Donnerstag, 31. Januar 2008

Zahlen

Die Tage zur Berlinale werden schon im Countdown gezählt. Ein Countdown ist einfach für Dolmetscher, was für Zahlen nicht immer gilt.

Uhrzeiten zum Beispiel. Mein innerer Monolog ist gleichermaßen französisch wie deutsch. Ich hab abends einen privaten Termin - aber wie spät nochmal? Im Kopf steht eine acht klar und deutlich als Abbild einer Erinnerung, dazu eine zweite Zahl: 30 oder halb. War es nun "halb acht" (deutscher stream of consciousness) oder "huit heures et demie" (acht Uhr und halb)?

Mit wem bin ich verabredet? Kann er oder sie Französisch oder ist es ein deutschsprachiger Zeitgenosse? Ich stand oft genug zur falschen Uhrzeit an den verrücktesten Stellen - bis ich mir das Problem erklären konnte. Jetzt versuche ich es mal, mir die Zahlen wie ein Radiowecker zu merken oder so, wie es manche Amis immer öfter schreiben: 20:30 oder 2030. Vielleicht kann ich das mit Geschichtsdaten verbinden: 1830 oder 1930 stehen ja für unterschiedliche Epochen, evozieren Bilder, denen ich von Kindertagen an Gefühle zugeordnet habe. Jahreszahlen konnte ich mir, im Gegensatz zu andren Zahlen immer gut merken, daran hat vielleicht der Familienclan aus Historikern und historisch bewussten Menschen "Schuld".

Zahlen und Rechnen, soviel als Bestätigung durch die Wissenschaft, sind an Sprache gekoppelt. Ich werde hier über die Erfolge oder Misserfolge dieser neuen Tricks berichten.

In der Kabine sind Zahlen auch immer am schnellsten weg, wenn wir sprechen und mir bei simultanem Dolmetschen immer parallel dazu uns etwas merken müssen. Verben hinterlassen halt einen stärkeren Eindruck bei Nichtmathematikern. Weil das nicht nur mir so geht, schreiben wir uns immer gegenseitig Zahlen auf. Gerade die französischen Zahlen sind ja so hübsch kompliziert und immer kleine Rechenaufgaben, Beispiel: tausend neunhundert vier (mal) zwanzig (plus) neunzehn für neunzehnhundertneunundneunzig.

Montag, 28. Januar 2008

Geheimtipp?

"Was ist dein Geheimtipp?", will Ron wissen.

Leider habe ich keinen Geheimtipp, nur eine Handvoll Ideen und Zitate.

Nulla dies sine linea - kein Tag ohne Zeile, zitiert nach Plinius dem Jüngeren. Und auch täglich lesen und neue Worte aufschreiben.

Stimme schulen, täglich üben und gelegentlich von Fachleuten checken lassen - sie ist das Instrument der Berufssprecher.

Wenn Du ein glückliches Leben willst, verbinde es mit einem Ziel … Albert Einstein.

Neugierig/wach sein.

Gesund essen, Rauch und Lärm aus dem Weg gehen, ausreichend Schlaf und Bewegung.

Mieux vaut une tête bien faite qu'une tête bien pleine - Michel de Montaigne, frei übersetzt: Besser ein gut geschulter als ein zu voller Kopf.

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Bild: Michel de Montaigne, unbekannter Maler, ca. 1578

Dolmetscher an Bord?

"Was war ihre peinlichste Situation als Dolmetscherin?" fragt H-P aus Köln.

Nie ein schlechtes Wort über Kunden, das ist eine eherne Regel der Freiberufler. Was jetzt kommt, bricht ein wenig mit ihr. Ein wenig sage ich, denn die Episode ist nicht nur lange her, ich wurde danach zur regelmäßig angefragten, geschätzten Mitarbeiterin des Kunden — trotzdem.

Trotz des Honorars, zu dem einige ältere Konferenzdolmetscherkolleginnen nur verächtlich "Caritas" sagen und entsprechende Anfragen ablehnen. Das tat ich auch erst, als ich erfuhr, was das Honorar für einen abendlichen Dolmetscheinsatz sein sollte. Dem vorausgegangen war die Entdeckung, dass Tahar ben Jelloun in der Stadt lesen würde — ich hatte gerade etwas von ihm gelesen und wollte ihn gerne dolmetschen. So war ich kurz telefonisch beim Veranstalter vorstellig geworden, der als Honorar dann eine Summe aufrief, das zwei Menschen in einem leicht überdurchschnittlich guten Restaurant für ein Abendessen auf den Tisch blättern müssen.

Wie das Leben so spielt, ich saß wenige Wochen später im Publikum bei nämlicher Lesung, und zwar Mitte rechts in Reihe zwei, eingeladen von einer Kollegin. Der Meister steig aufs Podium, begleitet von einem Mann, der sich als Herausgeber eines seiner Bücher vorstellte, sowie von einem Schauspieler, der aus der Über­setzung las. Im Anschluss an die Lesung sollte Zeit für Fragen sein.

Erst las der Gast. Dann las der Schauspieler. Gegen Ende wurde der Verlagsmensch unruhig. Er ergriff, als nun beide Herren verstummt waren, das Wort, sagte etwas à la 'eigentlich sollte jetzt Roger de Weck hier sein um das Gespräch zu mo­de­rie­ren und um zu übersetzen, ich weiß gar nicht, wo er bleibt ... Hm, ist zufällig ein Dolmetscher im Raum?" Mich überkam es heiß und kalt, was war das jetzt für ein blöder Zufall, nein, das Ergebnis von Knausrigkeit (der Veranstalter!) an der falschen Stelle, dachte ich mir und beschloss, mich möglichst unauffällig zu verhalten.  

'Gut', sagte der Verlagsmann, 'dann fangen wir inzwischen einfach mal an, er muss ja gleich hier sein ...', zog einen Zettel aus der Tasche und stellte die erste von offensichtlich mehreren dort notierten Fragen. Tahar ben Jelloun antwortete — und unser Fragensteller schlug sich wacker in einer zu­sam­men­fas­sen­den Ver­dol­met­schung. Dann die zweite Frage und Antwort, hier fing der Ver­lags­mit­ar­bei­ter schon an, nach Worten zu suchen. Eine Dame aus der ersten Reihe flüsterte ihm daraufhin Vokabeln zu, ein Mann von schräg dahinter ergänzte, korrigierte. Dann mischte sich ein Publikumsgast mit einer Frage an den Dichter ein, und der Zufallsmoderator und -dolmetscher geriet nun endgültig ins Stocken, ruderte aufgeregt mit Armen und Worten rum bei seiner Suche, hörte auf die Dame aus Reihe eins und den Mann von schräg dahinter, wobei beide die Begriffe leicht verfehlten.

Was in mir in dem Moment vor sich ging, ist schwer zu be­schrei­ben. Mir war die Sache peinlich. Ich hielt mich mit beiden Händen am Sessel fest, biss mir auf die Zunge, ver­wünsch­te meine Idee, her­ge­kom­men zu sein. Ich glaube, ich bin so rot an­ge­lau­fen, wie der Sessel rot war, auf dem ich saß. Ob es wegen des krampf­haf­ten Festhaltens am Sitzplatz war oder vor lauter Luftanhalten oder vor Wut, kann ich nicht mehr sagen. Auf jeden Fall brach sich das erste Wort Bahn, ploppte aus meinem Mund heraus fast wider meinen Willen, kam dem Moderator zu Ohr, der die anderen Souffleurerträge gerade ge­gen­ein­an­der ab­wog, schlussendlich meine Lösung als die beste auserkor und seinen Satz nun mit meiner Trouvaille vervollständigte. Ab dem übernächsten Hänger schaute er flehentlich in meine Richtung, ich lieferte erst stockend, dann vorsichtig einen Halbsatz.

Die Sache ging so einen kurzen Moment weiter, dann sprang der Verlagsmitarbeiter geradezu fröhlich und wie von größter Bürde entlastet von seinem Stuhl, wies mit einer großen Geste auf seinen Platz und sagte mit Aplomp: "Gnädige Frau, ich glaube, ihr Platz ist hier!" (Das weiß ich noch wörtlich, denn gnädige Frau hatte mich bis dato niemand genannt!)

Was ich allerdings nicht mehr weiß, ist, wie viele Sekunden ich mich noch er­folg­reich an meinem Sessel festklammerte, mir schien es gewiss länger als den Um­sitzenden. Kurz: Ich kam, dolmetschte und kriegte ... am Ende einen rie­si­gen Blu­men­strauß.

