Über meinen Dolmetscherstandpunkt habe ich hier wiederholt geschrieben: Im Übertragenen nehme ich immer den Platz meines Kunden ein, "vertone" seine Worte, mache mir seine Erzählperspektive zu eigen. Für Medienleute ist diese Frage nicht uninteressant, denn die Frage der Perspektive(n) ist zentral, was Filmerzählungen angeht; und Journalisten fragen nach dem "angle", dem Winkel, aus dem man eine "story" betrachtet, dem Blickwinkel also.
Interessanterweise erkennen in meiner Arbeit viele Kunden genau ihr Gewerk wieder: Marcus Luchsinger, einst Leiter von spielzeit'europa, sah in mir, was ich auch sehe, wenn ich für ihn dolmetsche: Die Darstellerin einer Dolmetscherin, jemand, der in eine Rolle schlüpft, sie spielt. Ein anderer Kunde, Ethnologe von Beruf, schreibt, "in die Haut der anderen zu schlüpfen ist das, was idealerweise Ethnologen machen. Das nennt man Empathie: Empathie ist zugleich Ziel und Ende ethnologischer Arbeit (wenn man sagt "ich denke wie sie", ist der Augenblick erreicht, an dem man verstanden hat oder zu verstehen glaubt, und dieses Verständnis setzt den Schlusspunkt, ist das Ende der Recherche, dann muss der Ethnologe gehen, um Identifikation zu vermeiden, und zu schreiben anfangen)." Ein Psychologe, der mich mal beim Dolmetschen eines Fernsehinterviews beobachtete, sah in der Arbeit den gleichen Respekt und die gleiche Wertschätzung, die er für seine Klienten hat. Außerdem meinte er, dass das Aufgenommen- und Verdolmetschtwerden für Zeugen der Zeitgeschichte eine kathartische Wirkung habe, der Befragte könne das Erfahrene nun teilen, vielleicht sogar abgeben.
Mir haben die Bemerkungen alle gefallen. Es könnte sein, dass es sich bis zu einem gewissen Grad um einen mimetischen Effekt handelt, dass ich mich meinem Umfeld anpasse. Ganz sicher ist aber auch viel Spiegelung dabei: Als Sprachdienstleisterin bin ich ganz Ohr, habe Zeit für mein Gegenüber, gebe das Gesagte wieder, arbeite mit der größtmöglichen Genauigkeit, zu der ich fähig bin - und es ist nur folgerichtig, wenn genau dies gesehen wird.
Wenn ich hier schreibe, habe ich nochmal einen anderen Standpunkt. Der Blog entstand aus beruflichen und persönlichen Gründen. Und doch ist das "ich", das hier erzählt, ein Künstliches. Es ist die Dolmetscherin, die mit auf der Bühne steht, die Dolmetscherin, die nach der Berlinale im Café erkannt wird - und dann doch oft mit der Schwester der Freundin vom Arbeitskollegen von der letzten Party verwechselt wird. Durch meinen Beruf kommen mir die Menschen vermeintlich oft nahe, stehe ich vermeintlich im Rampenlicht. Dazu habe ich mir ein Mediendouble erschaffen, eine "Persona", ein "Alias" Elias gewissermaßen. Es ist das gleiche "Ich", das hier spricht. Es ist nicht Fiktion, aber auch nicht 100 % Realität, denn viele der Erlebnisse muss ich hier ja auch verfremden, um meine Kunden zu schützen. Es ist ein Web 2.0-Ich, ein artifizielles Konstrukt, das natürlich viele Gemeinsamkeiten mit mir aufweist.
So, persönlicher werde ich heute nicht. Das Jahr im Blog endet hier, es werden nur noch automatisch ein paar Texte aus dem "Stehsatz" gepostet, also Fertiges, das auf den letzten Schliff gewartet hat.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich mich für Ihr Interesse bedanken, für Zuschriften, Fragen und Anregungen. Allen Stamm- und Zufallslesern wünsche ich ruhige Tage zum Jahresende - und einen wunderbaren Start ins neue Jahr!
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