Die vielen Rollen, die ich bei einem Film spreche, wenn ich ihn simultan übertrage, strengen die Stimme an. Aber nicht nur die, ich muss ja auch die Worte glaubhaft "rüberbringen" - die Dolmetscherin wird zur Interpretin.
So fragt mich denn auch eine Leserin: "Haben Sie Schauspielunterricht genommen?" Ja, das habe ich, aber beim Sprechen halte ich mich dennoch sehr zurück. Ich weiß immer, welche Figur ich jeweils spreche und was diese gerade durchlebt. Meine Stimme geht mit, aber nicht zu sehr, ich würde sonst den Schauspielern Konkurrenz machen.
Wenn mich eine Filmproduktion mit dem Dolmetschen beauftragt oder ich für kleine Festivals oder Kinematheken arbeite, habe ich den Film lange Zeit im Voraus zur Ansicht und kann mich professionell vorbereiten. Dann mache ich genau das, was offenbar auch Fatih Akin anwendet, der mit seinem neuen Film "Auf der anderen Seite" in Frankreich gerade hymnisch gefeiert wird. In der Libération las ich vor einigen Tagen: « J’écris la biographie de chaque personnage, en marge du scénario, sa trajectoire, ses goûts, la musique qu’il écoute. Il y a même une liste comprenant les derniers disques achetés, les derniers livres lus. » (Auf den Rand des Drehbuchs schreibe ich die Biografien der einzelnen Filmfiguren, den jeweiligen persönlichen Weg, den Geschmack, die Lieblingsmusik. Da gibt es sogar Listen der zuletzt gekauften Bücher und Tonträger.)
So ausführlich arbeite ich nicht, aber ich stelle mir zu jeder Figur etwas Individuelles vor, das kann ein Aspekt der Teilnahme am kulturellen Leben sein oder die Wohnsituation. Ich male mir Hobbies, Wege und Bewegungen aus, frage mich, wie er oder sie morgens zur Arbeit kommt, im Auto, per pedes, mit Rad, U-Bahn oder Bus? Bei schwierigen Figuren suche ich mir ein Bild aus der Kindheit. Die meisten Regisseurinnen und Regisseure haben Hinweise dafür in ihren Filmen versteckt.
Denn nichts ist schlimmer, als ein Dolmetscher, der neutral die Zeilen runterliest als handele es sich ums Telefonbuch oder um Frachtbriefe. Oder einer, der anfängt zu schauspielern. Das ist und bleibt die Arbeit der Schauspieler vorne auf Leinwand - oder auf der Bühne, denn auch das Theater braucht uns manchmal bei Gastspielen. Davon berichte ich hier im Dezember.
Und wie es sich möglicherweise anfühlt, wenn der eigene Film eingesprochen wird, steht an dieser Stelle.
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