Dienstag, 17. Juni 2025

Je nach Marktlage

Bon­jour, hello & gu­ten Tag! Hier le­sen Sie in Be­rich­ten aus dem Le­ben von Über­set­ze­rin­nen, Über­set­zer, Dol­met­scher­in­nen und Dol­met­scher. Ich bin Fran­zö­sisch­dol­met­sche­rin und ar­bei­te auch mit Eng­lisch (das Id­i­om Shake­speares nur als Aus­gangs­spra­che). Diens­tag, die Wo­che ist noch fast neu: Wäh­rend die Kol­le­gin mit Ob­jekt­be­schrift­un­gen für ein Mu­se­um kämpft, les car­tels, ler­ne ich Le­bens­mit­tel­wirt­schaft & Co.

Abb. 3: Von ChatGPT, dann per Hand über­ar­bei­tet
Nach dem Mor­gen­kaffee sit­ze ich da und pauke. Heu­te ist der ers­te Mei­nungs­um­fra­gen- und Markt­for­schungs­tag als Dol­met­sche­rin. Das The­ma wurde ge­än­dert, ich bin nun ein­ge­teilt zur Gruppe über Bio­le­bens­mit­tel, Obst, Ge­müse, ve­gane und ve­ge­ta­rische Pro­duk­te. Es geht auch um Spritz­mit­tel, Ver­pa­ckung, Ver­trau­en.

Gleich wer­de ich run­ter auf den Wo­chen­markt ge­hen, den ich von mei­nem Bü­ro­bal­kon aus sehe.

Am Bio­stand kaufe ich dann Früch­te und Ge­mü­se, auch für die Pau­se bei der Ar­beit. Und ich se­he mich schon jetzt, wie ich am Abend nach­hau­se­kom­men werde, auf dem Weg, das May­bach­ufer run­ter, links und rechts wird der Markt ein­ge­packt, die gro­ßen Rest­ge­bin­de mit Plas­tik­fo­lie um­wi­ckelt wer­den, „fo­lie­ren“ nen­nen sie das.

Frü­her wur­den dazu gro­ber Rup­fen­strick und -säcke ver­wen­det, noch wirk­lich ge­schnürt und ge­kno­tet. Das hat na­tür­lich Spu­ren auf den Hän­den hin­ter­las­sen. Das Plas­tik heu­te ist „haut­scho­nen­der“. Auch die vie­len Kis­ten und Scha­len so­wie an­de­re Sa­chen sind auf dem Markt zu 100 Pro­zent aus Plas­tik. Ja, es gibt noch Papp­kis­ten und Holz­pa­let­ten, aber ich sehe jetzt im­mer öf­ter Pa­let­ten aus Plas­tik da rum­ste­hen, die we­ni­ger wie­gen.

Der Preis da­für ist hoch. Wir im Wes­ten neh­men Wo­che für Wo­che so viel Mi­kro­plas­tik auf, wie eine Kre­dit­kar­te wiegt. Ge­sund ist das nicht. Das kann nie­mand nicht kom­plett ver­mei­den, auch nicht mit Bio­es­sen, denn Plas­tik ist längst im Was­ser, in der Luft, er­reicht so­gar die Na­bel­schnur von Neu­ge­bo­re­nen.

Das ech­te Foto stammt aus ei­ner Zeit des Auf­bruchs, viel­leicht An­fang/Mit­te der 1950er.

Abb. 1: Vor­la­ge, könn­te fast am May­bach­ufer sein
Der Krieg war nicht lan­ge her, lang­sam kam der Wohl­stand. 55 Pfen­nig für ein hal­bes Kilo Obst war da­mals auch nicht bil­lig. Obst gab es zu­dem nur sai­so­nal. Ver­packt war es meis­tens in Span­kör­ben (sie­he das ers­te Bild). Das Schild wur­de mit Ta­fel­far­be ge­stri­chen, die mit ge­üb­ter Hand mit Krei­de­far­be be­schrif­tet wur­den. Derlei ha­be ich En­de des letz­ten Jahr­tau­sends noch in Pa­ris ge­se­hen.
Als das Fo­to auf­ge­nom­men wur­de, war das Kon­zept „Bio“ un­be­kannt. Es wur­de kaum ge­spritzt, fast al­les war „Bio“.

Die Wa­ren wa­ren re­gio­nal, ka­men aus klei­nen Gär­ten oder vom Land. Sie her­zu­stel­len war ‚per­so­nal­in­ten­si­ver‘.

Heu­te Abend wird (wie im­mer kurz vor Markt­schluss) das stark ge­spritz­te Obst bil­lig sein, Obst, das ich nicht es­sen darf. Ich re­a­gie­re stark al­ler­gisch auf die Ag­rar­che­mie.

Den Un­ter­la­gen der In­ter­views, die ich am Mor­gen durch­ge­he, ent­neh­me ich, dass sich et­li­che Fra­gen beim Dol­metsch­ein­satz auf die­se Wi­der­sprü­che be­zie­hen, auf die Angst, sich zu ver­gif­ten, auf die Sor­gen, was aus der Zu­kunft der Kin­der wer­den könn­te.

Von ChatGPT "nachgebildetes" Bild mit einem schwebenden VW-Käfer vor der Warentafel und einer künstlichen Glätte
Abb. 2: Zwi­schen­stand mit Feh­lern
Es gibt Wil­len zur Ver­än­de­rung in der Be­völ­ke­rung, oft aber auch viel Gleich­gül­tig­keit in Zei­ten, in de­nen vie­le das Ge­fühl ha­ben, dass ih­nen ein­fach zu viel pa­ral­lel ab­ver­langt wird und zu vie­le Nach­rich­ten über sie he­rein­bre­chen. 

Am Abend wer­de ich mü­de sein, aber froh, dass die Leu­te, de­ren Wor­te ich ver­dol­metscht ha­ben wer­de, sich Mü­he ge­ge­ben ha­ben, ech­te Fra­gen zu stel­len und Ant­wor­ten zu su­chen. Und ich wer­de hof­fen, dass un­ser al­ler An­stren­gun­gen auch wirk­lich Kon­se­quen­zen ha­ben.

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Bil­der: Ar­chiv Elias Los­sow / „KI-Über-
ar­bei­tung“ plus Re­tu­schen durch mich

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