Montag, 24. Dezember 2007

Barack Obama in Berlin

Anmerkung: Dieser Eintrag ist ein Archiveintrag und mit älterem Datum für den direkten Zugriff eingetragen worden.
Juli 2008: Wie die Rede von Barack Obama vor Ort für das Publikum übertragen wurde, weiß ich nicht, denn ich saß bei Freunden am TV und verglich die Dolmetscher von ARD und ZDF. Die Hochschulen zeichnen derlei für eine spätere Analyse sicher auf, ich habe nur immer dann von ZDF auf ARD geschaltet, wenn eine Pause eintrat, der Kollege vom ZDF war nämlich immer "näher dran" am Originalton (O-Ton). So konnte ich immer noch das Ende der ARD-Verdolmetschung hören. Und hörte:

- eine Schande für uns alle (ZDF) | belastet unser Gewissen (ARD)
- Mauern niederreißen (ZDF) | Mauern einreißen (ARD)
- Kampf mutiger Menschen, der die Apartheit abgeschafft hat (ZDF) | wo der Kampf eines Volkes die Apartheit niederrang (ARD)
- diesen Geist hochhalten zu müssen (ZDF) | diesen Geist neu zu beleben (ARD)
- als dass wir ihnen dort den Rücken kehren dürften (ZDF) | um dort auszusteigen (ARD)
- die diesen gazen Kontinent transzendiert und umspannt (ZDF) | die sich über diesen Kontinent ersteckt (ARD)
- Botschaft aussenden (ZDF) | Botschaft schicken (ARD)
- dass dieser Krieg beendet wird (ZDF) | diesen Krieg seinem Ende zuzuführen (ARD)
- das Kind der Armut entreißen (ZDF) | das Kind aus der Armut befreien (ARD)
- Sinn verleihen (ZDF) | Bedeutung zumessen (ARD)

Diesem Vergleich ist nur schwer "Bedeutung zuzumessen", ohne in den O-Ton reinzuhören. Ich kann aber einen Eindruck äußern, so, wie er auch bei unbelasteten Zuhörern entstehen mag. Ohne Rückgriff auf den Ausgangstext habe ich die mitgekritzelten Verdolmetschungen verglichen und die jeweils moderner klingende Lösung kursiv gesetzt, wie gesagt, es ist rein subjektiv. Meistens ist es der Kollege, der für die ARD dolmetscht, der auf mich in seinem Ausdruck moderner, schlichter und weniger präsidial wirkt. Liegt es an der Rede Obamas? Liegt es am Alter oder an der Vorerfahrung der Dolmetscher? Wurde im politischen Kontext bereits die Leistung der Dolmetscher auf ihre Wirkung auf die Wählerschaft bewertet?

Für uns scheinen diese Fragen auf den ersten Blick irrelevant. In den USA-Vorwahlen ziehen die Kandiaten aber mit Dolmetschern durch die Lande. Nach dem Wettkampf Clinton/Obama veröffentlichten diese ihre Finanzberichte: Hillary Clinton gab 6.244 Dollar für Dolmetscher aus, Barack Obama fast 25.000 Dollar, da er besonders um die spanischsprachigen Wähler geworben hat.

______________________________________

Samstag, 22. Dezember 2007

Grüße zum Jahresende

Hier endet das Jahr 2007 - zumindest in diesem Weblog.

Nach sechs Monaten Textarbeit habe ich einen Zähler auf der Seite eingerichtet, der mir auch Daten über verwendete Technik und Provider der durchschnittlich 40 Gäste liefert, die täglich meine Seite aufsuchen. Von Ihnen, liebe Leserinnen und Lesern, weiß ich daher, dass viele in Berlin, Leipzig, München, Hamburg und Germersheim leben - oder in Paris, Brüssel, Mons, der Schweiz, Österreich. Ein hoher Anteil hat universitären Hintergrund, es sind aber auch Kunden darunter und Kollegen vom Dolmetschen und aus der Filmbranche.

Unter Ihnen sind um die 120 regelmäßig wiederkehrende Leser, ein überproportional hoher Anteil, ca. 30 %, nutzt Apple - und die Verweildauern lassen darauf schließen, dass die Texte auch gelesen werden.

Dafür möchte ich mich bedanken, und auch für die vielen Fragen und Anregungen, die mich auch weiterhin über meine rechts angegebene Adresse erreichen.

Frohe, ruhige und lichte Tage wünsche ich - und ein gesundes 2008!

Caroline

spielzeit'europa (10): Sprachgestöber

... und jetzt doch noch ein kleines P.S. zum Thema 'Einsprechen im Theater'. Während ich aus dem Fenster schaue, herrscht dort draußen nettestes Schneegestöber - und mein Kopf spielt weiter mit den Worten, macht 'Sprachgestöber' draus.
Es ist, als wollte, nachdem wir tagelang einer klar vorgezeichneten Linie, festen Repliken und Bildern folgen müssen, der Kopf ein Großteil der Fantasie nachholen, die wir beim Job als 'Theatererzähler' nicht einbringen konnten.
Dabei hatten wir auch jeweils einen kleinen Moment, in dem Boris und ich ICH sagen und ich meinen durften. Und das war so:

Vor unseren Augen gehen hunderte von Hände in die Luft, winken, ein ganzer Saal voll. Durch den Notfalllautsprecher, der den Saalton überträgt, hören wir Lachen bis in die Dolmetscherkabine. Jetzt höre ich mich sagen: "Schön, dass Sie uns hören, und wir sehen Sie, wir sitzen nämlich direkt hinter Ihnen!" Boris dreht geistesgegenwärtig den Dimmer des Deckenlichts auf, hinter der Glasscheibe werden wir für einen kurzen Augenblick für das Publikum sichtbar, viele drehen sich um, winken weiter. Es durchströmt mich warm: Für diese Menschen werden wir jetzt gleich ein Theaterstück auf Deutsch simultan einsprechen.


Berlin, Schaperstraße, wir sind im Haus der Berliner Festspiele beim Gastspiel von Fisbachs Version der "Wände" von Genet. Zu Beginn der Vorstellung tritt Edda vor das Publikum und erklärt, wie die Headsets der Dolmetschanlage funktionieren: "Wenn Sie jetzt auf Kanal 1 drücken, werden Sie von unseren Dolmetschern begrüßt!"
Es gibt Reklamationen, defekte Geräte werden ausgetauscht, die studentischen Mitarbeiter flitzen durch die Sitzreihen. Und wir müssen weitersprechen, Boris und ich, meubler le silence, die Stille ausfüllen, denn es suchen ja die ganze Zeit lang noch Menschen nach den Tasten für unsere Stimmen im Ohr ... Also beginnen wir ein Parlando: "Weißt Du eigentlich, Boris, dass das Stück "Les paravents" 1961 in Berlin uraufgeführt wurde?! ..." Und wir erzählen von Kürzungen der damaligen Berliner Fassung (aus Rücksicht auf die französische Besatzungsmacht) und davon, dass das Stück in Frankreich erst fünf Jahre später aufgeführt wurde, im Pariser Théâtre de l'Odéon, und dass es damals wütende Proteste gegen das Stück ausgelöst hatte und Demonstrationen, an denen auch ein rechtsgerichteter Student teilnahm, dessen Name erst später bekannt wurde, Jean Marie Le Pen. Und wie später André Malraux als Kulturminister im französischen Parlament die Tatsache verteidigen musste, dass das Odéon weiterhin Subventionen erhält, trotz solcher den Staat angreifenden Stücke. Es sei Kunst, soll er gesagt haben, und oft falle es Zeitgenossen schwer, Kunst als solche zu erkennen, dennoch müsse man sie finanziell unterstützen.

Wie aktuell das Ganze plötzlich wird! Ich sitze im Theater und freue mich auch über diese hinzugewonnene Sprachebene, weil ich anknüpfen kann an alte Radiotage als Journalistin und Sprecherin. Und dann geben wir uns dem Sprachgestöber hin mit ruhigen Stimmen, den fast hundert Figuren, den verschiedenen Sprachniveaus, den Einwürfen, Monologen, Widerworten, Provokationen, Anrufungen, dem Flehen und Greinen, Beschuldigen und Lästern, dem lüsternen Kommentar und dem kommentierenden Angriff ...
____________________________________
P.S.: Ein Moment "Sprachmuseum": Das Wort, mit dem 

dieser Eintrag überschrieben ist - Sprachgestöber - liefert 
bei Google heute noch keinen einzigen Eintrag ...
Foto: C.E.

Freitag, 21. Dezember 2007

spielzeit'europa (9): Was wir machen

Neun Tage lang hatten Boris und Caroline mit der Vorbereitung und dem Gastspiel von Frédéric Fisbachs Fassung von Genets "Les paravents" (Die Wände) zu tun. Die beiden Sprecher haben das Theaterstück synchronisiert, also das französische Bühnengeschehen ins Deutsche übertragen. Hier der Versuch einer (unvollständigen) Zusammenfassung.

Das Publikum, das sich vor Beginn der Aufführung im Foyer die Empfangsgeräte besorgt hat, konnte das, was es erwartet, ebenso wenig benennen wie die Schauspieler: "Ich hol' mir ein Übersetzungsgerät" sagten die einen und die anderen fragten überrascht: "Wie, der deutsche Ton kommt nicht vom Band?"

Das "Gerät" "übersetzt" nicht automatisch, ebensowenig kommt beim Live-Geschehen auf der Bühne, das jedes Mal anders ist, eine simple Tonspur mit: Hinter der Lichttechnik, in einem Raum hinter dicker Glasscheibe, saßen Boris und ich drei Abende lang, und sprachen simultan zu Generalprobe und Aufführung die verschiedenen Texte in die Mikrofone, natürlich nach Vorbereitung. Mehr als vierzig Stunden hatten wir vor dem ersten Einsatz geprobt, gelesen, das Manuskript um fast die Hälfte verringert (wobei natürlich die langen Regieanweisungen stark ins Gewicht fallen, wir aber am Ende etwa 70 % des gesprochenen Wortes wiedergegeben haben).

Dabei muss einerseits möglichst viel Inhalt 'rüberkommen', andererseits die Form unserer Einsätze auf das unterschiedliche Bühnengeschehen angepasst werden.
Die eigene Vorgabe war, möglichst ruhig zu sein und dass die Übersetzung kein Stressfaktor werden darf, denn das Stück ist anstrengend genug. Genets wütendes Gedicht gegen den Algerienkrieg hatte Frédéric Fisbach mit vielen Mitteln des heutigen Theaters umgesetzt: Deko (vom schlichten Paravent über Leinwänden bis hin zu gedachten "Wänden"), Schauspieler, Marionetten, Off-Stimmen, Video, Malerei, Requisite, Raum, Rampen, Aufbauten, Gestänge, "Rahmen" im großen Rahmen der Bühne (eine Art Theater-Foucus) ... Die Erzählebenen waren: Schauspiel, "Synchronisierung" des Puppenspiels durch als solche in Szene gesetzte Sprecher, Ansagen von Regieanweisungen und Kommentaren zu den Szenen, dazu verschiedene "Subjektiven" via Tonband. Das Ganze nun gedoppelt durch uns ... bei den Zuschauer hat das ein Höchstmaß an Konzentration vorausgesetzt, das manche im Jahresendstress nicht so recht aufbringen konnte.

