Bilder einer Vorlesung |
Manchmal stellt sich mir zwischendrin die Frage, ob ich den Text veröffentlichen soll. Die freie Publizistik hat ihre Fallen. Zumal ich ja hier überwiegend einen Blog aus dem Arbeitsleben verfasse. Mit der Umwelt- und der Weltpolitik bin ich schon lange nicht mehr einverstanden. (War ich das jemals?)
Wie äußert eine Dolmetscherin, die per definitionem immer im Hintergrund bleiben muss, ihre Meinung? Nicht einfach. Kurz: Das Schattenarchiv umfasst genauso viele Blogeinträge wie der veröffentlichte Teil, davon wäre möglicherweise ein Drittel eine gute Grundlage. Lieber schreibe ich über Sprache. Und auch heute rettet mich wieder eine Bitte wie diese hier aus Marokko: "Bedeuten Vorlesung und Vortrag die gleiche Sache?"
Der Begriff "Vorlesung" stammt aus dem universitären Bereich, auf Französisch wären das die cours généraux. An der alten "Ordinarienuniversität" stand tatsächlich jemand vorne am Pult, in eine Robe gekleidet, hat ein Papier vorgelesen. (Manche weniger guten Redner machen das heute noch, allerdings ohne Robe.) Eine Vorlesung hält die Professorin oder der Professor oder die Assistentin/der Assistent oder auch Habilitanden oder Promovenden des Studiengangs, wenn die Letztgenannten auch Lehrbeauftragte sind. Der Inhalt einer Vorlesung ist an einen akademischen Kanon gebunden, den klar definierten Stoff, den es zu lernen gilt.
Also wird es zum Beispiel jeden Dienstag um 10.00 Uhr im Fach Wirtschaftsgeografie um ein anderes Thema gehen, um am 8. Oktober ist das Thema "Lagerstätten fossiler Rohstoffe" dran. (Das liest sich für mich wie das Wort "Ordinarienuniversität".)
An der Universität, Kurzform "Uni", gibt es aber auch Vorträge: Durchreisende Wissenschaftler, Gastdozenten, Forscher berichten über ihre Fachthemen. Die Vorträge sind freier in Inhalt und Form. Spricht der Redner wirklich frei und blickt nur ab und zu auf sein Papier, ist es ein "freier Vortrag", was für uns Dolmetscherinnen und Dolmetscher immer die bessere Variante ist.
Auch außerhalb des akademischen Betriebs werden Vorträge veranstaltet. Alle, die etwas zu sagen haben, können einen Vortrag halten (auf Französisch übrigens la conférence). Vor Erfindung der Volkshochschulen und der Massenmedien gab es oft "Vortragsreisende", die aus fernen Ländern oder über wissenschaftliche Erkenntnisse berichtet haben. Alte Ankündigungszettel solcher Vortragsorte lesen sich wie das halbe Programm von Phoenix und Arte.
Ironisch ausgedrückt kann ich jemandem, dem ich mal tüchtig "die Meinung geige" oder eben etwas vorsichtiger einen Vortrag halten; halte ich sie oder ihn für dumm, ihr oder sein Verhalten für schwer fehlerhaft, kann es sogar eine "Standpauke" sein.
Zusammenfassung: Eine Vorlesung wird an Bildungsstätten von Lehrkörpern im Rahmen eines festen Programms gehalten. Vorträge kann jede und jeder halten, der oder die etwas zu sagen hat, ganz gleich, ob Wissenschaftler oder nicht. Auch der Ort des Vortrags ist frei.
Obdachlose gegenüber der Sorbonne |
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Foto: C.E.
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