Montag, 3. Dezember 2007

Zweisprachige

Unsere Kunden wissen oft erst nicht, ob ich Deutsche oder Französin bin. Dabei gelte ich nach wissenschaftlicher Definition nicht als zweisprachig, weil ich Französisch später gelernt habe als Deutsch. Aber im Ergebnis bin ich stärker in beiden Kulturen, Literaturen und den Begrifflichkeiten des Landestypischen zu Hause als zum Beispiel mein früherer Ziehsohn, der kleine (inzwischen große) Max. Er kam als Dreijähriger aus Frankreich nach Deutschland, hat je ein Elternteil aus jedem Land und wuchs seitdem hier auf. Französisch ist die Sprache seiner Verwandten und der Ferien - und sein Deutsch klingt nach multiethnischem Schulalltag in Berlin. Max "kann" ebenso Kanak Sprak wie den Slang des Kölner Karnevals. Dem 18jährigen fehlt es alterstypisch an Bildung, an Differenziertheit und an Vielfalt in den gesellschaftlich anerkannten Themen und Sprachfeldern wie Kunst, Politik und Gesellschaft.

Weil sie das Ergebnis nicht berücksichtigt, rückt die Wissenschaft derzeit von der "harten" Definition ab und spricht von "früher" und "später" Zweisprachigkeit. Wie "tief" die bikulturelle Prägung auch gehen mag, ein Aspekt stimmt sicher für alle: Da jede Sprache für ein anderes System steht, die Welt zu interpretieren, ergeben sich durch die Worte auch andere Denkweisen, andere Assoziationen und andere von der jeweiligen kulturellen Erfahrung bestimmte "innere Echos" auf diesen oder jenen Begriff. Kultureller Reichtum ist hier angelegt.

Menschen mit zwei (oder mehr) 'natürlichen' Sprachen faszinieren, sie wirken schillernd. Das geht mir genauso, wenn ich im Bus Diplomatenkinder auf dem Schulweg zwischen zwei Atemzügen von der einen in die andere Sprache 'switchen' höre. Denn mit der Sprache verändern sich auch Gestik, Mimik, Stimmhöhe und Prosodie. Was wir für Charakteranteile der jeweiligen Persönlichkeit halten, ist kulturell gegeben. Wir Zweisprachigen wirken anziehend und befremdlich zugleich, weil sich dem Beobachter (es sei denn, er teilt unsere Kultur) immer etwas entzieht, er uns nicht völlig durchschauen kann. Dabei sind beide Wirkungen authentisch, hinter ihnen steht ein- und dieselbe Person.

Im Alltag scheint das manche Zeitgenossen zu überfordern. Weil zum Teil unbekannte Referenzsysteme unser Verhalten prägen, sind Zweisprachige oft nicht so einfach 'vorhersehbar' wie jemand, der aus dem gleichen Milieu stammt und ähnlichen kulturellen Einflüssen ausgesetzt war. Viele Zeitgenossen suchen Harmonie und möchten ihren Mitmenschen 'völlig' kennen (geht das überhaupt?)
Mich hat einmal ein Mann verlassen mit den Worten "Ich weiß gar nicht, wer Du nun wirklich bist!" Spät erst verstand ich, dass meine Sprachen dabei eine Rolle gespielt haben - ich hatte einige Monate zuvor ein neues Projekt übernommen, für das ich im Büro (und oft am Telefon auch zu Hause) erstmals nur noch 'die andere' sprach. Sein Blick auf mich veränderte sich.

Daniel Cohn-Bendit bei einer Diskussionsveranstaltung
Cohn-Bendit 2012 in Berlin
Dabei ist Erkennenwollen etwas zutiefst Menschliches. Diesen Gedanken hatte ich letzten Samstag bei der Konferenz "Migration in Movies" der European Film Academy. Es ging um Filme über das Thema Migration, um kulturellen Reichtum, um Kino von heute. Anwesend waren unter anderem Marjane Satrapi (Persepolis) und Daniel Cohn-Bendit, der in Paris geboren wurde, dann lange in Frankfurt gelebt hat und heute für Frankreich im Europaparlament sitzt.

Die Debatte fand auf Englisch statt. Cohn-Bendit spricht hervorragend Englisch, und während ich also die Ohren spitze und lausche mit der Frage, ob er denn nun einen deutschen oder einen französischen Akzent hat, schmuggelt sich ein fast französisch betontes "difficulties/-tés" in den Satz rein. Und richtig, alle Worte, die in beiden Sprachen identisch sind - situation, impossible, reality/-té - klingen nach französischem Englisch. Daran habe ich ihn "erkannt" ;-)

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