So haben wir als zwei Sprecher, ein Mann, eine Frau, sehr viele Rollen fest und nach Geschlecht eingeteilt und sind (meistens) das ganze Stück hindurch dabei geblieben. In hektischen Passagen übernahm mal der eine, mal der andere; aufgelöst haben wir diese Momente, wenn wieder eine der Hauptfiguren ins Spiel kam, die dann der angestammte (jeweils andere) Sprecher übernahm, wodurch sich diese Phase langsam wieder in abwechselndes Sprechen auflöste.

Die Sprechhaltung bei einer solchen Vertonung sind "gesprochene Untertitel". Wir dürfen den Schauspielern keine Konkurrenz machen, müssen ihre Arbeit unterstützen, auf sie antworten, in der Intensität begleiten, sonst hätte das Publikum die ganze Zeit die Hand auf dem Lautstärkeregler. So gehen wir immer auch in die Gefühle mit hinein, aber auf der Skala von eins (tonloses Vorlesen von Telefonbucheinträgen) bis zehn (emotionales Schauspiel) versuchen wir, etwa auf Skalenabschnitt 3,5 zu liegen (Hanka vom Festival widersprach unserer Einschätzung und meinte "eher fünf").

Dazu kommen fünf unterschiedliche Arten der "Vertonung", die das Publikum sicher schnell erkannt hat und, so hoffen wir, nach einer Phase der "Intellektualisierung" einfach "nutzt": Manche Partien haben wir wie eine Vertonung von Dokumentarfilminterviews gesprochen, ein wenig später eingesetzt, ein wenig früher aufgehört; auf der Bühne brauchen viele Repliken länger, so hat zwischendurch das Publikum die Möglichkeit, der Originalstimme zuzuhören, denn der Rat lautet immer, ein Ohr ganz oder teilweise freizulassen, um die französischen Schauspieler auch zu hören.

Andere Momente, vor allem die kurzatmigen, bei denen es "Schlag auf Schlag" geht, werden "auf den Punkt" gesprochen, also fast synchronisiert. Innerhalb knapper Fragen, Antworten, Einwürfe und Kommentare fällt Kürzen oft schwer, da fallen dann auch schon mal ganze Sätze weg.

Überhaupt bleibt etliches unübersetzt stehen: wir haben Redundanzen gestrichen, wo sie sich häuften (drei von fünf Wiederholungen eines Wortes) oder eine von drei Metaphern.

Oder aber ich fasse zusammen: zwei eher geschnarrte bzw. gesungene Sprechrollen fallen mir zu. Da ist zum Beispiel der zum Tode Verurteilte, dessen Stimme schon fast wie aus dem Jenseits klingt oder wie ein stark rhythmisierter Trott einer Strafkolonie. Hier habe ich die wesentlichen Punkte zusammengefasst, vor allem kurzsilbige Worte gesucht, sie auch in einen Rhythmus gebracht, der auf die französische Stimme ein wenig antwortet - aber sehr zurückhaltend. Aus einem mittellangem Abschnitt wurden so zehn kurze Zeilen - der Inhalt ist da, aufs Wesentliche verkürzt und das, was den stärksten Eindruck hinterlässt, die französische Sprechstimme, bekommt Raum.

Am liebsten waren mir die Passagen, bei denen die fünfte Art der Übertragung Anwendung fand. Es sind jene Monologe, bei denen viel Luft zwischen den französischen Worten ist. Beispiel: Leila geht ins Wasser, hier kann ich (fast) immer genau das Wort oder den Satzteil in der anderen Sprache wiederholen, der gerade gesprochen worden ist, wobei wir die Namen sehr oft nicht noch einmal gesagt haben, sie stehen (ebenso wie das Gestrichene) in Klammern. In Ausnahmefällen "greife" ich auch schon mal ein Wort "vor". Das ergibt dann Folgendes:

Saïd, tu devenais prétentieux, insupportable / (Said) Du bist ein unerträglicher Angeber geworden. / prétentieux comme un insituteur / (gestrichen: angeberisch) wie ein Lehrer…/ Il me cherche. / Er sucht mich. / Quand il va me trouver, je serai raide, froide, gercée, ridée, une espèce de petite quéquette par une nuit de verglas / Wenn er mich findet, werde ich steif (gestrichen: kalt, rissig, ausgeleert) und runzlig sein, eine Art kleiner Pimmel in einer Glatteisnacht… / (elle rit) Pauvre Saïd / (Sie lacht) Armer Said! / C'est toi qui gueules, Saïd ? / Brüllst du da?) (...) / Parce que voilà la question : est-ce que la mort est une dame, une dame qui viendra me prendre? / Die Frage ist doch: Ist der Tod eine Dame, die mich abholt / ou est-ce que c'est un endroit où il faut aller ? / oder ist es ein Ort, an den ich jetzt gehen muss? Schwer zu sagen… / Difficile à dire !

Das waren jetzt 420 von insgesamt 170.000 Anschlägen der deutschen Fassung. Genets Poem gegen Kolonialismus und Algerienkrieg endet in der Welt der Toten. Der letzte Vorhang dieses Gastspiels war auch das Ende dieser Inszenierung, die zum letzten Mal gespielt wurde. Auch wenn wir in den Tagen nach der Theaterarbeit sehr oft in Genet-Repliken reden (Boris geht's da wie mir), kennen wir viele Details der Inszenierung weiterhin nur aus der Presse und aus den Erzählungen unserer Gäste. Aber verstanden haben wir das Stück denke ich trotz seiner Komplexität.

Mittwoch, 19. Dezember 2007

spielzeit'europa (8): Premiere!

Heute ist der Tag nach der Berliner Premiere von Fisbachs Inszenierung der "Wände" (Les Paravents), Jean Genets epischem Gedicht über den Algerienkrieg. Zwei Sprecher, Boris und Caroline, hatten die Worte der Schauspieler, Marionetten und einiger (gesprochener) Regieanweisungen fürs Publikum ins Deutsche übertragen - per Infrarotanlage mit Kopfhörern, nach fast 45 Stunden Probe und Textarbeit. Es berichtet Caroline:

"War 'ne jute Generalprobe!", sagt Boris, als die Premiere zuende ist. Trotz einer intensiven Probenwoche wissen wir, was alles noch verbesserbar ist. Wir haben jeder eine andere Sprechervergangenheit, Boris im Theater und auf der
Chansonbühne, ich (zunächst) im Radio, dann auf der Festivalbühne und in der Dolmetscherkabine; in der akustischen Präsenz, arbeiten wir uns aufeinander zu.
Die Reaktionen auf unsere Arbeit waren gut, Yvonne, die Kollegin, die ich von der Humboldt-Uni kenne und die über Übertitel promoviert hat, kam scherzend auf mich zu, es habe ihr so gut gefallen, sie müsse jetzt ihre Übertitel nochmal überdenken. (Ein größeres Lob gibt's nicht.)

Eine halbe Stunde vor der Premiere hatte ich noch Partien eingekürzt, den "Rap" des zum Tode Verurteilten aufs Wesentliche zusammengestrichen und umgeschrieben, damit möglichst viel von der stimmlichen Performance des französischen Sprechers hörbar ist. Danach lief alles schön, von kleinen Versprechern und zwei verpatzten Einsätzen (immer ich!) abgesehen. Angesichts der Textmenge dürfte das untergegangen sein. Das Sprecherskript ist jetzt 89 Seiten lang (von anfänglichen 157!), und ab und zu bekommen wir sogar vom Stück was zu sehen. In der Summe kennen wir es jetzt als ein Hörspiel mit Fotos.

Heute Nachmittag (der Tagesrhythmus ist verschoben, der Schlafbedarf nur leicht erhöht), bin ich leise, ich spreche kaum und lese. Ich lese ganz bewusst erst jetzt die Kritiken der Inszenierung (zur Vorbereitung des Stücks rezipierten wir nur Historisches und über Genet selbst ...)

Lustig, wie
Georg Kasch das Stück im "Freitag" beschreibt (denn es war im Sommer in Avignon): "Eine Puppe wird in jenem Moment zu einem Geist, als der Verfolgerscheinwerfer auf sie trifft. Je länger das Mysterienspiel um die drei Algerier dauert und je länger und öfter es im Jenseits spielt, desto stärker demontiert Fisbach jegliche theatrale Illusion. Spieler reißen Puppen die Köpfe ab, die Wände verlieren alles Kulissenhafte und verschwinden schließlich ganz. Am Ende hängen die Puppen an den Haken, stehen die Schauspieler in Zivil auf der Bühne, werden den Sprechern die Skripte weggenommen. Das Totenreich der letzten Szenen ist hier das Ende des Theaters."

Ich musste lachen beim Lesen, weil ich davon gar nichts mitbekommen habe. Heute, bei der zweiten und letzten Berliner Aufführung, werden wir dann doch vielleicht auch mal ein wenig hinsehen können.

Dienstag, 18. Dezember 2007

spielzeit'europa (7): Mail an Boris

Willkommen auf den Blogseiten einer Dolmetscherin. Sie lesen eine Fort­setzungs­ge­schich­te aus dem Theater.

Heute Abend hat das Berliner Gastspiel von Genets "Les paravents" (Die Wände) im europäischen Theaterfestival "spielzeit'europa" Premiere. Für alle, die nicht oder nicht gut genug Französisch sprechen, gibt es eine deutsch eingesprochene Fas­sung, die seit Tagen von Boris (Schauspieler, Sänger und Sprecher) und Caroline (Sprecherin und Dolmetscherin) vorbereitet wird. Doch vor die Premiere hat der Probenplan eine Generalprobe gesetzt. Hier der Hintergrund:

Lieber Boris,

eine Mail zu nächtlicher Stunde, wie Du bin auch ich jetzt geschafft und kann trotz­dem, morgens um eins und damit zwei Stunden nach Probenende, noch nicht schla­fen (muss noch Adrenalin ausschwitzen).

Warst Du enttäuscht, dass alles so gut lief bei "la générale"? Beim Umtrunk auf der Hinterbühne hast Du eben so eine Andeutung gemacht. Ich weiß, eine zu glatte Generalprobe lässt angeblich auf nichts Gutes schließen, aber keine Angst, es hat noch genug gewackelt.

Also: Wo Du das Arsenal Ü-Punkte hernahmst, das plötzlich auf Deinen Us rum­sprang, ist mir schleierhaft; ebensowenig weiß ich, wo mein Schwung herkam, mit dem ich per Ärmel mein Mikro mitten im zweiten Teil einfach ausgemacht habe (wäre Axel nicht im Saal probehören gewesen!) Und meine verpennten Einsätze erst! Ich sah, da war was grün im Arbeitsskript markiert und wusste plötzlich nicht mehr, dass es 'meine' Farbe ist, bist Du mich angestupst hast. Überhaupt haben wir manche Einsätze recht freihändig unter uns geklärt, als wir merkten, dass der andre schwächelt. Das lief ziemlich gut, finde ich.

Mich hat ermüdet: Der Bürostuhl, der sich nicht in der Höhe regulieren lässt, außer­dem quietscht der, wenn ich meine Haltung ändere, und vor allem: 3 3/4 Stunden Sitzen ohne mit den Füßen zu scharren (Die Pause ging ja mit Technikkram drauf). Nee, nach 2,5 Stunden meldete sich mein Kapuzenmuskel in der Schulterpartie (Danke für die Massage).

