Mittwoch, 15. Oktober 2025

Die KI-Mailkanone

Bon­jour, hel­lo und Will­kom­men! Sie le­sen auf den Blog­sei­ten ei­ner Kon­fe­renz­dol­met­scher­in. Hier be­rich­te ich über den All­tag hin­ter den Ku­lis­sen des Dol­met­schens. Über Spra­chen nach­zu­den­ken ge­hört eben­so da­zu wie über Ge­pflogen­hei­ten mei­ner Bran­che. Heu­te et­was über man­che Va­ri­ati­on des Ho­mo oe­co­no­mi­cus im Zu­sam­men­spiel mit ei­ner KI, wie wir sie nicht lie­ben.

Eine Vor­re­de ist nötig: Ich ar­bei­te sel­ten für Agen­turen. Die meis­ten ar­bei­ten wie Mak­ler­bü­ros, ver­lan­gen aber kei­ne üb­li­chen Pro­zent­sät­ze: Für ge­fühlt drei Te­le­fo­na­te und ein paar Se­rien­mails for­dern sie 30, 40 oder 50 Pro­zent des Ho­no­rars. Da­mit un­ter­gra­ben sie die öko­no­mi­sche Ba­sis der­je­ni­gen, die sie an­schlie­ßend un­ter­be­auf­tra­gen.

Agen­turen ha­ben so gut wie nie Dol­met­scher:­innen fest­an­ge­stellt, ge­nauso we­nig wie Im­mo­bi­lien­mak­lern die Häu­ser und Woh­nun­gen ge­hö­ren, die sie ver­mit­teln.

Neulich er­reicht mich die Mail ei­ner Pro­jekt­ma­na­ge­rin, die für ei­ne mir un­be­kann­te Agen­tur ar­bei­tet: „Sehr ge­ehr­te Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen, hier­mit möch­ten wir Ihre Ver­füg­bar­keit für fol­gen­den Dol­metsch­auf­­trag für  EN ↔ ES ­er­fra­gen: (...) .“ Ich lö­sche die Nach­richt oder lei­te sie an ei­ne Kol­le­gin wei­ter, wenn mir je­mand ein­fällt, denn ich ar­bei­te nicht in die­sen Spra­chen. 

Jemand bietet Arbeit für Dumpingsätze. Lösung: Bücher!
Lieber lesen und lernen
Ta­ge spä­ter ploppt die nächs­te Mail in die Post­box: „Sehr ge­ehr­te Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen, un­se­re Fra­ge von letz­­ter Wo­che blieb oh­ne Ant­wort. Al­so er­neut: Hier­mit möch­ten wir Ihre Ver­füg­bar­keit für fol­gen­den Dol­metsch­auf­­trag ­er­fra­gen: (…).“ 

Die­sel­be An­fra­ge, aber die­ses Mal se­he ich die an­ge­bo­te­ne Ta­ges­ga­ge. Sie ist un­wür­dig. Ich wer­de die Mail neu­lich ge­löscht ha­ben. Es lan­den vie­le An­fra­gen die­ser Art bei mir im Sys­tem.

Ein­schub: Die Un­ter­bre­chun­gen ner­ven je­des Mal, wenn ich bei ei­ner Rou­ti­ne­sa­che oder in der Vor­be­rei­tung bin und auf wich­ti­ge Do­ku­men­te  war­te. Die KI macht sol­che Mas­sen­aus­sen­dun­gen noch ein­fa­cher; noch erken­nen wir das oft an der An­fra­ge selbst. Ein­schub­ende.

Meist re­a­gie­re ich auf Mas­sen­an­fra­gen nicht. Heu­te war ich aber aus­rei­chend ge­nervt für ei­ne Ant­wort: „Sehr ge­ehr­te Frau XYZ, Sie wun­dern sich über mein Schwei­gen. Ihre Nach­richt ging nicht nur an mich, son­dern an ca. 200 an­de­re Kol­leg:­innen, wie ich im Feld Car­bon Co­py (CC) se­hen konn­te. Zu Ihrer In­for­ma­tion: Er­stens ant­wor­te ich nicht auf Mas­sen­mails. Bei un­per­sön­li­cher An­spra­che füh­le ich mich, drei­mal dür­fen Sie ra­ten, nicht an­ge­spro­chen. Zwei­tens bie­te ich Ihre ge­such­te Sprach­kom­bi­na­tion nicht an.

Ich bin al­so von Ihrer Nach­richt wirk­lich nicht ge­meint. Dritt­ens ha­ben Sie mit ei­ner Ka­no­ne auf Spat­zen ge­schickt, also an hun­der­te von Kol­leg:­innen mit den Buch­sta­ben A bis E (und in wei­te­ren Nach­rich­ten dann ver­mut­lich an noch mehr Men­schen).

Ein ver­bind­li­cher, höf­li­cher Um­gang mit Dienst­leis­ter:­innen sieht an­ders aus.

Briefkanone schießt auf Dolmetschkabinen
Sie nennen es Arbeit (wir auch)
Auf die per­sön­li­che An­fra­ge, ob ich nicht in mei­nem Um­feld ei­ne pas­sen­de Kraft ken­nen wür­de, hät­te ich ver­mut­lich ge­ant­wor­tet.
So muss ich bei die­ser KI-Mas­sen­mail da­von aus­ge­hen, dass der ge­schäft­li­che Um­gang auch sonst eher un­er­freu­lich ist.

Da­mit wä­re ich ich nun, vier­tens, bei dem von Ihnen an­ge­bo­te­nen Ta­ges­satz. Sie bie­ten un­sere Dienst­leis­tung auf dem Markt an, ei­ne Dienst­leis­tung, die Sie dann bei uns weit un­ter Preis ein­kau­fen möch­ten. Ei­gent­lich wä­re ein Min­dest­maß an Re­spekt für das, was wir ma­chen, an­ge­bracht.

Wie Sie viel­leicht (oder auch nicht) wis­sen, ent­spricht ein Ho­no­rar­tag im Auf­wand meist zu­sätz­lich ei­nem Tag Vor­be­rei­tung so­wie ei­nem hal­ben Tag Nach­be­rei­tung und an­de­ren un­krea­ti­ven Rou­ti­ne­tä­tig­kei­ten, so geis­tig for­dernd ist das Dol­met­schen.

Durch den gro­ßen An­teil, den Sie für Ihre Dienst­leis­tung be­an­spru­chen, zer­stö­ren Sie die wirt­schaft­li­che Grund­la­ge mei­ner Selbst­än­dig­keit.

Dol­met­sch­ho­no­ra­re auf ei­nen Ta­ges­satz zu re­du­zie­ren, den Kom­par­sen mit ei­nem kur­zen Text beim Film ver­die­nen kön­nen, ist lei­der kein Aus­druck von Re­spekt. Die Mo­del­le der Hit-and-Run-Öko­no­mie eig­nen sich nicht für Sprach­ar­beit." Hier en­de­te mei­ne Ant­wort­mail.

Merke: Man­che Agen­turen ver­mit­teln Pro­fis, als wä­ren sie Wet­ter-Apps — vie­le Be­nach­rich­ti­gun­gen, we­nig Ver­läss­lich­keit. Am Ende blei­ben bis auf die Agen­tur al­le im Re­gen ste­hen.

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Bild­ma­te­rial: Pixlr.com, Dall:e
und ei­ge­ne Zeich­nung

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