Donnerstag, 21. Juli 2022

Soundcheck

Hel­lo, bon­jour, gu­ten Tag! Ich bin Dol­met­sche­rin für die fran­zö­si­sche Spra­che mit Deutsch als Mut­ter­spra­che und blogge hier seit 2007. Ich über­set­ze auch aus dem En­g­li­schen, die Bü­ro­kol­le­gin über­setzt in die eng­li­sche Sprache. Durch Corona dolmetschen wir manchmal vom eigenen Büro aus.

"Du klingst, als würdest Du an der Nord­spitze von Sylt mitten im Sturm stehen!", sagt die Kol­le­gin am Morgen beim Sound­check zu einer Red­nerin, die sich darauf­hin ein Lan-Kabel be­sorgt. Der Klang, den wir am Abend bei einer Zoom-Konfe­renz hören, wird deut­lich ver­bes­sert sein.

Zwei Köpfe, mehrere Knöpfe, das Ganez auf schwarzem Hintergrund
Bewusst von mir verpixelt: POV der Dolmetscherin
Per Kabel ist ein jun­ger Mann aus Sene­gal dabe­i, des­sen Ton auch dann nicht besser wird, als nach dem Test sein Um­feld ver­stummt. Das ist gegen Mit­tag, bei der zwei­ten Zoom-Konfe­renz des Tages. Er klingt zwar flau, ist aber für Men­schen, die nur ihm zuhören, gut ver­ständ­lich. Wir Dol­met­sche­rin­nen aber spre­chen rein und hören ihm nur mit 1 ¾ Ohr zu. Ein Vier­tel folgt der ei­ge­nen Stimme, wie bei den alten ana­lo­gen Ton­bän­dern die "Hin­ter­band­kon­trol­le".

Denn ja, wir "quat­schen nicht nur rein", wir hören uns auch selbst zu, achten auf pas­sen­de Verben, logi­sche Zu­sam­men­hänge und Satz­enden.

Für das Ein­drei­vier­tel­zu­hören reicht die Quali­tät aus Afrika in diesem Fall nicht aus. Ich bitte um lang­sa­me­res Spre­chen, worauf er sofort eingeht, ein Voll­profi, tausend Dank! Dann dolmet­sche ich vermut­lich mit kür­ze­ren Wörtern, lasse Re­dun­dan­zen kom­plett weg, spreche schnel­ler. Der Inhalt kommt rüber, die in­di­vi­du­elle Sprech­weise, die Teil der Persön­lichkeit ist, bleibt auf der Strecke.

Als sich später wieder Euro­päer zu­schal­ten: Kein Problem. Bis auf einer, der viel­leicht mit einem alten Rech­ner ar­beitet, der sich auf ein viel­leicht über­nutztes W-Lan verlässt, der möglicherweise denkt: "Hach, diese Men­schen mit Kopf­hörer und Mikro vor dem Mund se­hen albern aus!". Der junge Mann aus dem Senegal hat dage­gen alles richtig ge­macht, allein das Netz ver­fügt dort offen­bar nicht über die Band­breite, die es hätte haben sollen.

Und dann kommt, und hier setzen unsere Wün­sche ein, noch ein wei­teres Problem hinzu, das sogar be­kannte Anbie­ter wie Zoom auch im drit­ten Coronajahr nicht auf die Kette bekom­men, und zwar kommt der Ton auf der Empfangs­seite zusätz­lich ge­staucht an. Um seine Höhen und Spit­zen beraubt, ist der Out­put alles andere als ein natür­li­ches Klang­bild. Das Hören strengt stär­ker an, auch wenn sich das das Laien (wie neu­lich einer meiner Brü­der) nur schwer vor­stel­len kön­nen.

Wir alle wissen, wie es aussieht, wenn bei einem di­gi­talen Fo­to die Infor­ma­tions­men­ge verringert wird aufgrund der Spei­che­rung als klei­ne­re Datei oder der Wie­der­ga­be in gerin­ge­rer Auflösung. Stellen wir uns ein Foto vor, einmal mit Tie­fen­schärfe, so dass jeder Fens­ter­steg, jedes Mut­ter­mal zu erkennen sind, und einmal mit groben Pixeln, so dass vom Haut­bild der Men­schen, von bau­li­chen Details dane­ben nicht viel zu sehen ist. So ähn­lich funk­tio­niert die Reduk­tion im Klang. Und wir, die wir dol­met­schen, müs­sen dann im­mer erahnen und ausg­lei­chen, was da fehlt an Silbe oder Tönung, uns die Be­deu­tun­gen im Hirn rasch zu­sam­men­puz­zeln (als wäre Dol­metschen nicht schon schwer genug).

Wir haben es hier also mit einer vier­fachen Heraus­fo­rde­rung zu tun: Ers­tens das Dolmet­schen, zwei­tens die Klang­re­zeption im In­nen­ohr, schlech­ter Klang macht auf Dauer krank, drit­tens die kog­ni­tive Er­schwernis sowie, viertens, das Wis­sen darum, den Rah­men un­se­rer Arbeit nicht posi­tiv be­ein­flus­sen zu kön­nen, gewis­ser­ma­ßen ausge­lie­fert zu sein.

In der heu­ti­gen Arbeit, urlaubs­be­dingt nicht zu zweit aus dem Dol­metsch­stu­dio aus, kommt noch eine fünf­te hinzu, nämlich die Angst vor dem Ver­sa­gen der Tech­nik, dem An­wen­den unserer grund­sätz­lich Kennt­nisse, die wir in dem Feld erlangt haben, denn in Ton­tech­nik aus­ge­bil­det ist von uns so gut wie nie­mand.

Die Folgen für den kon­kre­ten Dol­metsch­pro­zess dürf­ten ver­ständ­lich sein: Da ich mehr Ener­gie aufs Hören und Verste­hen ver­wen­den muss, fehlt mir etwas beim Über­tra­gen und beim For­mu­lie­ren in der Ziel­sprache.

Zusam­men­ge­fasst unsere Wunsch­liste:
⊗ Com­pu­ter­tech­nik à jour halten
⊗ Lan-Kabel zum Netz­an­schluss
⊗ Head­set oder Kopf­hörer und gutes Mikrofon nutzen (*)
⊗ Ruhigen Raum wählen
⊗ Stumm­schal­ten, wenn nicht im "On"
⊗ Sollte die Band­brei­te nicht aus­rei­chen, bitte Ka­me­ra aus­schal­ten

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Foto:
Screenshot "Zoom", hier dolmetscht
die Kollegin ins Deutsche / (*): Wer investie-
ren möchte: das RØDE NT-USB mini hat der-
zeit das beste Preis-/Leistungsverhältnis

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