Später erfuhr ich, dass Roger de Weck an diesem Abend in der Schweiz geblieben war, er musste den unter Beschuss geratenen Christoph Marthaler verteidigen. Eine Rechnung hab ich tags drauf noch geschrieben, DAS war mir nicht peinlich.

Sonntag, 27. Januar 2008

Handelndes Lernen

Die Frage von Marie aus München lautete: "Könnten Sie mir Tipps geben für effizientes Lernen?"

Jeder Mensch lernt auf eine andere Weise. Aber jeder Mensch lernt besser, wenn ihm oder ihr unterschiedliche Methoden angeboten werden. Das vergisst die Schule mit ihrem Frontalunterricht oft, von dem mir heute noch Schüler berichten.

We ich lerne, erfuhr ich schon früh, und das ist gut so, denn wir Dolmetscher müssen immerzu lernen, lesen, uns einarbeiten. Ich erfuhr die Tricks als Kind, zum Beispiel im Fach Chemie: Den Stoff der achten Klasse konnte ich lange auf Französisch besser, weil der Lehrer des CES Voltaire in Besançon mit Planeten, die wir Schüler in die Hand gedrückt erhielten, mit einer Taschenlampe wirkungsvoll in Szene setzte und zeigte, wie zum Beispiel eine Sonnenfinsternis entsteht. Oder die Namen mancher chemischer Substanzen, die ich mir auf Französisch besser merken kann als auf Deutsch: l'antimone ergab blaues Feuer, le strontium verbrannte rot, la chlorure de sodium sorgte für gelborange Effekte. Wir durften fackeln, na klar! Und keiner hätte in der Freizeit damit weitergemacht, dafür wussten wir zu viel über die Gefahren.

Ich lerne am besten praktisch, motorisch, akustisch, visuell: Ich gehe auch viel rum beim Lernen zwischen Schreibtisch, Küchentisch, Stehpult und Esstisch im Wohnzimmer. Ich brauche Raum, Bewegung, wiederhole gerne laut, um mir Lernstoff besser einprägen zu können. Ich habe elektronische Lernkarten und Vokabelkarten aus Karton, die ich bei Fahrten durch die Stadt oder in der Warteschlange beim Einkaufen ansehe. Und ich lese viel, vergleiche, zeichne Grafiken dazu, spüre Leerstellen auf, hinterfrage.

In der ehemaligen Lateinschule im Schwäbischen, wo ich auch die Schulbank gedrückt habe, war das alles nicht so gefragt - und wenn ich mir die Schulen von heute anschaue, so ist auch hier handelndens Lernen noch nicht überall Alltag. Schade.

Liebe Marie, Dir/Ihnen kann ich nur empfehlen, den eigenen Lerntyp herauszufinden, der wahrscheinlich wie bei den meisten Menschen eine Mischform sein wird. Dazu finden Sie/findest Du Hinweise und auch einen Test bei Werner Stangl. Viel Spaß!

Samstag, 26. Januar 2008

Innere Stimme ausschalten

Dieser Blogeintrag ist die Antwort auf eine Leserfrage. Sie erreichen mich über meine rechts oberhalb des Bildes vermerkte Adresse. Bis zum Beginn der Berlinale antworte ich auf Leserfragen.

Der internationale Währungsfonds, die Welthandelkonferenz, NAMA, PPP bleibt, WTO wird FMI, AGCS bedeutet GATS - und warum sind "internet games" offshore?

Ich liege im Bett, nachdem ich einen Kongresstag lang in der Kabine Wirtschaft, Bildung, Fakten und Welthandel gedolmetscht habe. Der Kopf ist voller Akronyme, Initialwörter und Kurzworte, er sortiert nochmal nach, Sprachzentrum A fragt Sprachzentrum B nach der Entsprechung, die oft nur durch das vollständige Auseinanderdröseln der Abkürzungen lernbar sind. Nur in Ausnahmefällen dreht sich das Kürzel einfach um: UNO wird in meiner anderen Sprache zu ONU oder bekommt eine andere Reihenfolge wie NGO / ONG, nicht zu verwechseln mit OGM ... Gibt es eigentlich ein Kürzel auf Deutsch für OGM?

Da hilft nur ein: Licht an, raus in den Lesesessel mit dicken Socken und dicken Wälzer, dazu vielleicht Milch mit Honig. Auch gut: Musik, am liebsten langsame Barockmusik, Yoga, Fotobände über fremde Länder. Über Wohnungseinrichtung und Design nachdenken, in einem Buch von Terence Conran blättern, im Netz neue Folgen von www.interieurs.fr ansehen. Nicht alles gleichzeitig, aber je nach Situation müssen es auch mal mehrere Aktionen sein. Friere ich vor Erschöpfung, sind Barockmusik und Honigmilch bei Kerzenlicht in der Wanne fällig - mit Salz aus dem toten Meer wird der Kreislauf erst angeregt, um sich nachher zu beruhigen. Auch gut: Neue Texte für den Dolmetscherweblog entwickeln oder, falls vorhanden, eine Prise Duft des neben einem schlafenden Menschen genießen, gern auch zwei.

Meistens hilft zum Runterkommen aber auch schon Autogenes Training. Selbst in der Kabine kann ich meinen Körper 'runterfahren' und erlebe den berühmten Sekundenschlaf dank der klassischen Befehle (Arm/Bein/Rücken ... wird schwer, warm durchströmt, der Atem geht gleichmäßig und ruhig usw.) Das habe ich als Stotterkind schon mit acht Jahren gelernt, und zwar eher zufällig. Die Frauenzeitschrift "Brigitte" hatte "Autogenes Training für Kinder" als Heftbeilage, die Methode ist wirklich kinderleicht. Ich besitze das Heftchen heute noch, empfehle aber jedem, der nicht ganz so jung damit anfängt, einen Kurs.
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Auflösung:
UNO/ONU: United Nations Organization, Organisation des Nations unies
NGO: non-governmental organization / ONG: organisation non-gouvernementale
OGM: organisme génétiquement modifié, auf Deutsch gentechnisch veränderte Organismen/GVO oder GMO/Genetically Modified Organism

Freitag, 25. Januar 2008

Prost Nachbarwunder!

Gläserklirren, was für ein erhabener Klang! Aber wie nervig, wenn ich auf eiliges Material für den nächsten Dolmetscheinsatz warte und der elektronische Briefkasten mit sich selbst alle Naslang auf neue Post anstößt - ich hab derzeit den Sound "Glas" geschaltet - und ich nur für blöde Spams ins Arbeitszimmer gelaufen komme!

Was für Leute müssen das sein, die permanent diese vermaledeite Energie aufbringen, uns alle so zuzumüllen - und wer klickt überhaupt auf derlei zweifelhafte Links? Wenn ich dieses Deutsch schon lese! Automatische Übersetzung, na klar, oft kaum verständlich, aber auch mit freiwillig und unfreiwillig komischen Sprachverformungen, von denen manche sogar in die Umgangssprache Eingang gefunden haben. "Blaue Pillchen für blaues Wunder" kommentierte letztens einer beim Jour Fixe die Tabletteneinnahme eines Kollegen, alle lachten, nur ich nicht, bis ich wieder meinen Spamfilter auf versehentlich dort Hängengebliebenes prüfte.

Ich bekomme dort meist für meinen Partykeller Spezial-Nebelmaschinen mit niedrigem Smoke-Fluidverbrauch und Qualitaetsthermostaten sowie für meinen Garten "Wunder Belichtungen, die den all Tag schonen" angepriesen. Bei diesem Vorteil ist es eine minimale Nebensache, dass ich weder Partykeller noch keinen Garten habe. "Software ohne Probleme mit flache Aufstellung und hohen Preisen, nur bezahlen und auslasten", das klingt zu toll. Vor allem, dass "die Programmen auf allen europaischen Sprachen uberlassen sind", macht sie so ungemein praktisch. Und um Geld geht es ja immer, das erleichtert viel: "LifeProfit Inc. kann Ihnen helfen, Ihre Traume zu zwingen, sich, bekommend das monatliche Gehalt, das das Internet einwirkt, zu verwirklichen."

Also Traume zwingen, Belichtungen den Tag schonen lassen, Wunder erleben ... und die Nachbarin? Auch hier lachte ich erst Tage später. Am Ende des Jour fixe, einer der Kollegen hatte ausgiebig über Nachbarschaftsstreitigkeiten gesprochen, riet ihm jemand, er möge doch mal wegfahren und gründlich ausspannen. Und fügte augenzwinkernd hinzu: "Dann klappt es auch mit der Nachbarin."

