Eine häufig gehörte Rückmeldung auf unser Simultandolmetschen ist die: "Wie machen Sie das? So schnell haben Sie die passenden Begriffe parat, manchmal sprechen Sie einen Satz zeitgleich mit den Rednern zu Ende oder sind sogar früher fertig! Woher wissen Sie, was die sagen wollen?"
Abendliches Treffen |
In der französischen Sprache kommt das Verb einfach sehr früh, durch den Kontext oder eine bestimmte Wortwahl wissen wir, was folgt, das macht uns schneller. Grundsätzlich dürfen wir unsere Arbeit mit der einer Akrobatin vergleichen oder eines Jongleurs, der lächelnd Bälle in der Luft rumwirbelt. Das ist das Ergebnis von viel Training, Bis die Techniken erlernt sind, ist viel Training nötig — und auch, um sie aufrechterzuhalten.
Auch ich trainiere täglich, denn Sprachen entwickeln sich weiter und sind logischerweise mit Inhalten verbunden. Daneben lese ich den Bücherstapel weg, arbeite mich in neue Wissensgebiete ein bzw. knüpfe an die Felder an, mit denen wir bislang nur ein-, zwei- oder dreimal zu tun hatten.
In den letzten Wochen musste ich mich von meinem Vater verabschieden. Auch das kostet Zeit und geistige Energie. Das wird mich noch sehr lange beschäftigen.
Dann wurde unser Haus an eine Firmengruppe verkauft, hinter der eine Bank und eine Pensionskasse stehen. Deren Manager gründen regelmäßig neue Firmen für neue Immobilien, so dass wir über deren Absichten nur spekulieren können. Wir vermuten nichts Gutes.
Vereinssitzung im Hof |
Wir organisieren uns und würden gerne mit dem nicht grundsanierten Haus einer Genossenschaft beitreten. Das bedeutet viele Sitzungen, Einlesen in komplexe Sachverhalte und neue Organigramme und Vokabeln, die ich vielleicht später in einem Dolmetscheinsatz wieder verwenden kann. Ich recherchiere und schreibe auf, auch für Fragen unserer ausländischen Mitbewohnerinnen.
Statt einer Urlaubsreise ist unser versammeltes "Hofbalkonien" mit Haustreffen und Arbeitsgruppen so etwas wie das ganz andere Abenteur im Cluburlaub: Unser Ferienpark ist das lebensgroße Monopoly-Live-Rollenspiel, es gelten verschärfte, nicht immer durchsichtige, logische oder zielführende Regeln, der Spieleinsatz ist die Sicherheit der Wohnung für die nächsten Jahrzehnte. Als ich diesen Gedanken bringe, wendet eine Nachbarin ein: "Leider putzt einem keiner das Bad und legt frische Handtücher hin!" Die andere: "Wir reisen economy, meine Liebe, nicht business."
Dieses Jahr 2020 ist noch lange nicht vorbei und es ist in meinem Leben schon so viel geschehen, wie sonst in einem halben Jahrzehnt.
Vokabeln
Besitzer/in — Jene(r), der gerade eine Liegenschaft bewohnt. Merkhilfe: Mensch sitzt drauf, wie auf einem Stuhl — locataire (le/la), occupant(e), im Alltagsgebrauch oft propriétaire (le/la)
Eigentümer/in — jene(r), der das Objekt gehört, der/die im Grundbuch steht — propriétaire (le/la) du logment, bailleur (Vermieter)
Auf Deutsch sind die Begriffe glasklar zugeordnet, auf Französisch ist es weniger eindeutig. Wer Lust auf diese sprachlichen Finessen hat, auf Leo.org findet sich eine sehr differenzierte Debatte zum Wort Besitzer.
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Fotos: C.E.
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