Sonntag, 25. August 2019

E-Scooter und E-Laternen

Im 13. Jahr beschreibe ich hier meinen sprachbetonten Alltag. Ich bin Kon­fe­renz­dol­metscherin und Übersetzerin, und sonntags werde ich privat. Jedes Jahr lege ich knapp 1000 Euro zur Seite, um mobil zu bleiben.

Liegender E-Scooter (an einer Kreuzung, zwischen zwei Autos)
E-Scooter (etwas aus dem Weg geräumt)
Wohl­be­fin­den und si­che­res Bewegen im öffent­lichen Raum sollte für alle hier­zu­lan­de selbst­ver­stän­dlich ge­ge­ben sein. Für mich wird beides gerade stark ein­ge­schränkt.

Ich bin aus­rei­chend seh­be­hin­dert, um das als Behinderung zu empfinden. Diese Be­hin­de­rung wird allerdings nicht anerkannt.

Einen Behinder­ten­ausweis bekomme ich nicht, denn dank Hilfsmitteln lebe ich mit Ein­schrän­kun­gen bis­lang gut damit. Ich bin froh, nur dieses Problem zu haben. Seit der willkürlichen "Privatisierung" mancher Körperteile (es hätte auch das rechte Bein sein können) erstatten die deutschen Kassen kei­ne re­le­van­ten Beträge bei An­schaf­fung der Sehhilfen mehr. Mit minus zwölf Dioptrien und einer Achs­­krüm­­mung brauche ich High-Tech-Brillen vom Profi, vergessen wir die Exis­tenz von Bril­len­dis­coun­tern. Ohne jährliche Rücklagen von bis zu 1000 Euro wäre ich nicht über­le­bens­fähig, die wilden Tiere auf der Straße, die Autos, hätten mich längst ge­rissen. (Die Brille kostet 1200, die Ersatz­brille deutlich weniger, Kindergestell, Mi­ni­glä­ser; eine passende Son­nenbrille wird auch angeraten. Alle zwei bis drei Jahre ändern sich die Werte. )

Zu altbekannten Lebensrisiken einer solchen Behinderung kommen ge­ra­de neue hin­zu: Wild abgestellte E-Scooter. Anders als z.B. in Paris oder Brüssel müs­sen die Teile in Berlin nach Ge­brauch in eine gut mar­kier­te Lade­sta­tio­nen ge­­parkt wer­­den. Stattdessen bleiben sie irgendwo stehen ... oder auch lie­gen­. Neulich konnte ich zusehen, wie drei Stück aus dem Land­wehr­ka­nal gefischt wurden. Aus Mar­seille sind solche Praktiken auch bekannt.

Was die FAZ als "Roller­mikado auf den Gehwegen" beschrieb, stellt für mich eine ernst­zuneh­mende Sturzgefahr dar. Drei Mal hat es mich schon hinge­schmissen. Denn nicht immer können wir Fehl­seher im Halb­dunkel am Boden liegende Rol­ler erkennen.

Daher müsste ich mich eigentlich freuen über den in Berlin laufenden Umbau der Straßen­la­ter­nen: früher funzelige Gas­flamme, künftig kraftvolle Ha­lo­gen­strahler. Ein Unheil kommt aller­dings selten allein. Hin­terher sind die La­ter­nen so hell, dass sie mich blenden. Menschen mit hoher Kurz­sich­tig­keit sind licht­em­pfind­lich. Die für mich gleißenden Halogenlampen machen helle Punkte, die auf der Netzhaut nach glühen. Bei jedem Lid­schlag zum Be­net­zen des Augapfels habe ich zudem Ar­te­fak­te, helles Licht wird in die Re­gen­bo­gen­farben zerlegt, ich sehe tanzende Flecken.

Die Sache mit den Licht-Artefakten kenne ich von manchen Videoprojektoren. Immer wieder musste ich diverse Kinos verlassen, weil ich vom Film zu wenig sah. Kurz: Durch diese E-Laternen sehe ich im Dunkeln weniger als vorher, weil meine Augen sich nicht auf diese Art von Helligkeit und Dunkel­heit einstellen können.

Nein, ich möchte nicht künftig keine vierte Brille anschaffen müssen, deren Gläser oben son­nen­brillenartig getönt und unten nor­mal sind. Wegen der starken Kurz­sich­tig­keit sind mei­ne Brillen­gläser immer klein, große Glä­ser wären zu schwer; wer läuft schon gerne mit Flaschen­böden im Gesicht durch die Ge­gend. Ich müsste die Au­gen zusätz­lich nach oben mit einer Schirm­mütze schützen. Und für unten bräuch­te ich eine Taschen­lampe.

Ich stelle mich mir selbst grade vor. Es ist Nacht. Mir begegnet eine Person mit Sonnenbrille, Schirm­mütze und Taschenlampe. Hochgradig suspekt. Drei Lö­sun­gen: Nur noch mit Be­glei­tung rausgehen, zu Hause bleiben oder einen Blin­den­stock zum Weg­ab­tas­ten. Wie sagen Be­hin­der­ten­ver­eine immer so richtig? Wir sind nicht be­hin­dert, wir werden be­hin­dert.

______________________________
Foto: C.E.

Keine Kommentare: