Dienstag, 20. Mai 2025

Nazisprache

Was Dol­met­scher­in­nen und Über­set­zer­in­nen (und die Her­ren im Be­ruf) tag­ein, tag­aus be­schäf­tigt, wie wir ar­bei­ten, be­schrei­be ich hier in mei­nem di­gi­ta­len Ar­beits­ta­gebuch, und ich den­ke auch über die Spra­che nach, z.B. heu­te.

Eine ge­wis­se Par­tei vom sehr, sehr rech­ten Rand wirbt der­zeit für sich mit ei­nem Slo­gan, der "in Deutsch­land auf­räu­men" lau­tet. Das ist al­les an­de­re als neu­tral, son­dern ge­schichts­ver­ges­sen und per­fi­de. Schon die NSDAP ver­mein­te vor über 100 Jah­ren in Deutsch­land ei­nen "Sau­stall" zu er­ken­nen, der end­lich "aus­ge­mis­tet" ge­höre.

Die Ge­mein­schaft müs­se, so das ver­quas­te Ge­dan­ken­gut, von "frem­den Ele­men­ten" "ge­säu­bert" wer­den, zu­nächst der Staats­ap­pa­rat, das Be­am­ten­tum, die Leh­rer- und Rich­ter­schaft, dann die Be­völ­ke­rung. Die "Ent­fer­nung frem­der Schä­dlin­ge", im­mer al­les in ei­nem Atem­zug, sei die "Lö­sung".

Wer ein his­to­ri­sches Be­wusst­sein hat oder viel­leicht so­gar selbst be­trof­fen ist, weiß zu ge­nau, was die­se Kampf­be­grif­fe an­kün­di­gen sol­len. "Har­tes Durch­grei­fen", "kein Par­don ken­nen", "Ord­nung schaf­fen" sind schlecht kaschier­te Droh­un­gen. Das "Auf­räu­men" führ­te, wie wir wis­sen, zu Über­fäl­len, Ge­wal­tex­zes­sen bis hin zum in­du­stria­li­sier­ten Mas­sen­mord. "Auf­räu­men" ist ein Kampf­be­griff.

Victor Klemperer - LTI
Spra­che des "Drit­ten Reichs"
Wir Sprach­ar­bei­te­r:in­nen kön­nen das Wör­ter­buch der heu­ti­gen Un­men­schen er­stel­len und stän­dig al­les über­set­zen, ja, wir müs­sen es so­gar. "Re­mi­gra­tion" be­deu­tet De­por­ta­tion. Wer heu­te von "Um­vol­kung" schwa­felt, hät­te frü­her "Be­dro­hung des deut­schen Volks­kör­pers durch frem­des Blut" ge­sagt.

Ver­steckt wird die Ge­walt hier nur kaum. Et­li­che Funk­ti­onä­re der unaussprechlichen Partei tre­ten auf die Brem­se und be­fin­den: "Man­ches kann man in der Öf­fent­lich­keit (noch) nicht sa­gen."

Aber je häu­fi­ger sie ih­re Spra­che der Men­schen­fein­de ver­wen­den, des­to mehr ge­wöhnt sich das Pu­bli­kum dran und über­nimmt viel­leicht hier oder da Be­stand­tei­le. Oder der po­li­ti­sche Ge­gner.

Und auch ver­meint­lich bür­ger­li­che Par­tei­en ver­än­dern un­ter dem Druck der man­tra­ar­tig vor­getra­ge­nen Lü­gen von den Bar­ba­ren, die uns heim­su­chen wol­len, nicht nur die ei­ge­ne Rhe­to­rik, son­dern auch For­de­rung­en und Pläne.

Als Tee­nager ha­be ich mir bei den Som­mer­ur­lau­ben in der DDR das Buch "LTI" ge­kauft, die Buch­sta­ben ste­hen für Lin­gua Ter­tii Im­pe­rii. Es war 1947 im Os­ten er­schie­nen und stammt vom Phi­lo­lo­gen Vic­tor Klem­pe­rer. Ich ha­be dann je­des Jahr ein wei­te­res Ex­em­plar ge­kauft und an Schul­freun­din­nen und -freun­de wei­ter­ver­schenkt. 

Klem­pe­rer an­aly­siert mes­ser­scharf die Sprach­ver­hun­zung und die An­kün­di­gung der Ge­walt­ak­te durch die Spra­che. Gleichzeitig ist das Buch das Do­ku­ment sei­nes ei­ge­nen Über­le­bens in Dres­den. Ich le­se nach und stel­le fest, dass dies hier der drit­ter Ein­trag ist, in dem ich innerhalb von fast 20 Jahren das Buch "LTI" er­wäh­ne (hier die älte­ren Blog­posts).

"Was je­mand wil­lent­lich ver­ber­gen will, sei es nur vor an­dern, sei es vor sich sel­ber, auch was er un­be­wußt in sich trägt: die Spra­che bringt es an den Tag."
Vic­tor Klem­pe­rer (1881–1960)

Aus­schrei­bung: Ich ha­be im Haus mei­ner El­tern noch zwei DDR-Aus­ga­ben aus den 1980-ern ge­fun­den und ver­lo­se sie. Für das "Los" er­bit­te ich um die Zu­sen­dung ei­nes kur­zen Texts oder ei­ni­ger Sät­ze da­rü­ber, wie Sie, lie­be Le­se­rin, lie­ber Le­ser, Dol­met­scher­in­nen oder Dol­met­scher (oder nur ei­ne Per­son von uns) wahr­ge­nom­men ha­ben, ger­ne mit der Er­laub­nis, die Zei­len ver­öf­fent­li­chen zu dür­fen.

Fal­ten Sie bit­te das Blatt, schrei­ben Sie ei­nen Co­de­na­men auf das zwei­fach ge­fal­te­te Pa­pier, zum Bei­spiel Mi­ckey Mou­se, und dann den Co­de­na­men, den rich­ti­gen samt Ad­res­se und Er­reich­bar­keit auf ei­nen an­de­ren Zet­tel und fal­ten Sie es, oh­ne den Co­de­na­men zu wie­der­ho­len. Am letz­ten Au­gust­tag ent­schei­det das Los.

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Fo­to: Re­clam

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