Zwischen den Blättern der Landwehrkanal |
Wenn einem Urlaub und Meer fehlen, hilft es sich einfach vorzustellen, dass da hinten, nach der nächsten Kurve, erst die Dünen und dann das Meer liegen. Und dann einfach wie gehabt weitermachen.
Heute weht ein besonderer Wind, der könnte direkt vom Meer kommen. Warum haben wir es denn schon wieder nicht an den Strand geschafft? Zu viel zu tun, zu viel die Stadt ergangen (empfiehlt sich bei vollen Zügen mit Menschen auch ohne Mundschutz), zu viel im Museum gewesen (empfiehlt sich bei leeren Museen), zu lange im Restaurant gewesen (Plätze gibt es auch bei großzügig zugestellten „Terrassen“, also Bürgersteigen und requirierten Parkplätzen, denn die Touris sind nicht da), zu viel nach Geschenken gebummelt (empfiehlt sich, die Fachgeschäfte sind leer, die Gründe sind bekannt) ... Nun, für Letzteres fehlt es vielen am nötigen Kleingeld dieses Jahr, aber aufgepasst, Kinners, heute in vier Monaten ist der Donnerstag vor dem vierten Advent, Weihnachten steht vor der Tür! Das Jahr ist rum, Kinners, da beißt die Maus kein‘ Faden ab.
Nachdem wir das Jahr so huschpfuschmäßig angefangen haben, wird es wohl auch so zu Ende gehen. In der Zwischenzeit üben wir uns in Genüssen. Heute laben wir uns am Caffè freddo, in vier Monaten an Glühwein.
Und nein, mir sind heute nicht die Ömme durchgeglüht, die Synapsen verschmurmelt, dem Hürn jeht‘s jut uff‘m Nordbalkon mit Blick auf die stinkende Landwehrkanalplörre. Jetzt beginnt der unschöne Teil des Sommers. Damit das Gewässer nicht kippt, schickt die Stadt Berlin Abend für Abend ein Schiff durch den Seegang, das Sauerstoff in die grüne Brühe bläst, der gemeine Berliner füttert kräftig mit Brotresten dagegen an in willentlicher Ignorierung der überall aufgestellten Warnschilder, man möge doch bittschön die Enten- und Schwanenpopulation nicht füttern. Selbige beobachtet ob der an raffinierten Mehlen überreichen Kost beschleunigte Verdauung (wenn sie denn beobachten würde), die Algen freut‘s, sie wachsen um die Wette, bauen viel Sauerstoff in ihre Auswüchse ein, binden damit diese begehrten Moleküle. Kurz: Det Janze ist in seinem fragilen Gleichgewicht ständig bedroht.
OK, in der Ferienwohnung am Meer unweit des Hafens, an einem idyllisch gelegenen Kanal, stinkt es halt auch immer ein wenig. Warum suchen wir im Urlaub eigentlich immer nach dem Vertrauten, nach einem im Konditionalis durchdeklinierten Abbild der eigenen Existenz. („Was wäre, wenn ich in meinem Urlaubsland geboren worden wäre?“)
Also, dort, wo dermaleinst das Studentenbad lag, im Dreiländereck zwischen den Bezirken Kreuzberg, Neukölln und Treptow, da beginnt jetzt für mich jetzt das Meer. Sorry, Grischan, der Du direkt dort drüben in Treptow wohnst. Aber vielleicht ist diese Straße grad mal noch ein Inselchen, mit einer Brücke ans Festland gebunden, fest vertäut, damit es nicht wegschwimmt. Dahinter dann das offene Meer. Ganz in der alten Tradition des alten DDR-Witzes: Wie viele Meere sieht man vom Berliner Fernsehturm? Vier! Oben ein Wolkenmeer. Unten ein Häusermeer. Im Westen ein Lichtermeer. Im Osten gar nichts mehr.
Ab heute im Osten: das Ostmeer.
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Foto: C.E.
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