Freitag, 31. Oktober 2025

KI-Stuss

Hier ver­öf­fent­licht eine Sprach­ar­bei­te­rin Epi­so­den aus dem All­tag der Dol­met­scher und Dol­met­sche­rin­nen. Mei­ne Haupt­ar­beits­spra­che ist Fran­zö­sisch (in bei­de Rich­tun­gen). Deutsch ist mei­ne Mut­ter­spra­che. Die Bü­ro­kol­le­gin über­setzt ins Eng­li­sche. Holy crap!, das mit der KI wird im­mer schlim­mer.

Gruselig ...
Manch­mal nen­ne ich ihn Orange face, wir kön­nen ihn aber auch Kür­bis­kopf nen­nen. Ihr wisst schon, wen ich mei­ne, passt au­ßer­dem bes­ser zu Hel­lo­ween. Pump­kin head al­so war beim Arzt, und er hat an­schlie­ßend mit Jour­na­lis­ten dar­ü­ber ge­spro­chen: The doc­tor said [these were] some of the best re­ports for the age, die KI macht da­raus: "Der Arzt sag­te, es sei­en ei­ni­ge der bes­ten Be­rich­te für die­se Zeit."

Hä? Echt jetzt? Ich über­tra­ge: Der Arzt sag­te, es sei­en mit die bes­ten Er­geb­nis­se / Be­fun­de für die­se Al­ters­grup­pe ge­we­sen.

Und das war jetzt nur ei­ner von meh­re­ren Klop­pern. Zum The­ma schwe­re Krank­heit mein­te er: "I would have let you known negatively." KI: "... wür­de ich Ih­nen das ne­ga­tiv mit­tei­len." Meint: Wä­ren die Be­fun­de schlecht, wür­de ich Sie das wis­sen las­sen.

Bin ich froh, dass ich den nicht dol­met­schen muss. Mit sei­nem ein­ge­schränk­ten Vo­ka­bu­lar fällt das im­mer auf die Sprach­mitt­ler zu­rück. So schnell könn­te ich gar nicht von Ein­fach­spra­che ei­nen Winz­grad hoch­stu­fen, so dass bei­des OK ist, der Ori­gi­nal­ton nicht ver­ra­ten und das ei­ge­ne Image ge­wahrt ist.

Ab­ge­se­hen da­von kau­fe ich Orange face sei­nen ver­meint­li­chen Ge­sund­heits­sta­tus nicht ab. Ich schät­ze, dass er in ei­ni­gen Mo­na­ten tot ist oder auf im­mer hin­ter den di­cken Mau­ern des Wei­ßen Hau­ses un­sicht­bar ver­schwin­det. Und ich hof­fe, dass der Wi­der­stand ge­gen die Tech-Fa­schis­ten und die Ul­tra­li­be­ra­len bald ef­fi­zi­ent zu­sam­men­fin­det.

Und dass hier den Men­schen auch klar wird, was z.­B. die KI für ei­ne Pseu­do-Lö­sung ist. Und dass auch uns das "Pro­ject 2025" ge­sto­hlen blei­ben soll.

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Il­lus­tra­tion: Netz­fund

Museum der Wörter (44)

Bien­ve­nue auf den Sei­ten ei­ner Sprach­ar­bei­te­rin. Wie Über­set­ze­rin­nen, Über­set­zer, Dol­met­scher­in­nen und Dol­met­scher ar­bei­ten, kön­nen Sie hier in lo­ser Fol­ge mit­le­sen. Mei­ne Spra­chen sind Fran­zö­sisch und Eng­lisch (Letz­te­res nur als Aus­gangs­spra­che). Heu­te schau­en wir kurz ins Wör­ter­mu­se­um und be­wun­dern ein be­son­de­res Ex­po­nat!

Das Mu­se­um der Wör­ter heu­te mit ei­nem Bon­bon, das auf den zwei­ten Blick wun­der­bar ab­surd ist:

              
             
Deut­sche Reichs­bahn (DR)
 
Das Fo­to des Dop­pel­deckers un­ten stammt aus den 1930er-Jah­ren, auch wenn der Da­men­hut im Un­ter­ge­schoss noch nach 20-er aus­sieht. Reichs­bahn, das be­zieht sich auf das Deut­sche Reich, so hieß der Na­tio­nal­staat zwi­schen 1871 und 1945 (Kai­ser­reich, Wei­ma­rer Re­pu­blik und das „Drit­te Reich“).

Doppelstock-Stromlinienwagen
Dop­pel­stock-Strom­li­nien­wa­gen (ver­mut­lich nach 1936)

Das nächs­te Fo­to sieht aus, als wür­de es ei­nen Zug-Old­ti­mer zei­gen, auf­ge­nom­men ir­gend­wann zwi­schen 1950 und 1990. Viel­leicht be­schreibt die­ser Satz die Ab­sur­di­tät ja ganz zu­treff­end.

Fahrt­un­ter­bre­chung

Denn die Deut­sche Reichs­bahn (DR) hat­te deut­lich län­ger Be­stand als das Deut­sche Reich: Die Reichs­bahn der DDR wur­de erst am 1. Ja­nu­ar 1994 mit der Deut­schen Bun­des­bahn (DB) zur „Deut­schen Bahn AG“ zu­sam­men­ge­legt.

Der Grund ist be­redt. Der öst­li­che Teil Deutsch­lands war ein Man­gel­staat, Ma­te­ri­al und Ar­beits­kräf­te wa­ren im­mer knapp. Erst die so­wje­ti­sche Be­sat­zungs­zo­ne, dann die DDR zahl­ten Re­pa­ra­tions­leis­tun­gen an die So­wjet­u­ni­on. Der Rumpf­staat mit sei­ner in Sach­sen weit ent­wic­kel­ten In­dus­trie war vom Ruhr­pott und da­mit der Stein­koh­le ab­ge­schnit­ten und muss­te gan­ze Bran­chen neu auf­bau­en. Vie­le Men­schen flo­hen, im Som­mer 1961 wur­de des­halb auch die Mau­er er­rich­tet.

Neue Wag­gons und Loks wur­den ge­baut, ge­stri­chen, al­te re­pa­riert, ge­stri­chen. Es gab nie ge­nü­gend Far­be und Ar­beits­kräf­te, um al­le Loks und Wa­gen auf ein­mal um­zu­la­ckie­ren. Ei­ne SVBD, ei­ne so­zia­lis­ti­sche Volks­bahn Deutsch­lands oder so­was in der Preis­la­ge, gab es nie.

Kei­ne Poin­te.

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Fo­tos: Ar­chiv Eli­as Los­sow

Donnerstag, 30. Oktober 2025

Mix and match

Wie Sprach­pro­fis ar­bei­ten, ist seit 2007 Ge­gen­stand die­ses Web­logs. Ich bin Deutsch-­Mut­ter­s­prach­le­rin, ar­bei­te als Kon­fe­renz­dol­met­sche­rin mit Fran­zö­sisch und aus dem Eng­lischen, was wie­de­rum die Ziel­sprache der Bü­ro­kol­le­gin ist, die al­ler­dings text­ba­siert ar­bei­tet: sie über­setzt. Heu­te Di­ver­ses, das sonst nir­gend­wo rein­passt.

„K
ann bit­te mal einer das Licht an­ma­chen da drau­ßen?, fragt mich die Schreib­wa­ren­händ­le­rin, als ich am Mor­gen auf dem Weg zur Ar­beit ein Fäss­chen Tin­te kau­fe. Sie hat recht. Ho­he Zeit, dass die Ta­ges­licht­lam­pe wie­der auf den Ess­tisch kommt. Die mor­gend­li­che Licht­du­sche än­dert al­les.
⊕ Hier mein al­ter Text da­rü­ber: „Kunst­lich­ter­zeit“.

Google hat in sei­ner Such­funk­tion die KI ein­ge­baut, die jetzt bei je­der Such­an­fra­ge rö­delt. Ich kri­ti­sie­re das. In einer Stu­die hat die Eu­ro­pä­i­sche Rund­funk­u­ni­on her­aus­ge­fun­den, dass die meist­ge­nutz­ten KI-Chat­bots, al­lein ChatGPT wird je­de Wo­che von 800 Mil­lio­nen Men­schen welt­weit ge­nutzt, zu 40 Pro­zent fal­sche In­for­ma­tio­nen aus­speit. 30 Pro­zent sei­en frei er­fun­den. Die Ta­ges­schau, na­ment­lich Jörg Schieb (WDR), hat Mon­tag da­rü­ber be­rich­tet. Einen wei­te­ren gu­ten Hin­weis hat Schieb ge­lie­fert: Oft sei­en die Ant­wor­ten ver­al­tet, weil Sys­te­me oft ge­nug nur auf die Trai­nings­da­ten aus der Zeit ih­rer Ein­füh­rung Zu­griff hät­ten (also von 2022).
Was auch nicht OK ist: Vie­le Men­schen wol­len kei­ne KI-Er­geb­nis­se ha­ben, be­kom­men sie trotz­dem. Sie zu er­stel­len kos­tet Strom und Was­ser zum Küh­len.

⊕ Am En­de der Such­wör­ter -ki oder -ai ein­ge­ben und die Such­ma­schi­ne lässt sie weg (bis­lang nur bei Google ge­tes­tet).

Vor­letz­ter Werk­tag der Wo­che mit Re­tro­bil­dern, vor al­lem al­ten, ko­lo­rier­ten Fo­tos. Die KI macht das teil­wei­se ganz gut. Un­nö­tig ist es trotz­dem, ich hör' auch schon wie­der auf! Beim Foto ges­tern wa­ren bei ei­nem An­bie­ter al­le Schat­ten blau, was bei der Hand der Da­me auf dem Schreib­tisch aus­sah, als hät­te sie zu tief ins Tin­ten­fass ge­grif­fen.

Manch­mal mag ich sol­che Spiel­e­rei­en pa­ral­lel zum Hö­ren von Pod­casts zu ak­tu­el­len Ar­beits­the­men. Vor al­lem ha­be ich mei­ner Nich­te zur Ein­schu­lung ein Kin­der­buch ge­schenkt, in dem es um den Schul­an­fang vor 100 Jah­ren geht. Ei­ni­ge Bil­der ha­be ich ver­sucht, mit­tels KI zu ak­tu­a­li­sie­ren. Ich kann ak­tu­ell kei­ne Sei­te emp­feh­len.

Oben hat­te ich's ja schon vom Tin­ten­fass. Ich nutze im All­tag meis­tens ei­nen Fül­ler mit Pump­funk­tion, nur beim Dol­met­schen zie­he ich wei­che Blei­stif­te vor.
⊕ Fül­ler las­sen sich oft auch nach­rüs­ten, et­li­che Her­stel­ler bie­ten Pump­sys­te­me an. Das Plas­tik die­ser Tei­le wird zwar auch ir­gend­wann brü­chig, aber in Sum­me lan­det we­ni­ger da­von im Müll als bei Pa­tro­nen.

⊕ Echt­zeit­über­wei­sun­gen müs­sen jetzt al­le Ban­ken an­bie­ten und sie sind seit An­fang Ok­to­ber gra­tis!

⊕ Ent­deckt im Rah­men der Be­treu­ung ei­ner de­men­ten Per­son: Wenn Sie Klas­sik per YouTube hö­ren möch­ten, nervt die Wer­bung. Vor al­lem ein de­menz­kran­ker Mensch kann gar nichts da­mit an­fan­gen. Ich ha­be ei­nen Brow­ser, der Duck­Duck­Go heißt und Da­ten­schutz liebt. Wenn ich in die­sem YT auf­ru­fe, geht der „Duck Pla­yer“ an und bringt das Ge­wünsch­te oh­ne Wer­be­un­ter­bre­chun­gen.

⊕ Und soll­ten Sie an ei­ner Tel­ko per In­ter­net teil­neh­men oder an ei­ner Vi­deo­kon­fe­renz, die viel­leicht auch ver­dol­metscht wird, den­ken Sie bit­te an die Ba­sics! Seit Co­ro­na ha­ben so vie­le Leu­te die­se Re­geln schon wie­der ver­ges­sen: gu­te Kopf­hö­rer, gu­tes Mi­kro­fon, set­zen Sie sich in ei­nen klei­nen Raum, der nicht hallt und neh­men Sie am Test­lauf teil. Die Oh­ren al­ler wer­den es Ih­nen dan­ken. Link: „Sound­check“.

Ein et­was an­de­res "Klas­si­ker­zi­tat"
⊕ Heu­te muss­te ich den Ein­satz ab­ge­ben, der mit ei­ner Schluss­for­mel ge­en­det hat, die of­fen­sicht­lich in vie­len Jahr­zehn­ten kaum ver­än­dert wur­de, siehe Grafik.

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Il­lus­tra­tion: Netz­fund

Mittwoch, 29. Oktober 2025

Fußnoten

Wie Sprach­pro­fis ar­bei­ten, ist seit 2007 Ge­gen­stand die­ses Web­logs. Mei­ne Mut­ter­sprache ist Deutsch, ich ar­bei­te meis­tens als Kon­fe­renz­dol­met­sche­rin mit Fran­zö­sisch und Eng­lisch, die Bü­ro­kol­le­gin über­setzt in die eng­li­sche Spra­che. KI-Mitt­woch! Ei­ni­ge der The­men hat­te ich schon mal ge­bracht. Mit Ver­laub, die KI ist die grö­ße­re Wie­der­käue­rin!

Pas­send zu mei­nen Ideen, die ich Pro­jekt Bil­dungs­re­pu­blik 2030 nen­nen wür­de, sie­he ges­tern, heu­te nur ei­ni­ge Fuß­no­ten.

