Dienstag, 27. November 2007

Nach vorne denken, nach hinten hören

Was macht gute Simultandolmetscher aus? Dass sie Texte zusammenfassen können, schnell sind - und dass sie weiterdenken. Gerade las ich folgende Buchstelle:

"Insbesondere wird die Fähigkeit des Dolmetschers zur 'Antizipation noch nicht gehörter Elemente [des Ausgangstextes] aufgrund von sprachlich, kontextuell und situativ gesteuerten Erwartungen' (Snell-Hornby et al. 1998: 301) als wesentlicher Aspekt für erfolgreiches simultanes Dolmetschen angesehen." (*)

Das ist aus dem Deutschen manchmal sehr schwierig, weil da ja bekanntlich das Verb am Ende kommt und sich manches Mal die den ganzen Satz bestimmende Aussage nicht vorwegnehmen lässt. Andersherum ist es mir auch schon passiert, dass der Sprecher und ich ein eingespieltes Team waren und ich derart gut sein Satzende antizipiert habe, dass ich mit dem Sprechen fertig war, als er noch gesprochen hat. Er beendete dann seinen Satz, und ich hatte die Wahl zwischen einer leicht variierenden Wiederholung des Gesagten und - Schweigen. Derlei wirkt komisch auf das Publikum, fast so, als hätte der Redner meine Worte in die andre Sprache übertragen und nicht ich die seinen (... weshalb Sie das nur im kleinen Kreise erleben werden).

"Außerdem ist ein strategisches Vorgehen (...) wichtig, um etwa unter Zeitdruck nicht unkontrolliert wichtige Elemente im Zieltext auszulassen, sondern stattdessen eine sinnvolle Komprimierung des Ausgangstext-Inhalts im Zieltext zu erreichen."

Hier liegt die Krux. Wir Dolmetscher müssen nicht nur ständig das treffende Wort vorausahnen, sondern oft genug auch Nebeninformationen ausblenden, damit wir es in der vom Sprecher vorgegebenen Zeit schaffen.

Nach vorne zu denken und sich "nach hinten" selbst zuzuhören, dabei die Gesamtheit des Textes im Auge zu behalten - darum geht es! Die jeweiligen Sprachen zu beherrschen ist da eine kleine "Nebensache".

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(*) Braun, Sabine: Kommunikation unter widrigen Umständen? Fallstudien zu einsprachigen und gedolmetschten Videokonferenzen. Tübingen: Narr 2004. (Tübinger Beiträge zur Linguistik)

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