Montag, 28. Januar 2008

Dolmetscher an Bord?

"Was war ihre peinlichste Situation als Dolmetscherin?" fragt H-P aus Köln.

Nie ein schlechtes Wort über Kunden, das ist eine eherne Regel der Freiberufler. Was jetzt kommt, bricht ein wenig mit ihr. Ein wenig sage ich, denn die Episode ist nicht nur lange her, ich wurde danach zur regelmäßig angefragten, geschätzten Mitarbeiterin des Kunden — trotzdem.

Trotz des Honorars, zu dem einige ältere Konferenzdolmetscherkolleginnen nur verächtlich "Caritas" sagen und entsprechende Anfragen ablehnen. Das tat ich auch erst, als ich erfuhr, was das Honorar für einen abendlichen Dolmetscheinsatz sein sollte. Dem vorausgegangen war die Entdeckung, dass Tahar ben Jelloun in der Stadt lesen würde — ich hatte gerade etwas von ihm gelesen und wollte ihn gerne dolmetschen. So war ich kurz telefonisch beim Veranstalter vorstellig geworden, der als Honorar dann eine Summe aufrief, das zwei Menschen in einem leicht überdurchschnittlich guten Restaurant für ein Abendessen auf den Tisch blättern müssen.

Wie das Leben so spielt, ich saß wenige Wochen später im Publikum bei nämlicher Lesung, und zwar Mitte rechts in Reihe zwei, eingeladen von einer Kollegin. Der Meister steig aufs Podium, begleitet von einem Mann, der sich als Herausgeber eines seiner Bücher vorstellte, sowie von einem Schauspieler, der aus der Über­setzung las. Im Anschluss an die Lesung sollte Zeit für Fragen sein.

Erst las der Gast. Dann las der Schauspieler. Gegen Ende wurde der Verlagsmensch unruhig. Er ergriff, als nun beide Herren verstummt waren, das Wort, sagte etwas à la 'eigentlich sollte jetzt Roger de Weck hier sein um das Gespräch zu mo­de­rie­ren und um zu übersetzen, ich weiß gar nicht, wo er bleibt ... Hm, ist zufällig ein Dolmetscher im Raum?" Mich überkam es heiß und kalt, was war das jetzt für ein blöder Zufall, nein, das Ergebnis von Knausrigkeit (der Veranstalter!) an der falschen Stelle, dachte ich mir und beschloss, mich möglichst unauffällig zu verhalten.  

'Gut', sagte der Verlagsmann, 'dann fangen wir inzwischen einfach mal an, er muss ja gleich hier sein ...', zog einen Zettel aus der Tasche und stellte die erste von offensichtlich mehreren dort notierten Fragen. Tahar ben Jelloun antwortete — und unser Fragensteller schlug sich wacker in einer zu­sam­men­fas­sen­den Ver­dol­met­schung. Dann die zweite Frage und Antwort, hier fing der Ver­lags­mit­ar­bei­ter schon an, nach Worten zu suchen. Eine Dame aus der ersten Reihe flüsterte ihm daraufhin Vokabeln zu, ein Mann von schräg dahinter ergänzte, korrigierte. Dann mischte sich ein Publikumsgast mit einer Frage an den Dichter ein, und der Zufallsmoderator und -dolmetscher geriet nun endgültig ins Stocken, ruderte aufgeregt mit Armen und Worten rum bei seiner Suche, hörte auf die Dame aus Reihe eins und den Mann von schräg dahinter, wobei beide die Begriffe leicht verfehlten.

Was in mir in dem Moment vor sich ging, ist schwer zu be­schrei­ben. Mir war die Sache peinlich. Ich hielt mich mit beiden Händen am Sessel fest, biss mir auf die Zunge, ver­wünsch­te meine Idee, her­ge­kom­men zu sein. Ich glaube, ich bin so rot an­ge­lau­fen, wie der Sessel rot war, auf dem ich saß. Ob es wegen des krampf­haf­ten Festhaltens am Sitzplatz war oder vor lauter Luftanhalten oder vor Wut, kann ich nicht mehr sagen. Auf jeden Fall brach sich das erste Wort Bahn, ploppte aus meinem Mund heraus fast wider meinen Willen, kam dem Moderator zu Ohr, der die anderen Souffleurerträge gerade ge­gen­ein­an­der ab­wog, schlussendlich meine Lösung als die beste auserkor und seinen Satz nun mit meiner Trouvaille vervollständigte. Ab dem übernächsten Hänger schaute er flehentlich in meine Richtung, ich lieferte erst stockend, dann vorsichtig einen Halbsatz.

Die Sache ging so einen kurzen Moment weiter, dann sprang der Verlagsmitarbeiter geradezu fröhlich und wie von größter Bürde entlastet von seinem Stuhl, wies mit einer großen Geste auf seinen Platz und sagte mit Aplomp: "Gnädige Frau, ich glaube, ihr Platz ist hier!" (Das weiß ich noch wörtlich, denn gnädige Frau hatte mich bis dato niemand genannt!)

Was ich allerdings nicht mehr weiß, ist, wie viele Sekunden ich mich noch er­folg­reich an meinem Sessel festklammerte, mir schien es gewiss länger als den Um­sitzenden. Kurz: Ich kam, dolmetschte und kriegte ... am Ende einen rie­si­gen Blu­men­strauß.

Später erfuhr ich, dass Roger de Weck an diesem Abend in der Schweiz geblieben war, er musste den unter Beschuss geratenen Christoph Marthaler verteidigen. Eine Rechnung hab ich tags drauf noch geschrieben, DAS war mir nicht peinlich.

2 Kommentare:

H. Selge hat gesagt…

Liebe unbekannte Dolmetscherin,
das ist ja kabarettreif, was und vor allem wie Sie da formulieren! Hut ab! Haben Sie je erwogen, ein Buch mit diesen kurzen Texten zu veröffentlichen? Gruß,
Ihre
H. Selge

caro_berlin hat gesagt…

Hallo Unbekannte,

Danke für diese Einschätzung! Nein, noch nicht, aber könnte ja noch werden. Wenn Ihnen ein passender Verlag dazu einfällt, würde ich mich über eine Mail sehr freuen.

Gruß,
CE