Was ich grandios fand, waren die völlig ungeübten Sequenzen, die wir gestrichen glaubten und die dann doch wieder drin waren. Gut vom Blatt gesprochen, klasse Aufteilung. Schrecksekunde (beide), dann dolmetsch' ich im Duktus der Über­setzung weiter, Du fuchst die Stelle aus, wir springen gemeinsam zurück ins Ma­nuskript. Wird außer uns niemand gemerkt haben. Oder der Schreck, als die Stimme Ommus plötzlich als Zuspieler vom Band kam und damit nicht auf unserer Bühnen-Tonspur im Kopfhörer war. Die Ruhe, mit der wir den kleinen Not­fall­laut­sprecher leise aufdrehten, auch nicht zu sehr, um keinen Rückkopplung (l'effet Larsen) zu riskieren und trotzdem "kein Sendeloch fahren", weil wir einfach nach Skript wei­ter­spra­chen, weil wir wussten, wo wir sind - groß-ar-tig sag' ich Dir!

Also: Später, am Nachmittag, übt jeder noch ein wenig für sich, dann toi-toi-toi über die Schulter gespuckt (und bedanken verboten)! Und bloß nichts Grünes anziehen! Das bringt im Theater Unglück, angeblich, weil Molière auf der Bühne gestorben ist, mitten im Stück "Der eingebildete Kranke", den er verköpert hat — im grünen Wams. Grün halt, siehe oben ... ("Morgen" oder später, auf jeden Fall nach dem Schlafen — muss ich den Text nochmal ausdrucken, aber ohne Farbe.)

Gruß,
Caroline


___________________________________________
Zeitaufwand am Nachmittag: zwei Stunden Leseprobe
Am Abend: 30 Minuten Technikprobe, dann 3 3/4 Stunden Generalprobe
Zeitaufwand insgesamt: 44 3/4 Stunden

Sonntag, 16. Dezember 2007

spielzeit'europa (6): Wir kommen rein

Vis-à-vis vom Festspielhaus
Jour J moins deux" - 'Tag X minus zwei', so geht Countdown auf Französisch. Falsch, hier hat sich niemand um sechs Tage verrechnet, hier geht es ums Gastspiel von Genets "Les paravents" (Die Wände) im europäischen Theaterfestival "spielzeit'europa".
Seit Tagen üben Boris und Caroline an der deutschen Sprechfassung, die synchron zum Stück über Dolmetschtechnik dem Publikum zu Gehör gebracht wird. Hier der tägliche Bericht:

Spannend, wie Lernen geht. Sich einen Stoff vertraut machen in erster, sehr entspannter und spielerischer Groborientierung, dann Vorwissen aufrufen, an das wir anknüpfen können, dann systematisch von vorne nach hinten. Wiederholungen, Fortschritte und Rückfälle, als wolle "das System" Abstand holen, um besser zum Sprung anzusetzen. Wir üben, möglichst entspannt und beiläufig, dann nochmal konzentriert. Das Gehirn verspürt einen Lustgewinn am Wiedererkennen, am immer besseren Beherrschen, der 'flow' tritt ein. Und plötzlich "sitzt's"!

Wir fangen an, hinter den Worten das Stück zu erkennen. Bei den "Wänden" von Genet geht es um den Algerienkrieg. Das Stück, das damals einen Skandal ausgelöst hat, ist ein Schlachtengemälde, Genet liefert uns Einblicke in die verschiedensten Milieus, bildet Empfindungen und Vorurteile der damaligen Zeit poetisch überhöht ab, und vor allem roh, ausufernd, brutal, fast unaushaltbar gemein, dann wieder zärtlich, verspielt, karikaturhaft - und sehr, sehr lang. Seine Sprache ist direkt, archaisch, hart. Dann stehen da wieder Aphorismen, ungeschützt, mitten in einer Replik: " Wer sich an den Dingen vergreift, vergreift sich an der Sprache." Immer mehr wird mit klar, dass Heiner Müller ihn sehr gut gelesen haben muss. Beispiel: "M’HAMED: Ich hab das Herz rausgerissen… / KADIDJA: Leg’s hin! (Er zeichnet es und geht ab) / KADIDJA: Dieses Herz sieht alt aus! / M’HAME (geht zur Wand und zeichnet Dampfwolken um das Herz herum): Es dampft noch, Kadidja." (Ich denke da an Müllers "Herzstück" von 1981, das er in der Zeit schrieb, in der auch "Quartett" entstand.)

Wir lernen fürs Sprechen, das bedeutet, dass wir sicher am Ende Stellen fast auswendig können, aber immer mit dem Skript arbeiten, das gerade bei etwa 111 Seiten ist, Regisseur Fisbach kürzte die Szenen, wir kürzen etliche Repliken und viele Stellen um Regieanweisungen (der Lesbarkeit wegen).

Gestern kamen wir bis auf die letzten Bilder durch; alles, an dem wir seit Tagen üben, fließt und macht zunehmend Spaß. Schwierig sind die Partien mit vielen Einwürfen, raschen Wechseln und viel dramatischem Personal. Boris schlägt vor, diese Stellen immer von nur einem sprechen zu lassen. Da wir die Rollen aufteilen (96 Figuren!), sind ohnehin die meisten Rollen nicht unseren Stimmen zuzuordnen. Mit diesem dramaturgischen Eingriff wird das Ganze ruhiger, für beide Sprecher - und damit auch für die Hörer.

Und wie gehen wir mit sprachartistischen Momenten um wie dem Monolog des zu Tode Verurteilten, einem wilden Stakkato aus kurzsilbigen Worten? Erstmal die Übersetzung anpassen, denn Genet klingt hier in der Sprache von Hans-Joachim Ruckhäberle und Georg Holzer so, als hätte der Muttermörder viel Zeit und viel Luft zum Atmen. Dann werde ich versuchen, nicht synchron, sondern vermehrt in die Pausen hineinzusprechen und lieber knapper zu sein als das Original und damit Raum zu lassen für den Klang der französischen Stimme. Denn die klingt nach Strafkompanie, nach Gang zum Schafott, wie beinahe schon aus dem Jenseits.

Das (und viele Streichungen) kostet mich den halben Sonntagvormittag.

Ab dem Nachmittag sitzen wir im "Stellwerk", einem Teil der Regieräume des Theaters. Hinter der dicken Glasscheibe, vorne, auf der Bühne, agieren die Gäste aus Paris und Tokio, denn die Marionetten werden von japanischen Puppenspielmeistern geführt, dazu verkörpern drei Schauspieler einige Rollen des als „monströs“, fast unspielbar geltenden Werks. Einer der Schauspieler ist krank, weshalb der Regieassistent mit probiert. Wir sind nicht überrascht, es gibt viele Abbrüche und Neuanfänge; und wie's der Zufall will, sind sie in den Proben genau da, wo wir gestern auch aufgehört haben.
Im Theater bekommt allein durch das andere Umfeld unsere Arbeit neuen Schwung; wir hatten ihn bitter nötig, denn die Sache geht auf Konzentration und Kondition.

___________________________________________
Zeitaufwand per Mittag des 16.12: 31 Stunden.
Am Nachmittag und Abend: 5,5 Stunden Proben im Theater, dann noch zwei Stunden für Kürzen/Anpassen. Zeitaufwand insgesamt: 38,5 Stunden

Samstag, 15. Dezember 2007

spielzeit'europa (5): Stimmenkarussell

Waren Sie schon einmal auf einem europäischen Theaterfestival und sahen ein Stück in einer fremden Sprache? Dann wurde das Stück vermutlich übersetzt, entweder mit Übertiteln oder live eingesprochen. Hier lesen Sie den Bericht vom sechsten Tag, an dem sich zwei Berliner darauf vorbereiten, nächste Woche französischen Schauspielern ihre Stimmen zu leihen. Es geht um "Die Wände" (Les paravents) von Jean Genet.

Gestern der zweite Abend diese Woche ohne theaterbedingtes Freizeitvergnügen: Ich sitze noch zwei Stunden "nach" und übertrage unsere Kürzungen, soweit wir das gestern nicht gleich direkt am Computer gemacht haben. Während ich Streichungen im Text markiere und zwei Punkt kleiner setze (ich hörlese ja auf Französisch mit), plumpst eine Mail in den Briefkasten, die Ankündigung des Theaterstücks, das mit "Simultanübersetzung" angekündigt wird. "Simultan" bezieht sich in unserer Welt des Dolmetschens meist auf wirklich spontan Übertragenes, während der Begriff "Übersetzung" der Welt des Textes angehört, gleich, ob Gebrauchtext oder Literatur. Und selbst wenn es "simultane Übersetzung" strenggenommen nicht gibt, so scheint es hier in der Verkürzung zu passen. Dennoch, ich verwende lieber den Ausdruck "simultanes Einsprechen".

Danach dreht sich das Stimmenkarussell in meinem Kopf. Genet hat fast hundert Figuren in sein Stück eingebaut, etliche kamen am Vorabend zu ihrem Recht und quatschen nun dreist weiter. Erst am Morgen döse ich weg, nach fünf Stunden Schlaf renne ich sofort wieder zur Probe.

Ein Gutes hat die verratzte Nacht: Ab morgen sind Proben angesetzt - nach dem offiziellen Spielende im Theater, von 22-02 Uhr. Mein Tagesrhythmus verschiebt sich. Gerade lebe ich nur fürs Theater, die Intensität kenne ich sonst nur von der Berlinale.

___________________________________________
Zeitaufwand seit dem Eintrag vom 14.12: Zwei Stunden Korrekturen/Kürzungen, 5,5 Stunden Sprechproben, Aufwand insgesamt: 29 Stunden. Am Abend hundemüde, aber zufrieden.

Freitag, 14. Dezember 2007

spielzeit'europa (4): Rückschritte

Künstlereingang des Theaters
Was bisher geschah: Boris und Caroline schwitzen seit Tagen in den Proben zu Jean Genets Theaterstück "Die Wände" (Les paravents). Zieldatum ist Dienstag, an dem das Stück auf Französisch im Berliner Festspielhaus aufgeführt wird. Für alle, die das Stück auf Deutsch hören wollen, bereiten 'unsere Helden' eine deutsche Einsprechfassung vor. Folge drei endete mit: "Wir lachen viel ... " Und hier endet der redaktionelle Vorspann. Weiter mit Caroline:

Unser Lachen bekam heute einen Zug ins Hysterische. Zwei Stunden Durchlauf für weniger als die Hälfte des Stücks, wir machen Fehler, die neu sind; das ging gestern und vorgestern schon besser! Nach einer halben Stunde Mittagspause fangen wir radikal mit Kürzen an. Tenor, so Boris: "Wenn die Zuschauer unsere Stimme in ihren Kopfhörern haben, darf da keinerlei Hektik mit rüberkommen!" Dann nochmal drei Stunden. Ich vergleiche oft mit dem Originaltext, wir metzgern in der Übersetzung. Die heftigen Bilder und die Sprachgewalt lassen mich an Heiner Müller denken, für den ich auch bei Gastspielen übersetzt hab. Schade, dass ich ihn nicht mehr nach seinen Genet-Lektüren fragen kann.

