Mimesis (älteres Griechisch μίμησις) bedeutet "Nachahmung“. Letztens nannte jemand aus dem Publikum unsere Konsekutiveinsätze "spannende mimetische Effekte".
Bei öffentlichen Veranstaltungen ist es offensichtlich, dass meine Übertragung im Grunde nur Nachahmung ist. Die Worte notiere ich mir grob auf dem Papier, Körper und Stimme fügen unbewusst nonverbale Elemente hinzu, die mir vermutlich das Dolmetschen erleichtern. Sicher weiß ich das nicht. Ich weiß nur: Als ich 1999 anfing, regelmäßig Podiumsdiskussionen im Kino zu dolmetschen, hat es mich maßlos irritiert, dass ich, wie es vorgeschrieben und gelehrt wird, immer "ich", "mir" oder "mich" übersetze, wenn der Podiumsgast "je", "me" oder "moi" gesagt hat. Ich spürte sogar einen Anflug lang eine diffuse Angst vor unbekannten Formen der Schizophrenie. Damals ließ ich diese Gedanken nicht zu und wunderte mich nur darüber, dass meine innere Stimme verstummte. Konkret: Zu einem Film, den mein kritischer Geist einen Tag nach der Vorführung nochmal "vor dem inneren Auge" sah und für schlecht befand, hatte ich während und kurz nach der Veranstaltung keine eigene Meinung.
Ich kannte mich nicht wieder: keine innere Stimme war zu hören, die den Film einsortiert, Schwächen aufzeigt oder Probleme hinterfragt, das war neu, denn der kritische Geist war und ist doch sonst immer da, oft sogar allzu vorschnell - zum Leidwesen meiner Mitmenschen. Erst tags drauf verstand ich. Ich hatte auf dem Podium die Position des Regisseurs eingenommen, des jeweiligen "je". "Ich" also hatte den Film gemacht, meine künstlerischen Entscheidungen verteidigte ich da und "mir" fehlte zu mir selbst natürlich jegliche kritische Distanz.
Dass ich in dieser Situation oft selbst Gesten mit 'übertrage', die der andere gemacht hat, überrascht dann nicht mehr. Nicht nur mir passiert das, schauen Sie mal Dolmetschern ein wenig beim Arbeiten zu.
Kein Wunder also, dass manche Verdolmetschungen für das Publikum so klingen, als hörte man nur einem Menschen zu: "d'un même souffle" benannte der Gatte von Isabelle Huppert einmal seinen Eindruck nach einer Pressekonferenz. Das Phänomen hat der damaligen Filmhochschuldirektor Reinhard Hauff sehr ähnlich als "mit einer Stimme gesprochen" kommentiert, wobei er sich auf eine gedolmetschte Masterclass mit Drehbuchautor Jean-Claude Carrière bezog.
Das Witzigste ist mir aber vor langem mit Radu Mihaileanu passiert, dem Regisseur von "Train de vie" (Zug des Lebens). Als er eben diesen Film in Berlin vorstellte, hatten wir uns intensiv auf den Einsatz vorbereitet, schon den ganzen Nachmittag lang über das Thema gesprochen, waren auch ein wenig touristisch in Berlin unterwegs gewesen und rechneten mit einer heftigen Debatte, denn der Film ist, ähnlich wie "La vita è bella" von Roberto Benigni, eine Holocaust-Komödie. Am Abend lief dann soweit alles gut, wir waren mit einem Tag Vorbereitung ein eingespieltes Team. Beim Verlassen des Kinos sagte mir prompt eine Zuschauerin, wie praktisch es doch sei, dass ich so gut Deutsch könne, da wäre ich meinem Mann ja eine große Hilfe. Schön, wie sie den mimetischen Effekt für sich interpretiert hat ...
1 Kommentar:
Mir passiert es manchmal, dass ich nach einem Dolmetscheinsatz noch "in" der Person des anderen "verhaftet" bin und fast identisch agiere und rede.
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