Mittwoch, 30. September 2015

Verständlich

Gesammeltes Wissen
Bonjour, hallo! Hier bloggt eine Spracharbeiterin. Wo immer Sie mich brauchen, ich leihe Ihnen gerne meine Stim­me. Neben Französisch (Aus­gangs- und Zielsprache) ar­bei­te ich aus dem Eng­li­schen. 

In die­sem digitalen Ar­beits­ta­ge­buch notiere ich be­rufs­ty­pi­sche Momente und Zitate, um sie im Schweins­ga­lopp der Zeit festzuhalten.

Heute ein Zitat zum internationalen Übersetzertag.
Translation is not a matter of words only: it is a matter of making intelligible a whole culture.  Bei einer Übersetzung geht es nicht nur um Wörter; es geht darum, eine Kultur verständlich zu machen.
(Anthony Burgess, 1917 – 1993)

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Foto: C.E. (Archiv)

Dienstag, 29. September 2015

Bäume am Horizont

Hallo und guten Tag! Hier bloggt eine Konferenzdolmetscherin und Übersetzerin aus Berlin und Paris und von dort, wo Sie mich brauchen. Ich übersetze Dreh­bü­cher, Webseiten und Projekte — allerdings keine Privatdokumente.

Gefangen zwischen Brotberuf und Ehrenamt bleibt mir derzeit wenig Zeit zum Bloggen. Zwischendurch arbeite ich Kostenvoranschläge ab.

Die Welt paarweise
Und dann entbrennt in mei­nem Um­feld über Zwei­­spra­chig­keit ei­ne kleine Debatte, die mir aber sehr gefällt.

Wir Zweisprachigen haben nämlich immer wieder eine andere Sicht auf die Dinge je nachdem, in welchem Idiom wir gerade denken. Der Phi­lo­soph Ludwig Wittgenstein wusste das im Grun­de schon vor langer Zeit.

"Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt", lautet eine seiner bekanntesten Essenzen. Mit der zweiten Sprache vergrößerte sich mein per­sön­li­cher Ho­ri­zont. Und so erlebe ich täglich diesen doppelten bis dreifachen Blick im [nach dem Journalismus ;-)] zweitspannendsten Berufsfeld der Welt, dem der Sprach­arbeit.

Als Übersetzerin und Dolmetscherin komme ich beispielsweise bei ein- und dem­sel­ben Thema und längerem Nachdenken auf unterschiedliche Ergebnisse. Es hängt eben ganz davon ab, ob ich mich dem Thema auf Deutsch oder Französisch ge­wid­met habe. Diese Beschreibung klingt fast so, als könnte dieser Zustand auch hin­der­lich sein. Die Situation löst für mich aber durch die ex­plo­sions­ar­ti­ge Zu­nah­me von Kriterien keine Entscheidungsprobleme aus, sondern ist ein klares Plus. Ich sehe mehr, bin aber auch darin trainiert, in Sprachdingen schneller Ent­schei­dun­gen zu treffen als Einsprachige.

So begibt sich der eine mit der Axt in den Wald in der Absicht, einen Baum zu fällen, der andere geht in den Wald, um Bäume umzuhauen (to knock over), der nächste sieht den Wald vor Bäumen nicht, während für den vierten der Baum den Wald versteckt (l'arbre qui cache la forêt).

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Foto: C.E.

Mittwoch, 23. September 2015

Fremdsprachen

Guten Tag oder guten Abend! Hier bloggt eine Sprach­mit­tler­in für Po­li­tik, Wirt­schaft und Kultur. Ge­ra­de ha­be ich viel mit Flüchtlingen zu tun. Parallel dazu startet die Kon­gresssaison und die Kinder eilen morgens wieder in die Schulen. Gleich noch ein Rückblick.

Einen Ausriss aus der Abizeitung von meiner netteren Schule habe ich gestern gebracht. An der Schule, auf der ich davor einige Jahre war, eine schwäbische Provinzpenne, habe ich ziemlich gelitten.