Frau am Schreibtisch, junges Mädchen am Aktenregal
Bü­ro mit Prak­ti­kan­tin (1925)

Ers­tens: Be­hin­de­rung be­ruf­li­cher Ent­wick­lung. Durch die KI gibt es im­mer we­ni­ger Ein­stiegs­stel­len für Ab­sol­vent:­in­nen. Das ist ver­hee­rend, denn um zu Ex­zel­lenz zu ge­lan­gen, brau­chen die Men­schen nun ein­mal Rou­ti­ne und müs­sen Grund­la­gen­wis­sen ler­nen. Kom­ple­xe Fä­hig­kei­ten brau­chen Zeit, auch das Wis­sen dar­um, wie Struk­tu­ren auf­ge­baut sind und wie Kom­mu­ni­ka­ti­on in ei­nem Netz funk­tio­niert.

Zwei­tens: Fal­sche Er­war­tun­gen. Das Pu­bli­kum nimmt die Aus­wür­fe der KI eher für ba­re Mün­ze, für ob­jek­ti­ve In­hal­te, für Wahr­heit. Al­ler­dings stimmt die­se Er­war­tung nicht mit den Tat­sa­chen über­ein. KI-Chat­bots wie ChatGPT sind Sprach­mo­del­le und kei­ne Fak­ten­prü­fer. Auch sie fin­den manch­mal das Ge­such­te nicht, oder ih­nen ist der Kon­text un­klar. Auf­grund ih­rer Pro­gram­mie­rung kön­nen sie nicht nicht ant­wor­ten.

Des­halb pro­du­zie­ren sie so­ge­nann­te „Hal­lu­zi­na­ti­o­nen“, al­so Ant­wor­ten, die plau­si­bel klin­gen, aber falsch sind. So­gar Ent­wick­ler kön­nen nicht er­klä­ren, wie es da­zu kommt. Es gibt Mil­li­ar­den von Pa­ra­me­tern. Un­klar, wo­raus und nach wel­chen Be­wer­tun­gen die KI die Ele­men­te ih­rer Ant­wor­ten zu­sam­men­sucht, war­um sie auf was zu­rück­greift.

Wie hier schon wie­der­holt ge­schrie­ben, ba­siert die KI nicht auf Wahr­heit, son­dern auf Wahr­schein­lich­kei­ten. Wenn sie nicht das Ge­such­te fin­det oder ein­fach nur der Kon­text un­klar ist, füllt sie die Lü­cken mit In­hal­ten, die sie sich selbst zu­sam­men­ge­rei­mt hat. Man­che Trai­nings­da­ten wa­ren Pseu­do-In­for­ma­ti­o­nen, in­zwi­schen wird auch „Hal­lu­zi­nier­tes“ als „frisches, ech­tes Aus­gangs­ma­te­ri­al“ ver­stoff­wech­selt. Die Schlan­ge beißt sich in den Schwanz.

Drit­tens: Die KI als Da­ten­dieb. Den größ­ten Raub­zug in der Ge­schich­te geis­ti­gen Ei­gen­tums er­le­ben wir seit Neu­em und täg­lich aufs Neue. Nie­mand der Ur­he­ber:­in­nen wur­de für die Nut­zung der Tex­te ver­gü­tet. Auch die Dok­tor­ar­bei­ten mei­ner Schwes­ter und mei­nes Va­ters ha­be ich in Lis­ten von il­le­gal An­ge­eig­ne­tem ge­fun­den.

Vier­tens: Mög­li­che Ver­en­gun­g der Ant­wor­ten. Au­gen­fäl­lig sind die­se Ver­zer­rung­en bei Fra­gen zu Schwel­len­län­dern, zu Frau­en­rech­ten, zu mar­gi­na­li­sier­ten Ge­schichts­the­men. Die ganz of­fi­zi­el­len, west­li­chen Da­ten­quel­len do­mi­nie­ren das Trai­nings­ma­te­ri­al. Die KI-Text- und Bild­pro­duk­ti­on re­pro­du­ziert viel­fach über­kom­me­ne Mus­ter.

Fünf­tens: Ak­tu­el­le Lü­gen und Ma­ni­pu­la­ti­ons­mög­lich­kei­ten. Und jetzt sind wir in den News un­se­rer Zeit. Wenn der mäch­tigs­te Mann der Welt, ein Mann im Ren­ten­al­ter, des­sen ei­ne Ge­sichts­hälf­te wie nach ei­nem leich­ten Schlag­an­fall oft hängt, der vor sich hin brab­belt wie ein De­menz­pa­tient und der dar­über hin­aus, von rein pri­va­ten In­te­res­sen ge­steu­ert, auch be­wusst De­sin­for­ma­tio­nen in die Welt setzt (oder sein Um­feld), wenn wir es al­so mit ei­ner Welt zu tun ha­ben, in der Lü­gen im­mer öf­ter coram publico zu hö­ren sind, wer­den auch die KI-Chat­bots mehr lü­gen. Ei­gent­lich lo­gisch, oder?

Folgt ei­ner der Kern­punk­te, wes­halb wir der KI nicht so viel Macht ge­ben dür­fen: Wer wählt wel­ches Trai­nings­ma­te­ri­al aus, wer ver­bie­tet even­tu­ell wel­che Wör­ter, zwingt ihr be­stimm­te De­fi­ni­tio­nen auf? Ei­ner die­ser Tech-Bros aus den USA grün­det jetzt ei­nen „Er­satz“ für Wi­ki­pe­dia, weil Letz­te­res sich nicht auf­kau­fen und be­herr­schen lässt. Die KI in ih­re Schran­ken zu wei­sen, kla­re Ge­set­ze und Re­geln ein­zu­füh­ren, aber auch Kon­trol­le und Be­steue­rung der Un­ter­neh­men, die sie be­trei­ben, sind ak­ti­ver Schutz der De­mo­kra­tie.

Résumé: Bil­dungs­re­pu­blik Deutsch­land 2030. Fact-Check­ing, Quel­len­re­cher­che und das Er­ken­nen von Fakes wür­den Schul­fä­cher im Pflicht­ka­non wer­den.
Und die wehr­haf­te De­mo­kra­tie darf die Da­ten nicht ver­ges­sen.

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Fo­to: Ar­chiv Eli­as Los­sow; links oben
ist Graf Zep­pe­lin ab­ge­bil­det.

Dienstag, 28. Oktober 2025

Wandel

Bonj­our & hel­lo! Ich bin Dol­met­sche­rin Deutsch–Fran­zö­sisch mit Eng­lisch als Aus­gangs­spra­che. Mei­ne Ar­beit führt mich zu Kon­fe­ren­zen, über Kul­tur­events und mit De­le­ga­tio­nen quer durch Deutsch­land und fran­zö­sisch­spra­chi­ge Län­der und die wich­tigs­ten The­men un­se­rer Zeit. In mei­nem Blog le­sen Sie von den Mo­men­ten, die Sprach­ar­beit so span­nend ma­chen. Ein Sprich­wort weiß: „Es gibt zwei op­ti­ma­le Mo­men­te für das Pflan­zen ei­nes Bau­mes: Vor 20 Jah­ren und heu­te.“
Knorrige Wurzeln, Baumstamm, Blätter, Ufer, Schiff, Wasser
Ufer­baum mit Wur­zeln und Res­tau­rant­schiff

Ein Sprich­wort weiß: „Es gibt zwei op­ti­ma­le Mo­men­te für das Pflan­zen ei­nes Bau­mes: Vor 20 Jah­ren und heu­te.“

Der­zeit Bü­ro­ar­beit: Als Dol­met­sche­rin, die ei­ner Aus­lands­kor­res­pon­den­tin zu­ar­bei­tet, de­ren Deutsch noch nicht ganz auf der Höhe ist, manch­mal ge­be ich auch Un­ter­richt, er­klä­re ich oft Din­ge, die sich kaum er­klä­ren las­sen. Deutsch­land ist das be­rühm­te Land der In­ge­nieur:in­nen, der Ra­tio, der Ef­fi­zi­enz. Da­bei gibt es ge­ra­de ein so ganz an­de­res Bild ab. Das Bahn­dra­ma stellt die Jour­na­lis­tin vor ein nicht auf­lös­ba­res Rät­sel. Sie hat­te da­mit ge­rech­net, dass Zü­ge hier mit der Pünkt­lich­keit ei­nes Schwei­zer Uhr­werks ab­fah­ren und an­kom­men. 

Que nen­ni, aber nicht doch! Ich er­klä­re, was da­mals bei der ge­plan­ten Pri­va­ti­sie­rung pas­siert ist. Dass auf Un­ter­neh­mens­be­ra­ter, die vom Bahn­ge­schäft kei­ne Ah­nung hat­ten, mehr ge­hört wur­de als auf Bahn­mit­ar­bei­te­r:in­nen. Dass der Bör­sen­gang we­gen der Kri­se am Neu­en Markt ge­platzt ist und wie sich dann die Ar­beits­ab­läu­fe auch für Lai­en er­kenn­bar ver­schlech­tert ha­ben. Wir wer­fen ei­nen kur­zen Blick nach Eng­land, wo der Staat die Ei­sen­bah­nen zu­rück­kauft. Wir spre­chen auch über ak­tu­el­le De­bat­ten und Stim­mun­gen. Manch­mal hilft mir mei­ne Ost-West-Ver­gan­gen­heit. Oft schüt­te­le ich selbst nur mit dem Kopf.

Öko­no­misch ist klar: Wer wei­ter auf um­welt­schäd­li­che Stoffe setzt, zahlt am En­de drauf. An­de­re Län­der zei­gen, dass Wan­del funk­tio­niert — durch For­schung, CO₂-Spei­che­rung, An­pas­sung, In­ves­ti­tio­nen. Das Glei­che gilt für an­de­re schäd­li­che Sub­stan­zen, ich sa­ge nur Ag­rar­in­dus­trie. Deutsch­land leis­tet Straf­zah­lun­gen an die EU we­gen der Was­ser­ver­schmut­zung. Der Auf­schlag der Tran­si­tion ist ge­macht. Bei Mes­sen und Märk­ten drau­ßen „im Feld“ sa­gen gro­ße Tei­le der Wirt­schaft: It's uns­top­pa­ble!

Wie trau­rig, dass die Po­li­tik der­zeit nur den Stamm­tisch zu be­die­nen scheint, der Angst vor Ver­än­de­run­gen hat. So scheint auch das Wort Re­si­lienz hier­zu­lan­de ein Wort aus ei­ner frem­den Spra­che zu sein. Ha­ben wir al­le aus den Co­ro­na­eng­päs­sen nichts ge­lernt, trotz der lau­ten Be­teue­run­gen da­mals?

Nach der hit­zi­gen De­bat­te um Zu­wan­de­rung wä­ren ru­hi­ge, mul­ti­la­te­ra­le Ge­sprä­che nö­tig. Mit Schlag­wor­ten und Kli­schees lässt sich kei­ne Zu­künf­t ge­stal­ten. Die Stadt­ker­ne ver­fal­len zu­seh­ends; die Grün­de sind viel­fäl­tig: On­line­ein­käufe, über­teu­er­te Miet­vor­stel­lun­gen, leer­ste­hen­de Bü­ros.

Als Dol­met­sche­rin bin ich oft mit die­ser Fra­ge im Ge­päck ge­reist. Die Maß­nah­men zur Wie­der­be­le­bung sind gar viel­sei­tig. Es gibt gu­te Er­fah­rung­en: Vie­le der auf­ge­ge­be­nen La­den­ge­schäf­te Neu­köllns wur­den in den Nuller­jah­ren durch Quar­tiers­ma­na­ge­ment­bü­ros an in­te­res­sier­te Mie­ter:in­nen ver­mit­telt, die sie dann z. B. für ein Jahr­zehnt zu ver­güns­tig­ten Kon­di­tio­nen nut­zen kon­n­ten. Da­durch wurd­e das Vier­tel für neu­e Mie­ter:in­nen­schich­ten in­te­res­sant. (Die an­schlie­ßen­de Preis­ex­plo­sion geht auf die Kap­pe der Bör­sen­kri­se 2008 und die Flucht ins „Be­ton­gold“.)

Wir bräuch­ten in der Ge­sell­schaft ei­nen Wett­be­werb der Ideen und Pro­jekte für ma­xi­malen Zu­sam­men­halt, statt­des­sen er­leben wir Blo­cka­den. Überall fehlt es an Woh­nun­gen, Struk­tu­ren, So­zial­ar­beit, aber auch an Diskussionsräumen. Frank­reich hat Er­fah­rung mit tiers-lieux, Dritt­or­ten, die Ge­mein­schaft, Kul­tur und Wirt­schaft ver­bin­den. Sie be­le­ben In­nen­städ­te, för­dern Dia­log und schaf­fen Be­geg­nung. Da­bei gilt: klei­ne Mit­tel, gro­ße Wir­kung.

Bau­ge­setze las­sen sich nach­schär­fen. Vor­schlag: keine Bau­rechts­ver­ga­be ohne das, was die „Ber­li­ner Mi­schung“ hei­ßen könn­te, ma­xi­mal ein Drit­tel Ei­gentum, ein Drit­tel frei ver­miet­bar, ein Drit­tel auf ewig preis­ge­bun­den im ein­fa­che­ren Seg­ment bei auch schlich­te­rer Aus­stat­tung UND DA­ZU klei­nere Woh­nun­gen im Erd­ge­schoss, die auch mit Mo­bi­li­täts­ein­schrän­kun­gen al­lein be­wohn­bar sind, eben­falls für im­mer 'be­zahl­bar'.

