Freitag, 21. Dezember 2007

spielzeit'europa (9): Was wir machen

Neun Tage lang hatten Boris und Caroline mit der Vorbereitung und dem Gastspiel von Frédéric Fisbachs Fassung von Genets "Les paravents" (Die Wände) zu tun. Die beiden Sprecher haben das Theaterstück synchronisiert, also das französische Bühnengeschehen ins Deutsche übertragen. Hier der Versuch einer (unvollständigen) Zusammenfassung.

Das Publikum, das sich vor Beginn der Aufführung im Foyer die Empfangsgeräte besorgt hat, konnte das, was es erwartet, ebenso wenig benennen wie die Schauspieler: "Ich hol' mir ein Übersetzungsgerät" sagten die einen und die anderen fragten überrascht: "Wie, der deutsche Ton kommt nicht vom Band?"

Das "Gerät" "übersetzt" nicht automatisch, ebensowenig kommt beim Live-Geschehen auf der Bühne, das jedes Mal anders ist, eine simple Tonspur mit: Hinter der Lichttechnik, in einem Raum hinter dicker Glasscheibe, saßen Boris und ich drei Abende lang, und sprachen simultan zu Generalprobe und Aufführung die verschiedenen Texte in die Mikrofone, natürlich nach Vorbereitung. Mehr als vierzig Stunden hatten wir vor dem ersten Einsatz geprobt, gelesen, das Manuskript um fast die Hälfte verringert (wobei natürlich die langen Regieanweisungen stark ins Gewicht fallen, wir aber am Ende etwa 70 % des gesprochenen Wortes wiedergegeben haben).

Dabei muss einerseits möglichst viel Inhalt 'rüberkommen', andererseits die Form unserer Einsätze auf das unterschiedliche Bühnengeschehen angepasst werden.
Die eigene Vorgabe war, möglichst ruhig zu sein und dass die Übersetzung kein Stressfaktor werden darf, denn das Stück ist anstrengend genug. Genets wütendes Gedicht gegen den Algerienkrieg hatte Frédéric Fisbach mit vielen Mitteln des heutigen Theaters umgesetzt: Deko (vom schlichten Paravent über Leinwänden bis hin zu gedachten "Wänden"), Schauspieler, Marionetten, Off-Stimmen, Video, Malerei, Requisite, Raum, Rampen, Aufbauten, Gestänge, "Rahmen" im großen Rahmen der Bühne (eine Art Theater-Foucus) ... Die Erzählebenen waren: Schauspiel, "Synchronisierung" des Puppenspiels durch als solche in Szene gesetzte Sprecher, Ansagen von Regieanweisungen und Kommentaren zu den Szenen, dazu verschiedene "Subjektiven" via Tonband. Das Ganze nun gedoppelt durch uns ... bei den Zuschauer hat das ein Höchstmaß an Konzentration vorausgesetzt, das manche im Jahresendstress nicht so recht aufbringen konnte.

So haben wir als zwei Sprecher, ein Mann, eine Frau, sehr viele Rollen fest und nach Geschlecht eingeteilt und sind (meistens) das ganze Stück hindurch dabei geblieben. In hektischen Passagen übernahm mal der eine, mal der andere; aufgelöst haben wir diese Momente, wenn wieder eine der Hauptfiguren ins Spiel kam, die dann der angestammte (jeweils andere) Sprecher übernahm, wodurch sich diese Phase langsam wieder in abwechselndes Sprechen auflöste.

Die Sprechhaltung bei einer solchen Vertonung sind "gesprochene Untertitel". Wir dürfen den Schauspielern keine Konkurrenz machen, müssen ihre Arbeit unterstützen, auf sie antworten, in der Intensität begleiten, sonst hätte das Publikum die ganze Zeit die Hand auf dem Lautstärkeregler. So gehen wir immer auch in die Gefühle mit hinein, aber auf der Skala von eins (tonloses Vorlesen von Telefonbucheinträgen) bis zehn (emotionales Schauspiel) versuchen wir, etwa auf Skalenabschnitt 3,5 zu liegen (Hanka vom Festival widersprach unserer Einschätzung und meinte "eher fünf").