Prosit!

Donnerstag, 24. Januar 2008

Mimetischer Effekt

Mimesis (älteres Griechisch μίμησις) bedeutet "Nachahmung“. Letztens nannte jemand aus dem Publikum unsere Konsekutiveinsätze "spannende mimetische Effekte".

Bei öffentlichen Veranstaltungen ist es offensichtlich, dass meine Übertragung im Grunde nur Nachahmung ist. Die Worte notiere ich mir grob auf dem Papier, Körper und Stimme fügen unbewusst nonverbale Elemente hinzu, die mir vermutlich das Dolmetschen erleichtern. Sicher weiß ich das nicht. Ich weiß nur: Als ich 1999 anfing, regelmäßig Podiumsdiskussionen im Kino zu dolmetschen, hat es mich maßlos irritiert, dass ich, wie es vorgeschrieben und gelehrt wird, immer "ich", "mir" oder "mich" übersetze, wenn der Podiumsgast "je", "me" oder "moi" gesagt hat. Ich spürte sogar einen Anflug lang eine diffuse Angst vor unbekannten Formen der Schizophrenie. Damals ließ ich diese Gedanken nicht zu und wunderte mich nur darüber, dass meine innere Stimme verstummte. Konkret: Zu einem Film, den mein kritischer Geist einen Tag nach der Vorführung nochmal "vor dem inneren Auge" sah und für schlecht befand, hatte ich während und kurz nach der Veranstaltung keine eigene Meinung.

Ich kannte mich nicht wieder: keine innere Stimme war zu hören, die den Film einsortiert, Schwächen aufzeigt oder Probleme hinterfragt, das war neu, denn der kritische Geist war und ist doch sonst immer da, oft sogar allzu vorschnell - zum Leidwesen meiner Mitmenschen. Erst tags drauf verstand ich. Ich hatte auf dem Podium die Position des Regisseurs eingenommen, des jeweiligen "je". "Ich" also hatte den Film gemacht, meine künstlerischen Entscheidungen verteidigte ich da und "mir" fehlte zu mir selbst natürlich jegliche kritische Distanz.

Dass ich in dieser Situation oft selbst Gesten mit 'übertrage', die der andere gemacht hat, überrascht dann nicht mehr. Nicht nur mir passiert das, schauen Sie mal Dolmetschern ein wenig beim Arbeiten zu.

Kein Wunder also, dass manche Verdolmetschungen für das Publikum so klingen, als hörte man nur einem Menschen zu: "d'un même souffle" benannte der Gatte von Isabelle Huppert einmal seinen Eindruck nach einer Pressekonferenz. Das Phänomen hat der damaligen Filmhochschuldirektor Reinhard Hauff sehr ähnlich als "mit einer Stimme gesprochen" kommentiert, wobei er sich auf eine gedolmetschte Masterclass mit Drehbuchautor Jean-Claude Carrière bezog.

Das Witzigste ist mir aber vor langem mit Radu Mihaileanu passiert, dem Regisseur von "Train de vie" (Zug des Lebens). Als er eben diesen Film in Berlin vorstellte, hatten wir uns intensiv auf den Einsatz vorbereitet, schon den ganzen Nachmittag lang über das Thema gesprochen, waren auch ein wenig touristisch in Berlin unterwegs gewesen und rechneten mit einer heftigen Debatte, denn der Film ist, ähnlich wie "La vita è bella" von Roberto Benigni, eine Holocaust-Komödie. Am Abend lief dann soweit alles gut, wir waren mit einem Tag Vorbereitung ein eingespieltes Team. Beim Verlassen des Kinos sagte mir prompt eine Zuschauerin, wie praktisch es doch sei, dass ich so gut Deutsch könne, da wäre ich meinem Mann ja eine große Hilfe. Schön, wie sie den mimetischen Effekt für sich interpretiert hat ...

Mittwoch, 23. Januar 2008

Dolmetscher und Gedächtnis

Wie merken Sie sich das alles nur immer?", fragt mich eine ältere Dame nach dem Dolmetscheinsatz bei einer Autorenlesung, "... ich weiß nicht einmal mehr, was auf dem von mir eigenhändig geschriebenen Einkaufszettel stand, wenn ich ihn wieder vergessen habe!"

Gedächtnis ist Trainingssache. Und Training hab ich reichlich. Bei zu dolmetschenden Abläufen stelle ich sie mir einfach vor: Ich sehe vor dem inneren Auge die Orte der Handlung, sehe lauter Dinge mit Großbuchstaben vorne dran in der Gegend rumstehen (Nomen!), spüre die Bewegung in den Beinen oder des Körpers im Raum, Farben sind eher transparent und flüchtig, legen sich wie ein Schleier über die Dinge, ebenso Adjektive und Adverbien. Der Erzählstrom hält an, es werden Zustände geschildert, Begegnungen, Begebenheiten. Ich höre zu, setze auch hier innerlich meine "Marker". Und ich schreibe auf, habe mein "Sicherheitsnetz" aus einfachen Worten, das ich oft gar nicht brauche. "Sie schreiben viel mit, das sehe ich", sagt denn auch die ältere Dame, "aber komisch: Manchmal schauen sie fast gar nicht drauf!"

Ich mache aus allem einen sehr visuellen, auch kinästhetisch erfahrbaren inneren Film, bei dem sich sicherlich die gedachten Bewegungen auch im Bewegungszentrum des Gehirns abbilden, so stark spüre ich sie. Und manches gebe ich wörtlich wieder in der Fremdsprache - weil sich mir der Originalwortlaut wie Musik eingeprägt hat. Glücklich bin ich dann, wenn es sich um einfach zu übersetzende Worte handelt, und ich kurze Begriffe ebenso kurz wiedergeben kann und wenn dann sogar die Farben der Vokale übereinstimmen ... Nein, ich denke hier nicht an das Gedicht von Rimbaud - A noir, E blanc, I rouge etc. - sondern es spüre offene, lichte Vokale, die nach oben streben und hell sind, andere gehen in die Breite, wieder andere "ziehen nach unten", sind dunkel ...

Wie merke ich mir das alles? Ich fasse zusammen: Mit allen Sinnen, dem Hörsinn, dem Bewegungssinn, ja, Raues stelle ich mir über den Tastsinn vor, wobei hinter allem die Vorstellungskraft und damit das Übertragen von Worten in Bilder und zurück in Worte steht. Noch kürzer: Kopfkino! Dabei nutze ich im Zusammenspiel viel von dem, was mir die Spezialisierungen meiner Hirnhälften anbieten.

Bleibt noch der Einkaufzettel. Den lasse ich selbst oft auf dem Küchentisch liegen. Und komme dennoch zurecht, denn ich habe ihn längst in Bilder übertragen: In einem Meer von Milch die Brotinsel, deren Felsen mit Kürbiskernsteinen übersät sind, auf ihr thront eine Spülbürstenpalme, und am anderen Ufer ist ein Strand aus fein gemahlenem Mehl, von dem gerade ein Ponton aus Topfkratzschwämmchen ablegt, daneben liegt eine Stadt aus Kartoffenhäusern mit Möhrenschornsteinen, und der Küchentisch aus Lauchbeinen und Pizzateigtischplatte ist mit allem belegt, was die Pizza lecker macht!

Hier greifen zwei Prinzipien: Das der Visualisierung (mit ein wenig Tastsinn verbunden) und das der groben, skurrilen Überzeichnung.

Dienstag, 22. Januar 2008

Spielberg über Dolmetscher im Interview

Die Berlinale steht (fast schon wieder) vor der Tür. Im Kino laufen die Pressevorführungen, die Profi-Berlinalegänger legen Terminkalender für Meetings, Interviews und Parties an. Was noch? Klar, echte Filmpremieren werden auch noch vorbereitet.

Und da sind die Dolmetscher, die sich gedanklich schon wieder auf ihre Arbeit vorbereiten. Dazu fand ich einen Filmausschnitt: Steven Spielberg über die Situation des gedolmetschten Fernsehinterviews, hier im untertitelten Interview (leider ohne Ton):

I find doing interviews /
in Europe very exciting - -//

even more exciting /
than doing interviews //

in America in english - - //

Because I get a chance to think //

while the interpreter /
is telling the person //

what I just said /
in their language. //

And I get a chance to look /
at the person //

when we're not actively engaged /
in conversation //

processing what I've said. //

And they get a chance /
to watch me processing //

what they've said back to me. //

And I think in a movie, //

audiences love /
when everything slows down //

and a person speaks /
in a foreign tongue. //

Then you can't wait to hear /
what the interpreter has to say. //

Gut zusammengefasst in 15 Untertiteln für 39 Sekunden Film - und die Titel sind immer so "geschnitten", dass der Inhalt in kleine Sinneinheiten unterteilt und dadurch leicht verständlich wird. Das ist eine Kunst für sich, die bei aufwendig montierten Filmen immer zum Schnitt passen muss. Filmuntertitelung habe ich lange gemacht - und auch heute habe ich noch Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen, die das anbieten.
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Quelle: "Spielberg on Spielberg", documentary shown on TCM 7/9/07, clip of Steven talking about interpreters (foreign spoken language/non-simultaneous).
Der Film ist auf YouTube. Hier bitte klicken.

