Dienstag, 18. August 2020

COVIDiary (131)

Will­­kom­­men auf den Sei­ten einer Ber­liner Sprach­­ar­­bei­terin. Ich dol­­met­sche aus dem Deutschen, Fran­­zö­­si­­schen und Eng­­li­schen und schreibe hier über meinen ab­wechs­lungs­reichen Berufsalltag. In Coronazeiten schreibe ich etwas privater, was mich so umtreibt. Derzeit: Fortbildung einmal anders.

Frauen, Sitzgelegenheiten, Hund am Boden
Hofdreh
Eine Nachbarin und ich dre­hen einen kurzen Prä­sen­ta­tions­film über unsere Haus­gemein­schaft. Nina ist In­ge­nieu­rin und arbeitet seit Jah­ren im Aus­stel­lungs­be­reich, an der Schnittstelle zwischen Design und Didaktik. Meine Film­kenntnis­se sind ver­tieft, theo­re­tisch, lin­gu­is­tisch.

Am Set überwiegen die Erfah­rungen aus der Zeit als Regieas­sistentin und vom Dol­met­schen. Als Ex-Journalistin kann ich Interviews führen. Wir ergänzen uns gut, lachen über ähnliche Dinge.

In diesem merkwürdigen Film sind wir beide gerade: Von der Wohnung zum Dreh­ort sind es nur einige Schritte. Ninas große Tochter kommt nachhause und darf gleich nochmal reinkommen, weil wir das mitdrehen. Der eine Nachbar grüßt auf dem Fußweg zur Arbeit die andere Nachbarin, die auf dem Markt am Obst- und Ge­müs­estand mithilft (und sonst Puppen­spielerin ist). Die Gespräche gehen am Abend weiter, Interaktionen zwischen Protagonisten außerhalb des Sets sind merk­würdig.

Außerdem wohnt das Team am Drehort. Noch komischer, davon hatte ich es ja letzte Woche schon. Nina kommt zum Einsatz, sie ist in ihre Sneakers geschlüpft und hat noch nicht einmal ihre Schnürsenkel zugemacht. Am Anfang haben wir be­ob­ach­tet, wie viele Milcher­satzsorten es in den Kühl­schränken im Haus gibt, dann vermehrt nur noch im Garten gedreht. Hypothese: Kuh­milch ist hier selten. Sozio­logen würden das als einen Indikator der ersten Gentrifi­zierungswelle sehen, deren Vertreter irgendwann einmal von der zweiten Welle bedroht sind.

Wir haben alle Kassensturz gemacht um zu prüfen, ob wir uns mit dem Haus in ei­ne Genossenschaft einkaufen können. Ergebnis: Auf dieser Ebene können wir noch mit­halten. Eine Wohnung in einem vielleicht einmal in der Zukunft edel­sanierten Altbau liegt für uns alle außerhalb der Reichweite, da könnte nicht eine einzige Partei mithalten.

N. dreht den Balkon von A.
Hausdreh
Laut soziokulturellem Panel sind wir untere Mit­tel­schicht*, einige wenige mitt­le­re Mit­tel­schicht. Hier leben: Kran­ken­pfle­ger aus der Intensiv­sta­tion, Texterin, Mu­si­ka­lien­händ­ler, Kin­der­gärt­nerin in Ausbildung, Koch, So­zial­ar­bei­te­rin, Architekt in Anstellung, freiberufliche Dol­met­scherin.

Außerdem: Lehrer/in, ungelernter Arbeiter, Puppenspielerin und Kunst­pädagogin, Mitarbeiter von NGOs, Grafikerin, Modedesignstudentin, Reiseführerin, Mitarbeiter in einem Fahrradladen, Heilpraktikerin, Produktdesigner/IT-Mitarbeiter, Kin­der­buch­autorin sowie viele Rentnerinnen und Studierende.

Wir leisten alle für die Gesellschaft wichtige Aufgaben und möchten auch morgen noch stressfrei wohnen können, ohne 40 bis 60 Prozent des Monats­budgets für die Miete aufbringen zu müssen, wie es bei Berlin­neu­zu­gän­gen unserer Ein­kom­­mens­­grup­pen derzeit der Fall ist.

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Fotos: C.E.
(*) wegen der Beschäftigungsverhältnisse,
die oftmals prekär sind, besonders jetzt.

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