Der Redner verschluckt sich, hustet, greift zum Wasserglas. Ein kurzer Schluck, dann folgt ein zweiter Versuch. Er setzt mitten im Satz nochmal an, spricht eine Minute frei, raschelt mit dem Manuskript auf der Suche nach einem Zitat. Als er das abgelesen hat, wendet er plötzlich den Kopf zur Seite, weg vom Mikro. Etwas muss ihn abgelenkt haben. Und er sagt prompt das Gegenteil von dem, was er eigentlich sagen wollte.
Woher ich das mit dem Gegenteil weiß? Ich habe mich vorbereitet, einen Tag lang im Geiste dem Redner auf dem Schoß gesessen und sehr viel gelesen und, Audiofiles sei Dank, auch gehört. In der Dolmetschkabine höre ich weiter sehr aktiv zu. Was ich akustisch nicht verstehe, ergänzen Vorwissen und das Mundbild. Wir lesen manchmal auch von Lippen ab.
Ich bin Dolmetscherin, eine menschliche Dolmetscherin, die für Menschen arbeitet. Dieser Tage müssen wir uns fast täglich wehren, wenn Menschen sagen: "Euren Beruf übernimmt doch ohnehin bald die KI!"
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| Roboterweibchen mit Brüsten |
Anders als die Roboter erfinde ich keine Passagen neu, nur weil jemand nuschelt oder das Mikro verfehlt. Ich habe Verständnis für Erfahrungen, kann Dinge nachvollziehen, weil ich selbst ein Mensch aus Fleisch und Blut bin, also ein lebendes, warmes Wesen, das atmet und sich im Raum bewegen kann. Ich weiß, was Schmerz ist, wie sich Angst und Freude anfühlen.
Auch, wenn Rechenzentren überschüssige Wärme produzieren: Einsen und Nullen, also „Strom an, Strom aus“, sind tot, kalt, wissen nicht, was Atmen ist und sie haben keine Gefühle. Die Roboterweibchen da oben hatten nie einen Säugling an ihrer Brust und wissen nichts von Liebe und auch nichts vom Tod.
Sie kennen auch keine Verständnisrhythmen, also die Präsentation von Inhalten mit Pausen, Betonungen und dramaturgischen Kniffen, wissen nicht, wie Fakten gereiht, gesteigert und aufeinander bezogen werden. Die KI haut, wenn sie etwas überfordert, nach längerem Nachdenken die „Antwort“ in Überschallgeschwindigkeit raus. Nur hat keiner vor Ort die Zeit und die Technik, sich so etwas aufzuzeichnen und mit verringerter Geschwindigkeit anzuhören, also passend fürs Humanoidgehirn.
Die Atmosphäre im Raum lese ich wie andere einen Text. Ich erkenne Ironie, Unterton, Spannung und Humor. Ich wähle meine Wörter bewusst und ergänze im Nebensatz die relevante Information, bevor meine Kundinnen und Kunden überhaupt merken, dass da ein potenzielles Stolpermoment war. (Bevor Fragen aufkommen, es sind Wörter wie Ganztagsschule oder Ehegattensplitting).
Ich weiß, dass jede Kultur anders spricht, manche mit Gesten, andere mit Blicken, dass viele Wörter anders aufgeladen sind, ein anderes kulturelles Hinterland haben. Und manchmal genügt ein einziger (von einer Maschine falsch übertragener) Begriff, um ein ganzes Meeting kippen zu lassen.
Anders als die KI betreibe ich kein Rätselraten, sondern biete interkulturelle Fachkommunikation. Ich stütze mich nicht auf Wahrscheinlichkeiten, sondern auf Erfahrung.
Ich arbeite zuverlässig und ohne Ethernet-Kabel, Notstrom oder Absicherung durch eine zweite, identische Anordnung, das berühmte Fallback-System.
Vor dem Einsatz bereite ich mich sorgfältig vor, stelle Fragen, wenn ich etwas nicht verstehe. Meine Arbeit ist leidenschaftlich, ich strebe nach Exzellenz. „Gut genug“ ist ähnlich wie „gut gemeint“, das reicht nicht.
Mein Wert ist: ein Mensch zu sein, zu atmen, Gefühle zu haben; es ist tatsächlich „warm“ versus „kalt“.
Last but not least ist wichtig in diesen Tagen: Ich biete einen persönlichen Service an, wahre Vertraulichkeit und baue Vertrauen auf. Ich kann nicht gehackt werden. Meine Wörter können nicht absichtlich von einer höheren Macht ausgetauscht werden.
Und von Spiegelneuronen habe ich heute noch gar nicht gesprochen, auch nicht von Pheromonen, die wir vielleicht im Vorgespräch spüren, also um die Angst der Redner:innen wissen. Oder davon, dass ich neulich eine sehr schüchterne Rednerin, die sich krampfhaft am Pult festhielt, während sie sich an den Wörtern ihrer Präsentation festhielt, als wären es Lattenzäune, durch einen sehr souveränen Ton im Deutschen ganz anders rüberkommen habe lassen, absichtlich, ganz einfach, weil sie und das, was sie zu sagen hat, es verdient haben.
Mehrere Studien zeigen klar: Künstliche Intelligenz ersetzt keine menschlichen Profis. Sie ist ein Tool, ein Werkzeug, das wir als Profis manchmal nutzen, um uns dort, wo es möglich ist, kontrolliert ein wenig zuarbeiten zu lassen.
Ansonsten schafft die KI Risiken, die vorher nicht da waren: Missverständnisse, Fehlinterpretationen, Informationsstau. Alle Versuche, uns durch Maschinen zu ersetzen, sind kläglich gescheitert. Und da uns Menschen die ausdifferenzierte, verbale Kommunikation von Tieren unterscheidet, hier mein Educated guess: Sie wird auch künftig unser Alleinstellungsmerkmal gegenüber Maschinen bleiben.
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Illustration: pixlr.com (Zufallsfund)

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