Mein bewegendster Einsatz als Dolmetscherin fand in diesem Jahr wenige Tage vor Weihnachten statt. Mein Blick aus der Dolmetscherkabine war dieser:
In einem Colloquium über das Thema "Grenzen" saß ich gegenüber der früheren deutsch-deutschen Grenze und dolmetschte etwas über das Leben in Israel, wo die Mauer immer dichter wird mit Grenzkontrollen, Passierscheinen und der Trennung von Menschen.
Zurück nach Berlin: Hier am Pariser Platz hatte ich Winter 1988 gestanden (das letzte Mal noch September 1989) und in den Westen geschaut. Auf Besuch in der alten Hauptstadt war ich natürlich immer auf beiden Seiten der Mauer, mein Westpass ließ das zu. Hier, am Ende der Sackgasse "Unter den Linden", stand ich alleine, vor mir eine kahle Fläche, es war windig, unwirtlich, wurde langsam Nacht. Die Ostseite der Stadt war merkwürdig dunkel, vom Westen her schien ein Lichterkranz über die Bäume des Tiergarten. Der Weg zum Tor war einsam gewesen: Ab Straßenkreuzung Friedrichstraße war mir spätnachmittags bereits keine Menschenseele mehr begegnet. Es war Sonntag, die Straße war nicht von Autos gesäumt, in den Gebäuden links und rechts wusste ich Ministerien, die Botschaft der SU, Sicherheitsleute. Ich dachte: "Jetzt haben die auch mal was zu tun!", und überlegte, ob sie meinen Spaziergang einfach nur protokollieren würden oder ob ein Passant zu dieser Stunde schon mehr auslösen würde.
Dass es hier in nicht allzu ferner Zukunft (wieder) anders sein könnte als dunkel, trist und unbelebt, davon ahnte ich an diesem Ort in diesem Moment nichts. Nur im Sommer des Jahres 1988 hatte ich eine Art Vorahnung. Ich bin damals mit dem Illustrator Marcus Herrenberger, der damals sehr schöne stadtgeschichtliche Comics gezeichnet hat, im Auto die Straße des 17. Juni runtergefahren, also vom Westen her aus Charlottenburg in Richtung historischer Stadtmitte. An der Goldelse fuhren wir weiter Richtung Brandenburger Tor, und mein Gefühl für Großstädte, das in Paris entstanden war, übertrug, was dort möglich war, und damit Gefühl und Bewegungsdrang für "Geradeaus" auf Berlin - und ich hatte die Vision, wir könnten jetzt geradezu fahren, durch das Tor hindurch, über die Linden, bis hin zum Alex.
Das ist mein Weihnachtseintrag. Dass das Brandenburger Tor nicht mehr im Todesstreifen steht und dass ich jetzt hier, an genau meiner "Besuchsstelle von damals" - rechts von der Mitte, ein wenig hinter der Kreuzung Wilhelmstraße mit Blick auf das Tor - sogar dolmetschen darf, das ist mir das schönste aller Geschenke, fast schon seit Jahrzehnten!
Und traurig denke ich an andere Mauern, die Menschen trennen, wie zum Beispiel heute in Israel.
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