Donnerstag, 13. August 2020

COVIDiary (127)

Bon­jour, gu­ten Tag & hel­lo auf den Sei­ten des ers­ten deut­schen Dol­met­scher­blogs aus dem Inneren der Dol­metscherkabine. Gerade schreibe ich vom Büro aus, das seuchenbedingt brachliegt. So persönlich wie dieses Jahr war dieser Blog noch nie. Durch Corona verschieben sich die Themen.

Eine häufig gehörte Rück­meldung auf unser Simultan­dolmetschen ist die: "Wie machen Sie das? So schnell haben Sie die pas­senden Begriffe parat, manchmal sprechen Sie einen Satz zeitgleich mit den Rednern zu Ende oder sind sogar früher fertig! Woher wissen Sie, was die sagen wollen?"

Aus einem Obergschoss aufgenommen: Sitzung im Hof
Abendliches Treffen
Wer diesen Blog länger liest, ahnt, wie wir Dolmet­scher:innen arbeiten. Denn dass wir so spontan von einer in die andere Sprache übertragen, im besten Fall wirkt es leicht und anstrengungs­los, liegt am vielen Training, der intensiven Vorbe­reitung und der Gram­matik.
In der französischen Sprache kommt das Verb einfach sehr früh, durch den Kontext oder eine bestimmte Wortwahl wissen wir, was folgt, das macht uns schneller. Grund­sätzlich dürfen wir unsere Arbeit mit der einer Akro­ba­tin ver­glei­chen oder eines Jongleurs, der lächelnd Bälle in der Luft rumwirbelt. Das ist das Ergebnis von viel Trai­ning, Bis die Techn­iken erlernt sind, ist viel Training nötig — und auch, um sie auf­recht­erzu­halten.

Auch ich trainiere täglich, denn Sprachen entwickeln sich wei­ter und sind lo­gi­scher­wei­se mit In­halten ver­bunden. Daneben lese ich den Bücher­stapel weg, ar­bei­te mich in neue Wissensgebiete ein bzw. knüpfe an die Felder an, mit denen wir bislang nur ein-, zwei- oder dreimal zu tun hatten.

In den letzten Wochen musste ich mich von meinem Vater verabschieden. Auch das kostet Zeit und geistige Energie. Das wird mich noch sehr lange beschäftigen.

Dann wurde unser Haus an eine Firmengruppe verkauft, hinter der eine Bank und eine Pensionskasse stehen. Deren Manager gründen regelmäßig neue Firmen für neue Immobilien, so dass wir über deren Absichten nur spekulieren können. Wir vermuten nichts Gutes.

Vereinssitzung im Hof
Das Haus liegt mitten im Mi­lieu­schutz­gebiet. Hier fehlt den meisten die hohen Rück­la­gen oder/und die gut do­tier­te Fest­an­stel­lung, um sich eine Ei­gen­tums­woh­nung zu kaufen. Wir wohnen schlicht mit schönem Blick auf einen oft stin­ken­den Land­­wehr­­ka­nal, haben weder hoch­wer­tigen Ein­bau­­kü­chen noch teu­re Ar­ma­tu­ren, sondern oft viel selbst ge­macht.

Wir organisieren uns und würden gerne mit dem nicht grund­sa­nierten Haus einer Genossen­schaft beitreten. Das bedeutet viele Sitzungen, Einlesen in komplexe Sach­verhalte und neue Organigramme und Vokabeln, die ich vielleicht später in einem Dolmetscheinsatz wieder verwenden kann. Ich re­cher­chiere und schreibe auf, auch für Fragen unserer ausländischen Mitbewohnerinnen.

Statt einer Urlaubsreise ist unser ver­sammeltes "Hofbal­konien" mit Haus­treffen und Arbeits­gruppen so etwas wie das ganz andere Abenteur im Cluburlaub: Unser Fe­rien­­park ist das lebens­gro­ße Mo­no­poly-Live-Rollenspiel, es gelten verschärfte, nicht im­mer durch­sichtige, logische oder zielführende Regeln, der Spieleinsatz ist die Si­cher­heit der Woh­­nung für die nächsten Jahr­zehnte. Als ich diesen Gedanken bringe, wendet eine Nachbarin ein: "Leider putzt einem keiner das Bad und legt frische Handtücher hin!" Die andere: "Wir reisen economy, meine Liebe, nicht bu­si­ness."

Dieses Jahr 2020 ist noch lange nicht vorbei und es ist in meinem Leben schon so viel geschehen, wie sonst in einem halben Jahrzehnt.

Vokabeln
Besitzer/in — Jene(r), der gerade eine Liegenschaft bewohnt. Merkhilfe: Mensch sitzt drauf, wie auf einem Stuhl — locataire (le/la), occupant(e), im All­tags­ge­brauch oft propriétaire (le/la)
Eigentümer/in — jene(r), der das Objekt gehört, der/die im Grundbuch steht —  propriétaire (le/la) du logment, bailleur (Vermieter)

Auf Deutsch sind die Begriffe glasklar zugeordnet, auf Französisch ist es weniger eindeutig. Wer Lust auf diese sprachlichen Finessen hat, auf Leo.org findet sich eine sehr differenzierte Debatte zum Wort Besitzer.

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Fotos: C.E.

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