Freitag, 10. Oktober 2025

... freitags nach eins (2)

Hal­lo und herz­lich will­kom­men! Ich bin Dol­met­sche­rin, über­tra­ge je nach Be­darf si­mu­ltan oder kon­se­ku­tiv, was an Kom­mu­ni­ka­ti­on an­steht, und zwar mit Mut­ter­spra­che Deutsch und Zweit- und Ziel­spra­che Fran­zö­sisch so­wie aus dem Eng­li­schen. Hier ge­wäh­re ich ei­nen Blick hin­ter die Ku­lis­sen, denn der Be­ruf ist der gro­ßen Öf­fent­lich­keit kaum be­kannt.

Teekanne, Stövchen
Abwarten und Tee ...
Zwischen Earl Grey und Sal­bei­tee sit­zen wir in der ge­müt­li­chen Tee­kü­che in der Pau­se und quats­chen. Es fal­len Be­grif­fe, die den Bruch in der Kon­ti­nui­tät deut­lich ma­chen: „frü­her“, „da­mals“ und „vor Co­ro­na“. (Cela ne nous rajeunit pas, das macht uns nicht jün­ger.)
Also: Vor der Pan­de­mie hat uns im Schnitt je­der drit­te Kos­ten­vor­an­schlag ei­nen Auf­trag ein­ge­bracht. Wir ha­ben erst aus­gie­big be­ra­ten, dann ver­an­schlagt. Nach 2021 war’s schon nur noch je­der ach­te. In­zwi­schen sind wir bei je­dem zwölf­ten. Das sagt ei­ni­ges über den Wan­del un­se­rer Bran­che, der Wirt­schaft und der Um­gangs­for­men ganz all­ge­mein. Oder liegt es am Ge­ne­ra­ti­ons­wech­sel, wie die Kol­le­gin ver­mu­tet?

Dann, lie­be Gen Z, ist das Pos­ting für Euch: Wir be­ra­ten im Vor­feld die­je­ni­ge Per­son, die al­le mög­li­chen nö­ti­gen In­for­ma­ti­o­nen zu­sam­men­ge­tra­gen hat oder oh­ne Zeit­druck wei­ter zu­sam­men­trägt. Wir un­ter­stüt­zen ab dem Erst­ge­spräch, das wir per Mail ver­ein­ba­ren, und das wir an­schlie­ßend per Mail oder Sprach­nach­rich­ten fort­set­zen, bis wir ge­mein­sam zum bes­ten Er­geb­nis kom­men.

Heu­te sind Kos­ten­vor­an­schlä­ge oft ner­vig. Die­ses Jahr ha­ben wir uns im Team schon zig­fach die Fin­ger wund­ge­tippt. „Frei­tags nach eins macht je­der seins“, den Spruch kennt das gan­ze Land. Und doch tru­deln frei­tags­mit­tags kurz vor un­se­rem Fei­er­abend (um vier oder um fünf) ger­ne noch An­fra­gen ein mit der Bit­te um ei­ne Über­set­zung oder ein Kos­ten­an­ge­bot, Lie­fer­ter­min der Über­set­zung: Mon­tag, Lie­fer­ter­min des An­ge­bots: Wie wär's mit ges­tern?

Un­rea­lis­ti­sche Dead­lines sind jetzt eher die Re­gel als die Aus­nah­me, da­bei sind wir Men­schen, kei­ne Ma­schi­nen. Zu vie­le po­ten­zi­el­le Kund:­in­nen fal­len mit der Tür ins Haus bzw. dem fest­ge­leg­ten Dump­ing­preis un­ter dem Arm. Da passt was nicht zu­sam­men: Low budget, high expectations.

Das an­de­re Span­nungs­feld ist kos­ten­lo­se Be­ra­tung. Es wird er­war­tet, dass wir uns Zeit neh­men. Das ma­chen wir ei­gent­lich ger­ne.

Ei­gent­lich. Rück­sprung: Vor acht Ta­gen ist ein „kur­zes Ken­nen­lern­ge­spräch“ von 20 Mi­nu­ten ver­ab­re­det, es wer­den 60 dar­aus. Denn es ruft ei­ne Prak­ti­kan­tin an, die das noch nie ge­macht hat. Erst fra­ge ich den Be­darf ab, dann sor­tie­re ich mit ihr zu­sam­men die Pos­ten, schließ­lich be­schrei­be ich den Auf­wand, und end­lich er­stel­le ich mit ihr ge­mein­sam die künf­ti­ge Ex­cel-Ta­bel­le mit den Pos­ten für die Pla­nung. Als Bo­nus wer­fe ich noch neue, wich­ti­ge Fra­gen auf.

Sie kön­ne lei­der mit nie­man­dem Rück­spra­che hal­ten, sagt sie, denn von den an­de­ren sei nie­mand mehr an­sprech­bar. (Schon im Wo­chen­en­de? Beim Fei­er­abend­bier? In der Klau­sur­ta­gung? Die Prak­ti im Home Office? Was es auch sein mag, mir ist's egal!)

Aber die jun­ge Da­me ist ja gar nicht mei­ne Prak­ti­kan­tin! Es miss­fällt mir, dass hier Ar­beit aus­ge­la­gert wird an ei­ne „un­be­kann­te, un­be­zahl­te Mit­ar­bei­te­rin“: mich. Zäh­ne­kni­rschend neh­me ich mir Zeit, er­klä­re und be­ra­te, rech­ne am En­de un­ser ei­ge­nes An­ge­bot als Ent­wurf durch. In mei­ner Ant­wort­mail rei­ße ich kurz mei­ne ge­leis­te­te Be­ra­tungs­dienst­leis­tung an, nen­ne va­ge ei­ne „Von-bis-Haus­num­mer“ und er­läu­te­re, war­um der Preis nicht ein­fach pau­schal be­zif­fer­bar ist und wo noch Klä­rungs­be­darf be­steht.

Ex­akt ei­ne Wo­che spä­ter, wie­der am Frei­tag, al­ler­dings jetzt kurz vor eins, kommt von der fest­an­ge­stell­ten Stel­len­in­ha­be­rin ei­ne hal­be Mail­zei­le zu­rück: „ ... ha­ben uns für ein pass­ge­nau­e­res An­ge­bot ent­schie­den.“ Das ist un­fair, zu­mal auf mei­ne Nach­fra­ge­mail am Diens­tag nie­mand re­a­giert hat­.

Wie wür­den Sie so­was emp­fin­den? Ich freue mich über ehr­li­che Ant­wor­ten, gern auch mit ei­ge­nen Er­fah­run­gen aus Ih­rer Tee­kü­che. Und ich hät­te den gan­zen Ser­mon hier nicht ge­schrie­ben, wenn es sich um ei­nen be­dau­er­li­chen Ein­zel­fall han­deln wür­de.

Mit ver­bind­li­chen Grü­ßen zum WE,
CE

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Fo­to: eigenes Archiv

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