetscherin für die französische Sprache angeklickt. Wenn ich nicht gerade Drehbücher oder Fi­nan­zie­rungs­plä­ne von Filmen übersetze, in der Kabine sitze oder mit Kunden Fa­bri­ken oder Kran­ken­häuser besichtige, mache ich vielleicht gerade Pause.

Gestern die Mühle, heute die Pause! Bevor ich morgen im Blog auf den heute zu­ En­de gegangenen Welt­ge­sund­heits­gipfel zurückblicke, gibt's erstmal eine Runde Kaf­fee und Kuchen.

Cappuccino, in dessen Untertasse sich blauer Himmel spiegelt
Cappuccino in Nizza (Archiv)
Von Anja Siouda, einer Kol­le­gin aus der Schweiz, kam der Hin­weis darauf, dass staub­trocke­ne Bäckereierzeugnisse auf Französisch étouffe-chré­tien heißen, wörtlich: "was ei­nen Christen ersticken lässt". Das ist natürlich um­gangs­sprach­lich.

Bei uns heißt älterer Sand­ku­chen und derlei übrigens "trockener Würger".

Die Aussprache, hier ist Sächsisch zwingend notwendig, von dort habe ich den "Schnack", überlasse ich jedem Leser lieber selbst!

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Foto: C.E.

Dienstag, 21. Oktober 2014

Gebetsmühlenartig

Liebe Leserin, lieber Leser, hier schreibt eine Dolmetscherin und Über­setzerin. Meine Fachgebiete Politik und Wirtschaft sind in der Vor­be­rei­tung manchmal etwas trocken. Nicht immer unterhaltsamer ist meine Spezialisierung Medien und Kino.

Ein potentieller Kunde sendet sieben Seiten Kleingedrucktes, den Anhang zu einem Vertrag, es geht um Filmrechtliches, darin sei ich ja Fachfrau, das könnte ich doch längst im Stehsatz haben.

Netter Versuch: Erst das mit dem berühmten Honig, dann auf Vorlagen rekurrieren und anzumoderieren, man würde mich das gerne mal prüfen lassen und die ak­tu­a­li­sier­ten Passagen in Auftrag für eine Neuübersetzung geben.

Am liebsten möchte der Kunde auch nur die Zeilen be­zah­len, die wirklich neu sind. Meine Prüfungs- und Lesezeit, die Datenbankpflege mei­ner Über­setzungen, even­tu­el­le Urheberrechtsverstöße beim Raus­kra­men eines von ein­em anderen Anwalt formulierten Vertragsanhangs scheint der potentielle Kunde nicht im Blick zu haben.

Der Kundent­ext liegt nur als Fotoscan vor. Ich bitte in einer Newsgroup die Kol­legen um Hilfe und werde von sieben Fachleuten auf neun Methoden hin­ge­wie­sen. Eine Über­setzerin macht Nägel mit Köpfen, sie empfiehlt nicht nur Acrobate pro, sie liefert prompt den Beweis. Natürlich sind etliche Auslesefehler drin, aber in der Regel sehe ich einen falschen Buchstaben statt eines Sonderzeichens und keine drei- bis fünfstelligen HTML- oder sonstwas-Codes, wie ich es auch kenne. Das Zäh­len der Zeichen (inklusive Leerzeichen) ist damit einfach.

Und aus Achtpunktschrift in zwei Spalten, sieben Seiten locker gesetzt, wird mal eben ein 14-seitiges Dokument, einzeilig, das entspricht damit dem Drittel eines normalen Spielfilmdrehbuchs, denn es sind knapp 32.700 Anschläge. Es ist ein (da ich Filmjargon kenne) mittelschwerer Text, zwei Hintergründe, Recht und Film, kurz: die Begriffe müssen trotzdem in der Zielsprache nochmal auf inhaltliche Über­­ein­­stim­mung mit dem Bedeutungsfeld der Ausgangssprache abgeglichen wer­den.

Dem Kunden hatte als Preis ein Drittel dessen vorgeschwebt, was ich aufgerufen habe, er habe da im Netz Preise gesehen ... und er meint, ich müsse den Text doch nicht so genau übersetzen, sein Anwalt würde ihn doch gegenlesen, ins Unreine würde durchaus reichen. 

Hier Elemente der Antwort, die mir wie eine Gebetsmühle vorkommt, so oft habe ich mich das schon sagen hören.

1. Mein Preis ist der normale Marktpreis der Übersetzung. Was er im Netz gesehen hat, ist das, was ein Sprachdienstleistungsmakler aufruft, wenn er einen am Ende von deutschen Hausfrauen geschliffenen Murks in einem Drittweltland einkauft.
2. Hat er die Stundensätze seines Anwalts im Kopf? Fordert er von ihm auch um 66,6 % Rabatt? Weiß er, dass unsere Studienzeiten ähnlich lang waren?
3. Pfuschen lässt sich ein solcher Text nicht. Das wäre wie "nur mal so grob und ins Unreine auf der Autobahn 160 Sachen fahren".

drei Kaffeemühlen auf dem Küchenregal, darüber der Schriftzug "POESIE" aus hängenden Buchstaben
Kaffemühlen sind mir lieber. Blick in meine Küche. Die Teile sind in Benutzung.
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Fotos: C.E. (Schriftzug beim Staubwischen
schiefgerutscht)

Montag, 20. Oktober 2014

POV III — stairway to health

Bonjour, hello und guten Tag. Hier bloggt eine Spracharbeiterin.

