Freitag, 6. Juni 2025

Bildung(sentwicklungsland)

Im 19. Jahr be­schrei­be ich hier mei­nen sprach­be­ton­ten All­tag. Ich bin Fran­zö­sisch­dol­met­sche­rin, und ich über­set­ze auch. Heu­te ei­ne Rück­blen­de. Auf ein Le­ben, das es am En­de nicht ge­wor­den ist.

ni­ver­si­tä­re Kar­rie­re? Ich war einst fest da­bei, bis die Rea­li­tät in Deutsch­land mir höf­lich den Stuhl un­ter dem Al­ler­wer­tes­ten weg­ge­zo­gen hat.

In den Nuller­jah­ren ha­be ich ne­ben dem Dol­met­schen an di­ver­sen Hoch­schu­len un­ter­rich­tet, gab Se­mi­na­re, saß auf Po­di­en, reich­te An­trä­ge ein, be­treu­te Ab­schluss­ar­bei­ten. Ich war jung, mo­ti­viert und gut aus­ge­bil­det. Lei­der auch: pre­kär be­schäf­tigt, oh­ne Plan­bar­keit, oh­ne Si­cher­heit. Von „Kar­rie­re“ sprach da­mals nie­mand, au­ßer in der Image­broschü­re mit dem Hoch­glanz­pa­pier, das sich so schlecht re­cy­celn lässt.

Ein Jahr­zehnt Netz­werk­ar­beit, For­schungs­pro­jek­te, Leh­re — und dann war Schluss. Es folg­te keine Promotionsstelle, der Lehrstuhl an einer FH wurde abgebaut, bevor ich ihn bekommen konnte, nicht mal ein be­fris­te­ter Ver­trag mit Aus­sicht auf Ver­län­ge­rung. Nur ein freund­lich-ver­nuschel­tes „Dan­ke für Ih­ren Ein­satz“. Mei­ne Leh­re wur­de bei der Ins­ti­tuts­eva­lu­ier­ung lo­bend her­vor­ge­ho­ben, so be­kam ich den Hin­weis, dass man „wei­ter­hin gern mit mir auf Ho­no­rar­ba­sis zu­sam­men­ar­bei­ten“ wol­le. Auf Deutsch: Ar­bei­ten ja, le­ben nein.

Will­kom­men in Deutsch­land, dem Land der In­no­va­tio­nen. Vor­zugs­wei­se in der Fra­ge, wie man jun­ge Aka­de­mi­ker:­in­nen ma­xi­mal fle­xi­bel hält, bis sie bre­chen oder weg­ge­hen.

Das Prin­zip ist sim­pel: Man bil­de auf Welt­klas­se­ni­veau aus, in­ves­tie­re öf­fent­li­che Mit­tel in Ex­zel­lenz­in­i­ti­a­ti­ven, ver­spricht Per­spek­ti­ven. Dann dann las­se man sie zehn Jah­re lang von Dritt­mit­tel­pro­jekt zu Lehr­auf­trag zu Dritt­mit­tel­pro­jekt sprin­gen. Wer nach­fragt, be­kommt den Klas­si­ker: „Struk­tu­rell lei­der nicht ent­fris­tungs­fä­hig.“

Was das be­deu­tet? Men­schen, die Leh­re stem­men, For­schung und In­sti­tu­te am Lau­fen hal­ten, sind of­fi­zi­ell Luft. Bes­ten­falls güns­ti­ge As­sis­tenz, schlimm­sten­falls Stör­fak­tor. Wis­sen­schaft­lich wert­voll, aber ver­wal­tungs­tech­nisch ent­behr­lich. Ent­schul­di­gung, da vorn ist die Tür.

Es ist kein Un­fall, son­dern ein Sys­tem. Und die­ses Sys­tem ist ef­fi­zi­ent: Wer je­des Jahr um Ver­län­ge­rung bet­teln muss, fragt nicht nach Mit­be­stim­mung. Wer kei­ne Kin­der be­kom­men kann, stellt kei­ne An­trä­ge auf El­tern­zeit. Wer er­schöpft ist, bleibt ruhig.

Und weil’s so schön läuft, wird auch in­ter­natio­nal re­kru­tiert. Welcome, dear researchers! Diversity! Möb­lier­te WG-Zim­mer! Bit­te brin­gen Sie kei­ne Er­war­tun­gen mit, und bit­te ja auch kei­ne Fa­mi­lie. Man bie­tet Ih­nen be­fris­te­te Stel­len, un­kla­re Zu­kunft und bes­ten­falls ein Bü­ro. Aber hey, den­ken dür­fen Sie! Lei­se.

Ich bin ir­gend­wann aus­ge­stie­gen. Nicht aus Über­zeu­gung, son­dern weil ich muss­te. Heu­te ar­bei­te ich selbst­stän­dig. Das ist auch nicht im­mer plan­bar. In der Co­ro­na­zeit gab es ei­nen Schlag aus der Gu­lasch­ka­no­ne, das war's. Mein Feh­ler: Ich bin So­lo-Selbst­stän­di­ge, hat­te kei­ne GmbH ge­grün­det. Für Hil­fen war ich zu reich: Es sind na­tür­lich Rück­la­gen fürs Al­ter da. Und ha­be mit mei­nen Steu­ern die Ren­ten­ein­zah­lun­gen an­de­rer, die viel­leicht auf Kurz­ar­beit wa­ren, mit­be­zahlt. So­li­dar­sys­tem heißt das. Nur Hoch­schul­mit­tel­bau und So­lo-Selbst­stän­di­ge müs­sen hier­zu­lan­de lei­der drau­ßen blei­ben wie der Hund vor der Tür der Metz­ge­rei.

Heu­te dol­met­sche und über­set­ze ich, tra­ge Ver­ant­wor­tung. Ger­ne wä­re ich an der Uni ge­b­lie­ben. Dass ich in Frank­reich stu­diert und Be­rufs­er­fah­rung in ei­nigen Fel­dern ge­habt ha­be, war ein Vor­teil, ich ha­be über den Tel­ler­rand ge­schaut. Es war ein Nach­teil. Nie­mand auf Chef­ebe­ne hat mich ge­för­dert.

Manch­mal se­he ich Kol­leg:­in­nen, die ge­blie­ben sind. Mit­te vier­zig, kei­ne Si­cher­heit, kei­ne Woh­nung, kei­ne Kin­der, da­für sechs Se­mi­na­re pro Wo­che und ein Ho­no­rar knapp über Min­dest­lohn. Und ich den­ke: Der Neu­an­fang als Dol­met­sche­rin war für mich ein gro­ßes Glück.

Für das Land ist die Si­tua­ti­on hoch­dra­ma­tisch, weil wir teu­er aus­bil­den und dann Ta­lent brach­lie­gen las­sen. Ein Land mit we­nig Roh­stof­fen muss mit sei­nen Köp­fen an­ders um­ge­hen. Der Satz gilt üb­ri­gens ab Kin­der­gar­ten.

______________________________
Il­lust­ra­ti­on: kei­ne.
Die Rea­li­tät lie­fert ge­nug Bil­der.

Keine Kommentare: