Mittwoch, 21. August 2019

Bummelant

Hier schreibt und denkt eine Übersetzerin und Dolmetscherin, derzeit in Berlin. Ich arbeite aber auch in Paris, Brüssel, München, Hannover und dort, wo Sie mich brauchen. Wer so viele Orte nennt, spricht auch gerne über den Zugverkehr.

Kopfbahnhof, Detail am Gleis
Manchmal geht nichts mehr
Der­mal­einst hießen die Bahnen, mit der un­se­re Groß­müt­ter ein­schweb­ten, die "Ei­sen­bahn" oder die "Reichs­bahn", was als Begriffe alt, staubig und nach nicht im­mer rost­frei­em Metall geschmeckt hat. Sie hat­ten einen großen Vorteil: Sie ver­kehr­ten hoch­pünkt­lich und zu jeder Jahres­zeit.

Damals fuhr im Kinder­zim­mer die Bim­mel­bahn aus Holz. Und heute spre­che ich oft von der Bummelbahn. Ich bin Viel­fah­re­rin. Einer­seits reise ich für den Beruf, an­de­rer­seits aus Kultur­in­ter­esse, am häu­figs­ten aber aus pri­vaten Grün­den. So ist das, Teil ei­ner Familie zu sein, in der es nicht nur vie­le Men­schen gibt, son­dern diese auch schön alt werden.

Jede zweite Verbindung ist fehlerhaft, zu spät, manch­mal nur fünf Minuten, nicht selten er­heb­lich längerm, oft klappt auch noch etwas anderes nicht: Mal pfeift die Klima­an­lage ohren­be­täu­bend, mal funktioniert sie gar nicht; die Monate, in denen das nicht auffällt, sind gar wenige, ich würde das eher Tagen bezif­fern. Nicht sel­ten fehlt im Speise­wa­gen das heiße Wasser, dann bleibt halt die Küche kalt. Pas­send dazu ist in der Regel auch die eine oder an­dere Toilette ge­sperrt. Wer nichts isst, der/die muss auch nicht ...

Scherz beiseite. Neulich hieß es: "Personen im Gleis". Das scheint die pietis­tische Variation von "Notarzt im Gleis zu sein", was wiederum nicht ganz so schlimm klingt wie "Unfall mit Personen­schaden". Ergeb­nis: Etliche Züge wur­den ersatzlos ge­stri­chen. Dumm nur, dass auch der letzte Zug nach Berlin dabei war. Die Aus­kunft (neudeutsch: "Infopoint") war übervoll; ein Bahner, der am Gleis be­stürmt wurde, gab nachweislich falsche Antworten, darunter "Die Bahn muss bei hö­he­rer Ge­walt nichts zahlen!" Englisch sprach der Betreffende auch nur allzu broken, aber Fehlinfos gehen gar nicht. Vor auslän­di­schen Gäs­ten schä­me ich mich im­mer wie­der für die Bahn ... nicht nur Flugscham, jetzt also auch Bahn(fremd)­scham.

"Nur schnell raus aus dieser Stadt!", habe ich mir gesagt. Ein Bereich der Gleise des Kopf­bahnhofs war noch nutzbar. Es ist die süddeutsche Großstadt, in der man trotz War­nun­gen Tunnel durch quell­fähiges Gestein baut und Bahn­steige, die nicht eben sein werden, also eine Ge­fahr darstellen für rol­len­des Material wie Roll­stühle, Kof­fer, Kinder­wa­gen, und die beteiligten Passanten.

Es war durch­aus stürmisch am Wochen­ende. Wenig später stand auch mein Not­fall­zug. Gestan­den hat auch ein Teil der Pas­sa­giere. Lang. An Arbeiten war nicht zu denken, es gab natür­lich weder Strom noch Wlan. In Richtung Speise­wagen war kein Durch­kom­men, der Zug war wirklich zu voll. Daneben waren prompt alle Toi­let­­ten ge­sperrt, da sie nur elek­tro­nisch aufgehen. Irgend­wann ging es dann doch weiter. Es gab Hotel­voucher "aufs Haus" ... trotz höherer Gewalt. (Ist auch aktu­elles eu­ro­pä­isches Recht.) So schnell kann eine Halb­ta­ges­reise zur Lang­strecke werden, in Zeit ge­rech­net. Ein Aben­teuer, über das sich später den En­keln be­rich­ten lässt. So sorgt die Bahn für Familien! Danke, deutsche Bum­mel­bahn!

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Foto: C.E.

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