Dazu kommen fünf unterschiedliche Arten der "Vertonung", die das Publikum sicher schnell erkannt hat und, so hoffen wir, nach einer Phase der "Intellektualisierung" einfach "nutzt": Manche Partien haben wir wie eine Vertonung von Dokumentarfilminterviews gesprochen, ein wenig später eingesetzt, ein wenig früher aufgehört; auf der Bühne brauchen viele Repliken länger, so hat zwischendurch das Publikum die Möglichkeit, der Originalstimme zuzuhören, denn der Rat lautet immer, ein Ohr ganz oder teilweise freizulassen, um die französischen Schauspieler auch zu hören.

Andere Momente, vor allem die kurzatmigen, bei denen es "Schlag auf Schlag" geht, werden "auf den Punkt" gesprochen, also fast synchronisiert. Innerhalb knapper Fragen, Antworten, Einwürfe und Kommentare fällt Kürzen oft schwer, da fallen dann auch schon mal ganze Sätze weg.

Überhaupt bleibt etliches unübersetzt stehen: wir haben Redundanzen gestrichen, wo sie sich häuften (drei von fünf Wiederholungen eines Wortes) oder eine von drei Metaphern.

Oder aber ich fasse zusammen: zwei eher geschnarrte bzw. gesungene Sprechrollen fallen mir zu. Da ist zum Beispiel der zum Tode Verurteilte, dessen Stimme schon fast wie aus dem Jenseits klingt oder wie ein stark rhythmisierter Trott einer Strafkolonie. Hier habe ich die wesentlichen Punkte zusammengefasst, vor allem kurzsilbige Worte gesucht, sie auch in einen Rhythmus gebracht, der auf die französische Stimme ein wenig antwortet - aber sehr zurückhaltend. Aus einem mittellangem Abschnitt wurden so zehn kurze Zeilen - der Inhalt ist da, aufs Wesentliche verkürzt und das, was den stärksten Eindruck hinterlässt, die französische Sprechstimme, bekommt Raum.

Am liebsten waren mir die Passagen, bei denen die fünfte Art der Übertragung Anwendung fand. Es sind jene Monologe, bei denen viel Luft zwischen den französischen Worten ist. Beispiel: Leila geht ins Wasser, hier kann ich (fast) immer genau das Wort oder den Satzteil in der anderen Sprache wiederholen, der gerade gesprochen worden ist, wobei wir die Namen sehr oft nicht noch einmal gesagt haben, sie stehen (ebenso wie das Gestrichene) in Klammern. In Ausnahmefällen "greife" ich auch schon mal ein Wort "vor". Das ergibt dann Folgendes:

Saïd, tu devenais prétentieux, insupportable / (Said) Du bist ein unerträglicher Angeber geworden. / prétentieux comme un insituteur / (gestrichen: angeberisch) wie ein Lehrer…/ Il me cherche. / Er sucht mich. / Quand il va me trouver, je serai raide, froide, gercée, ridée, une espèce de petite quéquette par une nuit de verglas / Wenn er mich findet, werde ich steif (gestrichen: kalt, rissig, ausgeleert) und runzlig sein, eine Art kleiner Pimmel in einer Glatteisnacht… / (elle rit) Pauvre Saïd / (Sie lacht) Armer Said! / C'est toi qui gueules, Saïd ? / Brüllst du da?) (...) / Parce que voilà la question : est-ce que la mort est une dame, une dame qui viendra me prendre? / Die Frage ist doch: Ist der Tod eine Dame, die mich abholt / ou est-ce que c'est un endroit où il faut aller ? / oder ist es ein Ort, an den ich jetzt gehen muss? Schwer zu sagen… / Difficile à dire !

Das waren jetzt 420 von insgesamt 170.000 Anschlägen der deutschen Fassung. Genets Poem gegen Kolonialismus und Algerienkrieg endet in der Welt der Toten. Der letzte Vorhang dieses Gastspiels war auch das Ende dieser Inszenierung, die zum letzten Mal gespielt wurde. Auch wenn wir in den Tagen nach der Theaterarbeit sehr oft in Genet-Repliken reden (Boris geht's da wie mir), kennen wir viele Details der Inszenierung weiterhin nur aus der Presse und aus den Erzählungen unserer Gäste. Aber verstanden haben wir das Stück denke ich trotz seiner Komplexität.

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