Seit fast zwei Jahrzehnten bin ich als Dolmetscherin in Frankreich und Deutschland unterwegs, und zar für Deutsch ↔ Französisch sowie aus dem Englischen. Ganz gleich, ob auf Konferenzen, bei Delegationen oder in Workshops: Ich sorge dafür, dass Worte ankommen. Diese Präzision und Erfahrung zeige ich auch hier im Blog. Sonntagsgedanken (statt eines Sonntagsbildes).Am Dienstag habe ich als romantischen Moment verzeichnet, wenn im Herbst (oder beim Rückflug im Frühjahr) die Kraniche über die Firste ziehen. Was ich beim Tippen nicht geahnt habe, war, dass die Kraniche das Vogelgrippevirus mit sich tragen. In vielen Dörfern um Berlin herum, aber auch anderswo, werden jetzt ganze Vogelbestände gekeult, weil kranke Kraniche unterwegs Rast gemacht haben oder verendet sind.
In den USA ist das H5N1-Virus bereits auf Rinder übergesprungen. Durch Massentierhaltung wird die Ausbreitung von Seuchen gefördert. Die nächste Pandemie wird kommen. Aktuell wären wir gar nicht vorbereitet. Wir haben die Lehren aus der Coronazeit nicht gelernt, dabei denke ich nicht nur an die Pharmaindustrie und Standorte, sondern auch an andere Tech-Standorte, was sich gerade an den Mikrochips zeigt. Deutschland ist alles andere als resilient.
Die größten Sorgen machen mir (neben der zumeist unwürdigen, nicht artgerechten Unterbringung der Tiere) die vielen Menschen in Trotzhaltung, die oftmals mit dem Düsenjet durch ihre Bildungseinrichtungen geeilt sind und die Folgen gar nicht selbst abschätzen können. Wir beobachten Wissenschaftsfeindlichkeit. Das geht allerdings weit rauf in Kreise, die vermutlich genau wissen, was sie anrichten. Sie verweigern bis verteufeln aber das Naheliegendste, und hier spreche ich von Gesellschafts-, Bildungs-, Wirtschafts- und Energiethemen, weil sie sich ein goldenes Näschen damit verdienen.
Wie sehr ist es möglich, dass Menschen ihre Kinder und Enkel hassen? Ich verstehe es nicht.
Regensonntag: Mit dem Schirm ins Museum, später gut kochen, zwischendurch eine Schreibtischschublade aussortieren, getreu dem Motto unseres Vaters: „Jeden Tag eine kleine
amélioration.“
Dabei denke ich über Nachhaltigkeit nach. Ich halte mich für eine weltoffene, polyglotte Wertkonservative in dem Sinne, als dass wir durch unser Leben die Bedingungen der anderen Lebewesen verbessern und dann, wenn wir gehen, etwas Positives hinterlassen müssen. Die Aufgabe ist ebenso einfach wie radikal. Ich schätze mal, ich habe sie von meinen Vorfahren geerbt, die immer viel Verantwortung für ihre Angestellten, aber auch für die sie umgebende Natur hatten.
Keiner von uns existiert allein. In der Frühzeit der Menschheit hat genau das uns zu Menschen gemacht: Gemeinschaft, Miteinander, Kooperation. Wie bekommen wir es wieder hin, dass unsere Gesellschaft sich an Werte erinnert wie Gerechtigkeit, Solidarität, Verantwortung, Nachhaltigkeit und den Schutz der Kultur?
Wir müssen den Dystopien oder vagen Zukunftsbildern voller Versprechen aus extremistischen und faschistischen Kreisen starke Bilder einer guten, erstrebenswerten Zukünft entgegensetzen. Einfach gesagt, schwer getan.
Dabei sortiert mein Kopf neben den alten Stiften auch an anderen Punkten herum. Wie gerne wäre ich Minimalistin. Aber das klappt irgendwie nicht. Dafür dolmetsche ich in zu unterschiedlichen Bereichen und lese zu gerne. Es sind also schon mal viele Bücher da. Von den Ahnen habe ich etwas Kunst übernommen und auch selbst das eine oder andere gekauft, dazu die alten Möbel, etliches restaurieren lassen. Grundsätzlich bin ich für gute Schränke, Wandschränke und Kommoden, damit alles seinen Platz hat.
Bei längerem Nachdenken scheint mir radikaler Minimalismus ohnehin ein Projekt des Kapitalismus zu sein: Lasst sie wegwerfen, damit sie Neues kaufen müssen! Dann kommt der Subtext: „Seid froh, dass Ihr nicht so viel besitzt, genießt die Einfachheit, Ihr habt sowieso nicht genug Geld für Luxus und Schnickschnack!“
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Büroalltag um 1900
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Mein Ururgroßvater, von Beruf Kaufmann, hatte seinen eigenen Gemüsegarten mit einem festangestellten Gärtner, Frühbeeten und Gewächshaus. Er hat alles selbst angebaut, veredelt, Saatgut getauscht. Dass die Artischocken nicht so wuchsen, wie sie sollten, zählte zu seinen Enttäuschungen. Auf die blühende Königin der Nacht war er stolz und zeigte er der halben Stadt des Nachts die Blüte des Kaktus.
Grundsätzlich war damals so vieles anders als heute. Die Leute haben alles bis zum letzten Moment genutzt, oft nicht freiwillig. Unser Familienhaus steht in dem Teil Deutschlands, das dermaleinst DDR hieß. Dort herrschte Mangelwirtschaft. Die Gewohnheiten änderten sich nicht; es wurden Recycling und Upcycling betrieben, lange bevor es die Begriffe gab.
Diejenigen, die alte Strümpfe zu Handtüchern verweben ließen, die, wenn sie abgenutzt waren, aufgetrennt und zu Topflappen verarbeitet wurden, die später zu Putzlappen wurden und ganz zum Schluss im Kompost landeten, weil sie aus 100 Prozent Baumwolle bestanden haben, haben das Material bis zum letzten Moment geehrt.
Wir müssen zu den einfachen Kreisläufen und gesunden Stoffen zurückkehren, wenn wir den Alltag vieler Menschen entgiften und für die Zukunft nachhaltig gestalten wollen.
Aber ich wiederhole mich nur.
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Foto: Archiv Elias Lossow, zum Ver-
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