Sonntag, 20. Januar 2008

Ungenau wiedergegeben

Heute im Berliner Tagesspiegel - von der Heftrückseite des Sonntagsteils, den ich im Netz nicht finde:
Ein Restaurant in der Körtestraße übersetzt ein Gericht recht eigenwillig. Aus "Spaghetti all'arrabiata" werden "rabiate Spaghetti".

Freitag, 18. Januar 2008

Umfassende Bildung

Dolmetscher müssen sich in der Kultur der "Gegenseite" gut auskennen. Also Leute aus dem Westen vertraut sein mit Traditionen, Geschichte und Begrifflichkeiten des Ostens und andersherum. Mit allen Elementen aus Politik, Religion und Folklore.

Sonst geschehen Momente wie dieser: Einst war Michael Gorbatschow bei Helmut Kohl auf Staatsbesuch. Kohl sagte: "Morgen arbeiten die Deutschen nicht, denn sie feiern Christi Himmelfahrt." Worauf der sowjetrussische Dolmetscher das Folgende übersetzte: "Morgen arbeiten die Deutschen nicht, denn sie feiern den Tag der Luftwaffe."

Einige Regierende "später": Wladimir Putin besuchte an der Seite von Gerhard Schröder die Eröffnung der Hannover-Messe. Bei seiner Rede zitierte Schröder Karl Marx, es fällt das Wort "Proletarier aller Länder". Putin, "in alten Zeiten" für den KGB in Deutschland stationiert, hörte zu, wie der Dolmetscher „Proleten aller Länder“ daraus macht und verbesserte diesen ...

Mittwoch, 16. Januar 2008

Humor ...

... gilt als unübersetzbar. Wir Übersetzer und Dolmetscher können nur 'musikalisch' drangehen, ihn transponieren, in eine andere "Tonart" übertragen, dabei dem Grundgedanken und dem komischen Moment treu bleiben.

Hier ein Wort in der Übersetzung: ein Kürzestwitz, für den ich Urheberrecht beanspruche.

Frühsommer 1990, eine Diskussion am Fuße des Ost-Fernsehturms zwischen Marx-Engels-Forum und Alexanderplatz. Heiner Müller und andere diskutieren mit dem Publikum. Die Währungsunion steht unmittelbar bevor.

Einer aus Sachsen spricht über die "Demokratisierung". Die Art und Weise, wie er das Wort ausspricht, bringt mich zum Lachen, als einzige im Raum. In mir entspinnt sich folgender Kommentar: "De Demoarkratisierung ... nu', es gibt de Moark der DeDeäRr und de Demoark." D-Markratisierung ...

Und sogleich übersetze ich den Begriff, mache aus la réunification ... la réunifRication. Die Wiedervereinigung, in der das Wörtchen "le fric", die Knete, das Moos, der Zaster mitschwingt.

Dienstag, 15. Januar 2008

Langzeitdokumentarfilm

Dokumentarfilmer müssen geduldige Menschen sein. Viele haben sogar sehr viel Geduld, und mancher dreht wie Claude Lanzmann in einem ganzen langen Leben im Grunde nur einen Film - nicht immer denselben, sondern über ein- und dasselbe Thema.

Oder aber einen Langzeitdokumentarfilm, kurz: 'die Langzeitdoku'. Gestern fiel uns erst beim Übersetzen für eine Berliner Dokfilmgesellschaft auf, dass es das Wort Langzeitdoku auf Französisch im Grunde nicht gibt. Haben die Franzosen weniger Geduld? Weniger Zeit? Oder woran mangelt es? Da Zeit ja Geld ist, kann es auch daran liegen ...

Nochmal zum Mitdenken: Eine Langzeitdoku nennt man einen Film, der auf einen längeren Drehzeitraum zurückblickt. Die längste und bekannteste Langzeitdoku ist sicher die Reihe "Die Kinder von Golzow" von Winfried und Barbara Junge, die auf Französisch im Netz als "un long feuilleton de l'histoire du documentaire allemand" vorkommt, also eine lange, dokumentarische Serie, gedreht zwischen 1961 und den Nuller Jahren des neuen Jahrtausends ... (also in Zeiten, wo Produktionsfirmen volkseigen und materielle Sicherheit großenteils geklärte Sache waren). Aus der Golzow-Reihe gibt es in der Tat viele Einzelportraits, die alle sehr sehenswert sind, weil die Kamera ab Sommer 1961, also den Tagen um den Mauerbau, jahrzehntelang wichtige Etappen aus dem Dorfleben im Oderbruch aufgezeichnet hat. Das Wort "feuilleton" verheißt regelmäßige Folgen (un volet) oder auch Episoden, es könnte demnach auch "une série documentaire" heißen. (Hier wird der Modus der Ausstrahlung ein wenig hervorgehoben: täglich?, wöchentlich?)

Die Folgen von Golzow bilden einen Mega-Film, der als die längste Langzeitdoku der internationalen Filmgeschichte gilt. Und nur in diesem Kontext finden wir den Begriff "observation à long terme", dem wir in einem Filmkonzept das Wörtchen "documentaire" beigestellt haben, also "observation documentaire à long terme".

Das Wort "documentaire" gibt das Genre an, der Begriff lässt weniger an Recherchen denken, die gehören in das Feld des Journalismus, besonders des "investigativen Journalismus", als an Chronistenpflicht, an Montage, die kontrastiv geschnittene Meinungen miteinander in Widerstreit treten lässt.

Wir suchen weiter nach Übersetzungsvarianten. Riton schlägt " un film documentaire portant sur la période de ... à ... ? " vor. Dafür müssten wir aber genau wissen, von wann bis wann, das ist schon wieder ZU genau. Und die Dauer ist beim Langzeitdings wichtig, nicht die Daten (es sei denn, jemand begänne am 11.9.2001 und hörte am 11.0.2002 auf).

" Un documentaire long métrage " ist es jedenfalls nicht, so nennen wir einen "abendfüllenden Dokumentarfilm" in Analogie zum abendfüllenden Spielfilm (film de long métrage oder l.m.)

Die " observation documentaire se rapportant à une longue période " klingt dann schon wieder zu gestelzt, zu übersetzt. Am Ende finden wir in der Schweiz einen Hinweis: "Der Film FAUSTRECHT ist eine dokumentarische Langzeitbeobachtung über zwei gewalttätige Jugendliche. / The film FAUSTRECHT (Rule of the Fists) is a long-term documentary of two violent teenagers. / Le film FAUSTRECHT (La loi des poings) est une observation à long terme de deux adolescents violents. "

Wenn auch die Schweizer Langzeitdokumentarfilme können, scheint es also vielleicht doch nicht an den Eigentumsverhältnissen der Produktionsmittel und den Kosten der Lebenshaltung zu liegen ... und bei genauerem Nachdenken fallen uns doch einige langfristig beobachtete französische Dokumentarfilme ein.

Warum nur schlägt sich das nur nicht in den Fachtermini nieder?

Montag, 14. Januar 2008

"Multitasking" auf Reisen

Dolmetscher sind Multitasker par excellence. So war es nur folgerichtig, dass Studenten der Europäischen Medienwissenschaft Potsdam, die dazu eine Au­sstel­lung kuratierten, auch Dolmetscher für einen Film über Multitasking drehen und interviewen wollten. Da ich seit fünf Jahren in Potsdam unterrichte, hatte ich letzten Sommer einen Dolmetschertag lang das Vergnügen, Alexandra, eine Studentin von dort, beim Einsatz für einen internationalen Kongress mit dabei zu haben. Das Ergebnis war vor einem Vierteljahr im Rahmen der großen Ausstellung über Multitasking in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst zu besichtigen, ergänzt durch ein Symposium.

