Sonntag, 7. Juli 2024

Kompostwissen

Gu­ten Tag oder gu­ten Abend! Sie le­sen hier ein Ar­beits­ta­ge­buch, das sich mit den The­men Spra­che, Dol­met­schen, Über­set­zen und Kul­tu­ren be­schäf­tigt. Als frei­be­ruf­li­che Sprach­mitt­le­rin ar­bei­te ich in Pa­ris, Ber­lin, Mar­burg und wo im­mer ich ge­braucht wer­de, oft vor Ort, re­gel­mä­ßig in der Dol­metsch­ka­bi­ne. Sonn­tags­bild!

Neu­lich sa­ßen mei­ne Mut­ter und ich an ei­nem Sams­tag nach dem Ein­kauf auf dem Markt­platz der Klein­stadt, in der ein Teil mei­ner An­ge­hö­ri­gen woh­nen. Wir stärk­ten uns mit ech­ten fran­zö­si­schen Crois­sants und Kaf­fee, als nach­ein­an­der zwei Leu­te mich vor­sich­tig an­spra­chen, ob sie mich et­was fra­gen dürf­ten. 

Balkonien
Da­zu muss ich er­wäh­nen, dass es in der Nach­bar­schaft ei­nen Ge­mein­schafts­gar­ten gibt, in den ich manch­mal ge­he, um mein Wis­sen über Kom­post wei­ter­zu­ge­ben. Dort brin­gen wir auch un­se­re Ge­mü­se­ab­fäl­le, Ap­fel­griebse, Tee­res­te und Kaf­fee­satz hin. Mein En­ga­ge­ment hat mir dort den Spitz­na­men "Frau Kom­post" ein­ge­bracht.
Die Fra­gen­den hat­ten so schö­ne Pro­ble­me wie: "In der Plas­tik­ton­ne mei­ner Mut­ter be­wegt sich seit Jah­ren nichts mehr in Sa­chen Kom­post, was kön­nen wir tun?" Ma­da­me hat ei­nen gro­ßen, grau­en Kom­post­be­häl­ter an der Haus­ecke ste­hen. 

Ei­ne an­de­re Per­son be­rich­te­te von ei­nem Kom­post­hau­fen, der in der pral­len Son­ne stand und wo auch nicht wirk­lich was "ab­ging". Die Lö­sun­gen wa­ren ein­fach: Der Kom­post­be­häl­ter könn­te ein Ther­mo­kom­pos­ter oder ein Wurm­kom­pos­ter sein, auf je­den Fall fehlt es ihm an Le­ben und Feuch­tig­keit. Wenn es un­be­dingt ein Plas­tik­be­häl­ter sein muss, dann soll­te man sich ein we­nig be­le­sen, im Netz gibt es Quel­len, da­mit ha­be ich noch keine Erfahrung.

Grund­la­ge: der Stand­ort

Ich emp­feh­le im­mer, ei­ne Ecke im Gar­ten zu wäh­len, wo der Kom­post Kon­takt zum Bo­den hat. Und zwar so, das war auch die Ant­wort an die zwei­te Per­son, dass der Kom­post­hau­fen im Schat­ten steht. In sehr hei­ßen Wo­chen ist es rat­sam, den Kom­post al­le zwei bis drei Ta­ge mit­zu­gie­ßen (die Men­ge hängt von der Grö­ße des Kom­post­hau­fens ab), auch ge­le­gent­lich in der kal­ten Jah­res­zeit, wenn es lan­ge nicht ge­reg­net hat, nur nicht bei Mi­nus­gra­den.

Ein­fa­che Pro­ble­me, ein­fa­che Lö­sun­gen. In Ber­lin ge­be ich manch­mal klei­ne Kur­se in Sa­chen Hin­ter­hof­kom­post oder Kom­post­kis­te auf dem Bal­kon, da­bei ge­be ich ger­ne den je­weils be­nö­tig­ten "An­satz" fürs Kom­pos­tie­ren mit, ei­ne Schip­pe Er­de, in der mehr Wür­mer zu sein schei­nen als Kru­me, das Gan­ze bei Be­darf auch auf Eng­lisch oder Fran­zö­sisch, hej, ich bin Dol­met­sche­rin und ar­bei­te sehr ger­ne auch zu den The­men Hu­mus­auf­bau und Bio­land­wirt­schaft!