Schulklasse in s/w
Einige Jahrzehnte vor den beschriebenen Situationen
 __Mathe__
8. Klasse, wir durften bi­no­mi­sche Formeln üben: "So, und jetzt noch ein Mädle, das muss gehen wie's Spätzle schaben, da kennet ihr schon mal übe für später!"
Ich: "Verzeihung, Herr Mut, ich bin keine Schwäbin."
[Derr Herr hieß Mut (*) und war der feigste Pauker, dem ich je begegnet bin.]

__Französisch__
Ich: "Excusez-moi, je ne connais pas le mot 'la colle', ça veut dire quoi, s'il vous plaît?"
Lehrerin: "Der Bebb."
Ich: "Et c'est quoi, 'der bebb'?"
[Entschuldigung, ich verstehe das Wort XX nicht ... was heißt das? (...) Der Kleb­stoff.]

__Musik__
Lehrer: "Welche Note leitet hier das neue Motiv ein? Caroline?"
Ich: "Die siebente Note."
Lehrer (springt im Quadrat wie ein Gartenzwerg auf Heroin): "Ach, die siebENte Note, die siebENte Note, wie lange habe ich kein korrektes Deutsch mehr gehört!?"

__Kunst__
Lehrer: "Wie isch des mit dene Fachwerkäusern gwä? Wie hend die des Stroh rein­bracht in die Ausfachunge?"
Ich: "Sie hend's durch die Kieh gjagt!"
Lehrer: "Gnau!"
[Da mein kleiner Schwäbisch-Anflug genau diesen einen Satz lang gedauert und von niemandem bemerkt worden war, habe ich als Rei'schmeckte mit 14 Jahren be­schlos­sen, das mit der sprachlichen Integration zu lassen. Umso leichter habe ich mich einige Jahre später in Frankreich integriert.]

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Foto:
(*) oder sehr ähnlich. Aber nomen est omen.

Dienstag, 22. September 2015

Stadtameise

Bon­jour und hallo! Hier bloggt eine Kon­fe­renz­dol­met­scher­in, heute vom Über­set­zer­schreib­tisch aus und nicht vom Inneren einer Dolmetscherkabine. Meine Ar­beits­spra­chen sind Deutsch (Zielsprache z.B. bei Übersetzungen) und Fran­zö­sisch (auch Zielsprache bei Verdolmetschungen) sowie Englisch (nur Aus­gangs­spra­che). Nach 14 hektischen Tagen unterwegs sind Büroarbeiten dran.

Aus der Kinder- und Jugendlichenperspektive erinnere ich mich gut an den Satz: "Papa fährt zum Klassentreffen." Manchmal ist die ganze Familie mitgereist, das war immer sehr lustig, wir Kinder haben viel Unsinn dabei gemacht.

Und irgendwann trifft es einen selbst. Beim Fünf-Jahre-Abi-Treffen war ich dabei, bei einem späteren Treffen sind Ziehkind und ich in Paris wegen eines Bahnstreiks hängengeblieben. Irgendwann ist das Abitur Jahrzehnte her. Im Plural!

Die Mitschüler der Klasse, in der ich in der Mittelstufe gelitten habe, trafen sich kurz vor der Sommerpause. Ich saß parallel dazu in der Dolmetscherkabine. Die Fotos vom Ereignis haben mich nicht überzeugt. Die sehen ja alle aus wie ihre El­tern! Sehe ich auch aus wie meine Eltern?

Der Jahrgang der Schule, an dem ich mein Abi abgelegt habe, traf sich im Spät­som­mer. Ich habe parallel dazu schon wieder in der Kabine gesessen. Auf die Fotos bin ich gespannt. Werde ich hier genauso fremdeln?

