Willkommen auf den Blogseiten einer Dolmetscherin. Sie lesen eine Fortsetzungsgeschichte aus dem Theater.
Heute Abend hat das Berliner Gastspiel von Genets "Les paravents" (Die Wände) im europäischen Theaterfestival "spielzeit'europa" Premiere. Für alle, die nicht oder nicht gut genug Französisch sprechen, gibt es eine deutsch eingesprochene Fassung, die seit Tagen von Boris (Schauspieler, Sänger und Sprecher) und Caroline (Sprecherin und Dolmetscherin) vorbereitet wird. Doch vor die Premiere hat der Probenplan eine Generalprobe gesetzt. Hier der Hintergrund:
Lieber Boris,
eine Mail zu nächtlicher Stunde, wie Du bin auch ich jetzt geschafft und kann trotzdem, morgens um eins und damit zwei Stunden nach Probenende, noch nicht schlafen (muss noch Adrenalin ausschwitzen).
Warst Du enttäuscht, dass alles so gut lief bei "la générale"? Beim Umtrunk auf der Hinterbühne hast Du eben so eine Andeutung gemacht. Ich weiß, eine zu glatte Generalprobe lässt angeblich auf nichts Gutes schließen, aber keine Angst, es hat noch genug gewackelt.
Also: Wo Du das Arsenal Ü-Punkte hernahmst, das plötzlich auf Deinen Us rumsprang, ist mir schleierhaft; ebensowenig weiß ich, wo mein Schwung herkam, mit dem ich per Ärmel mein Mikro mitten im zweiten Teil einfach ausgemacht habe (wäre Axel nicht im Saal probehören gewesen!) Und meine verpennten Einsätze erst! Ich sah, da war was grün im Arbeitsskript markiert und wusste plötzlich nicht mehr, dass es 'meine' Farbe ist, bist Du mich angestupst hast. Überhaupt haben wir manche Einsätze recht freihändig unter uns geklärt, als wir merkten, dass der andre schwächelt. Das lief ziemlich gut, finde ich.
Mich hat ermüdet: Der Bürostuhl, der sich nicht in der Höhe regulieren lässt, außerdem quietscht der, wenn ich meine Haltung ändere, und vor allem: 3 3/4 Stunden Sitzen ohne mit den Füßen zu scharren (Die Pause ging ja mit Technikkram drauf). Nee, nach 2,5 Stunden meldete sich mein Kapuzenmuskel in der Schulterpartie (Danke für die Massage).
Was ich grandios fand, waren die völlig ungeübten Sequenzen, die wir gestrichen glaubten und die dann doch wieder drin waren. Gut vom Blatt gesprochen, klasse Aufteilung. Schrecksekunde (beide), dann dolmetsch' ich im Duktus der Übersetzung weiter, Du fuchst die Stelle aus, wir springen gemeinsam zurück ins Manuskript. Wird außer uns niemand gemerkt haben. Oder der Schreck, als die Stimme Ommus plötzlich als Zuspieler vom Band kam und damit nicht auf unserer Bühnen-Tonspur im Kopfhörer war. Die Ruhe, mit der wir den kleinen Notfalllautsprecher leise aufdrehten, auch nicht zu sehr, um keinen Rückkopplung (l'effet Larsen) zu riskieren und trotzdem "kein Sendeloch fahren", weil wir einfach nach Skript weitersprachen, weil wir wussten, wo wir sind - groß-ar-tig sag' ich Dir!
Also: Später, am Nachmittag, übt jeder noch ein wenig für sich, dann toi-toi-toi über die Schulter gespuckt (und bedanken verboten)! Und bloß nichts Grünes anziehen! Das bringt im Theater Unglück, angeblich, weil Molière auf der Bühne gestorben ist, mitten im Stück "Der eingebildete Kranke", den er verköpert hat — im grünen Wams. Grün halt, siehe oben ... ("Morgen" oder später, auf jeden Fall nach dem Schlafen — muss ich den Text nochmal ausdrucken, aber ohne Farbe.)
Gruß,
Caroline
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Zeitaufwand am Nachmittag: zwei Stunden Leseprobe
Am Abend: 30 Minuten Technikprobe, dann 3 3/4 Stunden Generalprobe
Zeitaufwand insgesamt: 44 3/4 Stunden
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