Exis­tie­ren­de Bau­ge­setze las­sen sich nut­zen, z.B. bei ver­wahr­lo­sten Ge­bäu­den. Das is im Stra­ßen­bau gang und gäbe: En­tei­gnung zu­guns­ten der All­ge­mein­heit. Dann wä­ren Stif­tun­gen und ge­mein­nütz­ige Ge­sell­schaften, Be­rufs­fach­schu­len und ört­liche Hand­wer­ker für die Re­kons­truk­tion ein­zu­bezie­hen. In­dem sich die Zi­vil­ge­sell­schaft en­ga­giert, be­trach­tet sie am Ende den ge­ret­te­nen Bau als Ort der Ge­sell­schaft und bil­det neue Bil­dungs- und Dis­kussi­ons­räume, aus de­nen Neu­es er­wächst. Das sind „Drit­te Or­te“.

Die Fo­kussi­erung des Blicks auf ein­zelne Per­so­nengr­up­pen und Probleme macht an­dere un­sicht­bar. Da­bei braucht das Land Zu­wan­de­rung, und Ef­fi­zienz im Um­gang mit Men­schen, de­nen Deutsch­land lange Asyl ge­bo­ten hat, an­stelle von Sym­bol­po­li­tik.

Nach 2015 ha­be ich im Rah­men von psy­cho­lo­gi­scher Kri­sen­inter­ven­tion ge­dol­met­scht. Wir sind an un­sere Gren­zen ge­sto­ßen, denn es war rasch klar: Die Pro­ble­me sind grö­ßer als das, was sich im Eh­ren­amt lö­sen lässt. „Wer A sagt, muss auch B sa­gen!“, lau­tet das Sprich­wort. B kam nie, schwer ver­zei­hliche Un­ter­las­sungen, ein we­nig wie bei der schlepp­en­den In­te­gra­tion der Ge­flücht­eten aus Schlesien, Pom­mern und Ost­preu­ßen, die einst auch von der an­säs­sigen Be­völ­ke­rung schlecht­ge­macht wur­den. Das war schon da­mals of­fen­sicht­lich.

Will Deutsch­land sei­ne Po­si­tion hal­ten, müs­sen wir das gründ­lich än­dern. Laut ei­ner Stu­die der Ber­tels­mann-Stif­tung braucht Deutsch­land ho­he Ein­wan­de­rungs­zah­lun­gen, die jähr­li­che Net­to­zu­wan­de­rung von 346.000 bis 533.000 Men­schen wird ge­nann­t, um den Ar­beits­kräf­te­be­stand kon­stant zu hal­ten. Auch wenn die di­gi­tale Re­vo­lu­tion zu we­niger Ar­beits­kräf­te­be­darf in der Fer­tigung füh­ren wird, geht kei­ne an­dere der Schätz­un­gen von Zah­len un­ter 200.000 Men­schen aus.

Ein rie­si­ges, kaum be­acht­etes Po­ten­zial sind zu­dem die jun­gen Leu­te am Ran­de der Ge­sell­schaft, egal, ob al­tein­geses­sen oder neu hier. Sie wach­sen meist beengt auf, oh­ne Rück­zugs­raum zum Ler­nen. Wir brau­chen gro­ße Pro­gramme, die Bil­dungs­auf­stieg wie­der mög­lich ma­chen. In Deutsch­land wer­den Reich­tum und Ar­mut ve­rerbt. Das gilt auch für Bil­dungs­reich­tum und -ar­mut.

„Au­gen auf beim El­tern­kauf“, reicht nicht aus.

Gro­ße, also rich­tig gro­ße Sor­gen macht mir der Ima­ge­scha­den, den Deutsch­land der­zeit nimmt. Die Kor­re­spon­den­tin kam mit dem Bild ei­nes klu­gen, be­son­ne­nen, er­fin­dungs­rei­chen Lan­des nach Ber­lin. Jetzt sieht sie Schein­de­bat­ten, sym­bo­li­sche Hand­lun­gen, nicht ver­folg­te Steu­er­tricks, Mas­ken­af­fä­ren und So­zial­be­trug. Wir se­hen Clans und Lu­xus­au­tos, Bett­elei ne­ben un­fas­sa­ba­rem Reich­tum ... und zu we­nig Kon­se­quenz.

Wir brau­chen Aus­tausch über heu­tige Pro­ble­me, die Fol­gen ge­striger Ver­säum­nisse sind, da­mit wir uns viel­leicht mor­gen an das al­te Ima­ge an­knüp­fen kön­nen. Nur wer sich än­dert, bleibt sich treu. Es gibt zwei op­ti­male Mo­men­te für ei­ne Bil­dungs­re­vo­lu­tion: Vor 20 Jah­ren und heu­te.

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Fo­to: C.E. auf alt ge­macht; in ein an­de­res
Fens­ter ge­la­den, lässt es sich ver­größ­ern

Montag, 27. Oktober 2025

Montagsschreibtisch (113)

Den Ar­beits­all­tag ei­ner Dol­met­scherin fin­den Sie auf die­sen Sei­ten skiz­ziert. Mei­ne Mut­ter­spra­che ist Deutsch, ich ar­bei­te über­wie­gend mit Fran­zö­sisch und Eng­lisch, die Bü­ro­kol­le­gin über­setzt in die eng­li­sche Spra­che. Es ist kalt, dun­kel und nass da drau­ßen.

Mon­tag­mor­gen, der Schreib­tisch ruft, vor al­lem der Rück­stän­de et­li­cher Ta­ge der letz­ten Wo­che we­gen, an de­nen nichts mehr ging. 

Eine Frau am Schreibtisch (Schreibmaschine!) vor einer Regalwand mit Unterlagen
Schreib­tisch Ul­la Hof­meis­ter (1928)
Die Er­käl­tungs­sai­son hat bei mir ih­ren Tri­but ge­for­dert, ein grip­pa­ler In­fekt (von der fie­sen Sor­te). Jetzt geht’s ans Hoch­hä­keln der run­ter­ge­fal­le­nen Ma­schen.

Als Ers­tes pla­ne ich am Mor­gen mei­ne Pau­se. Ich lie­be es, mit­tags durch die Stadt zu wan­dern. Seit ges­tern übt der Herbst schon mal, wie ech­tes Schiet­wet­ter geht, um es Nord­deutsch zu sa­gen. Wird es ein Loch in der Wol­ken­de­cke ge­ben?

Der Som­mer war die­ses Jahr be­son­ders schnell vor­bei. Al­so folgt jetzt et­was zwi­schen frei­wil­li­gem Haus­ar­rest, Trau­­rig­keit über feh­len­de Wär­me und der Su­che nach den per­fek­ten Gum­mi­stie­feln. 

Dann sor­tie­re ich den Schreib­tisch für die­se Wo­che:
❦ ei­ne Stu­die zum The­ma PFAS aus­wer­ten (Me­dien­ar­beit)
❦ Über­set­zung Film­ex­po­sé
und na­tür­lich das
❦ Auf­ho­len der Ar­beit aus der Zeit, in der ich grip­pal war.

Zwi­schen­durch stol­pert mein Kopf über die Welt drau­ßen: al­les so­fort, al­les auf­re­gend, bald kommt die nächs­te Kri­se, wird die nächs­te Sau durchs Dorf ge­trie­ben, So­for­tis­mus meets Auf­re­gungs­öko­no­mie, das neue Grund­rau­schen des All­tags. Die ech­ten Sau­e­rei­en ge­sche­hen im Hin­ter­grund. Orange Face hat die Ark­tis zur Öl­er­kun­dung frei­ge­ge­ben.

Noch mehr Müll, Gif­te und CO₂ pla­nen die Herr­schaf­ten. Da­bei ha­ben wir schon jetzt mit vie­len Um­welt­ka­ta­stro­phen pa­ral­lel zu tun. PFAS, die mich die­ser Ta­ge be­schäf­ti­gen, wer­den auch „Ewig­keits­che­mi­ka­lien“ ge­nannt, gel­ten als en­do­kri­ne Dis­rup­to­ren und wur­den be­reits (wie Mi­kro­plas­tik) in der Na­bel­schnur von neu­ge­bo­re­nen Men­schen­kin­dern ge­fun­den.

Be­reits En­de Ju­li die­ses Jah­res hat der In­ter­na­tio­na­le Ge­richts­hof (IGH) mit Sitz in der nie­der­län­di­schen Stadt Den Haag ein Gut­ach­ten ver­öf­fent­licht, in dem er die völ­ker­recht­li­che Ver­pflich­tung der Staa­ten zur Be­käm­p­fung des Kli­ma­wan­dels be­kräf­tig­te. Staa­ten wie die USA, die die­se Ver­pflich­tun­gen jetzt mit Fü­ßen tre­ten, han­deln völ­ker­rechts­wid­rig.

An­de­re Staa­ten, die ge­mein­sam be­schlos­se­ne Kri­te­ri­en der Pa­ri­ser Ver­trä­ge ig­no­rie­ren oder in­fra­ge­stel­len, eben­so.  Es ist be­kannt, dass der­zeit die Selbst­ver­pflich­tun­gen der Staa­ten nicht aus­rei­chen; statt­des­sen be­han­deln im­mer mehr Staats­ober­häup­ter Kli­ma­fra­gen wie die be­rühm­te Kir­sche auf der Tor­te: ver­zicht­bar.

Das Gut­ach­ten hat in­des be­kräf­tigt, dass ei­ne sau­be­re, ge­sun­de Um­welt ein Men­schen­recht ist, und dass an­de­re Staa­ten, die un­ter den Fol­gen be­son­ders lei­den, un­ter be­stimm­ten Be­din­gun­gen von den Haupt­ver­ur­sa­chern für Schä­den ent­schä­digt wer­den müss­ten. 

Hoff­ent­lich wird die­ser Ent­scheid bald na­tio­na­le Ge­richte und in­ter­na­tio­na­le Di­plo­ma­tie er­rei­chen. Auch für Deutsch­land könn­ten sich da­raus Kon­se­quen­zen er­ge­ben. Es ist zu hof­fen, dass die Me­dien, aber auch et­li­che Par­tei­en, die­se Kar­te öf­ter aus­spie­len.

Das Gut­ach­ten ist zwar recht­lich nicht bin­dend, das Ge­richt hat kei­ne Durch­set­zungs­mög­lich­kei­ten, ihm wird aber ei­ne ho­he Si­gnal­wir­kung zu­ge­schrie­ben. Men­schen­rech­te und Um­welt­schutz sind zwei Sei­ten ein- und der­sel­ben Me­dail­le. Hier zum Deut­schen In­sti­tut für Men­schen­rech­te: klick!

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Fo­to: Ar­chiv Eli­as Los­sow

Sonntag, 26. Oktober 2025

Resilienz und Einfachheit

Seit fast zwei Jahr­zehn­ten bin ich als Dol­met­sche­rin in Frank­reich und Deutsch­land un­ter­wegs, und zar für Deutsch ↔ Fran­zö­sisch so­wie aus dem Eng­li­schen. Ganz gleich, ob auf Kon­fe­ren­zen, bei De­le­ga­tio­nen oder in Work­shops: Ich sor­ge da­für, dass Wor­te an­kom­men. Die­se Prä­zi­sion und Er­fah­rung zei­ge ich auch hier im Blog. Sonn­tags­ge­dan­ken (statt ei­nes Sonn­tags­bil­des).

Am Diens­tag ha­be ich als ro­man­ti­schen Mo­ment ver­zeich­net, wenn im Herbst (oder beim Rück­flug im Früh­jahr) die Kra­ni­che über die Fir­ste zie­hen. Was ich beim Tip­pen nicht ge­ahnt ha­be, war, dass die Kra­ni­che das Vo­gel­grip­pe­vi­rus mit sich tra­gen. In vie­len Dör­fern um Ber­lin her­um, aber auch an­ders­wo, wer­den jetzt gan­ze Vo­gel­be­stän­de ge­keult, weil kran­ke Kra­ni­che un­ter­wegs Rast ge­macht ha­ben oder ver­en­det sind.

In den USA ist das H5N1-Vi­rus be­reits auf Rin­der über­gesprun­gen. Durch Mas­sen­tier­hal­tung wird die Aus­brei­tung von Seu­chen ge­för­dert. Die nächs­te Pan­de­mie wird kom­men. Ak­tu­ell wä­ren wir gar nicht vor­be­rei­tet. Wir ha­ben die Leh­ren aus der Co­ro­na­zeit nicht ge­lernt, da­bei den­ke ich nicht nur an die Phar­ma­in­dus­trie und Stand­or­te, son­dern auch an an­de­re Tech-Stand­or­te, was sich ge­ra­de an den Mi­kro­chips zeigt. Deutsch­land ist al­les an­de­re als re­si­li­ent.

Die größ­ten Sor­gen ma­chen mir (ne­ben der zu­meist un­wür­di­gen, nicht art­ge­rech­ten Un­ter­brin­gung der Tie­re) die vie­len Men­schen in Trotz­hal­tung, die oft­mals mit dem Dü­sen­jet durch ih­re Bil­dungs­ein­rich­tun­gen ge­eilt sind und die Fol­gen gar nicht selbst ab­schät­zen kön­nen. Wir be­ob­ach­ten Wis­sen­schafts­feind­lich­keit. Das geht al­ler­dings weit rauf in Krei­se, die ver­mut­lich ge­nau wis­sen, was sie an­rich­ten. Sie ver­wei­gern bis ver­teu­feln aber das Na­he­lie­gends­te, und hier spre­che ich von Ge­sell­schafts-, Bil­dungs-, Wirt­schafts- und Energie­the­men, weil sie sich ein gol­de­nes Nä­schen da­mit ver­die­nen.

Wie sehr ist es mög­lich, dass Men­schen ih­re Kin­der und En­kel has­sen? Ich ver­ste­he es nicht.