Sehr gelacht habe ich über die Abizeitung, die schon eingetrudelt ist. An ihrer Ent­ste­hung war ich ein wenig als Redakteurin be­tei­ligt; unsere parallel dazu ge­stemm­te Theaterinszenierung fand ich spannender. Gibt es heute noch Abi­zei­tun­gen? Auf jeden Fall werden da alle durch den Kakao gezogen. Mich hat's damals besonders "charmant" erwischt. Ich kichere seit Stunden. Da ist ja fast alles schon drin! Fehlt nur Frankreich!

Caroline wird in Kürze ihre Dissertation veröffentlichen.Thema:"Die ostfriesische Poesie des Frühmittelalters und ihre psychosomatischen Auswirkungen auf das Sozialverhalten der Stadtameisen."
Mein Kommentar (damals wie heute): Wo sind die Leerzeichen?
Und bitte keine zwischen den drei Punkten ...
Mir ist dabei dabei eingefallen, dass ich schon in der Mittelstufe, genauer: im Über-Land-Schul­bus, den Spitznamen "Professor" trug. (In der Schule allerdings nicht. Aufgrund meiner Dyskalkulie hatte ich zum ersten Halbjahr oft einmal das No­ten­blatt rauf und runter.) Ich habe damals gelernt, im Gehen zu lesen. Und die De­kli­na­tions­ta­bel­le Bécherelle trug ich auf dem Schulweg mindestens ein Jahr lang in der Hand. In Bewegung lernt sich's gut, vor allem dann, wenn der Kopf ei­gent­lich nicht viel zu tun hat.

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Illustration: MGL-Abiteam

Sonntag, 20. September 2015

Ehrenamt?

Hallo! Hier bloggt ei­ne Dol­met­scher­in. Die Saion ist gestartet, das Wo­chen­en­de gehört der Er­ho­lung. Theoretisch. Denn mein Engagement in der Flücht­lings­hil­fe ist ja auch noch da. Also Kriseninterventionstherapie an einem Samstag, dabei kratzt der Hals und der Denkapparat will Ruhe. Sonntag gestalte ich ein Col­­lier und genieße das ländliche Groß­stadt­le­ben, hier die Sonn­tags­bil­der. Und hö­re in der Küche den "ARD-Presseclub" sowie die "Nach­ge­fragt"-Sendung auf Phoenix. Leider muss ich da widersprechen.

In der Fragerunde wurde behauptet, dass die derzeitige Situation hohe Kosten für Anwälte und Dolmetscher auf EU-Niveau auslösen würde.

Draufsicht auf Hofgarten: Ein Spätsommertag in der Stadt
Un dimanche à la campagne
In Bezug auf uns Dolmetscher ist der Satz falsch. Das Gros von uns Profis arbeitet eh­ren­amt­lich, z.B. in der psy­cho­lo­gi­schen Krisenintervention oder in Krankenhäusern.

Für diese Arbeit wurden wir in den letzten Wochen und Mo­na­ten nicht entlohnt, denn ein sol­ches Angebot wird durch die Verwaltung nicht regelmäßig angeboten.

In der Erstaufnahme helfen fast nur ehrenamtlich tätige Laien beim Übertragen der Gespräche. Hier geht es um Fra­gen zur Reise, zum Herkunftsland, zu Es­sens­zei­ten, Telekommunikation und Unterkunft.

Auch große offizielle Institutionen verpflichten immer häufiger Laien. Das führt nicht selten zu gravierenden  Problemen. Es sind nach Aussagen von Ärzten, die das bislang nur unter der Hand berichten, bereits Menschen gestorben durch un­zu­rei­chen­de Ver­dol­met­schung. Ich selbst habe erlebt, wie es beinahe zu Ab­schie­bun­gen ge­kom­men ist, weil in früheren Phasen des Asylverfahrens "über­set­zen­de" Nichtprofis beteiligt waren oder man sich mit "Englisch" beholfen hatte bzw. mit dem, was beide Seiten dafür gehalten haben.

