Montag, 17. August 2020

COVIDiary (130)

Herzlich willkommen! Hier be­rich­te ich normalerweise aus mei­nem Berufsleben als frei­be­ruf­liche Konferenzdolmetscherin für die französische Sprache. Das Ar­beits­ta­ge­buch wurde zum COVIDiary. Heute gehen mir sprachlich ein wenig die Gäule durch. Der Mix aus Hochsprache, Umgangssprache, Berlinerisch und anderen Manierismen ist für Menschen mit Deutsch als Fremdsprache sicher nicht einfach zu verstehen.

Zwischen den Blättern der Landwehrkanal
Mein heutiger Co­ro­na­som­mer­tip kommt von Aman­dine, ei­ner französi­schen Freundin, die seit Jahren mit Mann und zwei Kin­dern in Berlin lebt.

Wenn ei­nem Ur­laub und Meer feh­len, hilft es sich ein­fach vor­zustel­len, dass da hin­ten, nach der nächs­ten Kur­ve, erst die Dü­nen und dann das Meer lie­gen. Und dann ein­fach wie ge­habt weiter­machen.

Heute weht ein besonderer Wind, der könnte direkt vom Meer kommen. Warum haben wir es denn schon wieder nicht an den Strand geschafft? Zu viel zu tun, zu viel die Stadt ergangen (empfiehlt sich bei vollen Zügen mit Menschen auch ohne Mundschutz), zu viel im Museum gewesen (empfiehlt sich bei leeren Museen), zu lange im Restaurant gewesen (Plätze gibt es auch bei großzügig zugestellten „Ter­ras­sen“, also Bürger­steigen und requirierten Park­plätzen, denn die Touris sind nicht da), zu viel nach Ge­schenken gebummelt (empfiehlt sich, die Fachgeschäfte sind leer, die Gründe sind bekannt) ... Nun, für Letzteres fehlt es vielen am nö­ti­gen Kleingeld dieses Jahr, aber aufgepasst, Kinners, heute in vier Monaten ist der Donnerstag vor dem vierten Advent, Weihnachten steht vor der Tür! Das Jahr ist rum, Kinners, da beißt die Maus kein‘ Faden ab.

Nachdem wir das Jahr so husch­pfusch­mäßig angefangen haben, wird es wohl auch so zu Ende gehen. In der Zwischenzeit üben wir uns in Genüssen. Heute laben wir uns am Caffè freddo, in vier Monaten an Glühwein.

Und nein, mir sind heute nicht die Ömme durchgeglüht, die Synapsen ver­schmur­melt, dem Hürn jeht‘s jut uff‘m Nord­balkon mit Blick auf die stinkende Land­wehr­ka­nal­plör­re. Jetzt beginnt der unschöne Teil des Sommers. Damit das Gewässer nicht kippt, schickt die Stadt Berlin Abend für Abend ein Schiff durch den Seegang, das Sauerstoff in die grüne Brühe bläst, der gemeine Berliner füttert kräftig mit Brotresten dagegen an in willentlicher Igno­rierung der überall aufge­stellten Warn­schil­der, man möge doch bittschön die Enten- und Schwa­nen­population nicht füt­tern. Selbige beobachtet ob der an raf­fi­nierten Meh­len über­rei­chen Kost be­schleu­nig­te Ver­dau­ung (wenn sie denn beob­achten würde), die Algen freut‘s, sie wach­sen um die Wette, bauen viel Sauer­stoff in ihre Auswüchse ein, binden damit die­se be­gehr­ten Mo­le­kü­le. Kurz: Det Janze ist in seinem fragilen Gleichgewicht ständig bedroht.

OK, in der Ferienwohnung am Meer unweit des Hafens, an einem idyl­lisch ge­le­ge­nen Ka­nal, stinkt es halt auch immer ein wenig. Warum suchen wir im Urlaub ei­gent­lich immer nach dem Ver­trauten, nach einem im Kondi­tionalis durch­de­kli­nier­ten Abbild der eigenen Existenz. („Was wäre, wenn ich in meinem Urlaubsland geboren worden wäre?“)

Also, dort, wo dermaleinst das Studentenbad lag, im Drei­län­dereck zwischen den Be­zir­ken Kreuz­berg, Neukölln und Treptow, da beginnt jetzt für mich jetzt das Meer. Sorry, Grischan, der Du direkt dort drüben in Treptow wohnst. Aber viel­leicht ist diese Straße grad mal noch ein Insel­chen, mit einer Brücke ans Fest­land ge­bun­den, fest vertäut, damit es nicht wegschwimmt. Dahinter dann das offene Meer. Ganz in der alten Tradition des alten DDR-Witzes: Wie viele Meere sieht man vom Berliner Fern­seh­turm? Vier! Oben ein Wolkenmeer. Unten ein Häuser­meer. Im Wes­ten ein Lich­ter­meer. Im Osten gar nichts mehr.

Ab heute im Osten: das Ostmeer.

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Foto: C.E.

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