Mittwoch, 1. Oktober 2025

Kalt (KI) vs. warm (Mensch)

Seit 19 Jah­ren be­richte ich hier aus dem Be­rufs­all­tag von Dol­met­sche­rin­nen, Dol­met­schern, Über­set­ze­rin­nen und Über­set­zern. Mei­ne Spra­chen: Deutsch (Mut­ter­spra­che), Fran­zö­sisch und Eng­lisch. Mei­ne Bü­ro­kol­le­gin über­setzt Tex­te, Web­sei­ten und Aus­stel­lungs­ka­ta­lo­ge ins Eng­lische. Heu­te wie­der: KI-Mitt­woch.

Der Red­ner ver­schluckt sich, hus­tet, greift zum Was­ser­glas. Ein kur­zer Schluck, dann folgt ein zwei­ter Ver­such. Er setzt mit­ten im Satz noch­mal an, spricht ei­ne Mi­nu­te frei, ra­schelt mit dem Ma­nus­kript auf der Su­che nach ei­nem Zi­tat. Als er das ab­ge­le­sen hat, wen­det er plötz­lich den Kopf zur Sei­te, weg vom Mi­kro. Et­was muss ihn ab­ge­lenkt ha­ben. Und er sagt prompt das Ge­gen­teil von dem, was er ei­gent­lich sa­gen woll­te.

Wo­her ich das mit dem Ge­gen­teil weiß? Ich ha­be mich vor­be­rei­tet, ei­nen Tag lang im Geis­te dem Red­ner auf dem Schoß ge­ses­sen und sehr viel ge­le­sen und, Au­dio­files sei Dank, auch ge­hört. In der Dol­metsch­ka­bi­ne hö­re ich wei­ter sehr ak­tiv zu. Was ich akus­tisch nicht ver­ste­he, er­gän­zen Vor­wis­sen und das Mund­bild. Wir le­sen manch­mal auch von Lip­pen ab.

Ich bin Dol­met­sche­rin, ei­ne men­sch­li­che Dol­met­sche­rin, die für Men­schen ar­bei­tet. Die­ser Ta­ge müs­sen wir uns fast täg­lich weh­ren, wenn Men­schen sa­gen: "Eu­ren Be­ruf über­nimmt doch oh­ne­hin bald die KI!"

Eine Reihe Roboterfrauen an Computern
Roboterweibchen mit Brüsten
Und ich weiß, dass Spra­che kein Al­go­rith­mus ist. Und ich weiß, dass Al­go­rith­men bei men­sch­li­cher Kom­mu­ni­ka­ti­on oft nicht mit­kom­men. Denn beim Dol­met­schen geht es nicht dar­um, me­cha­nisch Wor­te zwi­schen Spra­chen hin- und her­zu­schie­ben als wä­ren sie Bau­stei­ne. Es geht dar­um, Sinn, Stim­mung und Hal­tung zu über­tra­gen.

An­ders als die Ro­bo­ter er­fin­de ich kei­ne Pas­sa­gen neu, nur weil je­mand nu­schelt oder das Mi­kro ver­fehlt. Ich ha­be Ver­ständ­nis für Er­fah­run­gen, kann Din­ge nach­voll­zie­hen, weil ich selbst ein Mensch aus Fleisch und Blut bin, al­so ein le­ben­des, war­mes We­sen, das at­met und sich im Raum be­we­gen kann. Ich weiß, was Schmerz ist, wie sich Angst und Freu­de an­füh­len.

Auch, wenn Re­chen­zen­tren über­schüs­si­ge Wär­me pro­du­zie­ren: Ei­n­sen und Nul­len, al­so „Strom an, Strom aus“, sind tot, kalt, wis­sen nicht, was At­men ist und sie haben keine Ge­füh­le. Die Ro­bo­ter­weib­chen da oben hat­ten nie ei­nen Säug­ling an ih­rer Brust und wis­sen nichts von Lie­be und auch nichts vom Tod.

Sie ken­nen auch kei­ne Ver­ständ­nis­rhyth­men, al­so die Prä­sen­ta­ti­on von In­hal­ten mit Pau­sen, Be­to­nun­gen und dra­ma­tur­gi­schen Knif­fen, wis­sen nicht, wie Fak­ten ge­reih­t, ge­stei­gert und auf­ein­an­der be­zo­gen wer­den. Die KI haut, wenn sie et­was über­for­dert, nach län­ge­rem Nach­den­ken die „Ant­wort“ in Über­schall­ge­schwin­dig­keit raus. Nur hat kei­ner vor Ort die Zeit und die Tech­nik, sich so etwas auf­zu­zeich­nen und mit ver­rin­ger­ter Ge­schwin­dig­keit an­zu­hö­ren, al­so pas­send fürs Hu­ma­no­id­ge­hirn.

