Heute ist der Tag nach der Berliner Premiere von Fisbachs Inszenierung der "Wände" (Les Paravents), Jean Genets epischem Gedicht über den Algerienkrieg. Zwei Sprecher, Boris und Caroline, hatten die Worte der Schauspieler, Marionetten und einiger (gesprochener) Regieanweisungen fürs Publikum ins Deutsche übertragen - per Infrarotanlage mit Kopfhörern, nach fast 45 Stunden Probe und Textarbeit. Es berichtet Caroline:
"War 'ne jute Generalprobe!", sagt Boris, als die Premiere zuende ist. Trotz einer intensiven Probenwoche wissen wir, was alles noch verbesserbar ist. Wir haben jeder eine andere Sprechervergangenheit, Boris im Theater und auf der Chansonbühne, ich (zunächst) im Radio, dann auf der Festivalbühne und in der Dolmetscherkabine; in der akustischen Präsenz, arbeiten wir uns aufeinander zu.
Die Reaktionen auf unsere Arbeit waren gut, Yvonne, die Kollegin, die ich von der Humboldt-Uni kenne und die über Übertitel promoviert hat, kam scherzend auf mich zu, es habe ihr so gut gefallen, sie müsse jetzt ihre Übertitel nochmal überdenken. (Ein größeres Lob gibt's nicht.)
Eine halbe Stunde vor der Premiere hatte ich noch Partien eingekürzt, den "Rap" des zum Tode Verurteilten aufs Wesentliche zusammengestrichen und umgeschrieben, damit möglichst viel von der stimmlichen Performance des französischen Sprechers hörbar ist. Danach lief alles schön, von kleinen Versprechern und zwei verpatzten Einsätzen (immer ich!) abgesehen. Angesichts der Textmenge dürfte das untergegangen sein. Das Sprecherskript ist jetzt 89 Seiten lang (von anfänglichen 157!), und ab und zu bekommen wir sogar vom Stück was zu sehen. In der Summe kennen wir es jetzt als ein Hörspiel mit Fotos.
Heute Nachmittag (der Tagesrhythmus ist verschoben, der Schlafbedarf nur leicht erhöht), bin ich leise, ich spreche kaum und lese. Ich lese ganz bewusst erst jetzt die Kritiken der Inszenierung (zur Vorbereitung des Stücks rezipierten wir nur Historisches und über Genet selbst ...)
Lustig, wie Georg Kasch das Stück im "Freitag" beschreibt (denn es war im Sommer in Avignon): "Eine Puppe wird in jenem Moment zu einem Geist, als der Verfolgerscheinwerfer auf sie trifft. Je länger das Mysterienspiel um die drei Algerier dauert und je länger und öfter es im Jenseits spielt, desto stärker demontiert Fisbach jegliche theatrale Illusion. Spieler reißen Puppen die Köpfe ab, die Wände verlieren alles Kulissenhafte und verschwinden schließlich ganz. Am Ende hängen die Puppen an den Haken, stehen die Schauspieler in Zivil auf der Bühne, werden den Sprechern die Skripte weggenommen. Das Totenreich der letzten Szenen ist hier das Ende des Theaters."
Ich musste lachen beim Lesen, weil ich davon gar nichts mitbekommen habe. Heute, bei der zweiten und letzten Berliner Aufführung, werden wir dann doch vielleicht auch mal ein wenig hinsehen können.
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