Das Theater ruft an, wir stimmen den Probenplan ab. Die Franzosen haben auch ihr Gewaltprogramm auch, es wurde umbesetzt, "jetzt hängen sie grad an der Stelle, wo immer einer ausspuckt!", sagt Hanka. Wir wissen genau, wo sie sind, da hat's bei uns auch gehakelt.

Und an derselben auffällig ruhigen Stelle wie gestern schauen wir beide wieder dem Bühnengeschehen zu - Korkplantagen gehen in Feuer auf (Kork? ... hm, jedenfalls Plantagen, könnten auch Olivenhaine sein). Variation unserer Frage von gestern ... Boris: "Wir werden das alles NIE zu sehen kriegen!" Ich: "Nur in den Sprechpausen!"

Am Ende haben wir die Hälfte mehrfach geprobt, immer noch Kürzungsbedarf ausgemacht und für den zweiten Teil Rollen verteilt. Das Lachen wird hysterischer, aber wir beide wissen: Wenn wir nicht absolut ruhig und professionell an die Sache rangehen, haben wir schon verloren.

___________________________________________
Zeitaufwand bis heute insgesamt: 21,5 Stunden. Wir stagnieren, fallen zurück, arbeiten uns langsam vorwärts.

Donnerstag, 13. Dezember 2007

spielzeit'europa (3): Sprechmarathon

Wir 'synchronisieren' Genets Theaterstück "Die Wände" (Les paravents), das nächste Woche in Berlin auf Französisch gegeben wird. Boris und ich werden am 18. und 19.12. die deutsche Fassung "einsprechen" - für alle, die kein oder nicht genug Französisch können. Hier das "making of" der deutschen "Tonspur".

Vierter Probentag, zweite Leseprobe zu zweit. Wir richten selbst die Fassung ein, "sprechen" mit den französischen Schauspielern "mit", die von der Scheibe kommen. Zwei von zehn Bildern klappen auf Anhieb, bei allen anderen müssen wir schleifen. Kürzen, den Einsatz der Zeit nochmal in Ruhe ansehen, Pausen einzeichnen. Schnelle Partien erhalten von mir Ausrufezeichen am Rand, Phasen, in denen wir uns - gemach, gemach! - Zeit lassen können, ein anderes Zeichen.

Manches spricht sich schlecht in der Übersetzung. Ich höre die französische Fassung ab (das französische Buch bekomme ich morgen). Und wenn die Übersetzung mehr holpert als das Original, wird geglättet. Auch wenn wir das Gefühl haben, dass einfaches Zuhören auf Deutsch und gefiltert durch die Dolmetschanlage fürs sofortiges Verstehen nicht ausreicht verglichen mit dem kleinen Vorteil, den die Franzosen mit der szenischen Interpretation haben, machen wir's eingängiger. Denn kein Zuschauer kann, anders als wir jetzt, im Theater den Text zurückspulen oder -blättern.

Von der Interpretation der französischen Fassung sprach ich - die französischen Schauspieler und Erzähler machen ihren Job, und im Rahmen einer Inszenierung wurde das wochenlang mit einem Regisseur eingeübt. Wir sind Sprecher, nach relativ wenig Tagen ihren Mann bzw. Frau stehen - und ohne Regisseur proben müssen. Eingesprochene Texte sind "gesprochene Titel", ganz gleich ob Untertitel (Kino) oder Übertitel (Theater). Wir gehen natürlich ein wenig in die Gefühle mit herein, wir wissen, wann wir wen sprechen, aber auf der Skala von eins (Ansage in der U-Bahn) bis zehn (emotionales Schauspiel) liegen wir so etwa auf der 3,5.

Irgendwann tritt in den Proben da auf der DVD eine Sprechpause ein. Die spielen nur, die kleinen Figürchen da im Fernseher, denen wir ab Samstag in den Proben unsere Stimmen leihen werden. Wir schauen zu, sehen geometrische Formen, Licht und bewegte Figuren. Es tut gut, mal nicht reden müssen. "Du", versuche ich etwas Privat-Konversation zwischendurch, "ich glaube, wir werden das Stück dann auch gesehen haben, am Ende." Darauf Boris trocken: "Vielleicht!"

Wir lachen viel ...
___________________________________________
Zeitaufwand gestern: drei Stunden lesen, sehen, hören, mitsprechen, kürzen. Heute: vier Stunden (Bilder 1-3 in der Wiederholung, 4-10 erstmalig, oft mehrfach, am Ende ein Durchlauf von 1-10). Insgesamt: 16,5 Stunden. Wir kommen rein.

Dienstag, 11. Dezember 2007

spielzeit'europa (2): Materialschlacht

Wir "synchronisieren" ein Theaterstück für die Berliner Festspiele. Es ist Genets Stück "Die Wände" (Les paravents), das mit recht wenig Kürzungen nächste Woche in Berlin auf Französisch gegeben wird. Boris, ein Schauspieler und Sprecher, und ich werden am 18. und 19.12. via Dolmetschanlage die deutsche Fassung "einsprechen". Hier das "making of" der deutschen "Tonspur".

Per Fahrradkurier kamen gestern Nachmittag kiloweise Papier, zwei Fassungen des Stücks, das schon einmal für Übertitel gekürzt worden ist, dann die offizielle Übersetzung: 157 Seiten Text für 3 Stunden 45 Minuten Inszenierung, sowie die DVDs der letzten Durchlaufprobe (le filage). Auf den ersten Blick gibt wenig stille Momente in der Inszenierung, 96 Rollen wurden auf zwei Erzähler aufgeteilt, dazu treten Marionetten in Aktion.
Im Ausdruck ist der Text einzeilig gesetzt, dazu kommen viele Regieanweisungen. Wäre es ein Radiotext, so wäre er zweizeilig gesetzt, eine "Normseite" der (deutschen) Medien, 30 Zeilen zu 60 Anschlägen, dauert in normalem Sprechtempo zwei Minuten. Beim Theatertext gilt der Umrechnungskoeffizient nicht, sonst würde das Stück mehr als fünf Stunden dauern, aber die "Daumenregel" (süddeutsch für Faustregel) ist oft wenigstens ein Anhaltspunkt.

Erster Zeitbedarf: 1,5 Stunden Vorbesprechung am Abend, im Anschluss und am nächsten Vormittag insgesamt fünf Stunden das Stück auf der Scheibe sichten, mitlesen, Zählerstände auf dem Ausdruck markieren. Wenn ich mich im Text verliere, komme ich mit der "Suchen"-Funktion des Rechners vorwärts.

Giselind, die für das Theater den Programmzettel schreibt, meldete noch Fragen an: Wo ist die Pause? Stimmen die entworfenen Dreizeiler je Szene? Für mich bedeutete das gestern Abend, keinen Feierabend zu haben. Ich war hochkonzentriert bei der Sache, sah die Stunden nicht verfliegen, war am Ende sehr müde. Schwerer Schlaf mit Träumen, in denen das Theaterstück vorkommt, am Morgen gleich weiter. Nachmittags dann drei Stunden Lese- und Sprechproben, in denen wir drei Bilder schaffen (oder 30 Minuten Spielzeit). Wir machen uns mit den Figuren vertraut, den Tempi, den Pausen; verteilen die Rollen so, dass es inhaltlich und vom zu Sprechenden her Sinn macht.

Heute und morgen, da arbeitet jeder für sich allein, gehören voll und ganz dem Stück, ab Donnerstag werde ich parallel dazu wieder jeden Tag meine 7000 Anschläge an der Studie über das Image des deutschen Kinos in Frankreich übersetzen, über die ich hier schon schrieb. Ich bin gespannt, wie sich das dann zusammenfügen wird.
_________________________________________
Zeitaufwand der Vorbereitung bis heute: 9,5 Stunden. Der Anfang dauert immer überproportional lang, bei allem.

Montag, 10. Dezember 2007

spielzeit'europa (1): Synchronisierung eines Theaterstücks

Der Titel des heutigen Eintrags klingt schräg. Ist er auch, denn Filme werden synchronisiert, aber ein Theaterstück?

Folgende Versuchsanordnung: Ein europäisches Theaterfestival, ein Theaterstück, das im Kleinen groß ist, zwei Sprachen im Raum, von denen die eine die Sprache der Bühne, die andere die des Gastlandes ist. Was tun?

Bei Stücken, in denen die Optik auch wichtig ist, die aber nicht ganz so sehr von der gesprochenen Sprache leben wie es hier der Fall ist, wird übertitelt, also kommen Worteinblendungen zum Einsatz, ähnlich wie Untertitel im Kino, nur eben über der Szene, daher "Übertitel". (Hallo, Yvonne, man kann über alles promovieren, sogar ÜBER ÜBERTITEL! ;-)

Bei Stücken, bei denen es auf Details ankommt wie jetzt bei diesem Genet als Marionettentheaterstück, wird die Übersetzung eingesprochen, zu den Erzählern auf der Bühne und den Schauspielern kommen also wir hinzu, zwei deutsche Sprecher. Und das proben wir jetzt.

Heute war erstmal grobe Orientierung im Stoff und Kennenlernen angesagt. Boris ist ausgebildeter Schauspieler, er spricht auch Filme simultan für die Berlinale ein, wobei er für die Kinderfilmsektion arbeitet, während ich in Wettbewerb und Forum tätig bin. Dann lesen. Das Stück in seiner im Verlag der Autoren vorgelegten Übersetzung "nach der Textfassung letzter Hand" umfasst 157 Seiten.

In acht Tagen schon sitzen wir in der Bütt. Das sieht dann so ähnlich aus wie auf der Berlinale, von der das Foto stammt.

Sonntag, 9. Dezember 2007

Vorgänge beim Dolmetschen

Hallo, ich hei­ße Sie als Le­se­rin/Le­ser auf meinen Blog­seiten willkommen. Hier schrei­be ich über die Ar­beits­welt der Kon­fe­renz­dol­met­scher und Über­setzer.

Beim Dolmetschen gibt es immer eine Verschiebung der jeweiligen Sprachströme gegeneinander. Fachbegriffe, die das beschreiben, sind französisch und englisch: décalage bzw. ear-voice-span, die Spanne zwischen Ohr und Stimme. Denn zu­nächst müssen wir Dolmetscher zuhören, erfassen, wo der Satz überhaupt hin­führt, bevor wir anfangen können zu sprechen. Später kommt der für Au­ßenste­hen­de stets faszinierende Moment, das berühmte gleichzeitige "Sprechen beim Zuhören". Hier ist wichtig, das Gesagte dabei genau so ausdrücken, wie es in der gleichen Situation ein deutscher Redner formuliert hätte ...

Gastredner: I’d like also to to thank the other organisers of
Dolmetscher: (Ich höre zu, wo der Satz hinführt): Ich darf
Gastredner: this founding symposium for having invited me,
Dolmetscher: (hön) den Organisatoren des Gründungssymposiums
Gastredner: (and in particular the commission of the ...)
Dolmetscher: nochmals herzlich danken für diese Einladung

... und parallel hört also der Dolmetscher weiter zu, was es mit der Kommission auf sich hat ... Und nicht selten kommt es vor, dass Dolmetscher das Ende vorweg nehmen, es antizipieren, weil sie sich intensiv vorbereitet haben und wissen was kommt, weil sie in der Sitzung davor schon dabei waren oder einfach, weil das Ende, und dort steht im Deutschen ja immer das Verb, unausweichlich scheint.