Ge­erb­tes Wis­sen

Bei ei­nem sol­chen back­yard com­pos­ting and bal­co­ny com­pos­ting-Ein­satz ist mir neu­lich raus­ge­rutscht, dass sich 200 Jah­re Gar­ten­wis­sen in mir sam­meln. Dar­auf hab ich gro­ße Au­gen bei der ge­neig­ten Zu­hö­rer­schaft ge­ern­tet. Ich mei­ne es ernst, schon mein Ur­ur­groß­va­ter war ein be­geis­ter­ter Gärt­ner und be­wirt­schaf­te­te aus Lieb­ha­be­rei ei­nen Ar Ge­mü­se­gar­ten samt Ge­wächs­haus. In der DDR durf­te un­ser Va­ter als "Ka­pi­ta­lis­ten­sohn" nicht stu­die­ren und hat erst ein­mal Gärt­ner ge­lernt. 

Paw­low wei­ter­ent­wic­kelt

Spä­ter ha­be ich beim Kaf­fee­trin­ken noch et­was über Epi­ge­ne­tik er­zählt, die Leh­re von der Wei­ter­ga­be von In­for­ma­tio­nen, die sich über das Ba­sis­ge­nom hin­aus an die nächs­te Ge­ne­ra­ti­on ver­er­ben. Vor Jah­ren ha­be ich mal auf ei­ner Kon­fe­renz fol­gen­de Ver­suchs­an­ord­nung ver­dol­metscht, die ich in der Li­te­ra­tur noch nicht wie­der­ge­fun­den ha­be: ei­ne Hand­voll Na­ge­tie­re, ich glau­be, es war die klas­si­sche wei­ße La­bor­maus, sitzt in ei­nem Kä­fig und hat Hun­ger. Am an­de­ren En­de des Kä­figs wird 'le­cker Fress­chen' rein­ge­stellt. Die Mäu­se lau­fen nun zum an­de­ren En­de und las­sen es sich schme­cken.

Bei den nächs­ten Ma­len kommt ein op­ti­scher Reiz ins Spiel: Der Bo­den leuch­tet plötz­lich hell­gelb, aber nur in ein­zel­nen Be­rei­chen, durch die zu­gleich Strom fließt. Das ver­sperrt vi­su­ell den Weg zum Fres­sen, denn der Strom ist für die Mäu­se­pfo­ten zwar nicht töd­lich, aber schmerz­haft. Zu­nächst lau­fen die Mäu­se im­mer wie­der dar­über und sind er­schro­cken, ei­ni­ge ren­nen zu­rück; bald mei­den die Mäu­se den be­leuch­te­ten Bo­den, war­ten lie­ber hun­grig, bis das gel­be Licht er­lischt und sie ge­fahr­los dar­über lau­fen kön­nen.

So weit, so gut. Die­se Mäu­se be­kom­men Jun­ge, die noch nie in die­sem elek­tri­fi­zier­ten Kä­fig wa­ren, die noch nie ih­re El­tern dort be­ob­ach­tet ha­ben, bis sie ei­nes Ta­ges hun­grig hin­ein­ge­setzt wer­den, das gel­be Licht an­geht und den Bo­den er­hellt ... und ja, lie­be Le­se­rin, lie­ber Le­ser, Sie ah­nen es rich­tig, die klei­nen Mäu­se er­schro­cken ste­hen­blei­ben und war­ten, bis der Bo­den nicht mehr hell­gelb leuch­tet.

Das gilt auch für uns

Jetzt dür­fen wir al­le selbst un­se­re Schlüs­se zie­hen in Sa­chen trans­ge­ne­ra­tio­nel­le Wei­ter­ga­be von |Wis­sen| In­tui­tion, Vor­lie­ben, Ängs­ten und Trau­ma­ta.

(Und als 'Gar­ten­tan­te' be­hal­te ich mei­ne na­tür­li­che Um­ge­bung im Au­ge und muss fest­stel­len, dass zum ers­ten Mal seit mehr als 25 Jah­ren ei­ne grö­ße­re An­zahl von Mö­wen am Land­wehr­ka­nal zu se­hen ist, die in die­sem Jahr nicht in ihr Som­mer­quar­tier ans Meer ge­zo­gen sind, son­dern — war­um auch im­mer — im Win­ter­quar­tier am May­bach­ufer ge­blie­ben sind).

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Fo­to: C.E.

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