Viele von uns Profis waren im auftragsarmen Sommer und in der großen „plötzlich“ auftretenden Notsituation gerne unentgeltlich aktiv. Ich selbst habe meinen Urlaub mehr als halbiert dafür. Aber unsere Zeit ist begrenzt. In den Herbst­mo­na­ten und im Frühjahr/Frühsommer finden die meisten Kongresse statt, dann muss un­ser­ei­ner in wenigen Monaten seinen Jahresumsatz generieren. Regelmäßige Be­treu­ung von Traumapatienten in einem geschützten, verlässlichen Verhältnis ist so nicht möglich, aber ein humanitäres Gebot. Und vermutlich können nur wir als ei­ne der füh­ren­den Wirt­schafts­na­tion­en derlei leisten. In den Anrainerstaaten Sy­riens gibt es allenfalls Überlebenshilfe, aber keine Begleitung der oft mehrfach trau­ma­ti­sier­ten Patienten. Eine Finanzierung der Arbeit wäre also wichtig. Übrigens waren bis­lang auch viele Therapeuten ohne Entgelt tätig.

In Deutschland leben noch viele Menschen, die der letzte Weltkrieg traumatisiert hat und die wissen, wie wichtig Hilfe und Menschlichkeit sind. Es gibt keinen Grund, den Kriegsflüchtlingen von heute die professionelle Hilfe, die unsere Vor­fah­ren im zerbombten Deutschland nicht erhalten konnten, zu verweigern.

Entwurf des Perlenhalsbandes
Die Hälfte bis zum Mittelstein
Denn Geld ist vorhanden. Den menschlichen Teil der Arbeit auf den Schultern von Eh­ren­amt­li­chen abzuladen und parallel dazu hohe Summen an dubiose Firmen zu zahlen, die als Teil der Not­be­her­ber­gungs­in­dus­trie mit schlechten Standards, miserablem Essen etc. Unsummen an Gewinnen erzielen, ist ein übler Miss­stand, der seit Jahren be­kannt ist.

Ein Blick in die einschlägige Berichterstattung über diesen boomenden Markt ge­nügt (z.B. bei Frontal21 oder der Welt). Es wäre schön, wenn die Politik hier end­lich aktiv würde. Zur Not müs­sen wir Sprach­ar­bei­ter nach­hel­fen und gegen den Missbrauch von Steu­er­gel­dern klagen.

Bislang sind wir von den Behörden mit unserer Arbeit kaum wahrgenommen wor­den. Der blinde Fleck hat System. Das Wort „Ehrenamt“ beinhaltet eine gewisse Anerkennung. Für uns Frei­wil­lige schwingt leider inzwischen eine bittere Note der Verachtung mit, wenn es im Zusammenhang mit der Betreuung von Kriegs­flücht­lin­gen ausgesprochen wird. Und das geht vielen Helfern so, auch jenen, die sich um andere Dinge als die Sprache kümmern.

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Fotos: C.E.

Donnerstag, 17. September 2015

Druckfreigabe

Welcome, bienvenue, hier bloggt eine Dolmetscherin und Übersetzerin über ihren Berufsalltag. Meine Sprachen sind Französisch (als Ausgangs- und Zielsprache) und Englisch (Ausgangssprache).

Überraschter Mann
Oups — aber hallo!
Très chic, der französische Kunde fragt vor der Druck­frei­ga­be nach, was dieses "ver­stüm­mel­te Wort" da soll, als ich von Melioration schreibe (amélioration des sols) ... und ändert nicht eigen­stän­dig. Das freut mich. Später erhalte ich den Flyer zur Ansicht mit der Bitte um rasches Abnicken.
Das geht aber leider nicht so einfach.

Wie auf Französisch durchaus korrekt, hat die Grafikerin alle Satzanfänge, Städte- und Eigennamen groß geschrieben, den Rest klein. Auch sämtliche Nomen. Da hat sie sich wirklich viel Arbeit gemacht.