Zitiert nach:

Prof. Dr. phil. Sylvia Kalina, "Mehrsprachigkeitszeitalter", Vortrag auf dem Multimediatag der FH Köln (2004)

Samstag, 8. Dezember 2007

Die innere Stimme des Übersetzers

Jedes Kind, das lesen lernt, liest erstmal laut. Auch später ist das Gelesene meist innerlich hörbar. Zeitoptimierer lehren gestresste Manager, dass sie für "speed reading" einfach nur diese 'innere Stimme' abschalten müssen. Beim Übersetzen ist aber der Klang der Worte, die nur ich höre, mein Korrektiv. Der Rest beim Übersetzen ist Handwerk.

Ich arbeite an einem Text über Schwierigkeiten, auf die das deutsche Kino in Frankreich stößt. Pariser Studenten haben Meinungsumfragen gemacht, auf Deutsch wird aus einem der Ergebnisse:

"Offenbar fühlt sich das breite Publikum in Frankreich nicht vom deutschen Kino genug angeregt, um sich einen Film in der Originalfassung und damit in einer Sprache anzusehen, die es "wenig anziehend" qualifiziert."

Da klingt noch stark das Original durch.

"Offenbar fühlt sich das breite Publikum in Frankreich nicht vom deutschen Kino genug angezogen, um sich einen Film in der Originalfassung und damit in einer Sprache anzusehen, die es als "wenig anziehend" qualifiziert."

Genug? Genügt das?

"Offenbar fühlt sich das breite Publikum in Frankreich nicht vom deutschen Kino ausreichend angezogen, um sich einen Film in der Originalfassung und damit in einer Sprache anzusehen, die es als "wenig anziehend" qualifiziert."

"Un Film", ein Film - hier steht im Französischen das verallgemeinernde Singular. Das gibt's auf Deutsch auch, aber der einfache Plural, also "Filme", spart Silben und Leselänge, ist daher freundlicher.
Die Verben: im Französischen steht im ersten Fall "inciter", im zweiten "attrayer", was gleichermaßen "anregend" wie "anziehend" bedeutet, nur in welcher Sprache 'klingt' es auf Deutsch am wenigsten nach einer Übersetzung?

"Offenbar fühlt sich das breite Publikum in Frankreich vom deutschen Kino nicht ausreichend angezogen, um sich Filme in der Originalfassung und damit in einer Sprache anzusehen, die es als "wenig attraktiv" einschätzt."

Offenbar klingt komisch, dabei ist es hier für jedermann ersichtlich. Und dann: kann Kino anziehen, wie es ein Mensch oder ein Magnet tut? Manche sicher, aber die Masse?

"Offensichtlich findet das breite französische Publikum das deutsche Kino nicht attraktiv genug, um sich Filme in der Originalfassung und damit in einer Sprache anzusehen, die es als 'wenig anziehend' einschätzt."

Jetzt klingt's nach einem deutschen Satz und ist nicht zu ausufernd, dazu füge ich noch "kleine Anführungszeichen" innerhalb des Zitats ein und zähle: fünf Durchläufe! Was auch daran liegt, dass ich zu stark in den französischen Sprachmustern im inneren Dialog mit mir selbst stecke.

Das ist beim Dolmetschen anders, da habe ich schneller die deutsche Wendung "bei der Hand".

Vielleicht sollte ich laut lesend übersetzen?

Freitag, 7. Dezember 2007

Was bedeutet Erfolg für Sie?

Es gibt zwei Möglichkeiten, Karriere zu machen: Entweder leistet man wirklich etwas, oder man behauptet, etwas zu leisten. Ich rate zur ersten Methode, da ist die Konkurrenz nicht so groß.“
Diesen zynischen Satz von Oscarpreisträger Danny Kaye zitiert ein Buchautor, der über Karriere schreibt. Das Wort "Karriere" war lange in Deutschland in Misskredit geraten, zumindest unter Geisteswissenschaftlern, Künstlern und Bohémiens bourgeois. Wer nach Abschluss von Studium oder Ausbildung jahrelang rudert im Vertrauen auf die Bierwerbung, nach der sich Qualität von alleine durchsetzt, wird meist eines Besseren belehrt. Vitamin B setzt sich derzeit in Deutschland am besten durch, Vitamin B wie "Beziehung", und es soll schon Chefs von Großunternehmen gegeben haben, die empört waren, als Kritik über ihre Arbeit aufkam - die hatten nämlich das Kontaktepflegen, notabene das Verschicken von Blumensträußen, Grußkarten und Einladungen zu Empfängen, für ihre Hauptarbeit gehalten.

"Networking" ist wichtig, dass mir hier keine Missverständnisse aufkommen. Aber dazu muss ein Fundament da sein, Substanz, sonst läuft es leer. Unlängst war ich auf einem Branchenempfang in Süddeutschland, da hatte ich just diesen Eindruck: Es ging um eine Branche, die im Licht der Scheinwerfer steht, und die meisten konnten meiner zweiten Nachfrage zu einem aktuellen Thema schon nicht mehr standhalten. Bussi!

In Zeiten, in denen überproportional hohe Managergehälter sogar auf die Kritik des ersten Mannes im Staate stoßen (nicht Herrn Merkel meine ich, sondern den Bewohner von Schloss Bellevue), erinnern sich viele dran: ja, da war noch was. Und schauen besser hin.

Schauen wir also alle besser hin und interpretieren wir Karriere und Erfolg als das, was sie sind: Gutes feed back und materielle Kompensation für echte, wertvolle Arbeit - und Anerkennung. Die für mich als Dolmetscherin so klingt: "Wir haben gar nicht mehr gemerkt, dass wir nicht ein- und dieselbe Sprache sprechen!"
Als wäre ich gar nicht dagewesen ...
Erfolg ist etwas Schönes.
Sehr sogar.
Wenn Sie selbst Autor/Autorin eines digitalen Bordbuchs sind, können Sie an einer Blog-Parade zum Thema Karriere teilnehmen, über das Buch dazu erfahren sie hier mehr.

Mittwoch, 5. Dezember 2007

Mitarbeiter gesucht!

GEFUNDEN! Auch Dank dieser Suchanzeige habe ich einen Kollegen gefunden, mit dem ich in zehn Tagen im Theater ein französisches Stück synchronisiere. Die Reportage über unsre Arbeit hier in Kürze.

Eintrag vom 5.12.2008:

Liebe Kollegin,
lieber Kollege,

ich brauche Ihre/Eure Hilfe! Gestern stieg leider aus familiären Gründen ein Kollege aus einem Sprachprojekt aus, dessen Austragungsort das Theater ist. Wie jeden Winter arbeite ich für spielzeit'europa, das europäische Theaterfestival der Berliner Festspiele in der Schaperstraße.

Dieses Jahr brauche ich Hilfe und suche daher einen stressresistenten Kollegen. Es geht um das simultane Einsprechen eines Lehnstuhlstücks. Ich erkläre mich. Der Begriff stammt von Bernard Sobel (bzw. von ihm hörte ich ihn '96 das erste Mal) und beschreibt ein Stück, das so aufwändig an Personal und Kulissen ist, dass man es am besten zu Hause im Lehnstuhl als Lesetext genießt.

Jetzt hat Frédéric Fisbach das Stück "Die Wände" (les paravants) von Jean Genet als Marionettentheater für zwei Sprecher inszeniert - und am 18. und 19. ist es in Berlin.

Es sprechen im Original eine Frau und ein Mann als "Erzähler", daher suche ich jetzt eine gute männliche Stimme (veuillez m'en excuser, Mesdames !), die mit mir parallel zu den französischen Schauspielern das Stück auf Deutsch spricht.

Es dauert in dieser Fassung drei Stunden und 45 Minuten, also gehört auch Ausdauer zum Profil. Und Zeit im Vorfeld für die Proben. Die Originalfassung ist wie gesagt auf Französisch, die deutsche Hörfassung wird über Dolmetschtechnik 'versendet', das Publikum erhält bei Bedarf Kopfhörer. Theateraffinität ist auch wichtig, denn die Sprechhaltung darf weder neutral sein noch dürfen wir schauspielern, darin ist die Aufgabe dem simultanen Dolmetschen von Filmen verwandt.

Bühnendeutsch und sehr gute bis exzellente Französischkenntnisse erwünscht, der Einsätze wegen. Es gibt auch Honorar, aber reich ist in der Kultur bislang kaum einer geworden. Bewerbungen bitte dringend unter Angabe verwandter Erfahrungen an caroline(akringel)adazylla.de

Beste Grüße,
Caroline

Foto: Hervé Bellamy (Berliner Festspiele/spielzeit'europa)

Eins rauf!

Dolmetscher sind höflich, meistens jedenfalls. Wenn sie übersetzen, "transponieren" sie das Gesagte immer eine Höflichkeitsoktave nach oben. Das hat seinen Grund.

Einstmals, als in den Königsschlössern noch residiert wurde und es noch blutige Kriege in Europa gab, war das ein Überlebensinstinkt. Denn im Streitfall zwischen zwei Potentaten gibt es nur zwei Lösungen: Krieg oder - Schuldübertragung.
Von den Königen kann keiner den Streit ausgelöst haben, denn durch ein solches Eingeständnis droht Gesichtsverlust. Also war's der Dritte im Bunde: der Dolmetscher. Er wird schlecht gearbeitet haben.

Damals lebten Sprachmittler ebenso gefährlich wie Überbringer schlechter Botschaften - und die Potentaten waren Potentaten, allmächtig darüberhinaus.

Heute sind die Lösungen zwar nicht ganz so radikal, aber das Ausbleiben von Aufträgen will ja auch niemand riskieren. Also: "Eins rauf!"

So wird Mitte November in der Verdolmetschung beim deutsch-französischen Filmtreffen aus August Diehls auf der Bühne in Versailles en français dans le texte gesprochenem Satz: "Je pense la même chose qu'elle" ein "Ich schließe mich meiner Vorrednerin an" anstatt eines: "Ich denke das gleiche wie sie!"

Die Deutschen werden Diehl (oder der Dolmetscherin) die verbale Steifheit verziehen haben. Die Franzosen waren eh' hin und weg ob der vielen deutschen Schauspieler, die öffentlich Französisch sprechen, angefangen bei Martina Gedeck bis hin zu Sibel Kekilli. Selbst wenige Worte wurden wohlwollend kommentiert. Eins rauf!

(Da verzeihen wir den Franzosen schnell und höflich, dass sie im Portfolio-Film uns' Martina falsch schrieben, nämlich Gedek. Wer will denn so kleinlich sein ...)
Abstand: Platzhalter
Foto: Das deutsch-französische Filmtreffen

Dienstag, 4. Dezember 2007

Berufsverbildung ...

... ist meine Musterübersetzung für "déformation professionnelle". Inzwischen verstehen viele den französischen Begriff, so dass ich meiner "trouvaille" keine große Zukunft prophezeihe.