Die Autorin dieser Zeilen vor Ort
Jetzt geht die Multitasking-Ausstellung auf Reisen. Vom 15. März bis zum 1. Juni wird sie im Stedelijk Museum in `s-Hertogenbosch in den Niederlanden gezeigt. Im Sommer schließt eine Station in der Overbeck-Gesellschaft in Lübeck an, und vor­aus­sicht­lich wird sie im Frühjahr 2009 auch noch in Frankreich gastieren. Nähere Informationen folgen.

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Foto: Friederike Elias

Sonntag, 13. Januar 2008

Berlin-Dolmetscher

Berlin, U-Bahnhof Wittenbergplatz, an einem späten Sonntagvormittag. Als ich am Automaten einen Fahrschein ziehen will, höre ich in meinem Rücken lautes Schimpfen. Am Fahrkartenschalter sind zwei Frauen in einen Streit mit der Verkäuferin verwickelt. Ich messe dem keinerlei Bedeutung für mich bei.

Als ich weggehe, sprechen mich die beiden Frauen an, eine ist in den Dreißigern, eine in den Fünfzigern, beide sind unauffällig geschmackvoll gekleidet. Sie sprechen Englisch mit einem starken russischen Akzent. Sie halten mir einen Geldschein hin und bitten mich, für sie zwei Fahrscheine zu kaufen, weil die Dame hinterm Schalter, des Englischen unkundig, ihnen keine verkaufen wolle. "She went angry", setzt die Ältere hinzu und bemüht sich um einen neutralen Tonfall. Nach kurzer Abfrage der genauen Wünsche gehe ich an den Schalter und kaufe die Tickets. Die Frau hinter der Glasscheibe, eine Frau in den späten Vierzigern, ist sehr einfach gekleidet, sie hat ein aufgeschwemmtes Gesicht und den Gesichtsausdruck eines trotzigen Kindes. Ihre Augen sind wütend und wirken zugleich überfordert und eine Spur weinerlich. Ich übergehe ihre Aufgebrachtheit mit normaler Freundlichkeit.

Als ich mit Fahrscheinen und Wechselgeld zu den Russinnen zurückkehre, sind diese sehr dankbar. Sie entschuldigen sich bei mir in bestem Englisch dafür, kein Deutsch zu sprechen. Ich erkläre meinerseits das enorme gesellschaftliche Problem, das wir in Deutschland haben: Viele Menschen haben Bildungsdefizite, es mangelt an Akademikern. Sie schauen mich ungläubig an. Ich spüre, wie ihr Deutschlandbild ins Wanken gerät.
Und eine Spur zu nett wünsche ich ihnen einen schönen Tag und noch einen angenehmen Aufenthalt in Berlin. Ich finde es schade, dass erst zufällig eine Dolmetscherin vorbeikommen muss, damit ein einfacher Fahrscheinkauf bei der BVG nicht in der Verfestigung von Vorurteilen endet.
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Bild: Die Schalterhalle von A. Grenander

Freitag, 11. Januar 2008

Zarah Leander hilft grönländischem Kinofilm

Gestern Abend klingelt das Telefon zu ungewohnter Stunde. Im Hörer knistert und rauscht es. Ich melde mich mit "zentrale Auskunftsstelle über Bakterien und Viren". Denn ich sehe auf dem Telefondisplay, dass Paul dran ist. Paul klingt nicht nur, als telefoniere er aus vielen hundert Kilometern Entfernung, zum Beispiel aus dem Gebiet der polaren Eisdecken, Paul ist auch dort. Er lebt als einziger US-Amerikaner in Südgrönland, von wo aus er übersetzt.

Paul ist erstmal sprachlos über meine Stimme. Auch ohne schlechte Telefonleitung oder Polareis-Echo klingt sie mitgenommen, daher meine übergangsweise bak­te­rio-/vi­ro­lo­gische Spezialisierung. Wenn ich den Mund aufmache, höre ich Zarah Leander sprechen. "Totally sexy!" haucht Paul derart ins andere Ende der Leitung, so dass ich kurz um die türkisfarbenen Gletscher fürchte. Ich habe indes andere Gedanken: Wer hat diesem verruchten Biest mit dem sonoren Bass eigentlich die Tür aufgemacht? Und wer hat ihr gesagt, dass sie ausgerechnet meine Banalitäten synchronisieren soll?

Dann geht es mit Filmvokabular weiter. In Grönland wird demnächst mit "3900 Pictures" der erste echte grönländische Kinofilm produziert. Und aus Gründen der Vorab-Kommunikation mit dem Ausland (möglicherweise fehlt noch Geld) braucht die Produktionsfirma den Kostenvoranschlag, der auf Dänisch geschrieben wurde, jetzt auf Englisch. Vieles hat Paul schon übers Netz rausgekriegt, aber bei einigen Begriffen hakelt's. "Regie" als Oberbegriff in Zusammenhang mit Bühne zum Beispiel. Der Begriff hat's in sich. Auf Deutsch ist er klar: am Set ist das derjenige, der künstlerisch das Sagen hat. Frankreich bezeichnet " le régisseur " den- oder diejenige(n), dessen/deren Aufgabe es ist, den technischen Ablauf der Dreharbeiten zu managen ("Aufnahmeleiter"). Dann gibt es noch " régie technique " in manchen Kostenvoranschlägen, das steht direkt unter Reise- und Hotelkosten und meint soviel wie "Tagegelder". Aber hier?

Etliche unserer Fragen werden an die Produktion zurückgestellt. Manch' Budgetposten ist mehrdeutig, andere scheinen doppelt vorhanden zu sein. Einiges gehört zur Gruppe der "faux amis", den "falschen Freunden", wie Franzosen vermeintlich erkennbare Worte nennen, die aber etwas ganz anderes bedeuten, oft als Ergebnis kleiner semantischer Verschiebungen: regional verbreitete Aneigungen von durchaus existenten englischen Begriffen, weil phonetisch Nähe zu einem dänischen Ausdruck besteht. Letztendlich sind diese Termini eben auch Teil eines Soziolekts, der in stetem Wandel ist, zumal in allem, was sich auf Endfertigung ("post") bezieht. Meint "clipping" jetzt die Digitalisierung von echtem Filmmaterial, die Auswahl der geeigneten "takes" oder doch den Rohschnitt, weil ja doch für den Schnitt noch an anderer Stelle eine nicht unerhebliche Summe verzeichnet ist? Oder stellen die Grönländer gleich einen zweiten Werbefilm her (einen kurzen "teaser" oder einen längeren "trailer"?) und "klammern" dafür Material "ab"? Oder geht es hier möglicherweise um einen neuen Arbeitsschritt am digitalen Schnittplatz, den ich nicht mehr kenne, weil mein letzter umfangreicherer Schnitt für ein filmisches Dokument über Klaus Michael Gruber und seine Probenarbeit am Conservatoire de Paris etliche Jahre zurückliegt?

Auch Zarah Leander, der Star der frühen Tonfilmzeit, ist mir hier keine große Hilfe. Es wird Zeit, dass ich Madame wieder loswerde. Was trinkt man in Grönland, Paul? Honigmet? Hilft der auch bei Husten, Schnupfen, Heiserkeit?
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Grönländisch' Eis fotografiert von P. Cohen. Thank you!

Donnerstag, 10. Januar 2008

Parlez-vous européen ?

Die Sprache Europas ist die Übersetzung.

Umberto Eco

Mittwoch, 9. Januar 2008

Sprechen wir doch mal übers Geld: Preise

Manche, die noch nie mit Dolmetschern zu tun hatten, erschrecken, wenn sie die Preise für Dolmetschdienstleistungen zum ersten Mal hören: die meisten Kolleginnen und Kollegen berechnen auch für wenige Stunden Arbeit einen ganzen Tag, und der Preis dafür reicht von 500 bis 1100 Euro.
Wir veranschlagen die Preise analog zur den wirtschaftlichen Möglichkeiten der Kunden, denn auch viele der kleinen Firmen, die noch nicht so große Umsätze haben, wachsen eines Tages. (Daher gibt es auch keine Preisliste).

Wer seit Jahren in einem Fachgebiet zu Hause ist und treue Kunden hat, die mehrfach im Jahr Aufträge erteilen, bietet vielleicht sogar halbe oder reduzierte Tagessätze an, wie wir es mit den Bereichen Spielfilm, Kinowirtschaft, Medienproduktion, Festival, Politik und manchem anderen kultur- und gesellschaftswissenschaftlichen Gebiet halten, je nach Thema. Der Grund ist rasch erklärt: Die Zeit, in der wir zum Dolmetscheinsatz kommen, ist nur ein Bruchteil unserer Dienstleistung, und wenn wir gut im Stoff stehen, fällt die Vorbereitungszeit weniger ins Gewicht.

