Freitag, 20. Juni 2025

KI-Nutzung gefährdet das Gehirn

Hallo! Wie Dol­met­scher und Dol­met­sche­rin­nen ar­bei­ten, be­schre­ibe ich hier seit 2007. Meine Haupt­ar­beits­spra­che ist Fran­zö­sisch (in bei­de Rich­tun­gen). Deutsch ist mei­ne Mut­ter- und wich­tigs­te Schrift­spra­che. Die Büro­kol­le­gin über­setzt ins Eng­lische. Wir sind Zeit­ge­nos­sin­nen, den­ken über Kon­fe­ren­zen hin­aus. Heu­te, Frei­tag, geht mein „KI-Mitt­woch“ in die Ver­län­ge­rung.

Körper, Oberstübchen, im Herzen des neuronalen Netzes ein Goldstück
Unser Kopf ge­hört uns!
Lan­ge hat­ten wir es be­fürch­tet, nun ha­ben wir's schwarz auf weiß: Die KI be­droht unsere In­tel­li­genz. Das Mas­sa­chusetts Ins­ti­tu­te of Tech­no­logy (MIT) hat Men­schen nä­her un­ter­sucht, die re­gel­mä­ßig mit ChatGPT ar­bei­ten. Das Er­geb­nis ist be­un­ru­hi­gend.

Die be­kann­te Soft­ware, die als ei­ne von vie­len Zu­griff auf gro­ße Da­ten­men­gen ha­t und die­se neu an­ord­net, oft zu­sam­men­ge­fasst als KI, ist ein prak­ti­scher Tool, der uns je nach Sach­la­ge hel­fen kann. In­ten­si­ver Nut­zung ist in­des für vie­le ge­fähr­lich.

Er­in­nern ist Fehl­an­zei­ge
Mehr als 83 % der Teil­neh­men­den wa­ren nicht in der La­ge, In­hal­te aus Tex­ten wie­der­zu­ge­ben, die sie selbst nur Mi­nu­ten zu­vor mit­hil­fe von ChatGPT er­stellt hat­ten. Man pro­du­ziert Text, klickt auf „spei­chern“ und ver­gisst, weil das ei­ge­ne Den­ken schon vor­her an die Ma­schi­ne aus­ge­la­gert wur­de.

Sicht­ba­re Schä­den im Ge­hirn
Die Scans zeig­ten ei­ne dras­tische Re­duk­ti­on der neu­ro­na­len Ver­knüp­fun­gen, im Durch­schnitt um 47 Pro­zent. Stel­len Sie sich vor, Ihr Lap­top wür­de plötz­lich mit hal­ber Leis­tung ar­bei­tet, er wä­re rasch in der Werk­statt oder im Müll. Hier geht's aber um Köp­fe, und oft nut­zen jün­ge­re Leu­te die neu­en Mög­lich­kei­ten be­sond­ders in­ten­siv.

Tex­te oh­ne See­le
Zum Bei­spiel der Nach­wuchs in der Schu­le. Dort ha­ben Lehr­kräf­te Schwie­rig­kei­ten zu ent­schei­den, wel­che Tex­te mit­hil­fe von KI ver­fasst wor­den wa­ren. Al­ler­dings fiel ih­nen auf, dass viel ge­fehlt hat: Tie­fe, ech­te Re­fle­xi­on, in­di­vi­du­el­le Hand­schrift, ei­ge­ne Ge­dan­ken. Die Spra­che wirk­te glatt, fast per­fekt, aber leer. Un­ser Ge­hirn nimmt sol­che Lee­re wahr, auch wenn wir das Pro­blem nicht gleich be­nennen kön­nen.

Es kommt noch schlim­mer
Als Ver­suchs­per­so­nen, die stark auf ChatGPT ge­setzt hat­ten, da­zu ge­bracht wur­den, ganz oh­ne KI zu schrei­ben, schnit­ten sie schlech­ter ab als je­ne, die nie mit der KI ge­ar­bei­tet hat­ten. Es ist al­so kei­ne Fra­ge der Ge­wöh­nung, es geht um den Ab­bau kog­ni­ti­ver Fä­hig­kei­ten.

Das Ge­hirn ist wie ein Mus­kel, der zu trai­nie­ren ist

Das be­rich­ten uns al­le, für die wir dol­met­schen. Sehr oft hö­ren wir Sät­ze wie: „Ich ha­be Ih­re Spra­che auch an der Schu­le ge­lernt, aber al­les ver­ges­sen.“
Das MIT-Team führ­te über vier Mo­na­te EEG-Mes­sun­gen bei 54 Pro­ban­den durch. Da­bei wur­den un­ter an­de­rem Al­pha­wel­len (für krea­ti­ve Pro­zes­se), Be­ta­wel­len (für ak­ti­ves Den­ken) und Mus­ter neu­ro­na­ler Ver­bin­dun­gen auf­ge­zeich­net.