Re­gen­sonn­tag: Mit dem Schirm ins Mu­se­um, spä­ter gut ko­chen, zwi­schen­durch ei­ne Schreib­tisch­schub­la­de aus­sort­ie­ren, ge­treu dem Mot­to un­se­res Va­ters: „Je­den Tag ei­ne klei­ne amé­lio­ra­tion.“

Da­bei den­ke ich über Nach­hal­tig­keit nach. Ich hal­te mich für ei­ne welt­of­fe­ne, po­ly­glot­te Wert­kon­ser­va­ti­ve in dem Sin­ne, als dass wir durch un­ser Le­ben die Be­din­gun­gen der an­de­ren Le­be­we­sen ver­bes­sern und dann, wenn wir ge­hen, et­was Po­si­ti­ves hin­ter­las­sen müs­sen. Die Auf­ga­be ist eben­so ein­fach wie ra­di­kal. Ich schät­ze mal, ich ha­be sie von mei­nen Vor­fah­ren ge­erbt, die im­mer viel Ver­ant­wor­tung für ih­re An­ge­stell­ten, aber auch für die sie um­ge­ben­de Na­tur hat­ten.

Kei­ner von uns exis­tiert al­lein. In der Früh­zeit der Mensch­heit hat ge­nau das uns zu Men­schen ge­macht: Ge­mein­schaft, Mit­ein­an­der, Ko­ope­ra­tion. Wie be­kom­men wir es wie­der hin, dass un­se­re Ge­sell­schaft sich an Wer­te er­in­nert wie Ge­rech­tig­keit, So­li­da­ri­tät, Ver­ant­wor­tung, Nach­hal­tig­keit und den Schutz der Kul­tur?

Wir müs­sen den Dys­to­pi­en oder va­gen Zu­kunfts­bil­dern vol­ler Ver­spre­chen aus ex­tre­mis­ti­schen und fa­schis­ti­schen Krei­sen star­ke Bil­der ei­ner gu­ten, erstre­bens­wer­ten Zu­künf­t ent­ge­gen­set­zen. Ein­fach ge­sagt, schwer ge­tan.

Da­bei sor­tiert mein Kopf ne­ben den al­ten Stif­ten auch an an­de­ren Punk­ten her­um. Wie ger­ne wä­re ich Mi­ni­ma­lis­tin. Aber das klappt ir­gend­wie nicht. Da­für dol­met­sche ich in zu un­ter­schied­li­chen Be­rei­chen und le­se zu ger­ne. Es sind al­so schon mal vie­le Bü­cher da. Von den Ah­nen ha­be ich et­was Kunst über­nom­men und auch selbst das ei­ne oder an­de­re ge­kauft, da­zu die al­ten Mö­bel, et­li­ches re­stau­rie­ren las­sen. Grund­sätz­lich bin ich für gu­te Schrän­ke, Wand­schrän­ke und Kom­mo­den, da­mit al­les sei­nen Platz hat.

Bei län­ge­rem Nach­den­ken scheint mir ra­di­ka­ler Mi­ni­ma­lis­mus oh­ne­hin ein Pro­jekt des Ka­pi­ta­lis­mus zu sein: Lasst sie weg­wer­fen, da­mit sie Neu­es kau­fen müs­sen! Dann kommt der Sub­text: „Seid froh, dass Ihr nicht so viel be­sitzt, ge­nießt die Ein­fach­heit, Ihr habt so­wie­so nicht ge­nug Geld für Lu­xus und Schnick­schnack!“ .   

Männer, die um Stehpulte herum stehen
Büroalltag um 1900

Mein Ur­ur­groß­va­ter, von Beruf Kaufmann, hat­te sei­nen ei­ge­nen Ge­mü­se­gar­ten mit ei­nem fest­an­ge­stell­ten Gärt­ner, Früh­bee­ten und Ge­wächs­haus. Er hat al­les selbst an­ge­baut, ver­e­delt, Saat­gut ge­tauscht. Dass die Ar­tischock­en nicht so wuch­sen, wie sie soll­ten, zähl­te zu sei­nen Ent­täu­schun­gen. Auf die blü­hen­de Kö­ni­gin der Nacht war er stolz und zeig­te er der hal­ben Stadt des Nachts die Blü­te des Kaktus.

Grund­sätz­lich war da­mals so vie­les an­ders als heu­te. Die Leu­te ha­ben al­les bis zum letz­ten Mo­ment ge­nutzt, oft nicht freiwillig. Un­ser Fa­mi­li­en­haus steht in dem Teil Deutsch­lands, das der­ma­leinst DDR hieß. Dort herr­schte Man­gel­wirt­schaft. Die Ge­wohn­hei­ten än­der­ten sich nicht; es wur­den Re­cy­cling und Up­cy­cling be­trie­ben, lan­ge be­vor es die Be­grif­fe gab.

Die­je­ni­gen, die al­te Strümpfe zu Hand­tü­chern ver­we­ben lie­ßen, die, wenn sie ab­ge­nutzt wa­ren, auf­ge­trennt und zu Topf­lap­pen ver­ar­bei­tet wur­den, die spä­ter zu Putz­lap­pen wur­den und ganz zum Schluss im Kom­post lan­deten, weil sie aus 100 Pro­zent Baum­wol­le be­stan­den ha­ben, ha­ben das Ma­te­ri­al bis zum letz­ten Mo­ment ge­ehrt. Wir müs­sen zu den ein­fa­chen Kreis­läu­fen und ge­sun­den Stoff­en zu­rück­keh­ren, wenn wir den All­tag vie­ler Men­schen ent­gif­ten und für die Zu­kunf­t nach­hal­tig ge­stal­ten wol­len. Aber ich wie­der­ho­le mich nur.

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Foto: Ar­chiv E­li­as Los­sow, zum Ver-
­grö­ßern in ein zwei­tes Fens­ter la­den

Freitag, 24. Oktober 2025

Ringe, Register, Routine

Gu­ten Tag oder gu­ten Abend! Sie le­sen die Sei­ten ei­nes di­gi­ta­len Ar­beits­ta­ge­buchs. Hier be­rich­te ich in Deutsch­lands ers­tem Blog aus dem In­ne­ren der Dol­met­scher­ka­bi­ne über den Be­rufs­all­tag von uns Sprach­ar­bei­tern, stets un­ter Wah­rung von Ge­heim­nis­sen. Für ei­nen Kos­ten­vor­an­schlag er­rei­chen Sie mich un­ter caro­line[at]a­da­zyl­la.de.

Easy peasy war das heu­te, pil­le-pal­le oder kin­der­leicht.

Ein elegant gekleidetes Paar
1932, ir­gend­wo in Deutsch­land
Denn heu­te war ich mal wie­der in der „Rin­ge­fir­ma“. Es ging um so schlich­te Din­ge wie das Per­so­nen­stands­ge­setz, um Ur­kun­den und ein „Ehe­fä­hig­keits­zeug­nis“, was wir nur in Deutsch­land so ken­nen. 
Also al­les be­kannt, wie auch am Tag der Ehe­schlie­ßung al­les be­kannt sein wird: Das Per­so­nal, die Ab­sich­ten, der Text. Hach, auch mal schön.

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Fo­to: Ar­chiv E­li­as Los­sow

Donnerstag, 23. Oktober 2025

Statistiken

Bon­jour, hel­lo und Will­kom­men! Sie le­sen auf den Blog­sei­ten ei­ner Kon­fe­renz­dol­met­scher­in. Hier be­rich­te ich über den All­tag hin­ter den Ku­lis­sen des Dol­met­schens. Über Spra­chen nach­zu­den­ken ge­hört eben­so da­zu wie über un­se­re Zeit.

Schreibtisch, Zeitungen, Vokabelheft
Auf dem Schreibtisch ...
Heu­te ein kur­zer Ein­wurf vom Schreib­tisch. Die Grip­pe­sai­son hat auch mich ge­streift. Für ein fran­zö­sisch­spra­chi­ges Me­di­um durf­ten wir ei­ni­ge Zei­tungs­ar­ti­kel zu­sam­men­fas­sen. Es geht um die ak­tu­el­le De­bat­te über die Wahr­neh­mung von Aus­län­dern, Zu­ge­wan­der­ten und Ge­flüch­te­ten (mit oder oh­ne Auf­ent­halts­sta­tus) in der deut­schen Öf­fent­lich­keit.

Ja, doch, da war ge­ra­de was, es gab ei­nen Kom­men­tar von ganz oben, der eher un­di­plo­ma­tisch war. Da­bei klaf­fen Wahr­neh­mung und Wirk­lich­keit offenbar aus­ein­an­der. Es ist ein be­kann­tes Mitt­el von Po­pu­lis­ten, mit Angst die Ratio aus­zu­schal­ten. Die­se Me­tho­den ha­ben un­se­re Po­li­tik längst ver­gif­tet.

Un­ten ei­ne Aus­wer­tung: Kri­mi­nal­sta­tis­tik ei­ner­seits und der Be­richt­er­stat­tung in den Me­di­en an­derer­seits. Die Kun­din sand­te uns ei­ne per Han­dy „über­tra­ge­ne“ Gra­fik. Sie stammt von der ge­mein­nüt­zi­gen GmbH COR­REC­TIV, die Me­dien kri­tisch be­ob­ach­tet und Inf­or­ma­tio­nen aufbereitet. Im Team ha­ben wir dann über­setzt, uns be­le­sen und nach Hin­ter­grün­den ge­sucht.

Recht akkurat automatisch übertragen
Die Er­ge­bnis­se sind spann­end. Die ver­öf­fent­lich­ten Zah­len bil­den al­ler­dings nur den Be­ginn ju­ris­ti­scher Ver­fah­ren ab, er­fas­sen Fall­da­ten, nicht Ver­ur­tei­lun­gen. Die Un­schulds­ver­mu­tung gilt al­so auch sta­tis­tisch.

Zu­dem fällt ein gan­zer Be­reich durchs Ras­ter: die Fi­nanz­kri­mi­na­li­tät. Fäl­le die­ser Art, et­wa aus dem Um­feld von Steu­er­hin­ter­zie­hung oder kom­ple­xen Fi­nanz­trans­ak­tio­nen, wer­den meist di­rekt an die Staats­an­walt­schaft über­ge­ben und er­schei­nen folg­lich nicht in der all­ge­mei­nen Kri­mi­na­li­täts­sta­tis­tik.

Die Ausgangsgrafik
Ein Blick auf Skan­da­le wie Cum-Ex oder Cum-Cum, erst 2018 be­kannt ge­wor­den, zeigt, dass die­se For­men wirt­schafts­kri­mi­nel­len Han­delns über Jah­re hin­weg we­der aus­rei­chend sank­tio­niert noch struk­tu­rell ver­hin­dert wur­den. Wie um­fas­send bil­den un­se­re Sta­tis­tik­en die Wirk­lich­keit ab?

In An­be­tracht der ho­hen Fall­zah­len von Steu­er­ver­mei­dung und -be­trug durch ge­wis­se in­te­res­sier­te Krei­se zeigt sich, dass die­se white-collar crimes in den Sta­tis­tik­en nicht ab­ge­bil­det schei­nen. Oder ir­re ich mich, und sie sind in­tern?

Und da in Deutsch­land ei­ne in­ter­na­tio­na­le Kli­en­tel ak­tiv ist, Geld­wä­sche, or­ga­ni­sier­te Kri­mi­na­li­tät (abgekürzt OK, zu der ich die oben ge­nann­ten Be­trugs­ma­schen durch­aus zäh­len wür­de), wä­re auch hier ei­ne Dif­fe­ren­zie­rung nach Pass sinn­voll.

Deutsch­land gilt als ein über­re­gu­lier­tes Land in ei­ner über­re­gu­lier­ten EU. Um­so mehr über­rascht es, dass in die­sem Be­reich be­last­ba­re Da­ten zu feh­len schei­nen. Seit 1997 gibt es kei­ne of­fi­zi­el­le Sta­tis­tik mehr über die Ver­mö­gen der Ul­tra­rei­chen, seit die Ver­mö­gens­steu­er aus­ge­setzt wur­de, nach­dem das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVG) die da­ma­li­ge Be­rech­nungs­grund­la­ge als ver­fas­sungs­wid­rig ein­ge­stuft hat­te: Im­mo­bi­li­en wur­den da­mals teils noch nach den Ein­heits­wer­ten von 1936 be­mes­sen, un­ter­schied­lich in Ost und West.

Ein gro­ßer Zeit­sprung in die Ge­gen­wart: Seit dem 1. Ja­nu­ar 2025 gilt in Deutsch­land ei­ne neue Be­wer­tungs­grund­la­ge für Im­mo­bi­li­en­ver­mö­gen. Den­noch ist öf­fent­lich nicht da­von die Re­de, die einst le­dig­lich aus­ge­setz­te Ver­mö­gens­steu­er wie­der zu ak­ti­vie­ren, oder ha­be ich da et­was ver­passt?

Wie hoch dürf­te der fi­nan­zi­el­le Ver­lust für die All­ge­mein­heit in den fast drei Jahr­zehn­ten seit der Aus­set­zung die­ser Steu­er sein? Es ist ho­he Zeit, dass Öko­nom:­in­nen auf Ba­sis der spär­lich ver­füg­ba­ren Da­ten ei­ne Schät­zung wa­gen.

Denn in den öf­fent­li­chen Kas­sen fehlt Geld. Wir müss­ten In­ves­ti­tions­staus über­win­den: Bil­dungs­ein­rich­tun­gen, Stra­ßen, Brü­cken und die Bahn sind ma­ro­de, der so­zia­le Woh­nungs­bau liegt brach, die In­nen­städ­te ster­ben, um nur mit dem Au­gen­schein­li­chen an­zu­fan­gen. Zu die­ser Fest­stel­lung wür­de ich in al­len po­li­ti­schen La­gern Zu­stim­mung er­war­ten. Funk­tio­nie­ren­de Le­bens­grund­la­gen ha­ben kein Par­tei­buch.