Es wird eine Spätschicht für sie werden, für mich auch.

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Foto: C.E.

Mittwoch, 16. September 2015

Dolmetschen im Theater

Hallo! Hier bloggt eine Übersetzerin und Dolmetscherin aus Paris, Berlin und von unterwegs. Ich arbeite mit Französisch und Deutsch sowie aus dem Englischen. Meine Rückkehr von der letzten Konferenz hat einige Tage gedauert. Der Hirnnebel reißt auf, und ich sehe:

Link zur Schaubühne           |||            Dolmetscher*in Deutsch-Englisch

"Für die Produktion »Ungeduld des Herzens« von Stefan Zweig (Regie: Simon McBurney) su­chen wir von voraussichtlich 12. Oktober bis 19. Dezember 2015 einen Dolmetscher, der auf den Proben zwischen den deutschen Schauspielern und dem britischen Regisseur dol­metscht.

Anforderungen: fließende Deutsch und Englischkentnisse; flexible Arbeitszeiten, auch Wochenendarbeit, Theatererfahrung wünschenswert, aber nicht unbedingt erforderlich.

Vertrag: Befristetes Arbeitsverhältnis mit Probezeit. Schwerbehinderte werden bei gleicher Eignung bevorzugt eingestellt.

Bewerbungsunterlagen bitte senden an:

Schaubühne am Lehniner Platz
z. Hd. Maja Zade
Kurfürstendamm 153
10709 Berlin
oder per E-Mail an mzade[kringel]schaubuehne[punkt]de"

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Illustration: Archiv

Dienstag, 15. September 2015

Postdolmetschroutinen

Hallo! Hier le­sen Sie, was eine Dol­met­scher­in und Über­set­zer­in für die fran­zö­si­sche Sprache so umtreibt. Tätig werde ich in Paris, Berlin, Hamburg, Nizza und überall dort, wo Sie mich brauchen.

Sieben Kabinen für eine Konferenz, viele Parallelveranstaltungen, hier haben wir uns aufgehalten, im Mathegebäude der TU
Wortlegebatterien
Nach drei Tagen Konferenz (plus Auf­takt­abend) ist das Hirn müde. Ich döse vor mich hin, während ich im Haus Rou­ti­ne­auf­ga­ben nachgehe: Spül- und Wasch­ma­schine beschicken, Staubsauger durch die Wohnung schieben, Belege sortieren, ei­nen neuen Steh­ord­ner mit dem Kon­gress­ma­te­rial und den ein­ge­sam­mel­ten Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen bef­ül­len, denn nach dem Event ist immer auch vor dem Event. Diese Dokumente werde ich mir in 14 Ta­gen wieder vor­neh­men, um das Ge­lern­te zu vertiefen und ihm den Weg ins Lang­zeit­ge­dächt­nis zu verhelfen. Denn na­tür­lich habe ich beim Einsortieren, zwei Tage später, mir alles schon noch einmal genau angesehen.

Noch eine Sache ist nach Dolmetscheinsätzen wichtig, und zwar viel zu schlafen und den ständig bohrenden Hunger zu stillen. Müdigkeit und Hunger kommen bei solchen Events gerne erst hinterher ... Als der Mini noch mini war, der weltbeste Patenziehsohn, hat mir einmal beim Vorlesen eines Kinderbuchs der Magen so laut geknurrt, dass das Kind sich erschreckt hat. Der Titel des Buches: "Die kleine Raupe Nimmersatt".

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Foto: C.E.

Sonntag, 13. September 2015

Raumfahrt

Willkommen auf den Seiten des ersten deutschen Blogs aus dem Inneren der Dol­met­scher­ka­bine. In Berlin herrscht spätsommerliche Ruhe ...

... während es in der Technischen Universität wie beim Start eines Space Shuttles ausschaut. Aber nicht die Apollo-Mission wird hier durchgeführt, sondern ein Kon­gress mit dem Ziel der Landung auf der Erde.