Blauer Läufer im Treppenhaus mit Natursteinverkleidung (Solnhofer Platte?)
Nein, die Partei mit diesen Farben
stellt den Hausherr nicht mehr
... statt stairway to heaven. Dieser Tage diskutieren Ärzte und Außenpolitiker in Deutschland und Luxemburg über Ebola, und wir sind mittendrin. Hier geht's zum Kongressort im Auswärtigen Amt.

Wir sitzen in Reihe drei, flüstern für eine Ministerin. Da kommt ein Mann zu uns, er vertritt die Veranstalter, und bittet uns, wir mögen doch am Saalende, gefühlte 100 Meter vom Podium, Platz nehmen. Den gu­ten Mann müssen wir enttäuschen, denn wir brauchen freie Sicht auf die zu Ver­to­nen­den. Um die 30 % der In­for­ma­tionen lesen Dolmetscher, so habe ich es an der Uni gehört, von den Lippen ab, entnehmen Gestik, Mimik und Kör­per­spra­che.

Flüsterdolmetschen aus der Ecke
Also bleiben wir vorne, denn einen Monitor, der uns am Saal­en­de diese Bilder liefert, wird uns niemand auf die Schnelle anbieten können. Wir möchten aber niemanden ver­är­gern und stellen uns im zwei­ten Teil der Mor­gen­ver­an­stal­tung seitlich ins Eck­chen. Hier stören wir ma­xi­mal die Tonmenschen. Die Mitarbeiter des Gipfels sind im Grunde alle freund­lich.

USA today titelt: "From JFK to Ebola", daneben die Schmuggelgetränke
Our point of view
Das Protokoll sucht für uns Menschen, die wir kontaktieren sollen, verschafft uns einige Redentexte (und eilt zum Fo­to­ko­pie­rer) — und sehr gerne haben wir im oben er­wähn­ten Falle für Fortbildung ge­sorgt. Besonders charmant ist jemand, der darüber hinwegsieht (bzw. beherzt den Einlassdamen ein Ich-hab's-nicht-gesehen! zuruft), dass wir als Vielsprecherinnen wie die Diskutanten auf der Bühne auch stilles Wasser und Tee in Greifnähe brauchen.

Meine Danksagung und meine "kurze Be­die­nungs­an­lei­tung für Dolmetscher" sende ich dem Veranstalter dieser Tage auf Pa­pier zu.


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Fotos: C.E.

Sonntag, 19. Oktober 2014

Pultaufsatz

Bien­­ve­­nue und will­­­kom­­­men! Sie le­­sen hier No­­ti­­zen aus dem Sprach­mitt­­ler­­be­­rufs­­all­­tag. Als Dol­­met­­scherin und Über­setzerin ar­bei­te ich in Paris, Berlin, Toulouse, Köln und überall dort, wo ich gebraucht werde. Meine Ar­beits­sprachen sind Fran­­zö­­sisch, Deutsch und Englisch (hier nur als Ausgangssprache).

Herbst und Frühjahr sind die zwei klassischen Hochzeiten des Konferenzbetriebs, also sehe ich außer Kabinen und dem Büro nicht viel von Berlin — es sei denn, meine Besuchsgäste bringen mich dazu. Und so lerne ich denn intensiv Neues (und frische alte Kenntnisse auf) zu Themen wie NTD (neglected tropical diseases, ver­nach­läs­sig­te Tropenkrankheiten) und Transportlogistik.

Daneben teste ich das Design aus dem Jahre 1900. Hier ein etwas kleinerer Steh­pult­auf­satz als der von neulich, der optisch besser in mein Arbeitszimmer passt. Aber ist er auch groß genug? Die Maße (als Bauanleitung) sowie meine Test­er­geb­nis­se der kleinen Pro­dukt­test­rei­he veröffentliche ich auf Wunsch von Kollegen ger­ne zu einem späteren Zeit­punkt.

Kasten mit schräger Arbeitsplatte, der auf dem Besprechungstisch steht
Links: Am oberen flachen Teil ist ein Runterfallschutz,
so dass ich den Rechner nur schwer ohne Erhöhung nutzen kann
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Fotos: C.E.
Gemälde an der Wand: Detlev Baltrock

Samstag, 18. Oktober 2014

Lexik zum neuen Thema

Hallo! Absichtlich oder zufällig sind Sie auf den Seiten einer Kon­fe­renz­dol­met­scher­in und Übersetzerin gelandet. Ich dolmetsche Französisch, Deutsch und aus dem Englischen. 
 
www.termcoord.eu/wp-content/uploads/2014/10/Glossary-of-Ebola-related-terms-by-DGT-TermCoord.pdf 
Das passt! Die Terminologie-Koordination des Europäsischen Parlaments hat ein Glossar zum Thema Ebola veröffentlicht. Trifft ins Schwarze.

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Illustration: www.termcoord.eu
Begriffsanregungen an
dgtrad.termcoord@europarl.europa.eu

Freitag, 17. Oktober 2014

Altweibersommer

Herzlich Willkommen! Sie lesen im Arbeitstagebuch einer Dolmetscherin. Meine Arbeitssprachen sind Französisch sowie Englisch (passiv). Gerade stecken wir mitten in der Kongresssaison.