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Bild: pixlr.com

Mittwoch, 22. Oktober 2025

Zerrspiegel

Hier ver­öf­fent­licht eine Sprach­ar­bei­te­rin Epi­so­den aus dem All­tag der Dol­met­scher und Dol­met­sche­rin­nen. Meine Haupt­ar­beits­spra­che ist Fran­zö­sisch (in bei­de Rich­tun­gen). Deutsch ist mei­ne Mut­ter- und wich­tigs­te Schrift­spra­che. Die Büro­kol­le­gin über­setzt ins Eng­lische. Wir sind Zeit­ge­nos­sin­nen, den­ken über Kon­fe­ren­zen hin­aus. Heu­te: KI-Mitt­woch.

Die Künst­li­che In­tel­li­genz (KI) mag klug wir­ken, aber sie denkt nicht wirk­lich. Sie kom­bi­niert nur Be­ste­hen­des neu und haut zu­sam­men, was mit Wahr­schein­lich­keits­rech­nung er­mit­telt wird. Das ist wie ein Pa­pa­gei, der ei­nen Arzt spielt, bis je­mand wirk­lich krank wird.

Papagei sieht in den Zerrspiegel und sieht einen Papagei mit Königskrone, die den Globus beherrscht
No kings!
Spin­nen wir das Pa­pa­gei­en­garn wei­ter. Die­ser Pa­pa­gei hat ein au­ßer­ge­wöhn­lich brei­tes Vo­ka­bu­lar. Er kann viel kor­rekt aus­spre­chen, man­ches „put­zig“ falsch. Die KI klingt sou­ve­rän, selbst wenn sie den größ­ten Un­sinn er­zählt. Sie weiß nicht, was sie „sagt“, denn sie hat nichts durch­drun­gen. Es ist ver­meint­li­che Bril­lanz oh­ne jeg­li­ches Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­sein.

Selbst Ent­wick­ler wis­sen oft nicht, war­um ein Mo­dell wie ent­schei­det. Wenn die Ma­schi­ne dis­kri­mi­niert oder lügt, wer trägt die Ver­ant­wor­tung? Das Pro­blem ist tech­ni­scher und de­mo­kra­ti­scher Na­tur, In­trans­pa­renz ist das neue Ri­si­ko.

Die KI ist kein Spie­gel der Welt, son­dern ein Zerr­spie­gel ih­rer Da­ten. 

Was sie in den Da­ten­sät­zen häu­fig vor­fin­det, hält sie für Wahr­heit. Was nur sel­ten vor­kommt, kehrt sie un­ter den nicht en­den wol­len­den Wort­tep­pich mit sei­nen ewi­gen Nach­fra­gen. Die KI ver­stärkt Vor­ur­tei­le oder Vor­an­nah­men, die sie in den Da­ten fin­det, denn sie sind meis­tens sim­pel ge­strickt.

Wenn wie im Eng­li­schen doctor oder pilot neu­tral sind oder von parents die Re­de ist, sit­zen die Män­ner in der Pra­xis oder im Cock­pit und die Frau­en im Kin­der­zim­mer. Noch ein Bei­spiel: Na­men aus be­stimm­ten Her­kunfts­län­dern wer­den au­to­ma­tisch mit Kri­mi­na­li­tät as­so­zi­iert. Men­schen mit dunk­ler Haut oder dunk­len Haa­ren, die z.B. vor ei­nem Haus oder am Bahn­hof rum­sit­zen und schwat­zen, eben­so. [Mo­ment mal, war da nicht was?]

Die Da­ten­sät­ze, die sie nutzt, sind der All­ge­mein­heit eben­so­we­nig be­kannt wie die Na­men je­ner, die die Ma­schi­ne füt­tern. Auf­grund der Ver­zer­run­gen ist das kein be­lang­lo­ses De­tail. 

Die KI ist su­per, wenn es um das Be­wäl­ti­gen von gro­ßen Da­ten­men­gen geht, um ihr Sor­tie­ren und Aus­wer­ten. Sie er­spart ei­ni­gen Leu­ten ver­dammt viel lang­wei­li­ge Ar­beit. Sie ist auch groß­artig, wenn es um das Er­for­schen von Krank­hei­ten geht. Kor­re­la­tio­nen, die in kei­ner Pra­xis und auch in kei­nem Kran­ken­haus auf­fal­len wür­den, z.B. dass Men­schen mit über­stan­de­ner Tu­ber­ku­lo­se nicht an Bla­sen­krebs er­kran­ken, kön­nen auf­grund von Big data mit der KI her­aus­ge­fil­tert wer­den. Ich weiß das, da es mei­nem Va­ter ein Le­bens­jahr­zehnt ge­schenkt hat. 

Die KI führt so zu mi­ni­mal­in­va­si­ven The­ra­pi­en und bes­se­ren Über­le­bens­chan­cen, so­lan­ge der Krebs nicht me­tas­ta­siert ist. Die KI wird da zur Gefahr, wo Men­schen auf­grund be­son­de­rer Kor­re­la­tio­nen ei­ne Kran­ken­ver­si­che­rung ver­wehrt wird. Das ist nicht beliebig, sondern ein Eingriff in ge­sell­schaft­li­che Ver­trä­ge. Sie ver­schiebt ein So­li­dar­sys­tem in Rich­tung öko­no­mi­scher Op­ti­mier­ung.

Ge­nau be­ginnt auch das nächs­te Ge­fah­ren­mo­ment, ex­akt hier: Der An­schein wirkt ge­fähr­lich, so­bald Men­schen auf die Idee kom­men, die KI we­gen des Fach­kräf­te­mangels al­lei­ne ans Werk zu las­sen.

Die KI ist ein star­kes Tool, das Men­schen mit ho­hen Qua­li­fi­ka­tio­nen nut­zen kön­nen. Be­rufs­tä­ti­ge, die Tex­te ver­fas­sen, kön­nen durch sie ih­re Ar­beit be­schleu­ni­gen, In­ko­hä­ren­zen fin­den, mög­li­che Tipp­feh­ler auf­tun. Men­schen, die un­si­cher sind im Ver­fas­sen ei­ge­ner Tex­te, er­schwert die Ver­füh­rungs­kraft die­ser Tech­nik seit 2023 das Schrei­ben­ler­nen. 

Denn wer Werk­zeug sagt, meint auch Ent­schei­dun­gen, Ethik und Ver­ant­wor­tungs­über­nah­me. Oh­ne das wird es in den Be­rei­chen der Dia­gno­se, der Be­ra­tung und der Fach­kom­mu­ni­ka­ti­on – Me­di­zin, Recht, Dol­met­schen – rasch hei­kel.

Die KI ver­steht kei­ne tie­fe­re Be­deu­tung, sie rech­net nur an der Ober­flä­che der Spra­che her­um. Das ist wie Dol­met­schen oh­ne Kon­text, viel­leicht so­gar kor­rekt über­tra­gen, aber im Aus­wurf völ­lig da­ne­ben. Das ist wie ein Met­ro­nom, das ei­nem nach Re­geln der Sta­tis­tik Beeth­oven er­klärt. Das ist wie ein Kom­pass, der sich be­wegt, aber nie nach Nor­den zeigt.

Oder wie die ka­put­te Uhr, die zwei­mal am Tag die kor­rek­te Zeit an­zeigt. Neh­me ich nur die­sen Aus­schnitt, ist sie per­fekt. Nichts für den flücht­i­gen Blick, soll­te ich das Pech ha­ben, un­ge­fähr zu einer pas­sen­den Stun­de auf die Uhr zu se­hen. zu der es pas­sen könn­te.

Die KI kann nicht er­ken­nen, wann sie sich irrt. Und das wird sie auch künf­tig nicht, denn ihr fehlt das Bench­mar­king, das Le­ben als Maß­stab. Men­schen ha­ben Feh­ler­ein­sicht, sie äu­ßern oft schon frü­her ih­re Zwei­fel. Zwei­fel ist kei­ne Schwä­che, son­dern ei­ne Stär­ke und ein An­zei­chen für In­tel­li­genz. Nur der Doo­fe glaubt sich im­mer im Recht. So ge­se­hen ist die KI strunz­doof. Schlim­mer noch, sie ist ge­falls­üch­tig, dreht al­les so, dass sie gut da­steht, er­fin­det zur Not aus der Luft her­aus ir­gend­wel­che Fakes.

Und da sie un­auf­hör­lich mit gro­ßem Hun­ger (und als wür­de es kei­ne Ur­he­ber:in­nen ge­ben) Da­ten frisst und lang­sam „da drau­ßen“ nichts Neu­es mehr fin­det, nutzt sie ih­re ei­ge­nen Aus­wür­fe als ver­meint­lich fri­sches Aus­gangs­ma­te­ri­al. Sie ver­stärkt da­mit nicht nur be­ste­hen­de Vor­ur­tei­le, son­dern ver­wurs­tet da­mit auch ih­re ei­ge­nen Lü­gen und Le­gen­den. Der Zerr­spie­gel wird noch ei­ne Run­de un­schär­fer. 

Das Ge­fähr­li­che ist al­so nicht, dass die KI Feh­ler macht. Das Ge­fähr­li­che ist, dass sie sie flüs­sig ge­nug for­mu­liert, um je­ne zu blen­den, die zu we­nig über sie wis­sen.

Wenn sich die Ge­sell­schaft von der irr­lich­ter­nden Schnell­ig­keit die­ses Me­ga­pa­pa­geis blen­den lässt, ver­lie­ren wir in der Kom­mu­ni­ka­ti­on das, was uns mensch­lich macht: Ge­nau­ig­keit, De­tail, Stil, Atem, Zwei­fel, Ge­füh­le, Wis­sen über Sprech­ab­sich­ten, Fra­gen, Sinn­zu­sam­men­hän­ge und die ei­ge­ne Ver­ant­wor­tung. Der KI fehlt, auch wenn das jetzt pa­the­tisch klingt, das Wis­sen um den ei­ge­nen Tod.

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Foto: Dal­l:e

Die Lügenmaschine

Den Ar­beits­all­tag einer Dol­met­sche­rin fin­den Sie auf die­sen Sei­ten skiz­ziert. Mei­ne Mut­ter­spra­che ist Deutsch. Ich ar­bei­te über­wie­gend mit Fran­zö­sisch und aus dem Eng­li­schen, wäh­rend die Bü­ro­kol­le­gin in die­se Spra­che über­setzt. Ich ar­bei­te oft zu The­men wie En­er­gie, Nach­hal­tig­keit und Bio­di­ver­si­tät. Seit ei­ni­gen Jah­ren nerven mich im­mer lau­ter im­mer ab­surd­e­re The­men in den Me­dien, wäh­rend der Glo­bus brennt.

Und gleich noch ein Post Scriptum zum Ki-Mitt­woch!

Ei­ner neu­en Stu­die zu­fol­ge, bei der Wis­sen­schaft­ler:in­nen im Auf­trag von 22 in­ter­na­tio­na­len öf­fent­lich-recht­li­chen Rund­funk­an­stal­ten in meh­re­ren Län­dern die Aus­wür­fe der Large Language Models (LLM) der KI wie ChatGPT und Claude un­ter­sucht ha­ben, er­wie­sen sich fast die Hälf­te der au­to­ma­tisch ge­ne­rier­ten Da­ten und Quel­len zu ak­tu­el­len The­men als falsch. Sol­che Chat­bots, un­ter­sucht wur­den vier der am häu­figs­ten ein­ge­setz­ten Tools, lie­fer­ten in 45 % der Fäl­le fal­sche oder ver­zerr­te „In­for­ma­tio­nen“, und das un­ab­hän­gig von Land oder Spra­che. Be­tei­ligt wa­ren BBC, Deut­sche Wel­le und NPR (USA).

Der stell­ver­tre­ten­de Ge­ne­ral­di­rek­tor der Eu­ro­pä­i­schen Rund­funk­uni­on (EBU) kom­men­tier­te das Er­geb­nis so: „... wir glau­ben, dass dies das öf­fent­li­che Ver­trau­en ge­fähr­det. Wenn die Men­schen nicht wis­sen, wem sie ver­trau­en kön­nen, ver­trau­en sie am En­de nie­man­dem mehr, und das kann die de­mo­kra­ti­sche Teil­ha­be be­ein­träch­ti­gen.“ Tja, die KI macht’s mög­lich.

Sie schenkt uns lei­der noch mehr Epi­so­den: Die Be­trü­ger, die bei der Oma an­ru­fen und ihr am Te­le­fon vor­gau­keln, der En­kel ha­be Un­fall­flucht be­gan­gen und das Ge­fäng­nis ver­lan­ge ei­ne Kau­ti­on, so dass die Oma Spar­strumpf und Ta­fel­sil­ber ei­nem als Po­li­zis­ten Ver­klei­de­ten über­gibt: Die KI macht’s mög­lich.

Politikerin, Mikros, TV-Logo
Deepfake mit der Politikerin Catherine Connolly
Ei­ne Prä­si­den­t­schafts­kan­di­da­tin, die ver­meint­lich kurz vor den Wah­len in den Nach­rich­ten ih­ren Rück­tritt an­kün­digt, wo­rauf die Wahl am kom­men­den Sonn­tag ab­ge­sagt wor­den sei, kom­plett mit Vi­deo, TV-Re­por­ter und RTÉ-Nach­rich­ten­spre­che­rin: kur­sie­rt ge­ra­de in den aso­zia­len Me­di­en.

