Mittwoch, 18. Juni 2025

Schön, glatt, meins, falsch!

Wie Über­set­ze­rin­nen und Über­set­zer, Dol­met­sche­rin­nen und Dol­met­scher ar­bei­ten, be­schrei­be ich hier seit fast zwei Jahr­zehn­ten. Mei­ne Ar­beits­spra­chen sind Deutsch (Mut­ter­spra­che), Fran­zö­sisch und Eng­lisch; mei­ne Bü­ro­kol­le­gin ar­bei­tet als Über­set­ze­rin, al­so schrift­lich, mit Eng­lisch als Ziel­spra­che. Heu­te: KI-Mitt­woch.

Was hat ein Text mit ei­nem Ikea-Mö­bel zu tun? Und was der KI-Aus­wurf mit dem Hoch­glanz­fo­to ei­ner Fe­ri­en­woh­nung im Abend­licht? Dar­über schrei­be ich heu­te.

Ein be­kann­tes Pro­blem ist, dass wir das, was wir da schon mal ste­hen ha­ben an Text, über­schät­zen. Und wenn es die KI ge­lie­fert hat, sind wir auch stolz. Zwei Grund­aus­sa­gen: „Das war mein Prompt“ und: „Es war gra­tis“!

Dann sieht es das kri­tische Auge an und denkt: „Wow, gar nicht schlecht, das ist ja die hal­be Mie­te.“

Ja, Pus­te­ku­chen, ge­nau die­se Mi­schung aus Zu­frie­den­heit und Stolz macht uns be­triebs­blind.

Wer sein ei­ge­nes Ikea-Mö­bel auf­ge­baut hat, ist stolz auf das Teil, weil eben selbst­ge­schraubt, und zwar so­gar dann, wenn es schief steht oder am En­de noch Schrau­ben üb­rig sind. Die Fach­leu­te spre­chen vom Ikea-Mo­ment oder vom Endowment-Ef­fekt. So wird die Nei­gung von uns Men­schen ge­nannt, et­was, was wir be­sit­zen, hö­her zu be­wer­ten als et­was Ab­strak­tes. Ver­wandt ist da­mit der IKEA-Ef­fekt, durch den wir Din­ge, die wir selbst ge­baut ha­ben, als wert­vol­ler be­trach­ten.

Kurz: Hier wird un­se­re kri­tische In­stanz ge­schwächt und am En­de las­sen wir Er­geb­nis­se durch­ge­hen, die, wä­ren sie von der Kol­le­gin ge­kom­men, zer­ris­sen hät­ten.

Schwie­rig, schwie­rig.

Abendlicht, Bett, Strand, Sessel
Viel­leicht ei­ne trü­ge­rische Idyl­le …
So ähn­lich ist es auch mit Aus­wür­fen, die die KI als Über­set­zun­gen aus­gibt. Die­se Wort­samm­lun­gen sind so glatt und har­mo­nisch wie ein Hoch­glanz­fo­to, das uns ei­ne Fe­ri­en­woh­nung im Abend­licht zeigt, in der wir uns gra­tis ein Wo­chen­en­de lang auf­hal­ten dür­fen. Wir kön­nen uns nichts Stö­ren­des vor­stel­len. Der An­blick der Ur­laubs­oase ent­spannt den Kör­per, das Ge­hirn schal­tet auf Pau­se.

Die Ge­fahr: Vor lau­ter Well­ness­ge­fühl ist der kri­tische Geist aus­ge­schal­tet und Tipp- und Denk­feh­ler sind nicht zu se­hen, um im Bild zu blei­ben: der frem­de Haa­re und Flecken in den Ses­sel­rit­zen, stau­bige Plas­tik­pflan­ze, schmut­zi­ge Bett­wä­sche un­ter dem hüb­schen Bett­über­wurf, und ans Meer vor dem Fens­ter kom­men wir auch nur mit dem Au­to über die Auto­bahn.

Ob­acht!

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Il­lust­ra­tion: pixlr.com (Zu­falls­fund)

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