Auf dem Speisezettel in der Lernküche: Logistik, Gesundheitsmanagement, Film­ge­schichte — für Kongress- und Be­gleit­dol­met­schen. Als Beilage gibt es Über­set­zun­gen und Kostenvoranschläge. Füge noch ei­ni­ge liebe Besuchsgäste hin­zu, und schon kommt der Dolmetschweblog zum Er­lie­gen.

Naja, musste auch mal sein. Dafür blüht jetzt die zu spät gesäte Cosmea. Die Bal­kon­pau­sen (gebildet analog zur "Hof­pause") bieten schöne Blicke auf den Indian Sum­mer.

Vokabelnotiz
 indian summer — der Altweibersommer

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Foto: C.E.

Mittwoch, 15. Oktober 2014

Semper idem

Bienvenue und herzlich willkommen beim ersten Weblog Deutschlands aus dem Inneren der Dolmetscherkabine! Hier schreibt eine Übersetzerin und Dol­met­scher­in, deren zweite Hauptarbeitssprache Französisch ist.

Als Kind besaß ich eine weiße Porzellankugel, auf der in schwarzen Lettern die Worte semper idem standen. Ihr Sinn erschloss sich mir besonders, wenn ich die Kugel langsam drehte und die Worte dabei halblaut vor mich hinsprach.

Neulich stolperten wir beim Abendspaziergang über einen Aufkleber, der auf dem Deckel einer Mülltonne prangte.

Auf einer Mülltonne klebt ein Aufkleber mit dem Text: jeden tag das gleiche. | jeden tag das gleiche. | jeden tag das gleiche. usw.

Eine kluge Frau hat mal gesagt: You can build a life you don't need a vacation from. Mir wird klar, dass auch ich irgendwie immer das Gleiche mache, sogar in den Ferien, dass ich den Gestus meiner Arbeit aber ebenso wenig infrage stelle, wie ich esse, trinke oder schlafe. Was mich beglückt, manchmal sogar begeistert: Dass ich zwar routiniert stets die selbe Tätigkeit ausführen darf, lesen, lernen, sortieren, wiedergeben, dass aber die Inhalte und Menschen wechseln. Genau das ist es, was mir an meinem Beruf so sehr gefällt.

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Collage: C.E.

Montag, 13. Oktober 2014

Zwischengeschoss

Bonjour und guten Tag! Sie sind geplant oder zufällig auf den Webseiten einer Fran­sisch­über­setzerin und -dolmetscherin gelandet. Hier schreibe ich (ano­ny­mi­siert) über Einsätze, über sprachliche oder landeskundliche Besonderheiten.

Neulich war ich in Paris. Ein Kunde hatte für mich eine Art Ferienwohnung ge­mie­tet, die sich ausnahm wie eine Puppenstube. Ich kenne solche Behausungen aus meiner Studienzeit.

Pariser Miniwohnung
Der Raum war maximal 15 Quadratmeter groß, aber hoch. Er bot Bereiche fürs Kochen, Aus­ru­hen, Essen, Schlafen und die Kör­per­pfle­ge. Die Küche, auf ein Mi­ni­mum reduziert, wurde visuell durch die hochgeschlagene Ar­beits­flä­che zur Seite hin abgeschlossen. Die Platte musste erst run­ter­ge­klappt werden, bevor auf ihr ge­wer­kelt werden konnte. Das hin­te­re Scharnier war aus­klink­bar, vorne hing die Platte an einer Art Scharnier.

Nach dem Kochen ließ sich ihre Funktion weiter verändern. Mit einem Griff konnte sie in den Raum hineingeschwenkt werden,  Klapp­stüh­le machten einen Esstisch für drei Personen daraus. Das ganze stützte ein arretierbares Tischbein.

Trotz der äußerst kargen Küchenausstattung verlief ein Praxistest durchaus er­folg­reich. Nach der Arbeitsvorbereitung haben wir dort Spaghetti mit fertig gekauftem Pesto und Salat fa­bri­ziert, italienische Schnellküche. (Dazu ein alter Kalauer: Fast food is quite handy, aber wo will es nur so schnell hin?)

Die Mitte des Räumchens wurde mehrfach bespielt. Als der Esstisch wieder ein­ge­klappt war, zogen wir an einer Bank, die entlang der Wand zum leicht erhöhten Ba­de­zim­mer stand, nahmen aus ihrem "Bettkasten" noch einige Kissen heraus, fertig war das (auch als Zusatzbett nutzbare) Sofa.

Der einzige Stuhl im Raum, der keine flachzuklappende Sitzgelegenheit war, wur­de, einem ingeniösen Prinzip folgend, auf ein eckiges Gestell reduziert und quer­ge­legt. Sitzfläche und Rückenteil bildeten dabei die Tischplatte des So­fa­tischs. (Aufrecht gestellt war auch die Faltvariation "Trittleiter" möglich, um an die hohen Schrankfächer und den Stauraum über dem Bad heranzukommen.) Die an­de­ren Stühle verschwanden später flachgelegt an Hän­ge­vor­rich­tun­gen an der Rückseite der gepanzerten Eingangstür.