Hach, die KI macht’s mög­lich.

Ven­tu­re Ca­pi­tal für KI-„Lö­sun­gen“, die im Be­reich Ero­tik die An­ge­bo­te er­wei­tern: ge­dan­ken­lo­se Geld­ge­ber ma­chen, dass auch das die KI bald mög­lich ma­chen wird.

Ex­plo­die­ren­der Strom­ver­brauch in ei­ner Zeit, in der die Kli­ma­ka­ta­stro­phe im­mer sicht­ba­rer wird: Die KI macht’s mög­lich.

Mö­ge die KI-Bla­se bald plat­zen, sonst mu­tiert sie noch zur Mu­sik­ka­pel­le auf der sin­ken­den Ti­ta­nic 2.0.

Hier ent­lang zur Re­ak­ti­on des iri­schen Sen­ders RTÉ: AI-ge­ne­ra­ted deep­fake vide­os tar­get pre­si­den­tial elec­tion.


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Illustration: RTÉ

Dienstag, 21. Oktober 2025

M wie Menschlichkeit

Wie Sprach­pro­fis ar­bei­ten, ist seit 2007 Ge­gen­stand die­ses Web­logs. Mei­ne Mut­ter­sprache ist Deutsch, ich ar­bei­te meis­tens als Kon­fe­renz­dol­met­sche­rin mit Fran­zö­sisch und Eng­lisch, die Bü­ro­kol­le­gin über­setzt in die eng­li­sche Spra­che. Als Sprach­ar­bei­te­rin­nen ha­ben wir un­ser Ar­beits­ma­te­ri­al im­mer be­son­ders klar im Blick, die Spra­che, die Ge­sell­schaft. Hier ein Buch­sta­be aus dem ABC un­se­rer Zeit.

In Ber­lin zie­hen die Kra­ni­che mit ih­ren lau­ten Ru­fen über die Dä­cher. Das kit­zelt mei­nen Fern­weh­nerv. So ger­ne wür­de ich jetzt oh­ne Ver­pflich­tun­gen in die Fer­ne auf­brechen, wie ich es nach dem Abi ge­mac­ht ha­be!

Kontinente, Wandernde, Lernende
Reisen bildet
Gibt es eigent­lich Sta­tis­ti­ken da­rü­ber, wie vie­le jun­ge Men­schen ein Aus­tausch­jahr ma­chen, mit In­ter­rail durchs Aus­land rei­sen, nach der Schu­le oder in län­ge­ren Ur­lau­ben oder so­gar dau­er­haft im Aus­land stu­die­ren? Gibt es Zah­len, in de­nen sich ih­re Sprach­kennt­nis­se, ih­re Neu­gier und ihr For­scher­drang ersehen las­sen, und da­mit mei­ne ich nicht die ei­ner Jet­set-Min­der­heit, son­dern je­ner, die wirk­lich ler­nen wol­len?

Denn Rei­sen bil­det. Im Aus­land sind wir die Frem­den, ler­nen oh­ne vie­le Wor­te zu kom­mu­ni­zie­ren, er­fah­ren Gast­freund­schaft oder Miss­trau­en.

Die­se Er­fah­run­gen brin­gen nicht nur Fach­wis­sen, son­dern er­wei­tern un­se­ren Blick auf die Welt. Und es stärkt den Cha­rak­ter, wir ler­nen, uns zu be­haup­ten, mit Ängs­ten um­zu­ge­hen, Kon­sens mit Frem­den zu fin­den, die zu Freun­den wer­den kön­nen. Frü­her war zir­ku­lä­re Mi­gra­tion zu Bil­dungs­zwec­ken der Nor­mal­zu­stand.

Heu­te schlie­ßen sich vie­ler­orts Gren­zen wie­der, wird Viel­falt ab­ge­straft. Nur Eli­ten und Ah­nungs­lo­se pro­fi­tie­ren da­von. Pa­ral­lel da­zu ge­win­nen rechts­ex­tre­me, ras­sis­ti­sche Par­tei­en auf al­len Kon­ti­nen­ten an Ein­fluss.

Ich bin zu­tiefst er­schroc­ken über das Kli­ma der Be­zich­t­i­gung, Ver­dächt­i­gung und Ver­leum­dung von gan­zen Grup­pen, das wir heu­te er­le­ben. Wor­te schaf­fen Bil­der, aus Bil­dern wird Wirk­lich­keit. Wenn Men­schen auf ihr Aus­se­hen re­du­ziert wer­den, ver­schiebt sich das Den­ken hin zu ei­ner ge­fähr­lich nor­ma­li­sier­ten Form der Aus­gren­zung. Das be­rei­tet den Bo­den dafür, sie auch un­mensch­lich zu be­han­deln.

Dem gilt es ent­ge­gen­zu­tre­ten: mit Mut zur Wahr­heit, mit De­mut im Ur­teil und mit Näch­sten­lie­be im Han­deln. Wehr­haf­te De­mo­kra­tie heißt: Recht, Ge­setz, Hal­tung und So­li­da­ri­tät. Es heißt auch, im All­tag Ge­sicht zu zei­gen, Leh­re­rin­nen, Er­zie­her, Po­li­zis­tin­nen, Nach­ba­rin­nen zur Ver­ant­wor­tung zu ap­pel­lie­ren und auf­zu­ste­hen.

Eines der größ­ten, dunk­len Mys­te­ri­en mei­ner Ju­gend und frü­hen Er­wach­se­nen­jah­re löst sich ge­ra­de auf. Lei­der, muss ich sa­gen. Es war die Fra­ge, wie die Ver­fol­gung An­ders­ar­ti­ger in der Na­zi­zeit mög­lich war. Ich le­se täg­lich, was in den USA ge­schieht, und se­he in den Kom­men­ta­ren der „a­so­zia­len Me­di­en“, wie Ma­ni­pu­la­tion funk­tio­niert – durch Bots, die oft auch vom Aus­land fi­nan­ziert wer­den, durch durch Ge­bil­de­te, die sich be­rei­chern, durch Un­ge­bil­de­te, die sich als die ewig Zu­kurz­ge­kom­me­nen se­hen. Die Goeb­bels­schnau­ze von einst ist heu­te der Laut­spre­cher der aso­zia­len Me­dien.

Vie­le der Mäch­ti­gen, in Über­see oder weit öst­lich von uns, wur­den in ei­nem Kli­ma der Ge­walt, des Macht­miss­brauchs und der Ma­ni­pu­la­tion so­zia­li­siert. Nun hat auch Ja­pan ei­ne er­z­kon­ser­va­ti­ve Füh­rung — ei­ne Frau, die „Oran­ge Face“ zu ih­rem Vor­bild er­klärt hat.

Die La­ge ist für vie­le, die hoch­sen­si­bel, em­pa­thisch und weit­sich­tig sind, zer­mür­bend. Bei uns Dol­met­scher:innen ge­hö­ren gutes Hin­hö­ren, Em­pa­thie und Spie­gel­neu­ro­nen, zur DNA. Ich ver­fal­le manch­mal in gro­ße Mü­dig­keit, aber ich wer­de nicht auf­ge­ben. Ich wer­de laut, wo es sein muss, und tre­te ge­gen Ent­mensch­li­chung ein, ge­gen Ver­leum­dung, für Hu­ma­ni­tät, Ge­rech­tig­keit und Mit­mensch­lich­keit.

In un­se­rem Land er­hal­ten heu­te vie­le jun­ge Men­schen ei­ne zu­ge­wand­te Er­zie­hung und Be­glei­tung ins Er­wach­sen­wer­den. Das macht mich froh. Aber nicht al­le wer­den er­reicht. Was wir drin­gend brau­chen, ist mehr Geld für Bil­dung, the­ra­peu­ti­sche Be­hand­lung, aber auch für die Be­ra­tung und Un­ter­stüt­zung über­for­der­ter El­tern. Last but not least: brach­lie­gen­des For­schungs­wis­sen schreit nach In­te­gra­tion in ei­ne ech­te „Schu­le fürs Le­ben“.

Und wie schaf­fen wir es au­ßer­dem, dass gu­te, de­mo­kra­ti­sche, krea­ti­ve Bil­dungs­an­ge­bo­te für al­le so at­trak­tiv wer­den, dass sie kei­ner Wer­bung be­dür­fen?

Ich ha­be mich im­mer für die näch­sten Ge­ne­ra­tio­nen en­ga­giert, als Hoch­schul­do­zen­tin, Patch­work­mut­ter, welt­li­che Pa­ten­tan­te und Tan­te un­se­rer klei­nen Fräu­leins in Süd­deutsch­land, habe viel ge­le­sen und er­fah­ren, bin drau­ßen ak­tiv und als Dol­met­sche­rin bei Kon­fe­ren­zen. Soll­te sich ir­gend­wo ein Think Tank bil­den, der sich die­sen The­men wid­met, ich wä­re da­bei!

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Bild: pixlr.com (Zu­falls­fund)

Montag, 20. Oktober 2025

Montagsschreibtisch (112)

Bon­jour und hal­lo! Hier bloggt seit 2007 ei­ne Sprach­ar­bei­te­rin mit Mut­ter­spra­che Deutsch und Haupt­ar­beits­spra­che Fran­zö­sisch, die Bü­ro­kol­le­gin über­setzt in die eng­li­sche Spra­che. Wie le­ben und ar­bei­ten wir Dol­met­scher und Dol­met­sche­rin­nen?

Ein Schreib­tisch wie ein Filmset: halb­volle Kaf­fee­tasse, auf­klapp­bares Head­set rechts, der La­ptop ist an. Ein No­tiz­zet­tel klebt am Bild­schirm­rand: „10:00, Kurz­brie­fing, Raum B“. Links ein Ord­ner mit Eti­kett „Ak­tu­ell“, oben ein Fül­ler, der noch ei­ne neue Pa­tro­ne braucht, drei Blei­stif­te, ein No­tiz­block, die Was­ser­ka­raf­fe, ein Glas.

Am zwei­ten Tisch, mei­nem Steh­pult, schrei­be ich zwei kur­ze Ant­wort­mails zur No­vem­ber­pla­nung. Dann ruft die Kol­legin an: Ab­klä­ren, wer was macht. Und wer kön­nte Sams­tag bei die­sem in­ternen Hin­ter­grund­ding ei­nes Kul­tur­ver­eins hel­fen? Kaf­fee­pause, Blick aus dem Fens­ter, der Tag bleibt mild. 

Ein anderer Schreibtisch (1925)
Kurz Pa­piere sor­tie­ren, Sprech­vor­lagen von A bis Z, Vo­ka­bel­lis­ten und die Be­lege von der letz­ten Rei­se, die ich auf der Su­che nach der Hand­creme zu­tage för­dere, kom­men rechts ins Körb­chen.
Spä­ter: Fo­tos vom letz­ten Event sor­tie­ren, Kri­tzel­eien und Sprech­vor­lagen aus­wer­ten und schred­dern, Vo­ka­bel­liste in die Sprach­schatz­ordner ab­le­gen, wei­ter­ler­nen.

The­men der kom­menden Wo­chen
❦ Ju­gend­be­geg­nung (Pla­nung)
❦ Di­gi­tale Si­cher­heit
❦ EU-A­grar­po­litik
❦ Dol­met­schen bei der An­mel­dung einer Ehe­schlie­ßung

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Fo­to: Ar­chiv Elias Los­sow

Sonntag, 19. Oktober 2025

Auf Schienen

Bonj­our & hel­lo! Ich bin Dol­met­sche­rin Deutsch–Fran­zö­sisch und mit Eng­lisch als Aus­gangs­spra­che. Mei­ne Ar­beit bringt mich in an­de­re Städ­te und Län­der, zu Kon­fe­ren­zen, Kul­tur­events und De­le­ga­tio­nen. In mei­nem Blog le­sen Sie von den klei­nen und gro­ßen Mo­men­ten, die Sprach­ar­beit so span­nend ma­chen. Sonn­tags wer­de ich per­sön­lich.

„Moin, lie­be Fahr­gä­ste im ICE nach Ber­lin! Mein Na­me ist ‚Cem Ir­gend­wa­sio­glu‘ und ich bin heu­te Ihr Zug­be­glei­ter. Sie ha­ben sich rich­tig ent­schie­den, Sie flie­gen heu­te mit uns! … ähhh, rol­len!“

Kurz da­nach ging das Licht aus
Fröh­lich sprach er’s, auch, als der Zug prompt am nächs­ten Halt nicht zur ge­wohn­ten Zeit an­kam: „Wer­te Herrrr­schaf­ten und lie­be Da­men­welt, ei­ne Mi­nu­te vor der Zeit er­rei­chen wir un­se­ren nächs­ten Halt ‚Klein­groß­stadt­hau­sen‘! Ich möch­te Sie bit­ten, die Ver­frü­hung zu ent­schul­di­gen.“

Hübs­cher Auf­schlag, die­ses „Moin!“, es war ein Abend­zug.

Zug­be­glei­ter Cem kam un­über­hör­bar von der Wa­ter­kant und zeig­te sei­nen Hu­mor, der al­le zum Schmun­zeln brach­te.