Dolmetscher sind in mehreren Bereichen Allrounder, sie haben oft mehrere Fächer, lang und im Ausland studiert, sie haben also viel investiert. Und investieren weiter: Dolmetscher lesen alles zu ihren Fachgebieten mehrfach, in mindestens zwei Sprachen, sie halten sich auch ohne Aufträge auf dem Laufenden. Neue und auch längst bekannte Begriffe werden notiert und in Lexiken eingetragen, jedes Moment der Wiederholung verfestigt die Kenntnisse. Die politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Nachrichten mehrerer Sprachräume zu verfolgen kostet Zeit. Wir investieren sie gern, um für einen eventuell spontan anberaumten Einsatz à jour zu sein - und auch um die Entwicklungen in ihrer Tiefe zu kennen. Denn nur das Verständnis des Gesagten, zumindest ahnungshalber, plus die Beherrschung der Fachtermini führt zu richtigem Dolmetschen. Natürlich muss ich selbst kein Kameramann oder Geologe sein, um Menschen dieser Berufe dolmetschen zu können, aber ich brauche ein erweitertes, aktualisiertes Grundverständnis - und muss wissen, wie ich es mir beschaffe.

Wir Sprachmittler sind also auch Fachleute in Recherche, Informationsverarbeitung und dem Hinterfragen von Dokumenten, denn nicht alles, was veröffentlicht wurde, stimmt, seit der Erfindung des Netzes noch viel weniger. Je nach Fachgebiet und Neuigkeitsgrad kommt also auf einen eintägigen Auftrag ein halber bis drei Tage Vor- und Nachbereitung.

Alles andere kennen Sie von anderen Freiberuflern, mit denen Sie zu tun haben, sollten Sie selbst keiner sein: das eigene Büro will finanziert sein, das Verwaltungs-ABC von "Ablagen" über "Buchhaltung" bis zu "Computerupdates" kostet Zeit und Geld, Netzwerken und Acquise ebenso, außerdem engagieren wir uns oft in der Kultur, zum Beispiel dem Theater, der Literaturübersetzung oder der Ausbildung von Nachwuchs, und hier werden keine übermäßig hohen Aufwandsentschädigungen gezahlt.

Last but not least haben wie niemanden, der uns Urlaubs- oder Weihnachtsgeld zahlte oder die Beiträge für eine Betriebsrente ...

Wenn Sie festangestellt sind: Kennen Sie die Nebenkosten Ihres Arbeitsplatzes? Die Summe der Arbeitgeberanteile ihres Gehalts? Addieren Sie jetzt bitte alles mit ihrem Gehalt und teilen die Summe durch 220 Jahresarbeitstage ... Danke, dass Sie mit mir gerechnet haben.

Mit mehr Zahlen unterfüttert hat dieses Thema Julia Böhm in einem sehr lesenswerten Artikel.

PS: Für Studentenfilmfestivals und Off-Kinos, die von Ehrenamtlichen betrieben werden, dolmetsche, moderiere und texte ich gratis.

Berlinale-Dolmetscher

Waren Sie schon einmal in Osteuropa, zum Beispiel in Masuren an einem nasskalten Juniabend? Wo der Wald dunkler ist als anderswo, der Horizont größer, die Besiedelung dünner und Sie mit Freuden entdeckt haben, einen Fernseher in der Ferienwohnung zu haben?

Dann haben Sie Filme gesehen, die nach Osteuropa importiert und die für das polnische Publikum übersprochen worden sind. Ich schreibe hier nicht über Synchronisierung (meine schon gar nicht das wunderbare Wort Lippensynchronizität), sondern einfach über eine Stimme, männlich oder weiblich, die alle Rollen spricht. Das wirkt für die Zuhörer am Anfang ziemlich irritierend, vor allem, weil das Original akustisch darunter "hervorscheint". Mit der Zeit, so die Ergebnisse kleiner, nicht repräsentativer Befragungen, lege sich das mit der Irritation.

Für Wettbewerbsfilme großer Festivals arbeiten wir genauso. Berlinale-Verdolmetschung bedeutet Ausdauer und Nervenstärke - auch für uns am Mikrophon.

Parallel zum Film sprechen wir die Filme simultan ein, das ist eine Art "Dolmetschen vom Blatt", wobei der Ausgangstext in einer anderen als der gesprochenen Sprache ist. Beispiel: "Yella" von Christian Petzold, die Untertitel des Films sind auf Englisch, und ich sitze in einer kleinen Kabine im fünften Stock des Berlinale-Palasts. Zuhörer, die schlecht oder gar kein Deutsch und Englisch verstehen, hören dann die französische Übersetzung per Kopfhörer.

Das ist alles nicht so einfach. Die Zeit drängt, wir bekommen nur selten vorab Gelegenheit, den Film zu sehen. Und unsere Texte, Dialoglisten oder der Ausdruck der Untertitel, geben keine Auskunft darüber, wer was zu wem in welcher Situation sagt, im Vorfeld ist also Raten angesagt. Dafür haben wir meist einen halben Tag Zeit, uns vorzubereiten: Hintergrund über den Film zu recherchieren, Sequenzen zu durchdenken, Fachtermini nachzuschlagen (einmal musste ich eine halbe Armee rauf und runter mit der jeweiligen Funktion benennen!)

Film geht manchmal Schlag auf Schlag, es gibt Phasen mit wenig Atempausen, die Repliken wurden monatelang entwickelt, verfeinert, geschliffen. Als Hilfsmittel bleiben uns oben in der Dachjuché wenigstens die Untertitel in der jeweils anderen Sprache. Wenn ich das Glück habe und die Berlinale hat mir eine Untertitelliste zur Verfügung gestellt, sehe ich durch die ebenfalls ausgedruckten Zählerstände des Films (sogenannte Time Codes), wann es jeweils eng wird. Dann muss ich kürzen, um Zeit fürs Atmen zu finden. Die Untertitel sind noch für eine Sache gut: zur Orientierung. Vom Lesetext her kenne ich, anders als sonst in der Dolmetscherkabine, die Richtung, die das (Film-)Gespräch nimmt. Ich kann mich also an den Untertiteln orientieren, "sehe" Einsätze, die ich sonst hören würde. Denn normalerweise dolmetschen wir immer das, was wir hören - hier spielt das Lesen und das Sehen eine wichtige Rolle, die Arbeit wird dadurch komplexer, weil (noch) mehr Hinregionen als sonst aktiviert sind. Wir sind danach immer sehr geschlaucht und freuen uns über jede Pause, zum Beispiel wie hier in einer Wohnrauminstallation der Sektion "Internationales Forum des Jungen Films" im Filmhauskeller.

Im Anschluss an die gedolmetschte Pressevorführung findet meist eine Pressekonferenz statt, die übertragen werden will, dann gibt es noch Filmgespräche, Interviews, Juryberatungen und Koproduktionsgespräche, viele Situationen also, zu denen wir angefordert werden. Mehrere Dutzend Dolmetscher arbeiten auf der Berlinale, und die beginnt in weniger als einem Monat.


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Andere Festivalsequenzen hier:
-
Press Junkets
- Interviews dolmetschen
- Das denken manche Regisseure, wenn ihre Filme eingesprochen werden
- Die Kunst der richtigen Sprechhaltung
- So sieht ein Berlinale-Tag aus ...
- Yella (Berlinale-Pressekonferenz)
- Filmgespräch (und was eine Dolmetscherin dabei fühlt)
- Auf der Woche des französischen Films in Berlin
- Pannen beim konsekutiven Filmgespräch

Dienstag, 8. Januar 2008

Mahlzeit!

Aus französischer Sicht ist die Tradition skurril: In Deutschland begrüßen sich die Leute mit dem Wort "Mahlzeit", wenn sie sich in der Zeit zwischen 11.30 und ca. 14.00 Uhr in deutschen Büros und Ämtern begegnen. Derlei einfach übersetzt ist aus französischer oder englischer Perspektive undenkbar: "meal!" oder "repas !" anstelle eines 'normalen' Grußes. Das "gesegnete" von der "Mahlzeit" geriet eben in Vergessenheit, das wäre also das "have a good ..." vom "meal".

Eine andere Tradition indes ist weltweit zu beobachten, und ihnen verdanken international Reisende ganz besondere, weil heitere Mahlzeiten. Ich spreche von schlecht übersetzten Speisekarten:Gazpacho von Eingeborenen Cordobas finde ich bemerkenswert.
Auch, wie viel in der Küche durcheinandergerät ("Kuddelmuddel"). Wer's weniger kannibalisch mag, der schaut aufsFleischloses geht also besonders schnell ("Sekunde"), Kindliche Münder kauen Taffeln besonders gern, am Ende serviert noch der Roboter, oder wie?