Am nächsten Morgen lernte ich noch ein wenig am Schreibtisch, der aus dem in die Raumtiefe ver­län­ger­ten Fensterbrett bestand; Stellfläche für je Etage sieben Bü­cher oder eine Mini-Steroanlage bot sich zwischen Fenster und Wand; der Winz­schrank befand sich hinter der Ein­gangs­tür: In einem Fach sowie an zwei kur­zen Stan­gen, die nicht längs, sondern quer angebracht waren, ließen sich knapp die Sachen verstauen, die ich für meinen Aufenthalt dabei hatte.

"Duetto". Hersteller: Cooke & Lewis
Kurz vermisst habe ich das Badezimmer. Ich hatte zunächst die wandhoch geflieste Toilette besucht, die mir eine Spur zu groß vorkam. Noch dazu war hier an Sa­ni­tär­ke­ra­mik gespart worden; Spülkasten und Waschbecken fand ich auf kuriose Art ver­eint vor. Bis mein Blick später auf die ab­ge­hängte Zimmerdecke fiel: Von der hing ein Regenduschkopf herab, wie ich ihn aus der Sauna kenne. Eine Duschtasse gab es nicht. Für die Badeutensilien, die sonst nass geworden wären, gab es außen neben der Badezimmerschiebetür eine kleine Nische und Tuchhaken.

Alles in die­ser "Woh­nung" war auf Maß ge­ar­beitet.

Leider hatte ich meinen Fotoapparat zuhause vergessen. Die Behausung mutete wie das Innere eines Caravans an, kein Millimeter war verschenkt. Geschlafen wur­de auf dem hochbettartigen Zwischengeschoss, das den halben Raum einnahm.

Auf Französisch heißt derlei une mezzanine, auf Englisch ist das Substantiv in der gleichen Schreib­wei­se und Bedeutung bekannt, auf Italienisch mezzanino oder ammezzato.

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Illustration: Netzfund, überarbeitet,
und Hersteller

Sonntag, 12. Oktober 2014

Museum der Wörter 8

Hallo, hier bloggt eine Spracharbeiterin. Ab und zu erinnere ich an Begriffe, die wir den jüngeren Generationen erklären müssen. Es ist zwar Sonntag, Anlass fürs Sonntagsfoto ... 

... aber gedanklich sind wir schon wieder bei der Arbeit. Deshalb gibt es hier heute nur ein Wort.

Wortverwandtschaft: Das Wort "Kontor" ist mit dem französischen comptoir verwandt, der (Laden-)Theke, an der gezählt wird (compter).

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Idee und Foto: H.F. bzw. C.E.

Donnerstag, 9. Oktober 2014

Über den Dingen stehen

Was Sie hier durch­­blät­­tern, lie­­be Le­­ser­­in, lie­­ber Le­­ser, ist mein di­­gi­­ta­­les Ar­beits­­ta­­ge­­buch. Ich be­schäf­ti­ge mich täg­lich mit Spra­chen und Inhalten, und zwar als Dol­met­scher­in und Übersetzerin. In loser Folge bringe ich hier Kritiken: Diese kön­nen Bücher oder Filme, Produkte oder Dienstleistungen zum Gegenstand haben.

Altes Pult am Besprechungstisch, darauf ein Laptop.
Pultaufsatz von 1850
Wenn ich nicht in der Dol­met­scher­ka­bine sitze oder mit ei­ner Delegationsreise un­ter­wegs bin, arbeite ich zu­hau­se. Das ge­schieht oft im Ste­hen an einem Pult­auf­satz, mit dem ein Ende des Be­spre­chungs­tischs im Hand­um­dre­hen zum Stehpult wird. Die Wie­der­ent­deckung des Möbels geht auch auf den Or­tho­pä­den zurück, der unlängst be­fand: "Die beste Hal­tung ist stets die nächste!"

Inzwischen stehe ich den halben Tag. Auch mein Büro ist in Bewegung. Ich räume es gerade mal wieder um. Der Kasten soll später auf einem tischhohen Sor­tier­mö­bel mit Fächern und Schubkästen für Büromaterial stehen. Ich überlege mir auch gerade, was die Lieblingstischlerin Jule am Pult machen darf. Abschleifen? Leicht rötlich ölen? Das Ding stammt immerhin aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, kann dem Biedermeier zugerechnet werden, und dessen schönste Möbel sind aus röt­li­chem Kirschholz gefertigt worden. Da bin ich noch unschlüssig.

Innen müffelt das Teil nach Technik und auch nach Dachboden, wo es sich die ver­gan­ge­nen Jahrzehnte aufgehalten hat. Ich habe schon einen kleinen Tiegel mit ex­trem stark duf­ten­dem Minz-und-sonstwie-Kräuterbalsam offen hineingelegt. Dann riecht der Pult­auf­satz bald wie eine Apotheke, die neben einer Tankstelle liegt.

