Im 19. Jahr beschreibe ich hier meinen sprachbetonten Alltag. Ich bin Französischdolmetscherin, und ich übersetze auch. Heute eine Rückblende. Auf ein Leben, das es am Ende nicht geworden ist.
niversitäre Karriere? Ich war einst fest dabei, bis die Realität in Deutschland mir höflich den Stuhl unter dem Allerwertesten weggezogen hat.
In den Nullerjahren habe ich neben dem Dolmetschen an diversen Hochschulen unterrichtet, gab Seminare, saß auf Podien, reichte Anträge ein, betreute Abschlussarbeiten. Ich war jung, motiviert und gut ausgebildet. Leider auch: prekär beschäftigt, ohne Planbarkeit, ohne Sicherheit. Von „Karriere“ sprach damals niemand, außer in der Imagebroschüre mit dem Hochglanzpapier, das sich so schlecht recyceln lässt.
Ein Jahrzehnt Netzwerkarbeit, Forschungsprojekte, Lehre — und dann war Schluss. Es folgte keine Promotionsstelle, der Lehrstuhl an einer FH wurde abgebaut, bevor ich ihn bekommen konnte, nicht mal ein befristeter Vertrag mit Aussicht auf Verlängerung. Nur ein freundlich-vernuscheltes „Danke für Ihren Einsatz“. Meine Lehre wurde bei der Institutsevaluierung lobend hervorgehoben, so bekam ich den Hinweis, dass man „weiterhin gern mit mir auf Honorarbasis zusammenarbeiten“ wolle. Auf Deutsch: Arbeiten ja, leben nein.
Willkommen in Deutschland, dem Land der Innovationen. Vorzugsweise in der Frage, wie man junge Akademiker:innen maximal flexibel hält, bis sie brechen oder weggehen.
Das Prinzip ist simpel: Man bilde auf Weltklasseniveau aus, investiere öffentliche Mittel in Exzellenzinitiativen, verspricht Perspektiven. Dann dann lasse man sie zehn Jahre lang von Drittmittelprojekt zu Lehrauftrag zu Drittmittelprojekt springen. Wer nachfragt, bekommt den Klassiker: „Strukturell leider nicht entfristungsfähig.“
Was das bedeutet? Menschen, die Lehre stemmen, Forschung und Institute am Laufen halten, sind offiziell Luft. Bestenfalls günstige Assistenz, schlimmstenfalls Störfaktor. Wissenschaftlich wertvoll, aber verwaltungstechnisch entbehrlich. Entschuldigung, da vorn ist die Tür.
Es ist kein Unfall, sondern ein System. Und dieses System ist effizient: Wer jedes Jahr um Verlängerung betteln muss, fragt nicht nach Mitbestimmung. Wer keine Kinder bekommen kann, stellt keine Anträge auf Elternzeit. Wer erschöpft ist, bleibt ruhig.
Und weil’s so schön läuft, wird auch international rekrutiert. Welcome, dear researchers! Diversity! Möblierte WG-Zimmer! Bitte bringen Sie keine Erwartungen mit, und bitte ja auch keine Familie. Man bietet Ihnen befristete Stellen, unklare Zukunft und bestenfalls ein Büro. Aber hey, denken dürfen Sie! Leise.
Ich bin irgendwann ausgestiegen. Nicht aus Überzeugung, sondern weil ich musste. Heute arbeite ich selbstständig. Das ist auch nicht immer planbar. In der Coronazeit gab es einen Schlag aus der Gulaschkanone, das war's. Mein Fehler: Ich bin Solo-Selbstständige, hatte keine GmbH gegründet. Für Hilfen war ich zu reich: Es sind natürlich Rücklagen fürs Alter da. Und habe mit meinen Steuern die Renteneinzahlungen anderer, die vielleicht auf Kurzarbeit waren, mitbezahlt. Solidarsystem heißt das. Nur Hochschulmittelbau und Solo-Selbstständige müssen hierzulande leider draußen bleiben wie der Hund vor der Tür der Metzgerei.
Heute dolmetsche und übersetze ich, trage Verantwortung. Gerne wäre ich an der Uni geblieben. Dass ich in Frankreich studiert und Berufserfahrung in einigen Feldern gehabt habe, war ein Vorteil, ich habe über den Tellerrand geschaut. Es war ein Nachteil. Niemand auf Chefebene hat mich gefördert.
Manchmal sehe ich Kolleg:innen, die geblieben sind. Mitte vierzig, keine Sicherheit, keine Wohnung, keine Kinder, dafür sechs Seminare pro Woche und ein Honorar knapp über Mindestlohn. Und ich denke: Der Neuanfang als Dolmetscherin war für mich ein großes Glück.
Für das Land ist die Situation hochdramatisch, weil wir teuer ausbilden und dann Talent brachliegen lassen. Ein Land mit wenig Rohstoffen muss mit seinen Köpfen anders umgehen. Der Satz gilt übrigens ab Kindergarten.
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Illustration: keine.
Die Realität liefert genug Bilder.
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