Was jetzt folgt, ist kei­ne Mei­nung, son­dern mess­ba­re Rea­li­tät: Über­mä­ßi­ger KI-Ge­brauch ver­än­dert das Ge­hirn. Will­kom­men im Pro­duk­ti­vi­täts­pa­ra­do­xon, über das kaum je­mand spricht, denn mit ChatGPT las­sen sich man­che Auf­ga­ben deut­lich schnel­ler er­le­di­gen, im Schnitt 60 % zü­gi­ger, aber die geis­ti­ge Kraft der User:in­nen lei­det dar­un­ter, und die so­ge­nann­te „re­le­van­te kog­ni­ti­ve Be­las­tung“, die fürs ech­te Ler­nen nö­tig ist, sinkt um 32 %.

Output statt Denkfähigkeit
Un­ter­neh­men, die sich über Ef­fi­zi­enz­ge­win­ne freu­en, über­se­hen da­bei oft den lang­fris­ti­gen Ef­fekt: Ih­re Teams bau­en geis­tig ab. Men­schen ge­wöh­nen sich da­ran, nicht mehr selbst zu den­ken, weil das ja aus­ge­la­gert wer­den kann auf Smart­pho­ne oder Com­pu­ter.

An­de­re Stu­di­en kom­men zu ähn­li­chen Be­fun­den. Die For­scher des MIT spre­chen von „kog­ni­ti­ven Schul­den“. Ähn­lich wie ech­te Schul­den im wirk­li­chen Le­ben: Je­de ver­meint­li­che Ein­spa­rung mit­tels KI muss spä­ter zu­rück­ge­zahlt wer­den, aber mit Zin­sen.

Es gibt Hoff­nung
In der vier­ten Pha­se der Stu­die zeig­te sich ein Licht­blick: Per­so­nen, die mit gut aus­ge­bil­de­ten kog­ni­ti­ven Fä­hig­kei­ten in den Test hin­ein­ge­gan­gen wa­ren, konn­ten an­ders von der KI-Nut­zung pro­fi­tie­ren. Bei ih­nen nahm die Hirn­leis­tung so­gar zu. Die­se Grup­pe konn­te leicht die aus­ge­la­ger­ten Auf­ga­ben auch wie­der selbst über­neh­men, meis­tens so­gar schnel­ler ent­schei­den als zu­vor, denn sie hat­te ihr Ent­scheid­ungs­ver­mö­gen im Um­gang mit den Aus­wür­fen der Ma­schi­ne trai­niert.

Lo­gi­sche Kon­se­quen­zen
Die KI soll nicht ver­teu­felt oder ver­bannt wer­den. Aber es ist wich­tig, die­ses Werk­zeug be­wusst und ge­zielt ein­zu­set­zen. Kin­der, Ju­gend­li­che, Men­schen oh­ne aus­ge­präg­ten Bil­dungs­hin­ter­grund müssten wir be­glei­ten, Ler­me­tho­den soll­ten eben­so wie Kri­tik­fä­hig­keit un­ter­richt­tet wer­den.

Wir Men­schen ler­nen zum Bei­spiel, wenn wir la­chen. Hier der Aus­wurf ei­ner App, die Nut­zer:in­nen vor Al­ler­ge­nen schüt­zen wer­den soll: Vor ei­nem Pro­dukt wird ge­warnt, weil in der Be­schrei­bung et­was von „Trink­ge­nuss“ steht. Die KI hat nur den Wort­be­stand­teil „Nuss“ ge­se­hen und an­ge­schla­gen.

EDIT: Die­se For­schung fasst ers­te Er­geb­nis­se zu­sam­men, ist ein Pre­print, muss von der Fach­com­mu­ni­ty ein­ge­ord­net und wie­der­holt wer­den. Al­ler­dings re­agie­ren vie­le, die mit der Tech­nik und vor al­lem mit Ler­nen­den und an­de­ren Nut­zer:in­nen zu tun ha­ben, spon­tan mit Zu­stim­mung.

Sie haben die Wahl
1. Sie kön­nen sich von den di­gi­ta­len An­ge­bo­ten das Den­ken ab­neh­men las­sen, zah­len da­für aber mit ei­ner Matsch­bir­ne. Na­ja, oder mit we­ni­ger Denk­leis­tung.
Oder aber Sie trai­nie­ren Ihre geis­tige Eigen­stän­dig­keit und nut­zen die Tech­nik als Werk­zeug.

2. Kin­der soll­ten so lan­ge wie mög­lich von Bild­schir­men fern­ge­hal­ten wer­den, bis ihr Ge­hirn aus­ge­rei­ft ist. Ers­te kur­ze Kon­tak­te dür­fen nur in Be­glei­tung er­fol­gen, und für gu­te Be­glei­tung brau­chen wir von der Wis­sen­schaft aus­ge­ar­bei­te­te Hin­wei­se, die An­gehö­ri­gen und Men­schen, die mit dem Nach­wuchs ar­bei­ten, au­to­ma­tisch zu­gäng­lich ge­macht wer­den.

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Bild: pixlr.com (Zufallsfund)

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