Das gleiche Pult, jedoch ist der Laptop durch einen Laptopständer leicht erhöht, der auf der waagerechten Fläche am oberen Bereich des Pults steht; dazu eine externe Tastatur.
Monitor auf Augenhöhe
Mein heutiges Blogpostthema habe ich neulich in einer Kol­legennewsgroup an­ge­kün­digt. Hier folgen daher wunsch­ge­mäß weitere Infos.
— Die Unterkante der ge­neig­ten Fläche sollte sich auf Bauchnabel- bzw. El­len­bo­gen­hö­he befinden, damit das Ellenbogengelenk einen 90-Grad-Winkel bildet, wenn die Unterarme waagerecht diese Höhe abmessen.
— Wie beim Sitzschreibtisch auch sollte die Augenhöhe über der obersten Bild­schirm­zeile liegen.
— Die Arbeitsfläche muss nicht zwingend geneigt sein. Manche Kollegen zie­hen ebene Flächen vor.
— Der Clou bei der Nutzung von Stehpulten liegt im Wechsel. Die Energie des Kör­pers ist nicht immer die gleiche, das weiß jedes Kind, und wer genau hinsieht, be­ob­ach­tet Perioden im Auf und Ab, die zwischen anderthalb und zwei Stunden lang sind. (So lange dauert übrigens auch eine einzelne Schlafphase.) Der Trick beim energieoptimierten Arbeiten ist nun, nach diesen Phasen stets (sofern mög­lich) das Thema und die Körperhaltung zu wechseln. Das Ende einer Phase ist auch ein guter Impuls für Pau­sen. Weiterlesen hier: ultradiane Phasen und chronobiologische Arbeitsgestaltung.

Dichter mit zu hohem Pult
Dauersitzen ist lebensgefährlich — sogar dann, wenn es mit regelmäßigem Sport kompensiert wird. Hier der Link zur eng­lisch­spra­chigen Infografik "How sit­ting wrecks your body" (*) sowie die Ar­gu­men­te im Detail, gefunden bei "Kokofitclub".
Stehpulte und -aufsätze gibt's re­gel­mä­ßig auf Flohmärkten, beim Trödler und auf den be­kann­ten Sa­chen­such­sei­ten. Findetipp hier: Bei der Eingabe der Suchwörter diverse Schreibvarianten einkalkulieren.

Hier, wie ein Ver­käu­fer einen hohen "Se­kri­tär" darstellt:
diese schreibmöbel aus Weichholz es befinden sich 3 große schubläden oben ist er zum aufklappen in der schreiblade befinden sich 3 kleine Schubladen und ein Geheimfach es sind 6 porzelangriefe vorhanden altersbedingte gebrauchsspuren weißt das Möbelstück auf die ca. Maße b: 120 cm t: 70 cm höhe hinten 110 cm höhe vorne 85 cm bei fragen mailen Abholung möglich an sonst Deutschland  ohne Insel 100 Euro
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Foto/Illustration: C.E. und Webfund
Gemälde an der Wand: Detlev Baltrock
(*) Den Streifen, zu dem dieser Link führt,
bitte zum Vergrößern anklicken.

Dienstag, 7. Oktober 2014

POV II

Hallo und gu­ten Tag! Hier bloggt eine Dol­met­scher­in und Über­setzerin. Auch im achten Jahr des Bestehens meines Blogs fallen mir noch Innovationen ein. Meine neue Reihe heißt POV, Point of view. Das ist der nur knapp kommentierte sub­jek­ti­ve Blick aus der Spracharbeit.

Mittagessenszeit. Den ganzen Tag sitzen wir im Ballsaal eines Hotels an der Fried­rich­straße und vertonen abwechselnd Redner und Teilnehmer einer Delegation aus Frankreich. Jetzt ist Pause. Wir dürfen essen. Aber auch hier bleiben wir unserem Rhythmus treu: Wir teilen uns die Arbeit gerecht. Erst isst die eine, dann die an­de­re. Bei mancher Frage ist nicht sofort klar, wo sie sich hin entwickeln wird, also machen wir uns Notizen.



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Foto: C.E.

Montag, 6. Oktober 2014

Preiswert

Bonjour oder bon­soir auf den Web­sei­ten einer frei­be­ruf­li­chen Über­setzerin und Dol­met­scherin. Mit den Fach­ge­bie­ten Politik, Wirtschaft, Kultur und Soziales ar­beite ich in Berlin, Paris, Marseille oder Hamburg bzw. überall dort, wo ich gebraucht werde.

Es ist nicht immer leicht, geduldig und freundlich zu bleiben, wenn unsereiner erst mühevoll berät, Fragen stellt, unsere Abeitsweisen beschreibt, damit Prob­le­men im Ablauf vorbeugt — und später mitbekommen muss, dass sich der potentielle Kun­de am Ende für einen "preiswerteren Anbieter" entschieden hat. (Wer weiß, ob dessen Ethik und Ansprüche dem entsprechen, was ich über meine Kollegen und mich berichten durfte.)

Auf dem Markt kursieren Zahlen, die nicht viel mit professionellem Arbeiten zu tun haben. Erst neulich wurden wir leider ausgebootet von einem Kostenangebot, wo ein Nichtprofi 50 % veranschlagt hatte. Wobei das Wort "preiswert" oft durchaus zu­tref­fend ist: Billigübersetzungen sind in der Regel genauso viel wert wie der Dum­ping­preis niedrig ist. 