Zwi­schen­durch: „So, gleich sind wir in ‚Ober­un­ter­heim‘. Für al­le, die jetzt aus­stei­gen müs­sen: Es war schön mit Ih­nen! Be­eh­ren Sie uns bald wie­der!“
Dann, ir­gend­wann: „We­gen ei­nes an­de­ren Zu­ges im Glei­s sind wir kurz zum Still­stand ge­kom­men. Aber das ist ei­gent­lich der per­fek­te Au­gen­b­lick, denn dürf­te ich, ge­schätz­te Rei­sen­de, kurz Ih­re Auf­merk­sam­keit ha­ben? Wenn Sie nach aus dem Fens­ter schau­en, kön­nen Sie Po­lar­lich­ter se­hen. Pas­send da­zu füh­ren wir ei­ne kur­ze tech­ni­sche Übung durch, die Be­leuch­tung wird gleich für ei­ne oder zwei Mi­nu­ten kurz aus­fal­len. Soll­ten Sie ge­ra­de un­ter­wegs sein, set­zen Sie sich bit­te kurz hin, dann se­hen Sie mehr! Vor der Wie­der­an­fahrt mel­de ich mich noch ein­mal.“

Ach, der Kerl hat Spaß ge­macht! Und wisst’er was? Die Mit­rei­sen­den hat das üb­ri­gens ins Ge­spräch ge­bracht, wir spra­chen vom An­lass, ka­men aufs All­ge­mei­ne, wur­den nach­denk­lich, po­li­tisch … lau­ter klu­ge, nach­denk­li­che Köp­fe. In der heu­ti­gen Zeit, wo es so vie­le er­ra­ti­sche Macht­men­schen gibt, war das ein gu­ter Mo­ment.

Die Winz­ver­spä­tung ha­ben wir am En­de üb­ri­gens auf­ge­holt.


Vokabelnotiz
Das Wort „Moin!“ stammt vom frie­si­schen Wort „moi“ ab, was „schön“ be­deu­tet. Er hat also „’n Gu­ten“ ge­sagt.
Bei „im Gleis“ wun­de­re ich mich im­mer ein we­nig. Frü­her hieß es „auf den Glei­sen“. Viel­leicht ist „im Gleis“ ein­fach Bahn­er­jar­gon. Ähn­lich: „Aus Gleis zwei fährt jetzt der Zug nach Ber­lin.“
Frü­her hieß das „ab Gleis zwei“, da war „Gleis“ noch ein Sy­no­nym für „Bahn­steig“.
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Fo­to: C.E.

Donnerstag, 16. Oktober 2025

Diskriminierung Selbständiger

Herz­lich will­kom­men, lie­be Le­se­rin, lie­ber Le­ser! Hier bloggt ei­ne Sprach­ar­bei­te­rin mit Mut­ter­spra­che Deutsch und Haupt­ar­beits­spra­che Fran­zö­sisch, die Bü­ro­kol­le­gin über­setzt in die eng­li­sche Spra­che. Wie le­ben und ar­bei­ten wir Dol­met­scher und Dol­met­sche­rin­nen, Über­set­ze­rin­nen und Über­set­zer? Auf die­se Fra­ge ant­wor­te ich seit 2007 mit kur­zen Epi­so­den und Ein­bli­cken.

O
ri­gi­nal­ton Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Wirt­schaft: „Mit der Ak­tiv­ren­te, die wir heu­te im Ka­bi­nett be­schlos­sen ha­ben, blei­ben 2.000 Euro Ein­kom­men im Mo­nat steu­er­frei. So för­dern wir Wachs­tum und Be­schäf­ti­gung!“

So viel zum O-Ton. Das Wort „Ak­tiv­ren­te“ ist ei­ne wei­te­re Wort­lü­ge. Es geht ja gar nicht um ei­ne Ren­te, son­dern um Rentner:innen, die wei­ter­ar­bei­ten, und die dann ei­ne Ein­kom­mens­steu­er­be­frei­ung von bis zu 2.000 Eu­ro mo­nat­lich er­hal­ten, zu­sätz­lich zum oh­ne­hin zu nied­ri­gen steu­er­frei­en Exis­tenz­mi­ni­mum. Das soll ei­ne Ant­wort auf den Fach­kräf­te­man­gel sein.

Ich bin wie­der ein­mal un­fass­bar ent­täuscht und lang­sam auch rich­tig, rich­tig sau­er, denn wir Selbst­stän­di­gen sind schon wie­der aus­ge­klam­mert. Vie­le von uns blei­ben im Al­ter be­ruf­lich ak­tiv, nicht, weil wir es wol­len, son­dern weil sie müs­sen. Uns wur­de in den Co­ro­na­jah­ren viel­fach die Un­ter­stüt­zung ver­wei­gert, nach ei­nem ers­ten Schlag aus der Gu­lasch­ka­no­ne, für den wir dank­bar wa­ren und sind.

Mi­nis­te­ri­en schei­nen wieder nur Ar­beit­ge­ber und an­ge­stell­te Ar­beit­neh­mer zu ken­nen. Da­bei wür­den Wirt­schaft, For­schung und Po­li­tik oh­ne Frei­be­ruf­ler schlicht nicht lau­fen. 

Zwei Hände: Links mehr Taler als rechts
Ungleichheit staatlich verstärkt
In den Au­gen der Po­li­tik sind wir Be­schäf­tig­te zwei­ter Klas­se. 
Es ist noch ab­sur­der: Seit Jah­ren un­ter­stellt die Bun­des­re­gie­rung Selb­stän­di­gen re­gel­mä­ßig ein be­son­ders hoh­es Ri­si­ko von Al­ters­ar­mut, zu dem sie mit ih­rer Aus­gren­zung in den Jah­ren nach 2020 für vie­le aktiv bei­ge­tra­gen hat. Die Schräg­la­ge setzt sie jetzt be­wusst, nein: ak­tiv fort.

Der Ver­band der Grün­der und Selbst­stän­di­gen Deutsch­land e. V. (VGSD) hat ei­ne Pe­ti­ti­on ge­star­tet, in der ge­for­dert wird, dass Selbst­stän­di­ge nicht wei­ter aus­ge­schlos­sen wer­den. (Die Un­gleich­be­hand­lung er­scheint mir ein­mal mehr grund­ge­setz­wid­rig, Art. 3 GG, „Gleich­be­hand­lungs­grund­satz“.)

Hier geht’s zur Pe­ti­ti­on: klick. Die Be­grün­dung der Pe­ti­tion ist auch le­sens­wert. Über ei­ne Mit­zeich­nung wür­de ich mich freu­en.

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Bild: VGSD (mit Photoshop bearbeitet)

Mittwoch, 15. Oktober 2025

Die KI-Mailkanone

Bon­jour, hel­lo und Will­kom­men! Sie le­sen auf den Blog­sei­ten ei­ner Kon­fe­renz­dol­met­scher­in. Hier be­rich­te ich über den All­tag hin­ter den Ku­lis­sen des Dol­met­schens. Über Spra­chen nach­zu­den­ken ge­hört eben­so da­zu wie über Ge­pflogen­hei­ten mei­ner Bran­che. Heu­te et­was über man­che Va­ri­ati­on des Ho­mo oe­co­no­mi­cus im Zu­sam­men­spiel mit ei­ner KI, wie wir sie nicht lie­ben.

Eine Vor­re­de ist nötig: Ich ar­bei­te sel­ten für Agen­turen. Die meis­ten ar­bei­ten wie Mak­ler­bü­ros, ver­lan­gen aber kei­ne üb­li­chen Pro­zent­sät­ze: Für ge­fühlt drei Te­le­fo­na­te und ein paar Se­rien­mails for­dern sie 30, 40 oder 50 Pro­zent des Ho­no­rars. Da­mit un­ter­gra­ben sie die öko­no­mi­sche Ba­sis der­je­ni­gen, die sie an­schlie­ßend un­ter­be­auf­tra­gen.

Agen­turen ha­ben so gut wie nie Dol­met­scher:­innen fest­an­ge­stellt, ge­nauso we­nig wie Im­mo­bi­lien­mak­lern die Häu­ser und Woh­nun­gen ge­hö­ren, die sie ver­mit­teln.

Neulich er­reicht mich die Mail ei­ner Pro­jekt­ma­na­ge­rin, die für ei­ne mir un­be­kann­te Agen­tur ar­bei­tet: „Sehr ge­ehr­te Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen, hier­mit möch­ten wir Ihre Ver­füg­bar­keit für fol­gen­den Dol­metsch­auf­­trag für  EN ↔ ES ­er­fra­gen: (...) .“ Ich lö­sche die Nach­richt oder lei­te sie an ei­ne Kol­le­gin wei­ter, wenn mir je­mand ein­fällt, denn ich ar­bei­te nicht in die­sen Spra­chen. 

Jemand bietet Arbeit für Dumpingsätze. Lösung: Bücher!
Lieber lesen und lernen
Ta­ge spä­ter ploppt die nächs­te Mail in die Post­box: „Sehr ge­ehr­te Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen, un­se­re Fra­ge von letz­­ter Wo­che blieb oh­ne Ant­wort. Al­so er­neut: Hier­mit möch­ten wir Ihre Ver­füg­bar­keit für fol­gen­den Dol­metsch­auf­­trag ­er­fra­gen: (…).“ 

Die­sel­be An­fra­ge, aber die­ses Mal se­he ich die an­ge­bo­te­ne Ta­ges­ga­ge. Sie ist un­wür­dig. Ich wer­de die Mail neu­lich ge­löscht ha­ben. Es lan­den vie­le An­fra­gen die­ser Art bei mir im Sys­tem.

Ein­schub: Die Un­ter­bre­chun­gen ner­ven je­des Mal, wenn ich bei ei­ner Rou­ti­ne­sa­che oder in der Vor­be­rei­tung bin und auf wich­ti­ge Do­ku­men­te  war­te. Die KI macht sol­che Mas­sen­aus­sen­dun­gen noch ein­fa­cher; noch erken­nen wir das oft an der An­fra­ge selbst. Ein­schub­ende.

Meist re­a­gie­re ich auf Mas­sen­an­fra­gen nicht. Heu­te war ich aber aus­rei­chend ge­nervt für ei­ne Ant­wort: „Sehr ge­ehr­te Frau XYZ, Sie wun­dern sich über mein Schwei­gen. Ihre Nach­richt ging nicht nur an mich, son­dern an ca. 200 an­de­re Kol­leg:­innen, wie ich im Feld Car­bon Co­py (CC) se­hen konn­te. Zu Ihrer In­for­ma­tion: Er­stens ant­wor­te ich nicht auf Mas­sen­mails. Bei un­per­sön­li­cher An­spra­che füh­le ich mich, drei­mal dür­fen Sie ra­ten, nicht an­ge­spro­chen. Zwei­tens bie­te ich Ihre ge­such­te Sprach­kom­bi­na­tion nicht an.

Ich bin al­so von Ihrer Nach­richt wirk­lich nicht ge­meint. Dritt­ens ha­ben Sie mit ei­ner Ka­no­ne auf Spat­zen ge­schickt, also an hun­der­te von Kol­leg:­innen mit den Buch­sta­ben A bis E (und in wei­te­ren Nach­rich­ten dann ver­mut­lich an noch mehr Men­schen).

Ein ver­bind­li­cher, höf­li­cher Um­gang mit Dienst­leis­ter:­innen sieht an­ders aus.

Briefkanone schießt auf Dolmetschkabinen
Sie nennen es Arbeit (wir auch)
Auf die per­sön­li­che An­fra­ge, ob ich nicht in mei­nem Um­feld ei­ne pas­sen­de Kraft ken­nen wür­de, hät­te ich ver­mut­lich ge­ant­wor­tet.
So muss ich bei die­ser KI-Mas­sen­mail da­von aus­ge­hen, dass der ge­schäft­li­che Um­gang auch sonst eher un­er­freu­lich ist.

Da­mit wä­re ich ich nun, vier­tens, bei dem von Ihnen an­ge­bo­te­nen Ta­ges­satz. Sie bie­ten un­sere Dienst­leis­tung auf dem Markt an, ei­ne Dienst­leis­tung, die Sie dann bei uns weit un­ter Preis ein­kau­fen möch­ten. Ei­gent­lich wä­re ein Min­dest­maß an Re­spekt für das, was wir ma­chen, an­ge­bracht.

Wie Sie viel­leicht (oder auch nicht) wis­sen, ent­spricht ein Ho­no­rar­tag im Auf­wand meist zu­sätz­lich ei­nem Tag Vor­be­rei­tung so­wie ei­nem hal­ben Tag Nach­be­rei­tung und an­de­ren un­krea­ti­ven Rou­ti­ne­tä­tig­kei­ten, so geis­tig for­dernd ist das Dol­met­schen.

Durch den gro­ßen An­teil, den Sie für Ihre Dienst­leis­tung be­an­spru­chen, zer­stö­ren Sie die wirt­schaft­li­che Grund­la­ge mei­ner Selbst­än­dig­keit.

Dol­met­sch­ho­no­ra­re auf ei­nen Ta­ges­satz zu re­du­zie­ren, den Kom­par­sen mit ei­nem kur­zen Text beim Film ver­die­nen kön­nen, ist lei­der kein Aus­druck von Re­spekt. Die Mo­del­le der Hit-and-Run-Öko­no­mie eig­nen sich nicht für Sprach­ar­beit." Hier en­de­te mei­ne Ant­wort­mail.

Merke: Man­che Agen­turen ver­mit­teln Pro­fis, als wä­ren sie Wet­ter-Apps — vie­le Be­nach­rich­ti­gun­gen, we­nig Ver­läss­lich­keit. Am Ende blei­ben bis auf die Agen­tur al­le im Re­gen ste­hen.

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Bild­ma­te­rial: Pixlr.com, Dall:e
und ei­ge­ne Zeich­nung

Montag, 13. Oktober 2025

Montagsschreibtisch (111)

Den Ar­beits­all­tag einer Dol­met­scherin fin­den Sie auf die­sen Sei­ten skiz­ziert. Mei­ne Mut­ter­spra­che ist Deutsch. Ich arbei­te über­wie­gend mit Fran­zö­sisch und aus dem Eng­li­schen, wäh­rend die Büro­kol­le­gin in diese Spra­che über­setzt.