Es gibt berufstypische "Berufsverbildungen" bei uns Dolmetschern. Etliche mögen keinen Rauch, der Stimme wegen (andere rauchen). Empfindliche Ohren sind auch weit verbreitet. Wer mit den Ohren arbeitet, hört anders, hat gelernt, genau hinzuhören - das kann im Alltag mit seinen vielfältigen akustischen Umweltverschmutzungen problematisch sein. Und wenn ich nicht aufpasse, führt das Mit-den-Ohren-überall-sein rasch zu peinlichen Situationen, wenn bei anderen der Eindruck entsteht, sie seien von dieser zerstreuten Person da (von mir!) belauscht worden. Im Restaurant wende ich zum Beispiel immer Energie auf, um mir mimisch nicht anmerken zu lassen, wenn mich Gesprächsbestandteile des Nebentischs bewegen ...

Abschalten ist manchmal schwierig. Wie letzten Samstag. Wir treffen uns zu Sonneneingang bei Gesa zur Feuerzangenbowle, einer Kollegin vom Hochschuldidaktiklehrgang, denn ich bin einen Tag in der Woche an der Uni. Es ist schön, mal keine Dolmetscher um mich herum, dennoch lauter Leute, die mich gut kennen.
Rechts von mir spricht Gesa mit Ellen über die Kids, links von mir tauschen Lisa und Julia Neuigkeiten über das Institut aus, an dem wir uns kennengelernt haben. Ich höre bei beiden Gesprächen zu, focussiere mal das eine, mal das andere, schalte mich mal hier ein, frage mal dort nach und weiß dabei immer, worum es im jeweils anderen Dialog geht.

Außenstehende mag das irritieren, meine Dozentenkolleginnen kennen das von mir. Sie wissen, dass dieses Verhalten nicht mangelnde Wertschätzung oder permanentes Einmischen bedeutet, sondern Folge einer Prägung ist. So richtig konzentriert und entspannt bin ich dabei leider auch nicht. Und freue mich, als weitere Gäste kommen und dann ein einziges Gespräch geführt wird, das alle betrifft.
Und im Gegensatz zu den Inhalten der kurzen Gespräche links und rechts kann ich mich an das von allen in Ruhe geführte noch heute gut erinnern.

Montag, 3. Dezember 2007

Zweisprachige

Unsere Kunden wissen oft erst nicht, ob ich Deutsche oder Französin bin. Dabei gelte ich nach wissenschaftlicher Definition nicht als zweisprachig, weil ich Französisch später gelernt habe als Deutsch. Aber im Ergebnis bin ich stärker in beiden Kulturen, Literaturen und den Begrifflichkeiten des Landestypischen zu Hause als zum Beispiel mein früherer Ziehsohn, der kleine (inzwischen große) Max. Er kam als Dreijähriger aus Frankreich nach Deutschland, hat je ein Elternteil aus jedem Land und wuchs seitdem hier auf. Französisch ist die Sprache seiner Verwandten und der Ferien - und sein Deutsch klingt nach multiethnischem Schulalltag in Berlin. Max "kann" ebenso Kanak Sprak wie den Slang des Kölner Karnevals. Dem 18jährigen fehlt es alterstypisch an Bildung, an Differenziertheit und an Vielfalt in den gesellschaftlich anerkannten Themen und Sprachfeldern wie Kunst, Politik und Gesellschaft.

Weil sie das Ergebnis nicht berücksichtigt, rückt die Wissenschaft derzeit von der "harten" Definition ab und spricht von "früher" und "später" Zweisprachigkeit. Wie "tief" die bikulturelle Prägung auch gehen mag, ein Aspekt stimmt sicher für alle: Da jede Sprache für ein anderes System steht, die Welt zu interpretieren, ergeben sich durch die Worte auch andere Denkweisen, andere Assoziationen und andere von der jeweiligen kulturellen Erfahrung bestimmte "innere Echos" auf diesen oder jenen Begriff. Kultureller Reichtum ist hier angelegt.

Menschen mit zwei (oder mehr) 'natürlichen' Sprachen faszinieren, sie wirken schillernd. Das geht mir genauso, wenn ich im Bus Diplomatenkinder auf dem Schulweg zwischen zwei Atemzügen von der einen in die andere Sprache 'switchen' höre. Denn mit der Sprache verändern sich auch Gestik, Mimik, Stimmhöhe und Prosodie. Was wir für Charakteranteile der jeweiligen Persönlichkeit halten, ist kulturell gegeben. Wir Zweisprachigen wirken anziehend und befremdlich zugleich, weil sich dem Beobachter (es sei denn, er teilt unsere Kultur) immer etwas entzieht, er uns nicht völlig durchschauen kann. Dabei sind beide Wirkungen authentisch, hinter ihnen steht ein- und dieselbe Person.

Im Alltag scheint das manche Zeitgenossen zu überfordern. Weil zum Teil unbekannte Referenzsysteme unser Verhalten prägen, sind Zweisprachige oft nicht so einfach 'vorhersehbar' wie jemand, der aus dem gleichen Milieu stammt und ähnlichen kulturellen Einflüssen ausgesetzt war. Viele Zeitgenossen suchen Harmonie und möchten ihren Mitmenschen 'völlig' kennen (geht das überhaupt?)
Mich hat einmal ein Mann verlassen mit den Worten "Ich weiß gar nicht, wer Du nun wirklich bist!" Spät erst verstand ich, dass meine Sprachen dabei eine Rolle gespielt haben - ich hatte einige Monate zuvor ein neues Projekt übernommen, für das ich im Büro (und oft am Telefon auch zu Hause) erstmals nur noch 'die andere' sprach. Sein Blick auf mich veränderte sich.

Daniel Cohn-Bendit bei einer Diskussionsveranstaltung
Cohn-Bendit 2012 in Berlin
Dabei ist Erkennenwollen etwas zutiefst Menschliches. Diesen Gedanken hatte ich letzten Samstag bei der Konferenz "Migration in Movies" der European Film Academy. Es ging um Filme über das Thema Migration, um kulturellen Reichtum, um Kino von heute. Anwesend waren unter anderem Marjane Satrapi (Persepolis) und Daniel Cohn-Bendit, der in Paris geboren wurde, dann lange in Frankfurt gelebt hat und heute für Frankreich im Europaparlament sitzt.

Die Debatte fand auf Englisch statt. Cohn-Bendit spricht hervorragend Englisch, und während ich also die Ohren spitze und lausche mit der Frage, ob er denn nun einen deutschen oder einen französischen Akzent hat, schmuggelt sich ein fast französisch betontes "difficulties/-tés" in den Satz rein. Und richtig, alle Worte, die in beiden Sprachen identisch sind - situation, impossible, reality/-té - klingen nach französischem Englisch. Daran habe ich ihn "erkannt" ;-)

Sonntag, 2. Dezember 2007

Terminologin

Manchmal arbeite ich als Terminologin, häufiger für die französische als für die deutsche Sprache. Denn Franzosen tun sich weiterhin schwer, Begriffe wie "digital rollout" so selbstverständlich in ihre Sprache zu übernehmen, wie wir es in Deutschland machen. Einerseits haben Übersetzung und Neuschöpfung von Worten eine demokratische Seite, denn so bleibt die Sprache für alle verständlich. Andererseits drohen viele Franzosen, die keine Fremdsprachen können, weiter ins verbale Abseits zu geraten, wenn, so aktuelle Umfragen, viele internationalen Computerbegriffe in Bekanntheitsgrad und Frequenz hinter den französische Bezeichnungen zurücktreten, wie es vor 20 Jahren "le walkman" passiert ist, den "le baladeur" inzwischen weit hinter sich ließ. (Wobei in Sachen Netz - la toile - die meisten dann doch englisch werden: "le ouèbe".)

Zur Sprachpflege gibt es in Frankreich auf höchster Ebene spezielle Kommissionen. Mancher unserer deutschen Kunden hat den besonderen Stellenwert verstanden, der auf der anderen Rheinseite der Sprache zugemessen wird und beauftragt uns als Terminologen.

"Digital rollout" also. Nachdem jahrzehntelang weltweit alle Filmvorführgeräte auf die Breite von 16 und 35 mm geeicht waren, bricht auch hier die Ära des Digitalen an. Immer mehr Kinos werden mit Vorführgeräten ausgestattet, bei denen keine Filmstreifen, sondern Daten durchlaufen. Praktisch für die Verleiher, die keine schweren Filmbüchsen mehr versenden müssen, sondern nur noch "Schlüssel" zum Decodieren des jeweiligen Werks. Die neuen, teuren Projektoren stellen vor allem kommerzielle Ketten im ganzen Land in ihren Kinos auf - der "rollout". Es geht um Marktanteile und darum, wessen Industrienorm am Ende obsiegen wird, natürlich indirekt auch um Ausschluss der Kleinen von Kassenfüllern. Und so droht auch neuer Provinzialismus: Mit der 35-mm-Kopie unter dem Arm kann man heute weltweit seine Filme vorführen gehen; beim aktuellen Stand der Debatte ist denkbar, dass wir uns morgen an neuen (digitalen) Grenzen stoßen werden.

Technik ist Teil einer handfesten ökonomischen Auseinandersetzung. In Frankreich wird der Wettkampf der Volkswirtschaften durchaus als Krieg betrachtet, da spielt auch Industriespionage eine Rolle, inzwischen gibt es dort sogar eine "Ecole de guerre économique", eine Schule für Wirtschaftskrieg.

In diesem Kontext (und ich las viele Dokumente über den "digital rollout" aus den USA), fiel mir als Übersetzung "déploiement de projecteurs numériques” ein. "Le déploiement" für "rollout": Einrichtung, Aufgebot, Entfaltung. Das klingt technisch genug, hat aber auch was von "Geschütz in Stellung bringen". Mir fallen da die 80er Jahre ein mit ihren Mittelstreckenwaffen, damals sprach man auch von "déploiement", oder die massive Verbreitung von RFID-fähigen Ladenkassen.

Bei der letzten Konferenz zum Thema, die ich "nur" als Zuhörerin besuchte (es ging um Themen meiner Doktorarbeit, da war Notizen und Kontakte machen wichtiger), wurde "digital rollout" mit "Digitalisierung der Projektoren" übersetzt. Nun, manche Begriffe brauchen Zeit, bis sie in den Sprachschatz eingehen, andere schaffen es nie. Meinen Begriff fand ich immerhin in einem Dokument der Wirtschaftshochschule 'Ecole Nationale Supérieure des Mines de Paris' wieder ...

Dolmetscher in der Zeitung

Dieses Mal gibt "Die Welt" einem Dolmetscherkollegen Gelegenheit, aus unserem Berufsalltag zu berichten: Portraitiert wird Wolfgang Schulz, vielgeschätzter Kollege aus Köln und im weiteren Sinne Kollege unseres Netzwerks. Unter der Überschrift "Täglicher Sprung ins kalte Wasser" wird beschrieben, was den Reiz des Dolmetscherberufs ausmacht, der Artikel benennt aber auch klar die belastenden Faktoren. Ein Aspekt ist der Stress, den wir in der Kabine erleben. Nicht zufällig nennen manche Kollegen diese Kabine auch "cockpit" - die im wirklichen High Tech-Umfeld arbeitenden Piloten und Astronauten haben laut WTO zwar noch ein wenig mehr Adrenalin im Blut, aber der Stressfaktor ist vergleichbar.