POV der Dolmetscherin in einer Botschaft
Auf jeden Fall ist Beratung klein­teilige Arbeit: Do­ku­men­te lesen, Kunden beraten, An­ge­bo­te schreiben, das alles kostet Zeit. Diese Zeit habe ich nicht immer, deshalb lade ich hier manchen Eintrag zu schnell hoch.
(Bei der Ge­le­gen­heit möchte ich Ihnen, liebe Le­ser­in, lie­ber Leser, für Ihre Nach­sicht im Fall von Tipp­fehl­ern dan­ken.)

Der Vorteil des Blogs: Laut statistischer Übersicht haben in den letzten zwölf Mo­na­ten hier alle Leser zusammen mindestens 30 Arbeitswochen lang geschmökert. Wäre ich jedes Mal live auf der anderen Seite einer Telefonleitung gewesen, ich wäre nicht zum Arbeiten gekommen.

Nur in Tagen wie diesen habe ich Zeit für ausgiebige Telefonate. Nach dem ersten Frühherbstansturm haben die Schüler in NRW und Thüringen schon wieder Ferien. Zwei meiner Kunden von dort, Eltern mit jüngeren Kindern, bescheren mir eine kleine Verschnaufpause.

Aber es gibt auch ohne diese Kunden genug zu tun. Wie ein guter Bauer dieser Ta­ge sein Feld umpflügt, beackern auch wir manches Wortfeld. Eines der drän­gends­ten politischen Themen der Zeit ist die Situation der Flüchtlinge aus Kri­sen­län­dern. Derzeit arbeiten viele Kolleginnen und Kollegen an dieser Thematik, nicht selten ohne Honorar oder für eine kleine Aufwandsentschädigung. Mit einer Ka­bi­nen­kol­le­gin führe ich die Vokabelliste weiter, dazu hören wir noch Hör­funk­sen­dun­gen aus den letzten Monaten. Meine Podcasts erhalte ich meistens bereits ver­schlag­wor­tet, das hilft mir, sie aus der Archivfestplatte hervorzukramen. Etliche Stichworte er­gänze ich aber beim ersten Anhören. Auch diese Arbeit fließt (normalerweise) in meine Preise ein.

Sonntagabend um sieben kommt noch ein Anruf rein mit der Frage: "Wir haben eine klei­ne Übersetzung zu morgen früh, geht das? Sagen Sie mal eine Haus­num­mer!" Das Wort "Hausnummer", auf das unsereiner nur widerwillig antwortet, ist die klassische Katze im Sack.

Sonntagabendstimmung vor dem Job
Da können wir uns eigentlich nur verschätzen. Hier gilt die goldene Regel: "Erst die Buch­sta­ben kennen, dann die Zif­fer benennen." Abends und am Wo­chen­en­de hänge ich mich ohnehin nur mit Zu­schlag rein. Wir sind unseren Preis wert und preiswert für das, was wir machen — aber billig zu haben, das sind wir nicht. Qualität ist ein Wert­be­griff.

Viertel nach sieben ist die Zusage ist da. An die Arbeit, jegliche Abend­ver­lustie­rung ist hiermit leider gestrichen!
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Fotos: C.E. (Archiv)

Sonntag, 5. Oktober 2014

Brückenleben

Bienvenue und willkommen auf den Blogseiten einer Dolmetscherin und Über­setzerin. Hier berichte ich über meinen Arbeitsalltag. Am siebenten Tag der Woche folgen wieder die Sonntagsbilder

Sonntäglich-urbanes Leben zwischen Neukölln und Kreuzberg: Die Brückenkieker schauen aufs Wasser, unten fahren Reisende auf dem Kanaldampfer vorbei, Kinder bieten abgeliebte Spielsachen feil, denn hier kommen viele auf dem Weg zum Floh­markt vorbei, der Rikschafahrer macht eine Pause in der Sonne. Wir sind auf der Hobrechtbrücke. In der Ferne kommen gleich die nächsten Schiffe. Und an der Kaimauer lassen Kreuzberger die Beene boomeln. Das ist mein Beitrag zum do­ku­men­ta­ri­schen ARD-Pro­jekt "Deutschland. Dein Tag", www.bilder-dein-tag.de.


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Foto: C.E. (Die Fotografie, in ein zweites
Fenster geladen, lässt sich vergößern.)

Freitag, 3. Oktober 2014

Unfriendly takeover

Ein­­blicke in ei­nen der am we­­nigsten be­­kann­­ten Be­­ru­­fe kön­­nen Sie hier neh­­men, lie­­­be Leserin, lieber Leser, und zwar in den der Dol­met­scher. Neben der münd­vli­­chen Über­tra­gung ar­bei­te ich auch als Übersetzerin.

Endlich mal Ruhe im Büro. Und zwischen Vokabellisten und Zahlenkolonnen ge­nie­ße ich mein kleines Bonbon: Einen Blogeintrag schreiben. Das macht den größten Spaß.

Am frühen Morgen ist es im Büro ruhig, das bekomme ich mit, weil ich dort und nicht laufen war, denn nach einer anderen sportlichen Aktivität gestern habe ich Mus­kel­ka­ter bis in die Haarspitzen. Im Büro ist es ruhig, weil Feiertag ist. Also be­rei­te ich einen Charity-Einsatz zum Thema Migration und Integration nach, weil die an­ge­stamm­te Ko-Kabine Montag einen solchen woanders haben wird. Die Le­xi­ken wan­dern inzwischen auch außerhalb gemeinsamer Einsätze hin und her.