Wer mehr in die Richtung lesen, pardon!, lachen möchte, dem sei das Buch "Übelsetzungen - Sprachpannen aus aller Welt" ans Herz gelegt.

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Fotos aus Córdoba: Friederike Elias
¡ Muchas gracias, Rike!

Montag, 7. Januar 2008

Lehrfilm über Dolmetscher der EU

Im Duktus eines 8-mm-Lehrfilms aus den 1970er Jahren hier ein Filmchen über Dolmetscher, knapp zehn Minuten lang, bei YouTube. Schön sind die historischen Aufnahmen aus den "Kabinen" ...

Klick' hier.


Liebe EU, der 70er-Jahre-Charme ist nett, aber wenn Sie mal einen frischer wirkenden Film über die Brüsseler Dolmetscher wünschen, wir wüssten schon, wer den machen könnte ...

Sonntag, 6. Januar 2008

Notizentechnik

Willkommen auf meinen Blogseiten! Französisch ist meine zweite Sprache, und ich setze sie täglich als Übersetzerin und Dolmetscherin ein. Hier berichte ich in möglichst kurzweiliger Form über diesen Berufsalltag ... und unter Wahrung dienstlicher Geheimnisse.

Im Studium lernt unsereiner, uns auf eine bestimmte Art und Weise Notizen zu machen, um das Gesprochene beim konsekutiven Dolmetschen besser wiederzugeben. Hierbei sieht die Theorie sprachunabhängige Symbole vor, ähnlich wie Verkehrsschilder beim Autofahren.
Meine Notizen sind mehr Kürzel. Wenn ich zu schnell notiere, zum Beispiel, weil ich müde bin oder verunsichert (das legt sich dann meistens recht schnell), habe ich das Gefühl, vor einem Schilderwald zu stehen. Am Ende eines Arbeitstages notiere ich auf jeden Fall immer mehr, schreibe Worte eher aus (in der Zielsprache).

Grundsätzlich schreibe ich immer etwas auf, es sei denn, es sind nur ein oder zwei Sätze hin- und her — denn selbst, wenn ich die Gewissheit oder das Gefühl habe, die Situation "im Griff zu haben", fahre ich mit Notizen besser.

Ziel ist dabei immer ein hoher Reduktionsgrad, ich lasse also viel weg, an das ich mich beim Sprechen dann wieder erinnere, und verwende immer dort, wo es möglich ist, Symbole. Viele Zeichen entstammen der Mathematik, aber auch typisch französische Kürzel sind dabei ( für -tion, pb für 'problème' etc.)
Ich lasse viel Luft zwischen den Notizen, füge das entsprechende Zeichen oder Wort hinzu, wenn etwas präzisiert wird, und zwar immer gleich an der Stelle, an die z.B. das Adjektiv 'gehört" - vorausgesetzt, dessen spätere Mitteilung ist nicht aus Gründen der Dramaturgie wichtig ist. Begriffe, über die ich während des Sprechvorgangs nochmal nachdenken muss, werden markiert. Grundsätzlich ist meist die Stelle, an der ein Wort oder Zeichen steht, aber schon eine Markierung für sich. Am Zeilenanfang mache den Sprecher oder die Sprechhaltung "klar", so steht " für Zitat oder den Bericht eines Gesprächs, I steht wie das englische "I" für die erste Person Singular. Schlüsselworte stehen frei in der Mitte, bieten Platz für Ergänzungen; das Verb steht oft leicht unterhalb des Sprechenden, hier dominiert die französische Grammatik und auch im Deutschen muss ich frühzeitig wissen, wo der Satz hinwill. Ein Strich unter dem Gesagten markiert den Beginn eines neuen Gedankens, ein Spiegelstrich (wie in der Filmuntertitelung) einen neuen Sprecher.

Wichtig sind auch Worte der Verknüpfung und Überleitung, die oft als rhetorische Marker fungieren, sie stehen allein für sich, am Anfang einer sonst leeren Zeile. Kommt ein Redner immer wieder auf einen Begriff zurück, umkringele ich ihn und zähle manchmal sogar durch kleine Strichelchen mit, wie oft das Wort fällt. In der Verdolmetschung reduziere ich das Gesagte zwar, folge also nicht sklavisch der vorgegebenen Anzahl, gebe aber durchaus diese Sprechhaltung des Betonens, Insistierens, Zurückkehrens wieder. Oder aber der Redner stellt viele Fragen, vielleicht sogar sich selbst mit infrage - hier steht alles unter dem Vorzeichen des ? ... ist er oder sie hingegen wütend, setze ich in die Marge ganz links ein oder mehrere !

Am Ende streiche ich alles, was ich schon gedolmetscht habe, durch. Auf jeden Fall schreibe ich immer mehr, als es die Hochschulregeln vorsehen.

Der Schritt der Verdichtung bei gleichzeitiger Strukturierung scheint mir übrigens das wichtigste beim Aufschreiben zu sein. Dabei ist oft das Niederschreiben der zentrale Schritt, weniger das Ablesen. Gedanken, die ich notiert, strukturiert, geformt habe, sind mir vertrauter. Schreiben erhöht die Merkfähigkeit. Das gilt auch für andere Arbeitsprozesse, zum Beispiel im Studium. Sehr gut beschreiben hat dies kürzlich Jochen Mai auf seinem "Karrierebibel"-Blog. Denn das Mitschreiben erhöht die Zahl der später gemerkten Schlüsselinformationen signifikant; die "Formgebung" der Notizen ist ein erster Schritt zur Verarbeitung.

Weitere Blogbeiträge der Autorin dieser Teilen zum Thema Notizen hier: Wirklich keine Steno, erstes Beispiel, zweites Beispiel, mnemotechnisches Wortbild und mein erklärender Text dazu.

Hier noch ein Link zu einem Erfahrungsbericht von Jana Laukovà über sprachunabhängige Notation sowie ein Aufsatz aus einer Festschrift für Henry Vernay.  Außerdem hier Informationen über die Geschichte und die Funktionsweise der Notizentechnik. Autorin: Leonie Becker

Viel Spaß beim Weiterlesen wünscht mit ღlichen Grüßen:
Caroline Elias
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Samstag, 5. Januar 2008

Berufs(ver)bildung ...

... heißt ­for­ma­tion profes­sion­nelle auf Deutsch. Natürlich prägt uns Dol­met­­scher und Übersetzer der Arbeitsalltag - und zwar bis in den Traum hinein.

Letztens träumte ich im Anschluss an eine Film­un­ter­ti­te­lung, die mich eine Woche lang beschäftigt hatte, von einem Fernsehgerät. Das ist komisch, ich habe nämlich gar keinen Fernseher. Das geträumte TV-Gerät stand als kleine Kiste auf einer Art Denkmalfuß oder Stele. Bei ge­nau­e­rem Hinsehen entdeckte ich zu un­spe­zi­fi­schen Bil­dern in Rot, die gleichermaßen Aufnahmen einer Ma­gen­spie­ge­lung wie ein modernes Opern-Szenenbild sein konnten, eine Textzeile im Bild. Aber, so stellte ich über­rascht fest, diese Textzeile stand gar nicht am un­te­ren Bild­rand, wie bei Untertiteln üblich, sondern klebte oben am Bild. Es war nicht in einem Dezembermonat, stand also in keiner Verbindung zu meinem spiel­zeit'eu­ro­pa-Job, der mich winters gern in die Theaterübertitelung bringt, denn dort "sitzen" die Buchstaben in der Tat oben - wenn der Zusachauer Pech hat, sogar weit ober­halb der Deko, so dass es dann von hinten aus der Tonregie oder dem Stell­werk im­mer ausschaut, als nickten die Zuschauer, vor allem die auf den teueren Plätzen, weil sie immer abwechselnd nach oben und nach unten schauen. Nichts der­glei­chen, das stellte ich im Schlaf schonmal fest.

Im Traum sehe ich genauer hin. Und was muss ich entdecken? Die Buchstaben sind in Fraktur-Schrift, also gar nicht für jedermann lesbar. Das dünkt mich doch recht komisch.

Also nehme ich den Fernseher, er wiegt nicht schwer, lässt sich mit beiden Händen bequem packen - und drehe ihn um, vermeintlich auf den Kopf. Aber jetzt scheint es richtig zu sein. Denn jetzt erkenne selbst ich, dass es sich um arabische Schrift­zei­chen handelt ...