Trotz der vielen Dynamikwechsel zwischen zurückgezogenem Vorbereiten, beschwingtem Nachbereiten, dem Powernmüssen in der Kabine und der Anspannung bei öffentlichen Einsätzen macht der Beruf vielen Spaß. So stand Wolfgang letztens in der Pflicht, als Robert Redfords neuer Film in Berlin der Öffentlichkeit präsentiert wurde.

Meistens sind Dolmetscher aber unsichtbar, ihr Berufsbild wenig bekannt. So kommt es auch, dass mich über diesen Blog viele Anfragen von Studenten und Schülern erreichen, die mit dem Beruf liebäugeln.

Wir Dolmetscher sind Allrounder, wir brauchen eine 'profunde Halbbildung', müssen uns regelmäßig in neue Gebiete einlesen und uns auch in den jeweiligen Fachgebieten auf dem Laufenden halten. Hinzu kommt ein Elefantengedächtnis für Details, Quellen und Quervereise.

Über Stressresistenz und Wissbegierde hinaus braucht es ein hohes Maß an Gelassenheit, wenn zum Beispiel die Vortragsredner aufgeregt, nicht optimal vorbereitet oder einfach keine starken Rhetoriker sind. "Die wenigsten Fachleute können sich gut ausdrücken", sagt denn auch Wolfgang. Wir Dolmetscher formen manchmal zusammenhängende Sätze aus drei Anfängen und müssen ohnehin das Verb, das im Deutschen ja am Ende steht, vorausahnen, was eine hohe Kunst ist und nicht immer aufgeht, was Wolfgang in seiner humorvoll-trockenen Art als: "Den Wackelpudding an die Wand nageln" beschreibt. (Gruß nach Kölle!)

Weitere Aspekte des Artikels:
- Ausbildungswege
- Einkommenssituation

Samstag, 1. Dezember 2007

Wetter, Tempi, Kontext (oder: Samstagsarbeit!)

Berlin, Anfang Dezember, Straßenraum und Geschäfte sind nikolausrot und weihnachtsbaumgrün dekoriert, vier Uhr nachmittags ist es fast dunkel, Kunstlichtzeit. Im Büro fordert mich ein großer Text täglich neu heraus: Als Dolmetscherin übersetze ich gerade eine Studie aus meinem Spezialgebiet. Ich dolmetsche gerne, weil mir Livesituation und Kommunikation liegen. Übersetzen setzt eine andere Energie voraus - dieses Denken geht langsamer - und mehr Demut und Zurücktreten hinter den fremden Text.

Neben dem Feilen an Wort und Satz schreibe ich hier so regelmäßig wie nie zuvor, auch, um mich immer wieder vom Sprachmuster des Originals zu lösen (meine Sprachwaschmaschine!) Und wer oft auf anderer Leute Sprachspur folgt, kennt das Bedürfnis, was Eigenes zu erzählen.

Mitunter maile ich auch mit Kollegen, zu denen sich durch dieses 'Bordbuch aus der Dolmetscherkabine' Kontakte ergeben haben. Einer davon ist Tom Kraft aus München, Dolmetscher für Russisch und Philologe, der heute an der Uni unterrichtet. Er schrieb mir, dass er vor jedem Simultandolmetscheinsatz eine Woche brauche, um sein Gehirn zur Arbeit zu überreden.
Ich hatte Tom erst falsch verstanden. Die Dolmetscherei ist ja eine anormale Sache und die Menge der ausgeschütteten Stresshormone auch nicht ohne, also weiß ich, dass es manchmal aufwändig ist, sich zuzureden, dass alles in Ordnung geht mit der Adrenalindusche.
Tom schrieb, dass der Stress weniger das Problem sei, vielmehr das: "Normalerweise rede ich nicht, wenn ich zuhöre und verstumme oder frage nach, wenn ich etwas nicht verstehe. Beides muss ich vor Simultaneinsätzen umkonditionieren, und muss eben reden, während der andere spricht, und weiterreden, wenn ich ins Schleudern komme."

Sprache ist das, was uns von anderen Lebewesen unterscheidet. Sprache lernen wir als Babies, das Sprechvermögen sitzt tief. Also ist nur logisch, dass Dolmetschen vom eingeübten Verhalten abweicht, ja sogar dem zuwiderläuft, was wir jahrzehntelang trainiert haben. (Hm, lieber Tom, da fällt mir gerade ein, dass ich schon in der Schule gerne Nebenbeikommunikation betrieben habe und trotzdem meist wusste, was 'da vorne' los war ;-)

Tom weiter: "Außerdem (muss ich) schnelleren Text zu verdolmetschen suchen, als der eigene Takt wäre." Sind denn die Russen auch solche Schnellsprecher? Die lieben französischsprachigen Menschen stehen ja in diesem Ruf, leider regelmäßig durch Erfahrungen bestätigt. Das fordert Wachheit und Kondition heraus - und führt zu einer Anstrengung, die möglicherweise erst der nächste Redner mildert, denn, so Tom, "danach sind alle, die langsamer reden, kein Problem mehr, außer sie erzählen Sachen, die ich einfach gar nicht in meinem Wortschatz habe."

Heute interessiert sich der Münchener auch für Informatik und die Möglichkeiten automatischer Übersetzung. Ja, Rechner können bei vielen Wortschatzfragen mit Eindeutigkeit weiterhelfen, ansonsten ist Sprache per se mehrdeutig, und bis es den "Translator" gibt, ein würfelzuckergroßes Maschinchen, das sich letztens Sebastian nach einem Dolmetscheinsatz als unsere Konkurrenz in zehn Jahren ausmalte, wird noch viel mehr Zeit vergehen.

Würde ein Dolmetscher - oder eine Maschine - von einem mündlichen Gespräch nur die in der Ausgangsprache verwendeten Worte in die Zielsprache übertragen, wäre das Gesagte ins Unverständliche verfremdet. Denn wir übersetzen nicht den authentischen Wortlaut, sondern die Intentionen des anderen, den kulturellen Kontext und das, was mitschwingt bzw. was im jeweiligen Alltag nicht mehr gesagt werden muss, weil es selbstverständlich ist. Auch hier: der Kontext entscheidet. Das Wort "le régulateur" heißt bei der Schlossbesichtigung in Versailles "die Standuhr", hundert Meter weiter, im Centre de Congrès de Versailles, in einer medienrechtlichen Debatte, bedeutet es aber "die Regulierungsbehörde".

Und wir übertragen Bilder und Sichtweisen, von denen sich zu lösen für uns Sprachmittler nicht immer leicht ist. Ein Beispiel: wenn die Franzosen sagen, "mettre les pieds dans l'autre pays", klingt als (erweiterte) Übertragung "das andere Land mit eigenen Füßen betreten" erstmal verständlich. Erst beim Hin- und Herfriemeln fällt mir auf, was hier nicht stimmt. Hat schon mal jemand ein Land mit "fremden Füßen" betreten? Das Wort, das ich spontan eingeflochten hatte, ist Bestandteil einer stehenden Redewendung, und so komme ich auf: "das andere Land mit eigenen Augen sehen". Ein anderes Bild, das immerhin noch etwas von der Körperlichkeit der französischen Redewendung bewahrt.

So feile ich weiter, übe mich in Geduld. Der Rest ist Stimmungsdoping in weiß-grün-orange: der Schein der Tageslichtlampe, der unfermentierte Tee und die Duftlampe mit dem Apfelsinenaroma. Dezemberanfang in Berlin.

Donnerstag, 29. November 2007

Verfassung wird auserarbeitet

Es soll Firmen geben, da übersetzt die Praktikantin. Hier das Beispiel eines Angebots vom 21.11.2007 aus Frankreich:

"Sehr geehrte Damen und Herren,

Wir freuen uns Ihnen mitteilen zu können, daß wir die Rechte einer neuen Verfassung des littärarischen Werkes "HIER STAND MAL DER TITEL" erworben haben. Das Szenario wird gerade auserarbeitet. Der Esprit der Verfassung wird ausgesprochen modern und wird viel mehr im Kern dem dramatischen Sinn der ursprünglichen Ausgabe entsprechen. Der rhetorische Styl wird an den Film « HIER TITEL ZWO IN FRANZÖSISCHEN KLAMMERN « erinnern.

Die Bücher wurden erstmalig in Deutschland veröffentlicht. Die erstmalige filmische Übersetzung dieses Stoffes hatte schon damals in Deutschland ein gutes Echo empfangen.

Wir bleiben Ihnen zur Verfügung, gesetzt den Fall Ihres Interesse an einem solchen Projekt.

Mit freundlichem Gruß (...) "

Derlei findet sich leider auch bei staatlich subventionierten Kultureinrichtungen statt, nur gibt es da noch ein Korrektorat, und wenn's die wenigen Honorarkräfte sind, die dafür ihre Freizeit opfern ...

Wie aber gehe ich mit solchen Mails um? Löschtaste! Zuvor schicke ich eine Korrektur an den Absender, die Änderungen in blauen Buchstaben, nicht in roten, den schulmeisterlich wirkt das Ganze von alleine. Und empfehle uns kommentarlos, denn die Kollegen übersetzen und lektorieren.

Oder?

Mittwoch, 28. November 2007

Baden gehen

"Subpatellare Bogenvenen" erwähnte ich unlängst. Letztens wollte ich mit einer Freundin ins Schwimmbad gehen. Sie hatte zur Neueröffnung eines großen Hotels Einladungen für den health spa erhalten. Es war Freitagnachmittag, wir durchquerten nichtsahnend die Lobby. Zwei auf Freizeit eingestellte Frauenzimmer bleiben nicht unbemerkt.

Leider wurden wir auch von "der Falschen" gesichtet. Einer Dolmetscherkollegin, die verantwortlich für ein Team war ... und diesem Team fehlten auf einen Schlag beide Französischkolleginnen, die unfallbedingt im Stau steckengeblieben waren. Und flugs saß ich in der Kabine im angrenzenden Tagungsbereich, denn der Kongress wollte nicht warten. So kam ich auf diese Bogenvenen, die nach Kniescheiben-Reflex klangen. Hier musste ich passen; da aber sinnigerweise der deutsche Redner eine PPT mit englischen Begriffen an die Wand warf, musste ich nur den Fachterminus entziffern und sprechen - die Mediküsse werden ja wohl ihre eigenen Begriffe in einer Fremdsprache wiedererkennen. Beim Rest kam ich manchmal ganz schön ins Rudern, schien aber nicht wirklich baden zu gehen, was allerdings nichts als großer Zufall war. Ich beschäftige mich gerne gelegentlich mit Neurologie und Hirnforschung, da, wo es um Sprachenlernen geht, aber wie ging es vom Kopf zum Knie? Fragen Sie mich bitte keine Details, ich hab mir nichts gemerkt.
Was typisch ist für den Job. Den Wasserdurchlauferhitzer verändert das Wasser ja auch nicht, das durch ihn hindurchrauscht.

Nach zehn ewig langen Minuten sind die die Kolleginnen dann eingetroffen. Der echte Schreck kam erst jetzt: Als ich in die Tasche sah, entdeckte ich dort statt eines Wörterbuchs ... meine Badelatschen!
Auch das ist typisch: das Kurzzeitgedächtnis für die eigene Vita tritt zurück.