Ich suche nach einem besseren Begriff für Charity-Einsatz. Manche sagen dazu Ca­ri­tas-Job, aber da ich für diese Struktur tatsächlich schon gearbeitet habe, passt das nicht. Pro bono-Einsatz ist ohne jede Bezahlung, dann gibt es noch den Termin ge­gen eine kleine Aufwandsentschädigung, Fördereinsatz klingt nach Film­för­de­rung, Mildtätigkeitseinsatz nach Kirche und ist zu lang, bei Hilfseinsatz sehe ich eher eine Schippe als ein Mikro vor meinem geistigen Auge.

Am meisten stört mich an der Charity die damit verbundene Lady, eine solche will ich nicht sein, am zweitmeisten die englische Vokabel. A propos ... mir sitzt noch der Schreck in den Gliedern von vor einigen Tagen, da eröffnete eine deutsche Da­me eine Konferenz, ich saß für Französisch in der Kabine, hatte aber Mühen her­aus­zu­fin­den, auf welche Ausgangssprache ich mich denn nun einstellen müsste.

Die Politikerin las in Maschinengewehrgeschwindigkeit die Kick-off-Rede vom Blatt ab, für das sie ein Briefing erhalten hatte. Sie stellte erst einige Main issues vor, auf die sie durch ein kurzes Brainstorming gekommen war, berücksichtigte dabei die Agenda der Stakeholder, gab die Eckdaten des Benchmarkings bekannt, warf kurz die Due Di­li­gence-Checkliste als Teil ihrer PowerPointPresentation an die Wand und beschrieb, das Approval des Executive Managements hatte sie eingeholt, die Landmarks des bevorstehenden Action Plans ... Ach, dieses unfriendly take­over durch die eng­li­sche Sprache!

Grafik, die der Laptop anzeigt: Burden of the neglected tropical deseases. Der Mann vor der Glasscheibe schaut gerade auf sein Tablet.
Drei Screens in einem Bild (*)
In der Rede kamen noch mehr derartige Begriffe aus ihrem  Arbeitsfeld vor, die ich aus Kun­den­schutzgründen nicht nennen darf. Es sind Worte, die ich im Vorfeld samt und sonders alle hätte pauken müssen. Ich war aber für Fran­zösisch einbestellt und an den Verteiler fürs Eng­lisch­glos­sar nicht angeschlossen. Der Spa­nisch­ka­bine ging's exakt wie mir.

Beim Dolmetschen ist diese Art von Sprachmischmasch besonders unangenehm. Da wir ja parallel selbst sprechen, überlagert die eigene Stimme das, was von Red­nern ankommt. Viele Begriffe nehmen wir nur im Kontext wahr. Wenn wir jedes Wort erst zunächst dahingehend abhören müsen, aus welchem Sprachkreis es stammt, verknoten irgendwie die Sprachspuren im Hirn. Außerdem zieht das Hören dann zu viel Energie ab, die wir fürs Übertragen und Sprechen brauchen.

Was habe ich gemacht? Erst falle ich für Sekunden in eine katatonisch wirksame Sy­nap­sen­star­re, dann bin ich kurz mutig: L'oratrice parle très vite, son texte n'a pas été communiqué à l'avance. (Die Rednerin spricht sehr schnell, ihr Text wurde nicht vorab ausgehändigt.) Jemand gibt ihr ein Handzeichen. Ich setze wieder ein.

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Foto: C.E. (Archiv)
(*) auf Deutsch wären's nur zwei Monitore
und eine Leinwand

Donnerstag, 2. Oktober 2014

Nackenknebel

Hallo! Sie le­sen im ersten Weblog Deutschlands aus dem Inneren der Dol­met­scher­ka­bi­ne! Hier schreibt eine Übersetzerin und Dol­met­scher­in, deren zweite Haupt­ar­beits­spra­che Französisch ist. 
 
Nackenbügelmikrofon mit Taschensender
Neulich suchten wir beim Einsatz nach dem Mikrofon. Wir sahen nur ein dünnes Metallgestell, das sich bei näherem Hin­­se­­hen als ein kleiner Mikrofonknopf mit Festmachung erwies. Dieses in Fach­­krei­­sen "Nackenbügelmikrofon" ge­nann­te Etwas hat sich leider als ziem­lich ein­schnei­den­des Erlebnis erwiesen. Auch der fliegende Wechsel, den wir als Dol­met­scher regelmäßig üben, ge­stal­te­te sich als nicht immer einfach.

Der Bügel muss erst vom Kopf gelöst, übergeben und aufgesetzt werden. Das bringt aber einen kurzen Zeitverlust und weiteren Stress mit sich. Es auf ver­schie­de­ne Kopf­grö­ßen einzustellen, muss in der Knappheit der Zeit natürlich un­ter­blei­ben. Mei­ne langen Haare stören, das Genestele raubt unnötig Energie. Parallel dazu müs­sen wir zuhören, mitdenken und den Sprechreflex unterdrücken.

Rechts: Kollision mit der Brille
Der Gedanke, der dieser Er­fin­dung sicher vorausging, dass es sich nämlich mög­li­cher­wei­se frei­händig besser arbeiten ließe, ist ei­gent­lich gut, aber es fehlt ein Schritt. Denn im Fall des Nacken­bü­gel­mi­kros muss beim Dol­met­schen außerhalb der Kabine und ohne Tisch der Ta­schen­sen­der ja in der Hand ge­hal­ten werden.

