Büro à l'ancienne |
Die Firma ist nicht etwa geschrumpft, nein, ihre Mitarbeiterinnen und -arbeiter sind nur nicht ständig im Büro.
Der Dienstleister im Bereich Lohnbuchhaltung ist Vorreiter in flexiblem Arbeiten und nennt das "Work from anywhere". Die Berliner Zeitung (Link) zitiert die Personalchefin des Unternehmens: "Jeder und jede soll dort arbeiten können, wo er oder sie sich am produktivsten fühlt und wie es zum jeweiligen Lebensstil am besten passt". Der Artikel berichtet weiter, dass der Berliner Büromietmarkt zwischen April und Juni um knapp die Hälfte eingebrochen sei.
Das hängt mit Corona zusammen, aber auch mit Veränderungen in der Büroarbeitswelt, die wir schon lange beobachten. Die Zeitung gibt die Erwartung von Fachleuten wieder, dass in Berlin bald sechs Millionen Quadratmeter Bürofläche ungenutzt rumstehen würden, ein Drittel der bislang genutzten Räume.
Jahrzehntelang wurden Arbeitsplätze wie Fabrikhallen geplant, wenig energieeffiziente Kuben mit viel Kunstlicht und schnurgeraden Wegen, in denen mitunter Pflanzen eine Ahnung vom wilden, ungezügelten, nicht rechtwinklig normierten Leben vermittelt haben, das damals draußen mutmaßlich stattfand.
"Damals", also bis zum Januar, sind auch viele noch für einen halbstündigen Termin quer durch die Republik geflogen oder von Land zu Land, wir Dolmetscherinnen können das bezeugen. Die Kurztermine fehlen heute manchmal, das Arbeitsleben im Großraumbüro nicht. Ich spreche aus Erfahrung, ein halbes Jahr habe ich vor langem in einem solchen gesessen. Das war einerseits gut, denn ich war stets bestens informiert, was wichtig war für mich als künstlerische Leiterin eines Filmfestivals. Allerdings hat es mich bei Tätigkeiten wie Schreiben, Lektorieren und Lesen gestört und brachte viele Überstunden mit sich.
Im Lockdown haben viele Menschen am Küchen- oder Wohnzimmertisch gearbeitet. Sie sparten täglich viele Stunden Reisezeit in Bussen, Bahnen und im Auto. Es gab weniger Verkehrsunfälle und bessere Luft (Link zum Deutschlandfunk). Untersuchungen ergaben, dass die Betreffenden in vielen Ländern im Schnitt eine gute Dreiviertelstunde länger gearbeitet haben als im Büro (Link zur Washington Post). Die Qualität der Arbeit und wie stark vielleicht der Nachwuchs den Störfaktor "Kollege" ersetzt hat, wurden nicht erhoben.
Eins ist klar: Viele Menschen wünschen sich fortan eine Hybridisierung der Arbeitswelt. Sie möchten einige Tage die Woche zuhause arbeiten (Gottseidank, die Kids sind wieder in der Schule!), andere fürchten Ansteckungen und einen erneuten Lockdown (Haben Lehrer und Bildungsplaner effizient an Entwicklung digitaler Lehrformate gearbeitet und auch die Kinder aus bildungsfernen Schichten mit Technik ausgestattet?), nahezu alle finden Abwechslung gut, denn der informelle Austausch von Kollegen ist auch wichtig (Wir Menschen sind soziale Wesen, zum Glück kann nicht alles optimiert werden).
Bei einem meiner Nachbarn wurde "mobiles Arbeiten" ausgerufen, damit der Arbeitgeber keinen zweiten Rechner und keinen rückenfreundlichen Bürostuhl fürs Heimbüro zahlen muss, die andere Nachbarin ist nun komplett im eigenen Arbeitsraum, nicht mehr im Büro, und stellt fest, dass sie ihre Arbeit in der halben Zeit schafft. Was ihr fehlt ist Platz, eine Tür, die sie zumachen kann, wenn sie die Arbeit hinter sich lassen will.
Auf den einschlägigen Kongressen und Delegationsreisen wurde schon vor Jahren damit gerechnet, dass sich diese Veränderungen auch auf den Städtebau auswirken werden. Kurz: Wir brauchen wieder größere Wohnungen, die zugleich bezahlbar sein müssen, und wir brauchen weniger Büroflächen. Außerdem werden künftig Büroimmobilien nachhaltiger gebaut werden müssen, sie werden Wohnräumen ähneln, denn sie sind Lebensorte mit flexiblen Arbeitsplätzen, Teams können sich in wechselnden Bereichen zusammenfinden, daneben gibt es Stillarbeitsräume und mittendrin das eine oder andere alte Büro "wie früher".
Hermes und Schreibtisch (ca. 1900) |
Was werden wir künftig mit den starren Bürobauten aus Glas, Beton und Stahl machen? Vor allem in Zeiten, in denen Wohnraum fehlt ... allerdings werden sie nur schwer in echte Lebensräume alias Wohnräume umzubauen sein.
Auch auf unser Dolmetscherinnenleben wird sich das auswirken. Mehr als jedes zweite Unternehmen plant Umfragen zufolge, stärker auf Onlinekonferenzen zu setzen und Dienstreisen zu reduzieren. Die Sitzungen werden kürzer, auch die Formate hybrider, seminarartiger. Die Dolmetschwelt richtet sich langsam darauf ein.
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Foto: C.E. (eigenes Fotoarchiv)
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