Warum ich das hier schreibe? Sicher wegen der Auswirkungen auf das eigene Hirn, aber auch, um zu verdeutlichen, warum unsere Arbeit eben viel Zeit am Schreibtisch erforderlich macht, bis wir uns eingearbeitet haben. Fachkongresse improvisiert man nicht. Und Zeit kostet Geld, unsere Kunden gewähren uns beides.

P.S: Wie der Tag zuende ging, wurde ich gefragt. Nun, nachdem ich so nah dran gewesen war am 'Badengehen' haben wir den Spa ein andermal aufgesucht.

Dienstag, 27. November 2007

Nach vorne denken, nach hinten hören

Was macht gute Simultandolmetscher aus? Dass sie Texte zusammenfassen können, schnell sind - und dass sie weiterdenken. Gerade las ich folgende Buchstelle:

"Insbesondere wird die Fähigkeit des Dolmetschers zur 'Antizipation noch nicht gehörter Elemente [des Ausgangstextes] aufgrund von sprachlich, kontextuell und situativ gesteuerten Erwartungen' (Snell-Hornby et al. 1998: 301) als wesentlicher Aspekt für erfolgreiches simultanes Dolmetschen angesehen." (*)

Das ist aus dem Deutschen manchmal sehr schwierig, weil da ja bekanntlich das Verb am Ende kommt und sich manches Mal die den ganzen Satz bestimmende Aussage nicht vorwegnehmen lässt. Andersherum ist es mir auch schon passiert, dass der Sprecher und ich ein eingespieltes Team waren und ich derart gut sein Satzende antizipiert habe, dass ich mit dem Sprechen fertig war, als er noch gesprochen hat. Er beendete dann seinen Satz, und ich hatte die Wahl zwischen einer leicht variierenden Wiederholung des Gesagten und - Schweigen. Derlei wirkt komisch auf das Publikum, fast so, als hätte der Redner meine Worte in die andre Sprache übertragen und nicht ich die seinen (... weshalb Sie das nur im kleinen Kreise erleben werden).

"Außerdem ist ein strategisches Vorgehen (...) wichtig, um etwa unter Zeitdruck nicht unkontrolliert wichtige Elemente im Zieltext auszulassen, sondern stattdessen eine sinnvolle Komprimierung des Ausgangstext-Inhalts im Zieltext zu erreichen."

Hier liegt die Krux. Wir Dolmetscher müssen nicht nur ständig das treffende Wort vorausahnen, sondern oft genug auch Nebeninformationen ausblenden, damit wir es in der vom Sprecher vorgegebenen Zeit schaffen.

Nach vorne zu denken und sich "nach hinten" selbst zuzuhören, dabei die Gesamtheit des Textes im Auge zu behalten - darum geht es! Die jeweiligen Sprachen zu beherrschen ist da eine kleine "Nebensache".

________
(*) Braun, Sabine: Kommunikation unter widrigen Umständen? Fallstudien zu einsprachigen und gedolmetschten Videokonferenzen. Tübingen: Narr 2004. (Tübinger Beiträge zur Linguistik)

Montag, 26. November 2007

Zwischen Triumph und Exil

Wie fühlt es sich für einen Filmemacher an, wenn der eigene Film eingesprochen wird? Danke an Barbara Marx, die mir letzte Woche beim deutsch-französischen Branchentreffen in Versailles das Folgende erzählt hat:

"Wir waren mit einem Film zum Festival von Sankt Petersburg eingeladen und der Film hatte keine russischen Untertitel. Er wurde dann von zwei Frauen simultan eingesprochen. Die waren aber immer so schnell mit ihren Übersetzungen, das können gar nicht die Originaldialoge gewesen sein, denn der Film ist ziemlich kompliziert. Ich glaube, die haben einfach was ganz anderes erzählt.
Das Publikum ging begeistert mit bei der Vorführung und die Begeisterung hielt auch an, als der Abspann lief, die Leute haben frenetisch geklatscht. Ich fürchte, das Publikum in Sankt Petersburg hat einen anderen Film gesehen, denn unser Film kam nie wieder so gut an, nirgendwo."

Fosco Dubini, der heute in Deutschland als Dokumentarist lebt und arbeitet, hat als junger Mann das genaue Gegenteil erlebt:

"Italienisch ist meine Muttersprache, und als mein erster Film auf ein Festival ging, wollte ich ihn selbst einsprechen. Darauf ging aber die Festivalleitung nicht ein, man habe dafür Profis, hieß es. Und dieser Profi hat dann aus Versehen eine Manuskriptseite überschlagen, zu weit geblättert, und seelenruhig weiter gedolmetscht, obwohl die Dialoge gar nicht zur Sequenz gepasst haben. Ich bin daraufhin wie ein angespitzter Pfeil in die Kabine gerast und habe ihm die richtige Stelle gezeigt. Er hat dann die Szene einfach nochmal mit anderen Worten gesprochen. Nach der Vorführung wurde mein Film gelobt, der Anfang sei gut, das Ende sei gut, nur in der Mitte, da sei es alles so komisch gewesen, einerseits Wiederholungen, anderseits so, als hätte sich da was verschoben.
Das Ganze ist in der Schweiz passiert, ich musste daraufhin das Land verlassen, und daran hat nur dieser Dolmetscher Schuld! Schreib' das ruhig auf, als Mahnung für deine Kollegen, damit sie erfahren, welche Verantwortung sie haben ..."

Samstag, 24. November 2007

Fehlerkultur

Ja klar, auch mir unterlaufen Fehler, gesprochene wie geschriebene. Schlimm sind sie, wenn sie in Dokumenten vorkommen (ich bekam mal ein Zeugnis für eine berufliche Fortbildung, das war geradezu "gespickt" mit Fehlern.) Da heißt es höllisch aufpassen und immer wieder aufs Neue Korrektur lesen. Andre Dokumente mit Fehlern sind charmant und birgen Überraschungen. (Wer hätte nicht gern eine blaue Mauritius?)

Sehr ärgerlich sind Fehler dann, wenn sie sich in der gesprochenen Übertragung nicht richtigstellen lassen, weil es in der Situation an Quellen oder hilfswilligen Fachleuten fehlt - oder die Dolmetscherin vielleicht sogar unvorbereitet einspringen musste (oder wissen Sie ad hoc, wie ... sagen wir mal ... subpatellare Bogenvenen auf Englisch heißen?)

Fehler in Zeitungen und auf Webseiten sind ärgerlich. Leider hat häufig meine Korrektorin Ausgang, wenn ich auf dieser halbprivaten Seite hier etwas veröffentliche (so, wie meine Oma oft im Scherze sagte, wenn sie viele Gäste hatte: '... zu dumm, dass ausgerechnet immer dann das Mädchen Ausgang hat!') Zeitungen sollten da anders verfahren (... leider hat auch da oft der Korrektor Ausgang.)

Das Buchstabenunterkringel der neuen Technik ist jedenfalls oft gar keine Hilfe, hier wird nur Schlichtdeutsch berücksichtigt. Weiteres Erschwernis über die Irritationen hinaus, die die "Rechtschreibhilfe" auslöst:
Das Löwchen auf der französischen Tastatur, in die ich gerade was Deutsches kloppe - der dicke faule Kater heißt in der Tat "Leo", wie das Wörterbuch. Noch ein Erschwernis: die eigenen hohen Ansprüche. Wie bitte? Richtig gelesen, zu hohe Ansprüche wirken bremsend, das kenne ich sehr gut als Problem: Also übe ich mich in Gelassenheit, denn nicht einmal derjenige, der nichts macht, macht keine Fehler.

Indes ist die Auswahl an potentiellen Fehlern so groß, dass ich jetzt wenigstens versuche, keine zu wiederholen. Denn so darf ich mit Thomas Alva Edison schließen: "Das ist das Schöne an einem Fehler - man muss ihn nicht zweimal machen."

Donnerstag, 22. November 2007

Filme dolmetschen

Internationale Filmfestivals präsentieren Filme aus aller Herren Länder. Damit das geneigte Publikum sie auch versteht, gibt es uns: Dolmetscher.

Wir sprechen die Filme simultan ein, das ist "vorbereitetes Dolmetschen". Über eine Dolmetschanlage, Infrarotsender und -empfänger gelangt der Ton dann in Ihren Kopf.

Auch ich bin eine der Stimmen in Ihrem Knopf im Ohr. Einen oder zwei Tage vorher erhalte ich eine Dialogliste oder den Ausdruck der Untertitel. Die Dialogliste gibt Zeile für Zeile alle Dialoge des Films wieder, und Untertitel sind die Reduktion dieser Worte auf lesbare Zweizeiler. Leider kann ich bei keiner der beiden Textformen erkennen, wer jeweils spricht, bin also auf Hintergrundinformation über den Film angewiesen. Meine Erfahrung hilft mir auch hier weiter.

Wenn alles prima läuft, bekomme ich im Vorfeld auch den Film in Kopie oder werde zur Pressevorführung eingeladen. Doch in Zeiten der Filmpiraterie wird das immer schwieriger, und selbst uns erfahrenen Filmdolmetschern mit Kontakten zur Filmwirtschaft gelingt es aufgrund von Knebelverträgen nicht immer, den Film im Vorfeld zu sehen. (Wir erleben heute leider eine Stimmung allgemeinen Misstrauens, wo Teilnehmern von Pressevorführungen die Taschen durchwühlt und die Mobiltelefone konfisziert werden, man könnte ja sonst vielleicht unerlaubterweise einen Ausschnitt mitfilmen ...)

So dass ich oft schon glücklich bin, wenn ich beide Textlisten, die mit den Gesamtdialogen und die mit den Untertiteln, in Händen halten darf. Das Gute an der Dialogliste ist: sie ist meistens in der Originalsprache, denn jede Übersetzung ist Interpretation. Das Gute an der Untertitelliste: Hier hat schon mal jemand den Film gesehen, das für ihn oder für sie Wichtigste destilliert. Und es stehen die Längen der jeweiligen Passagen dabei, die sogenannten 'Zählerstände", an denen ich ablese, welche Szenen sehr schnell gespielt sind und wann ich mir Zeit lassen kann.

Dann bereite ich alles vor, schlage Vokabeln nach, markiere, wo es mit der Luft eng werden wird (ich also mehr kürzen muss), kritzle Fragezeichen an den Rand, wo ich nicht verstehe, was gemeint ist, das erhöht später in der schallisolierten Dolmetscherkabine die Aufmerksamkeit.

Dort angekommen, schicke ich eine kurze Bitte an Hermes oder Hermine, die Götterboten und Schutzheiligen der fliegenden Händler, Diebe und Grenzgänger. Deren Hilfe brauche ich, weil es zum Beispiel auf der Berlinale für mich meist dreisprachig zugeht: Wenn der Film auf Deutsch ist, dolmetsche ich die englischen Untertitel möglichst schnell ins Französische, damit die Zuschauer nicht irritiert sind wegen zu großer Verschiebung von Bild und Ton.

______________________________
Fotos: C.E., die Bilder sind von 2007, stammen
aus dem Berlinale-Festivalpalast. Ausschnitt der
UT-Liste zu "Ballast" von Lance Hammer, 2008.
Wie es mir danach geht, steht hier.