Die At­mo­sphä­re im Raum le­se ich wie an­de­re ei­nen Text. Ich er­ken­ne Iro­nie, Un­ter­ton, Span­nung und Hu­mor. Ich wäh­le mei­ne Wör­ter be­wusst und er­gän­ze im Ne­ben­satz die re­le­van­te In­for­ma­ti­on, be­vor mei­ne Kun­din­nen und Kun­den über­haupt mer­ken, dass da ein po­ten­zi­el­les Stol­per­mo­ment war. (Be­vor Fra­gen auf­kom­men, es sind Wör­ter wie Ganz­tags­schu­le oder Ehe­gat­ten­splitting).

Ich weiß, dass je­de Kul­tur an­ders spricht, man­che mit Ge­sten, an­de­re mit Bli­cken, dass vie­le Wör­ter an­ders auf­ge­la­den sind, ein an­de­res kul­tu­rel­les Hin­ter­land ha­ben. Und manch­mal ge­nügt ein ein­zi­ger (von ei­ner Ma­schi­ne falsch über­tra­ge­ner) Be­griff, um ein gan­zes Mee­ting kip­pen zu las­sen.

An­ders als die KI be­trei­be ich kein Rät­sel­ra­ten, son­dern bie­te in­ter­kul­tu­rel­le Fach­kom­mu­ni­ka­ti­on. Ich stüt­ze mich nicht auf Wahr­schein­lich­kei­ten, son­dern auf Er­fah­rung.

Ich ar­bei­te zu­ver­läs­sig und oh­ne E­ther­net-Ka­bel, Not­strom oder Ab­si­che­rung durch ei­ne zwei­te, iden­ti­sche An­ord­nung, das be­rühm­te Fall­back-Sys­tem.

Vor dem Ein­satz be­rei­te ich mich sor­gfäl­tig vor, stel­le Fra­gen, wenn ich et­was nicht ver­ste­he. Mei­ne Ar­beit ist lei­den­schaft­lich, ich stre­be nach Ex­zel­lenz. „Gut ge­nug“ ist ähn­lich wie „gut ge­meint“, das reicht nicht.

Mein Wert ist: ein Mensch zu sein, zu at­men, Ge­füh­le zu ha­ben; es ist tat­säch­lich „warm“ ver­sus „kalt“.

Last but not least ist wich­tig in die­sen Ta­gen: Ich bie­te ei­nen per­sön­li­chen Ser­vice an, wah­re Ver­trau­lich­keit und baue Ver­trau­en auf. Ich kann nicht ge­hackt wer­den. Mei­ne Wör­ter kön­nen nicht ab­sicht­lich von ei­ner hö­he­ren Macht aus­ge­tauscht wer­den.

Und von Spie­gel­neu­ro­nen ha­be ich heu­te noch gar nicht ge­spro­chen, auch nicht von Phe­ro­mo­nen, die wir viel­leicht im Vor­ge­spräch spü­ren, al­so um die Angst der Red­ne­r:in­nen wis­sen. Oder da­von, dass ich neu­lich ei­ne sehr schüch­ter­ne Red­ne­rin, die sich krampf­haft am Pult fest­hielt, wäh­rend sie sich an den Wör­tern ih­rer Prä­sen­ta­tion fest­hielt, als wä­ren es Lat­ten­zäu­ne, durch ei­nen sehr sou­ve­rä­nen Ton im Deut­schen ganz an­ders rü­ber­kom­men ha­be las­sen, ab­sicht­lich, ganz ein­fach, weil sie und das, was sie zu sa­gen hat, es ver­dient ha­ben.

Mehr­e­re Stu­di­en zei­gen klar: Künst­li­che In­tel­li­genz er­setzt kei­ne men­sch­li­chen Pro­fis. Sie ist ein Tool, ein Werk­zeug, das wir als Pro­fis manch­mal nut­zen, um uns dort, wo es mög­lich ist, kon­trol­liert ein we­nig zu­ar­bei­ten zu las­sen.

An­son­sten schafft die KI Ri­si­ken, die vor­her nicht da wa­ren: Miss­ver­ständ­nis­se, Fehl­in­ter­pre­ta­tio­nen, In­for­ma­ti­ons­stau. Al­le Ver­su­che, uns durch Ma­schi­nen zu er­set­zen, sind kläg­lich ge­schei­tert. Und da uns Men­schen die aus­dif­fe­ren­zier­te, ver­ba­le Kom­mu­ni­ka­ti­on von Tie­ren un­ter­schei­det, hier mein Edu­ca­ted guess: Sie wird auch künf­tig un­ser Al­lein­stel­lungs­merk­mal ge­gen­über Ma­schi­nen blei­ben.

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Il­lus­tra­tion: pixlr.com (Zu­falls­fund)

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