In Berlin ziehen die Kraniche mit ihren lauten Rufen über die Dächer. Das kitzelt meinen Fernwehnerv. So gerne würde ich jetzt ohne Verpflichtungen in die Ferne aufbrechen, wie ich es nach dem Abi gemacht habe!
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| Reisen bildet |
Denn Reisen bildet. Im Ausland sind wir die Fremden, lernen ohne viele Worte zu kommunizieren, erfahren Gastfreundschaft oder Misstrauen.
Diese Erfahrungen bringen nicht nur Fachwissen, sondern erweitern unseren Blick auf die Welt. Und es stärkt den Charakter, wir lernen, uns zu behaupten, mit Ängsten umzugehen, Konsens mit Fremden zu finden, die zu Freunden werden können. Früher war zirkuläre Migration zu Bildungszwecken der Normalzustand.
Heute schließen sich vielerorts Grenzen wieder, wird Vielfalt abgestraft. Nur Eliten und Ahnungslose profitieren davon. Parallel dazu gewinnen rechtsextreme, rassistische Parteien auf allen Kontinenten an Einfluss.
Ich bin zutiefst erschrocken über das Klima der Bezichtigung, Verdächtigung und Verleumdung von ganzen Gruppen, das wir heute erleben. Worte schaffen Bilder, aus Bildern wird Wirklichkeit. Wenn Menschen auf ihr Aussehen reduziert werden, verschiebt sich das Denken hin zu einer gefährlich normalisierten Form der Ausgrenzung. Das bereitet den Boden dafür, sie auch unmenschlich zu behandeln.
Dem gilt es entgegenzutreten: mit Mut zur Wahrheit, mit Demut im Urteil und mit Nächstenliebe im Handeln. Wehrhafte Demokratie heißt: Recht, Gesetz, Haltung und Solidarität. Es heißt auch, im Alltag Gesicht zu zeigen, Lehrerinnen, Erzieher, Polizistinnen, Nachbarinnen zur Verantwortung zu appellieren und aufzustehen.
Eines der größten, dunklen Mysterien meiner Jugend und frühen Erwachsenenjahre löst sich gerade auf. Leider, muss ich sagen. Es war die Frage, wie die Verfolgung Andersartiger in der Nazizeit möglich war. Ich lese täglich, was in den USA geschieht, und sehe in den Kommentaren der „asozialen Medien“, wie Manipulation funktioniert – durch Bots, die oft auch vom Ausland finanziert werden, durch durch Gebildete, die sich bereichern, durch Ungebildete, die sich als die ewig Zukurzgekommenen sehen. Die Goebbelsschnauze von einst ist heute der Lautsprecher der asozialen Medien.
Viele der Mächtigen, in Übersee oder weit östlich von uns, wurden in einem Klima der Gewalt, des Machtmissbrauchs und der Manipulation sozialisiert. Nun hat auch Japan eine erzkonservative Führung — eine Frau, die „Orange Face“ zu ihrem Vorbild erklärt hat.
Die Lage ist für viele, die hochsensibel, empathisch und weitsichtig sind, zermürbend. Bei uns Dolmetscher:innen gehören gutes Hinhören, Empathie und Spiegelneuronen, zur DNA. Ich verfalle manchmal in große Müdigkeit, aber ich werde nicht aufgeben. Ich werde laut, wo es sein muss, und trete gegen Entmenschlichung ein, gegen Verleumdung, für Humanität, Gerechtigkeit und Mitmenschlichkeit.
In unserem Land erhalten heute viele junge Menschen eine zugewandte Erziehung und Begleitung ins Erwachsenwerden. Das macht mich froh. Aber nicht alle werden erreicht. Was wir dringend brauchen, ist mehr Geld für Bildung, therapeutische Behandlung, aber auch für die Beratung und Unterstützung überforderter Eltern. Last but not least: brachliegendes Forschungswissen schreit nach Integration in eine echte „Schule fürs Leben“.
Und wie schaffen wir es außerdem, dass gute, demokratische, kreative Bildungsangebote für alle so attraktiv werden, dass sie keiner Werbung bedürfen?
Ich habe mich immer für die nächsten Generationen engagiert, als Hochschuldozentin, Patchworkmutter, weltliche Patentante und Tante unserer kleinen Fräuleins in Süddeutschland, habe viel gelesen und erfahren, bin draußen aktiv und als Dolmetscherin bei Konferenzen. Sollte sich irgendwo ein Think Tank bilden, der sich diesen Themen widmet, ich wäre dabei!
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Bild: pixlr.com (Zufallsfund)

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