Nein, ich kann kein Arabisch und untertitele nur in meinen beiden Arbeitssprachen, zum Teil im Team. Aber manchmal beherrsche ich im Traum Sprachen, die mir im wirklichen Leben fremd sind. Ob Piloten davon träumen, ohne Gerätschaft zu fliegen?

Ich musste so sehr lachen über meinen Traum, ich bin vom Lachen aufgewacht.

Freitag, 4. Januar 2008

Phonetik

Auf manchen Eintrag bringen Sie mich, liebe Leserinnen und Leser, durch ihre Mails.

Hier die Antwort auf die Frage, wo französische Phonetikübungen online stehen. Wir fanden dies: KLICK.

Derlei findet in jedem Sprachlabor an der Uni statt; die Übungen aus dem Netz werden im Selbststudium jene voranbringen, die oder der ein exzellentes Gehör und gelegentlich eine Lehrerin oder einen Lehrer an der Seite hat. Denn wie bei Grammatikregeln und ihrer Anwendung gelten die bekannten Grundsätze

Feinheiten klärt das Netz nur in den seltensten Fällen.

und:
Lernen ist ein zwischenmenschliches Phänomen.

Qualität ...

... hat ihren Preis. Das wissen nicht immer alle Kunden. Wir merken es, wenn die bezahlte Zeit schon rum ist, aber vom Text ist noch so viel unübersetzt. Oder wenn uns in der Dolmetscherkabine/am Set die Zeit knapp wird, weil aus wirtschaftlichen Gründen längst der nächste Auftrag hätte beginnen müssen.

Dabei regiert aus Kundensicht der Markt - und der hat (wie einst die Partei) immer Recht. Auf den ersten Blick scheint das zu stimmen, es treten regelmäßig viele neue Leute in den Wettbewerb ein, der Preis geht runter. Indes, das geht nur so lange gut, wie sich Nachwuchs findet, der zu bluten bereit ist, meist für eine gewisse Zeit. Wenn diese dann rum ist und der/die Kolleg/e/in höhere Zeilen- oder Stundensätze anmahnt, sucht sich manch' Auftraggeber die nächsten.

So lässt sich kein Vertrauensverhältnis aufbauen. So verhielte sich auch niemand von uns, wenn es darum geht, die lieben Kindelein einer Fachkraft anzuvertrauen oder die eigenen Räume den berühmten "Oberflächenspezialisten".

Vertrauen ist das Stichwort. Dieses Wort ist für uns zentral. Wir sind gerne für sie da - aber manchmal können wir leider nicht zu 100% persönlich. Mancher unserer Kunden kennt uns seit Jahren, kündigt einen Auftrag an, der verschiebt sich so lange, bis ein anderer Termin eines anderen langjährigen Kunden mit dem verständlichen Wunschen auch des anderen kollidiert, uns exklusiv haben zu wollen. Denn ist das Vertrauen erst einmal etabliert, müssen immer wieder wir 'ran'. Das ist wie im Lieblingsrestaurant: Nur, wenn der Chef hinterm Herd steht, schmeckt's so richtig.

Viele der Firmen, für die wir tätig sind, wuchsen mit der Zeit - und wir wachsen mit ihnen, bilden Kollegen fort, checken, prüfen, lesen gegen, beraten. Fachtermini werden im Team entwickelt, und auch bei einfachen Texten schaut, wenn es so abgesprochen ist, immer noch jemand drauf. So dass für uns Qualität weiterhin der zentrale Punkt ist, höhere Gewalt nicht gerechnet - Erdbeben, Hochwasser, in Serie abrauchende Festplatten, wir kämpfen und geben alles Menschenmögliche.
Oder wir müssen Anfragen absagen, was immer öfter vorkommt. Mit den Kostenvoranschlägen Dritter können und wollen wir oft nicht mithalten.

Schön wäre es, wenn mancher Auftrag in der Kultur (gerade im Bereich Übersetzung) nicht so hart kalkuliert wäre. Daher sprechen wir auch mit den Geldgebern, werben für den Berufsstand, denn unser Aufwand wird meistens unterschätzt.

Last but not least gibt es Herzblutfirmen und –filme, für die sind wir jetzt schon da, auch für geringere Tagessätze mit dem gleichen Qualitätsanspruch - machen indes deutlich, dass es ein Freundesdienst ist und dass wir uns auf den nächsten gut bezahlten Auftrag freuen. Und für einen Teil der Honorarsumme gehen wir manchmal mit ins Risiko hinein, so dass z.B. das Drehbuch zu dem Zeitpunkt vollends bezahlt wird, wenn die Filmfinanzierung steht. Also, Leute, strengt euch an, wir geben nur Preisnachlässe, wenn die Ausgangsqualität hervorragend ist, die Arbeit also besonders großen Spaß macht ;-)

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Danke, K. für die "Kalkulationshilfe"

Mittwoch, 2. Januar 2008

Baustelle


Nicht der Blog hier ist eine Baustelle, am letztmöglichen Arbeitstag des alten Jahres geriet ich auf eine Tonbaustelle. Der Grund dafür ist ein berühmter deutscher Schauspieler, der in Frankreich drehen soll. Nun ist von ihm bekannt, dass er sehr musikalisch ist, aber kaum Französisch kann, dafür Sprachlernerfahrungen hat.

So stehe ich also in einem Kreuzberger Hinterhof-Tonstudio vor einer Wand aus rohen Brettern, die von innen mit eierschalenförmigem grauem Schaumgummi ausgekleidet ist, vor mir das Studiomikro, in Sichtweite Werner, der Tonmann, am Computer. Ich spreche 18 Seiten Drehbuchtext - und jetzt kommt die Besonderheit: halb auf Deutsch, halb auf Französisch. Die Filmfigur Norbert bekommt in Frankreich Besuch von Till, dem eigenen Sohn aus Deutschland, den er einst beim fluchtartigen Verlassen des Landes zurückgelassen hat.

Ich lese wie bestellt: Regieanweisungen und Rollennamen auf Deutsch, die französischen Repliken auf Französisch. Und komme in sprachliches Schlingern. In Passagen wie dieser hier:

JEAN-LUC
T'en penses quoi d'ça, Norbert?

NORBERT
Faut que je réfléchisse.

TILL
Könntest du bitte Deutsch sprechen, du weißt doch,
ich kann kein Französisch ...

Natürlich spricht Jean-Luc den Namen Norbert französisch aus. Der Rollenname ist dann wieder auf Deutsch fällig, worauf der Genannte Französisch spricht. Die Figuren sprechen unter sich schnell, verschlucken, wie's im Alltag üblich ist, Vokale (das stumme 'e'), Norbert, der Französisch später gelernt hat, ist ein wenig akademischer in seiner Ausdrucksweise als die anderen ... aber welches Tempo setze ich jetzt an für eine Lern-DVD? Eigentlich müsste ich sie drei Mal sprechen, die Repliken langsam zum Reinhören, mittelschnell fürs Üben und normalschnell - und getrennt von den Regieanweisungen anzusteuern. Dafür reicht die Zeit aber leider nicht. Die Scheibe wird gleich am 1.1. dem Schauspieler übergeben, der Kurier ist schon bestellt.

Oft wird im Filmdialog gedolmetscht, das ist für mich als Sprecherin nicht kompliziert. Anstrengend ist dafür das dauernde Hin- und Herschalten in ein- und derselben Sprachspur, ich verhaspele mich so oft, wie ich es von mir nicht kenne. Dann muss ich immer neu ansetzen, eine halbe bis eine Zeile zurückspringen, neu ansetzen, damit der Schnitt nicht hörbar ist wegen veränderter Sprecherenergie.

Störend wirken sich die Nachbarkinder aus, die nicht im Kindergarten sind und deren Spiel nach so vielen Tagen Stillsitzenmüssen bei Opa und Oma durch die Wände drängt (so stell' ich mir das Szenarium jedenfalls vor).

Noch sehr viel störender aber sind die Böller, Chinakracher, kubischen Kanonenschläge, Sonnenräder oder was das Arsenal der Pyrotechnik alles sonst noch so bietet, um mit möglichst viel Lärm und Schwefeldampf das neue Jahr zu begrüßen - am Ende sitzen Werner und ich fünf Stunden lang im Tonschnitt, eine echte Tonbaustelle - für 25 Minuten Ergebnis. Ganz selten hört man auf der fertigen DVD ein Kinderlachen und einen Knallfrosch.

Happy New Year!