Vier Tage Kongress, aufgewacht mit Muskelkater in den Oberarmen. Hm, gut, da haben wir wohl alle viel gestemmt.

Dolmetscherkabinen in einer Reihe
Abendschicht
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Foto: C.E. (in einem zweiten Fenster geöffnet,
lässt sich das Bild vergrößern.)

Donnerstag, 10. September 2015

POV VII: Mattscheibe

Bonjour und gu­ten Tag! Hier bloggt eine Dol­met­scher­in und Über­setzerin. Heute folgt wieder meine Reihe POV, Point of view. Das ist der nur knapp kom­men­tierte sub­jek­ti­ve Blick auf die Spracharbeit — und was damit zu­sam­men­hängt.

Blick aus der Kabine, über Technik und Papier hinweg, auf einen sehr bunten, großen Bildschirm
Der subjektive Blick aus der Kabine
Saisonbeginn. Wir sind nicht im großen Hörsaal, die Ka­bi­nen stehen direkt hinter einer kleinen Treppe. Trotz Schall­iso­la­tion hören wir das Trep­pen­haus. Zum Glück hat der Kameramann im Raum ne­ben­an aber hervorragende Ar­beit geleistet, die Matt­schei­ben sind groß, wir sehen gut. Viel besser sogar, als wenn wir irgendwo ganz hinten am Saalende kleben würden.

Eine gute Sicht kann manchmal akustische Schwächen ausbügeln helfen. Optimal ist das nicht.
 
BTW, I'm not sitting in the "biactive booth", but in the "pure (french) booth". After 10 yrs in job, still learning professional slang ... 

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Foto: C.E.

Mittwoch, 9. September 2015

Hintergrund

Hallo! Hier bloggt eine Sprach­mit­tler­in für Po­li­tik, Wirt­schaft und Kultur. Ge­ra­de ha­be ich viel mit Flüchtlingen zu tun. Parallel dazu startet die Kon­gresssaison. Mir macht etwas Bauchschmerzen. Hier der Blick auf den Schreibtisch.

Altes Schwarz-weiß-Bild mit Mann am Schreibtisch vor einem Regal
Konzentriertes Arbeiten
Bürotag. Die eine Kollegin rech­net Kostenvoranschläge durch, irgendwo werden Be­le­ge auf­ge­tackert, die andere bildet junge Kollegen fort. Ich muss rasch verhindern, dass ich am Sonntag in die reine Eng­lisch-Fran­zö­sisch-Kabine komme, eine Kollegin ist ausgefallen, und mich durch Stapel komplexer Prä­sen­ta­tionen zu einem Wirt­schafts­the­ma wühlen.

Auch ein deutscher Dokumentarfilm wird in Ausschnitten auf dem Kongress ge­zeigt. Lief der schon mal bei Arte? Schnell eine Mail an den Regisseur schreiben.

Daneben beackere ich weiter das Wortfeld "Bodengesundheit" und mache Termine für Gespräche mit Landwirten. Für eine deutsche Filmproduktionsfirma darf ich zwischendurch bei der französischen Filmförderung deren Status als Ko­pro­du­zen­tin abklären.

Nebenbei erkläre ich noch den Kolleginnen und Kollegen im sozialen Netzwerk, dass wir demnächst eine Brief- und Mailaktion starten müssen. In den letzten Wo­chen war ich als Dolmetschprofi eh­ren­amt­lich an der Seite einer ebenso eh­ren­amt­li­chen professionellen Psychologin in der Krisenintervention aktiv und werde es bleiben. Aber unser Ehrenamt kann nicht von Dauer sein, denn wir müssen ja auch unsere Kosten decken und uns finanzieren. Und es kann auch nicht sein, dass die Menschen nicht mehr betreut werden, nur weil es an wohlmeinendem, engagiertem Personal fehlt.