Wirk­lich tie­risch hilf­reich!
Zwi­schen Kon­fe­renz­dol­met­schen und Si­mul­tan­ein­sät­zen bei De­le­ga­tions­rei­sen arbeite ich oft am Schreib­tisch.

Mein Pro­gramm in die­ser Wo­che:
⊗ Da­ten­si­che­rung
⊗ Nach­be­rei­tung bäu­er­li­ches Saat­gut
⊗ Po­li­tik Frank­reichs
⊗ afri­ka­ni­sche Ob­jek­te, die seit der Ko­lo­nial­zeit in Deutsch­land lie­gen
⊗ Bi­blio­thek er­wei­tern


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Bild: Pixlr.com (Zu­falls­fund)

Samstag, 11. Oktober 2025

Dunkle Aufklärung

Im 19. Jahr schrei­be ich hier über mein sprach­be­ton­tes Le­ben, das ich als Fran­zö­sisch­dol­met­sche­rin und Über­set­ze­rin führe. In der Haupt­stadt ha­be ich mit ak­tu­el­len The­men zu tun, auf De­le­ga­ti­ons­rei­sen mit The­men wie Land­wirt­schaft, Ver­wal­tung, kul­tu­rel­lem Er­be. Hier mein Link der Wo­che, dies­mal ein „must read“, Le­se­be­fehl. Die KI kommt auch dar­in vor.

Ein Wesen mit breiten Schultern, halb Lebender, halb Toter, am Schreibtisch
Ja­nus­köp­fig­keit, von der KI neu in­ter­pre­tiert
„Ma­so-Po­pu­lis­ten“ nennt in­zwi­schen ein Be­kann­ter die ab­ge­drif­te­te Wäh­ler­schaft, je­ne, die auf Ul­tra­rei­che set­zen, weil sie plötz­lich mit Hei­ls­ver­spre­chen um die Ecke kom­men und vor­ge­ben, die „Feh­ler der De­mo­kra­tie“ zu be­he­ben. Bei ge­naue­rem Hin­se­hen führt das zu Ein­bu­ßen für ge­nau je­ne, die zu ih­ren Wäh­le­rin­nen und Wäh­lern zäh­len.

Es ist ra­tio­nal nicht zu er­klä­ren. In den USA be­stim­men Ex­tre­mis­ten ohne Man­dat die po­li­ti­sche Rich­tung.

Die­se Per­so­nen ma­chen deut­lich, dass sie die Re­geln der De­mo­kra­tie ab­leh­nen: Ul­tra­rei­che Tech-Un­ter­neh­mer ver­tre­ten ei­ne Ideo­lo­gie, die sie „dun­kle Auf­klä­rung“ nen­nen. In Wahr­heit ist es ein Mi­x aus Li­ber­ta­ris­mus, Eli­ta­ris­mus und Au­to­ri­ta­ris­mus. Sie wer­ben für die Herr­schaft ei­ner klei­nen, rei­chen Eli­te über die Mehr­heit, nein, über die Mensch­heit.

Un­ter der ak­tu­el­len Po­li­tik lei­den vie­le. Öko­no­misch trifft es in den USA be­son­ders ar­me Bau­ern und Men­schen, von de­nen vie­le in Staa­ten le­ben, die mit gro­ßer Mehr­heit die ak­tu­el­le Re­gie­rung ge­wählt haben.

Wo die Rei­se hin­ge­hen soll, ist of­fen­sicht­lich. Die Tech-Bros und ih­re Statt­hal­ter glau­ben, sie sei­en die neu­en Her­ren­men­schen. Sie be­stim­men über Le­ben und Ster­ben an­de­rer, kür­zen Geld für me­di­zi­ni­sche Ver­sor­gung und set­zen auf Al­go­rith­men, um die Welt zu kon­trol­lie­ren. (Die „Sa­do-Po­pu­lis­ten“ müss­ten das nur ein­mal hoch­rech­nen und auf sich be­zie­hen.)

Da­ten­sät­ze sind das neue Gold. Die Tech-Bros ha­ben sich in die Pole po­si­tion ge­putscht, oh­ne je auf ei­nem Wahl­zet­tel ge­stan­den zu ha­ben. Gleich­zei­tig ver­brei­ten sie Ver­schwö­rungs­theo­rien, um von sich ab­zu­len­ken. (Die Aus­län­der, die Schma­rot­zer, die Ar­beits­lo­sen, die Ökos, die Lin­ken, sie al­le sol­len schuld sein.)

Die­ser „dunk­len Auf­klä­rung“ hat der Stan­dard ei­nen gu­ten Text ge­wid­met, heu­te on­line und öf­fent­lich zu­gäng­lich: Wo­ran Musk, Thiel und Vance glau­ben: Die li­ber­tä­re Re­vo­lu­ti­on, die sie mei­nen.

Ihre an­geb­li­chen Zu­kunfts­vi­sio­nen — Mars­ko­lo­nien, KI-Re­gie­run­gen, ewi­ges Le­ben — sind kei­ne Fort­schritts­träu­me, son­dern Dys­to­pien: Ei­ne klei­ne Eli­te dik­tiert die Zu­kunft, wäh­rend der Rest ent­behr­lich wird. Die KI dient da­bei als Werk­zeug zur Mach­t­si­che­rung der Su­per­rei­chen.

Die­se Ide­en blei­ben nicht auf die USA be­schränkt. Über Think­tanks, Kon­fe­ren­zen und po­li­ti­sche Al­li­an­zen drin­gen sie nach Eu­ro­pa. Der Tech-Mil­li­ar­där Peter Thiel ist Part­ner von Vik­tor Orbán und trat beim Mat­thi­as-Cor­vi­nus-Col­le­gi­um auf, wo auch AfD-, FPÖ- und kon­ser­va­ti­ve CDU/CSU-Ver­tre­ter spre­chen. Ge­mein­sa­me Feind­bil­der wie „Wo­ke­ness“, Gleich­stel­lung der Ge­schlech­ter und Eth­ni­en oder Kli­ma­schutz ver­bin­den die­se La­ger.

So ent­steht ein trans­at­lan­ti­sches Netz­werk aus Mil­liar­dä­ren und Po­li­ti­kern, das an ei­nem Ziel ar­bei­tet: die li­be­ra­le De­mo­kra­tie durch ei­ne au­to­ri­tä­re Eli­te­herr­schaft zu er­set­zen. Sie ma­chen das ganz of­fen, nicht im Ver­bor­ge­nen.

Wir müs­sen uns dem wi­der­set­zen, die Ba­sis der De­mo­kra­tie stär­ken, De­mo­kra­tien mo­der­ni­sie­ren, die ech­te Auf­klä­rung wie­der­be­le­ben. Mit Klug­heit, En­ga­ge­ment und Wis­sen ist das mög­lich. Es geht nicht an­ders.

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Bild: pixlr.com (Zu­falls­fund)

Freitag, 10. Oktober 2025

... freitags nach eins (2)

Hal­lo und herz­lich will­kom­men! Ich bin Dol­met­sche­rin, über­tra­ge je nach Be­darf si­mu­ltan oder kon­se­ku­tiv, was an Kom­mu­ni­ka­ti­on an­steht, und zwar mit Mut­ter­spra­che Deutsch und Zweit- und Ziel­spra­che Fran­zö­sisch so­wie aus dem Eng­li­schen. Hier ge­wäh­re ich ei­nen Blick hin­ter die Ku­lis­sen, denn der Be­ruf ist der gro­ßen Öf­fent­lich­keit kaum be­kannt.

Teekanne, Stövchen
Abwarten und Tee ...
Zwischen Earl Grey und Sal­bei­tee sit­zen wir in der ge­müt­li­chen Tee­kü­che in der Pau­se und quats­chen. Es fal­len Be­grif­fe, die den Bruch in der Kon­ti­nui­tät deut­lich ma­chen: „frü­her“, „da­mals“ und „vor Co­ro­na“. (Cela ne nous rajeunit pas, das macht uns nicht jün­ger.)
Also: Vor der Pan­de­mie hat uns im Schnitt je­der drit­te Kos­ten­vor­an­schlag ei­nen Auf­trag ein­ge­bracht. Wir ha­ben erst aus­gie­big be­ra­ten, dann ver­an­schlagt. Nach 2021 war’s schon nur noch je­der ach­te. In­zwi­schen sind wir bei je­dem zwölf­ten. Das sagt ei­ni­ges über den Wan­del un­se­rer Bran­che, der Wirt­schaft und der Um­gangs­for­men ganz all­ge­mein. Oder liegt es am Ge­ne­ra­ti­ons­wech­sel, wie die Kol­le­gin ver­mu­tet?

Dann, lie­be Gen Z, ist das Pos­ting für Euch: Wir be­ra­ten im Vor­feld die­je­ni­ge Per­son, die al­le mög­li­chen nö­ti­gen In­for­ma­ti­o­nen zu­sam­men­ge­tra­gen hat oder oh­ne Zeit­druck wei­ter zu­sam­men­trägt. Wir un­ter­stüt­zen ab dem Erst­ge­spräch, das wir per Mail ver­ein­ba­ren, und das wir an­schlie­ßend per Mail oder Sprach­nach­rich­ten fort­set­zen, bis wir ge­mein­sam zum bes­ten Er­geb­nis kom­men.

Heu­te sind Kos­ten­vor­an­schlä­ge oft ner­vig. Die­ses Jahr ha­ben wir uns im Team schon zig­fach die Fin­ger wund­ge­tippt. „Frei­tags nach eins macht je­der seins“, den Spruch kennt das gan­ze Land. Und doch tru­deln frei­tags­mit­tags kurz vor un­se­rem Fei­er­abend (um vier oder um fünf) ger­ne noch An­fra­gen ein mit der Bit­te um ei­ne Über­set­zung oder ein Kos­ten­an­ge­bot, Lie­fer­ter­min der Über­set­zung: Mon­tag, Lie­fer­ter­min des An­ge­bots: Wie wär's mit ges­tern?

Un­rea­lis­ti­sche Dead­lines sind jetzt eher die Re­gel als die Aus­nah­me, da­bei sind wir Men­schen, kei­ne Ma­schi­nen. Zu vie­le po­ten­zi­el­le Kund:­in­nen fal­len mit der Tür ins Haus bzw. dem fest­ge­leg­ten Dump­ing­preis un­ter dem Arm. Da passt was nicht zu­sam­men: Low budget, high expectations.

Das an­de­re Span­nungs­feld ist kos­ten­lo­se Be­ra­tung. Es wird er­war­tet, dass wir uns Zeit neh­men. Das ma­chen wir ei­gent­lich ger­ne.

Ei­gent­lich. Rück­sprung: Vor acht Ta­gen ist ein „kur­zes Ken­nen­lern­ge­spräch“ von 20 Mi­nu­ten ver­ab­re­det, es wer­den 60 dar­aus. Denn es ruft ei­ne Prak­ti­kan­tin an, die das noch nie ge­macht hat. Erst fra­ge ich den Be­darf ab, dann sor­tie­re ich mit ihr zu­sam­men die Pos­ten, schließ­lich be­schrei­be ich den Auf­wand, und end­lich er­stel­le ich mit ihr ge­mein­sam die künf­ti­ge Ex­cel-Ta­bel­le mit den Pos­ten für die Pla­nung. Als Bo­nus wer­fe ich noch neue, wich­ti­ge Fra­gen auf.

Sie kön­ne lei­der mit nie­man­dem Rück­spra­che hal­ten, sagt sie, denn von den an­de­ren sei nie­mand mehr an­sprech­bar. (Schon im Wo­chen­en­de? Beim Fei­er­abend­bier? In der Klau­sur­ta­gung? Die Prak­ti im Home Office? Was es auch sein mag, mir ist's egal!)

Aber die jun­ge Da­me ist ja gar nicht mei­ne Prak­ti­kan­tin! Es miss­fällt mir, dass hier Ar­beit aus­ge­la­gert wird an ei­ne „un­be­kann­te, un­be­zahl­te Mit­ar­bei­te­rin“: mich. Zäh­ne­kni­rschend neh­me ich mir Zeit, er­klä­re und be­ra­te, rech­ne am En­de un­ser ei­ge­nes An­ge­bot als Ent­wurf durch. In mei­ner Ant­wort­mail rei­ße ich kurz mei­ne ge­leis­te­te Be­ra­tungs­dienst­leis­tung an, nen­ne va­ge ei­ne „Von-bis-Haus­num­mer“ und er­läu­te­re, war­um der Preis nicht ein­fach pau­schal be­zif­fer­bar ist und wo noch Klä­rungs­be­darf be­steht.

Ex­akt ei­ne Wo­che spä­ter, wie­der am Frei­tag, al­ler­dings jetzt kurz vor eins, kommt von der fest­an­ge­stell­ten Stel­len­in­ha­be­rin ei­ne hal­be Mail­zei­le zu­rück: „ ... ha­ben uns für ein pass­ge­nau­e­res An­ge­bot ent­schie­den.“ Das ist un­fair, zu­mal auf mei­ne Nach­fra­ge­mail am Diens­tag nie­mand re­a­giert hat­.

Wie wür­den Sie so­was emp­fin­den? Ich freue mich über ehr­li­che Ant­wor­ten, gern auch mit ei­ge­nen Er­fah­run­gen aus Ih­rer Tee­kü­che. Und ich hät­te den gan­zen Ser­mon hier nicht ge­schrie­ben, wenn es sich um ei­nen be­dau­er­li­chen Ein­zel­fall han­deln wür­de.

Mit ver­bind­li­chen Grü­ßen zum WE,
CE

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Fo­to: eigenes Archiv