Freitag, 19. Dezember 2008

Verschmelzen

Willkommen auf den Seiten einer bloggenden Konferenzdolmetscherin. Hier notiere ich, was diesen Sprachberuf ausmacht ... und was er mit uns anstellt.

Heute schreib ich was politisch Unkorrektes. Ich kann nicht anders. Denn mir ist gerade etwas schlagartig klar geworden.

Letztens in der Kabine. Draußen hält ein Mann einen Vortrag, es geht um recht individuelle Dinge. Er hat kein Redemanuskript, sondern spricht frei. Ich nehme mir das Fernglas und hole ihn mir nah ran. Er spricht, sagt "moi, je", ich sage wenig später "ich". Nur die Sprache ist eine andere, die erste Person Singular bleibt. Er macht weiter, ich folge, merke, wie ich nicht mehr nur inhaltlich folge, sondern wie sich mein Duktus seinem annähert, seine Bewegungen des Sprechens zu meinen werden. Wir atmen jetzt im gleichen Takt, sprechen und antworten, setzen im Wechsel unsere Pausen. Ich habe ihn mir mit dem Fernglas ganz nah rangeholt, lese das, was in meinem eigenen Sprechen untergeht, von den Lippen ab. Wir denken im gleichen Rhythmus, ich weiß, welche Satzbewegung er gleich machen wird, kenne die Worte, die kommen werden, spreche mit ihm, antworte nicht nur, sondern werde immer synchroner, bin immer näher an den Aus­gangs­wor­ten dran, vergesse meine Umgebung, vergesse, was ich da mache, bin nur noch Teil dieses Hin und Her. Wir verschmelzen. Dann wird es still.

Ein Schulterklopfen von Vincent, "meiner Ko-Kabine", holt mich aus der geistigen Erschöpfung. Die Zuhörer sammeln sich, applaudieren. Wir sind auf einer wis­sen­schaft­li­chen Fachtagung und ich hatte gerade eine Erfahrung, die ich so bewusst noch nie erlebt habe. Jetzt habe ich einen neuen Wortsinn für 'brain fuck'.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Very interesting and impressing! Thanks for sharing that experience.

caro_berlin hat gesagt…

Thank you!