Hier ist die Politik gefragt, sind wir alle gefragt, sind die Verbände gefragt. Die psychologische Erstversorgung und Krisenintervention darf durchaus in einer gro­ßen Notlage für einige Zeit auf dem Rücken der Berufsabsolventen ("meine" wun­der­ba­re Psychologin) und der Ehrenamtler ruhen. Aber das darf nicht zu einem Dauerzustand werden.

Dann kommt eine Anfrage über ein großes, renommiertes Krankenhaus rein, Kin­der­station. Da Dolmetscher so schwer zu bekommen seien, suche man Menschen, die eine oder mehrere Sprachen beherrschen würden und die ehrenamtlich ... Aus der Mail wird deutlich, dass es hier nicht um das Verteilen von Spielzeug und Händ­chen­hal­ten geht.

Ganz gleich ob Allgemeinmedizin, Pädiatrie oder Psychologie: Wenn's drauf an­kommt, sind Profis wichtig. Mir hat ein Arzt mal gestanden, dass es bereits Tote gab in deutschen Krankenhäusern, weil Arzt-Patientengespräche von Nichtprofis übertragen worden sind. Und die Ärztinnen und Pfleger werden für ihre Arbeitszeit und ihre Fachkompetenz schließlich auch entlohnt.

Die Sache mit dem Fachwissen ist der Knackpunkt. In der Kleiderkammer Wäsche nach Größe sortieren, Essen austeilen, Teddybärchen verschenken etc. kann jeder mal für einige Stunden oder Tage, das sind wichtige Aufgaben, die Zeit ist ein kost­ba­res Geschenk. Aber hier bestimmt jede und jeder Tag und Dauer selbst. Eine The­rapie mit Dolmetschern wird von hochqualifizierten Profis durch­ge­führt. Wir haben Termine, die einzuhalten sind, inzwischen sogar Supervision (selbst or­ga­ni­siert), ist 'ne komplett andere Nummer. Das kann und macht nicht jeder ... und schon gar nicht mal eben so als Ehrenamt in der Freizeit neben einer Fest­an­stel­lung.

Menschen brauchen mehr als nur einen Schlafplatz und einen Teller Suppe.

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Foto: Archiv

Sonntag, 6. September 2015

Zungenbrecher

Bon­jour, guten Tag! Sie lesen hier in einem di­gi­ta­len Ar­beits­ta­ge­buch einer Dol­met­scher­in und Übersetzerin für die französische Sprache. Ich schreibe derzeit aus Berlin. Sonntags werde ich privat: Sonntagsfotos!
Und Grete krähte: 'Käthe, eine Gräte!'
Das ist ein neuer Zungenbrecher, entwickelt in der Nähe der Insel Poel, Sommer 2015, ein Urlaubsmitbringsel.

Drei Forellen in einer Schale
Forellenterzett
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Foto: Hannes Reiss. Muito obrigada!

Dienstag, 1. September 2015

Der Erste

Hallo! Seit Fe­bru­ar 2007 blog­ge ich hier aus der Dol­met­scher­ka­bi­ne und vom Über­set­zer­schreib­tisch meine kleinen Beobachtungen aus der Welt der Sprachen. Und jetzt ergeht's mir wie allen Verkäufern von Saisonartikeln und Ho­sen­schnei­dern: Die Themen wiederholen sich mit den Jahreszeiten. (Der Beweis der Redundanz: 2010, 2011, 2012, 2013.)

Heute rasch zweierlei: Während ich mich weiter ins Thema Bodengesundheit ver­gra­be und dem Weg der Nährstoffe durch die Krume folge, reden schon alle vom Herbst, und an den Supermarktkassen stehen die Schokonikoläuse neben den Weih­nachts­stol­len stramm. Eine leichte Sommernostalgie durchwehte schon meinen gestrigen Bei­trag. Prompt bekam ich eine Antwort.

Denn heute ist der erste Herbstanfang, aber nur für diejenigen, die das wirklich wollen, für alle anderen ist Spätsommer. Nämlich: "Heute ist keineswegs Herbst­an­fang; das Äquinoktium fällt in diesem Jahr auf den 23. September, dann erst be­ginnt der Herbst. Der sogenannte meteorologische Herbstanfang am 1. Sep­tem­ber dient lediglich dazu, statistische Auswertungen zu erleichtern und wäre dank EDV eigentlich gar nicht mehr erforderlich."

Das musste mal gesagt sein. Danke! Ich genieße also den Sommer bis zum zweiten Herbstanfang.

Auch in Frankreich hat sich von gestern zu heute alles verändert und ist trotz­dem alles gleich geblieben. Gestern do­mi­nier­te noch bräsige Au­gust­ver­schla­fen­heit das Land, heute beginnt in Frankreich, tataaaa, nein, nicht der Herbst, naja, unter Statistikern vielleicht auch, dafür aber die neue "Saison". Der 1.9. ist so etwas wie der 1. Januar, naja, gefühlt, denn er ist der Anfang von der Wiederaufnahme des schu­li­schen, akademischen und ge­sell­schaft­li­chen Lebens, la rentrée genannt. (Viele Kalender, nicht nur die von Schülern und Studenten, gehen vom Herbst bis zum Sommer.)
Kind mit Tornister, Brotbeutel und Zuckertüte aus den 1920er Jahren
Ernst des Lebens in Sicht

Prompt bekommen viele Sender neue Pro­gramm­sche­ma­ta, Schüler eilen wieder zu den Stätten ihrer Bildung, die hoch­ge­klapp­ten Bürgersteige werden wieder auf Nor­mal­ni­veau gebracht. Das ist wirklich eine echte Besonderheit französischen Lebens und lustig, dass es sich seit Jahrzehnten exakt so abspielt.
Was den Franzosen ihre rentrée, ist den Deutschen ihre Zuckertüte. Zum ersten Schultag gibt's diese Teile auch schon seit vielen Generationen, allerdings nur in Deutsch­land und im deutschsprachigen Aus­land. Die Franzosen kennen das das ko­ni­sche Einschulungsmöbel dafür über­haupt nicht.

Die Änderungen finden woanders statt. Die junge Erstklässlerin aus den 1920er Jahren trägt zudem einen Lederranzen, der bis in die frühen 1970er Jahre so aus­ge­se­hen hat. Meine Oma nannte das Teil "Tornister". So hießen die gerundeten Ledertaschen zum Auf-dem-Rücken-Tragen der Soldaten im 1. Weltkrieg auch schon. Hierzu passt das Wort "Klas­sen­ka­me­rad". Heute auch unbekannt, es heißt |Schulfreundin oder Schul­freund| EDIT: Mitschüler, wie eine Leserin oder ein Leser richtig bemerkt hat.

Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Mappen aus Plastik Schulranzen aus ei­nem recyclingfähigen, umweltschonenden High-Tech-Textil Platz machen, denn ihre Haltbarkeit ist von gewollt kurzer Dauer. Kaum vorzustellen, dass wir damals mit zwei Ranzen unsere ganze Schullaufbahn bestreiten konnten, mit dem kleinen "Tornister", der sogar oft übernommen worden war von einem anderen Kind, für die ersten Jahre, und einem hochwertigen Lederranzen für danach. Letztere ha­ben nur einen Malus: Sie sind schwer.

Bis dahin üben wir Äquinoktium sagen, ein seltenes Wort, eigentlich nur zwei Mal im Jahr in Gebrauch, aber sicher etwas, womit sich auch auf Spätsommerparties punkten lässt. Und l'équinoxe spricht sich irgendwie leichter aus.


Vokabelnotiz:
la rentrée littéraire — der Bücherherbst
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Foto: Privatarchiv