Will ich aber kurz mit dem/der Kollegen/Kollegin sprechen, was im Team öfter mal vorkommt, um Begriffe abzugleichen oder Wissenslücken zu offenbaren, damit das fehlende Wort vom anderen zur raschen Verwendung notiert werden kann, muss ich am Taschensender erst die Räuspertaste suchen und bedienen, sofern ich das ver­ehr­te Pub­li­kum nicht daran teilhaben lassen möchte. Ein Handsendemikrofon kurz mal vom Körper wegzuhalten oder beim Wechsel weiterzureichen, geht nicht nur schneller, sondern läuft für die Zu­hö­rer­schaft mit weniger Nebengeräuschen ab (bzw. mit gar kei­nen) als das Fummeln am Nackenteil.

Der Druck des Haltebügels am Kopf des Kollegen hat jedenfalls einen Abdruck hin­ter­las­sen, der eine Stunde später noch sichtbar war.

Abdruck und Sender
Bei uns beiden fiel das Zaum­zeug mit seinem Nacken­kne­bel komplett durch.

Ich weiß nicht, wie es die an­de­ren Sprachmittler sehen, aber wir empfehlen allen Kun­den und Tech­nik­lie­fer­an­ten, die gebuchten Dol­met­scher im Vor­feld nach ihren Wünschen zu befragen.
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Fotos: C.E.

Mittwoch, 1. Oktober 2014

Hearing anhören

Bon­­jour! Sie sind ab­­sicht­­lich oder zu­­fäl­­lig auf den Sei­­ten einer Dol­met­scherin und Über­setzerin für die fran­zö­si­sche Sprache gelandet. Ich berichte hier über den All­­tag der Französischdolmetscher und anderer Spracharbeiter — aus meiner streng sub­jek­ti­ven Perspektive.

Disclaimer: The interpretation does not constitute an authentic record of proceedings. / Haftungsausschluss: Die Verdolmetschung stellt keine authentische Aufzeichnung der Verhandlungen dar.
Livestreaming bzw. Aufzeichnung aus dem EP
Was macht die Dolmetscherin am Ende des Arbeitstages? Sie hört Dolmetschern zu; sie ist auch Staats­bür­ge­rin. Dass ausgerechnet ein Fi­desz-Mann zum nächsten EU-Kom­missar für Bildung, Ju­gend, Kul­tur und Bür­ger­ge­sell­schaft wer­den soll, hat viele stark ir­ri­tiert. Mittwochabend wurde er an­ge­hört.

Von vielen ungarischen Freunden weiß ich, wie jener Herr als Justizminister dort zum Beispiel die Pressefreiheit stark eingeschränkt hat. Als Dolmetscherin habe ich keine politische Haltung, als Europäerin aber sehr wohl. (Und absurderweise fällt es mir oft leichter, Politiker zu verdolmetschen, mit denen ich nicht über­ein­stim­me. Das nennt man wohl Überanpassung an die beruflichen Erfordernisse, und ich finde es gut.)

Haftungsausschluss: Die Verdolmetschung stellt keine authentische Aufzeichnung der Verhandlungen dar.  Die Simultandolmetschung wird vom Europäischen Parlament für den alleinigen Zweck bereitgestellt, die Kommunikation zwischen den Sitzungsteilnehmern zu erleichtern, und stellt keine beglaubigte Aufzeichnung der Debatten dar.  Nur der Originalwortlaut oder die überprüfte schriftliche Übersetzung der Rede sind verbindlich.  Bei Abweichungen zwischen der Simultandolmetschung und dem Originalwortlaut der Rede (oder der überprüften schriftlichen Übersetzung der Rede) gilt der Originalwortlaut (oder die überprüfte schriftliche Übersetzung).  Die Verwendung der Aufzeichnung der Verdolmetschung für andere Zwecke als den vorstehend genannten ist strengstens untersagt, es sei denn, das Europäische Parlament hat dazu seine ausdrückliche Genehmigung erteilt.
Ergänzungstext zur Verdolmetschung
Ich höre also, was die Kollegen bei der dreistündigen Anhörung aus seinen Worten machen. Dazu rufe ich zwei Fenster auf und stelle mal den einen, mal den anderen Ton lauter. Oft scheinen die Dolmetscher von der gleichen Quelle zu dol­met­schen, mal geht es über Eck, da ist dann eine Drittsprache "Pivot".

Ich freue mich über die Leistung der Kollegen. Mir fällt auf, dass anders, als was mir immer als Regel erklärt worden ist, auch Nicht-Muttersprachler sowohl ins Deutsche als auch ins Fran­zö­si­sche ­dol­metschen. 

"Ein Dankeschön ergeht auch an die Dolmetscher", so oder so ähnlich schließt die Leiterin der Sitzung die Anhörung. Die Kollegin macht daraus geistesgegenwärtig am Ende einer Liste von Danksagungen: " ... und es wird auch den Dolmetschern gedankt," und sie ergänzt: "... wir danken für den Dank. Durch die Dolmetscher wird die Mehrsprachigkeit in diesem Parlament gewährleistet!"

talking heads
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Illustration: EP (eigene Montage)