Sonntag, 26. Oktober 2025

Resilienz und Einfachheit

Seit fast zwei Jahr­zehn­ten bin ich als Dol­met­sche­rin in Frank­reich und Deutsch­land un­ter­wegs, und zar für Deutsch ↔ Fran­zö­sisch so­wie aus dem Eng­li­schen. Ganz gleich, ob auf Kon­fe­ren­zen, bei De­le­ga­tio­nen oder in Work­shops: Ich sor­ge da­für, dass Wor­te an­kom­men. Die­se Prä­zi­sion und Er­fah­rung zei­ge ich auch hier im Blog. Sonn­tags­ge­dan­ken (statt ei­nes Sonn­tags­bil­des).

Am Diens­tag ha­be ich als ro­man­ti­schen Mo­ment ver­zeich­net, wenn im Herbst (oder beim Rück­flug im Früh­jahr) die Kra­ni­che über die Fir­ste zie­hen. Was ich beim Tip­pen nicht ge­ahnt ha­be, war, dass die Kra­ni­che das Vo­gel­grip­pe­vi­rus mit sich tra­gen. In vie­len Dör­fern um Ber­lin her­um, aber auch an­ders­wo, wer­den jetzt gan­ze Vo­gel­be­stän­de ge­keult, weil kran­ke Kra­ni­che un­ter­wegs Rast ge­macht ha­ben oder ver­en­det sind.

In den USA ist das H5N1-Vi­rus be­reits auf Rin­der über­gesprun­gen. Durch Mas­sen­tier­hal­tung wird die Aus­brei­tung von Seu­chen ge­för­dert. Die nächs­te Pan­de­mie wird kom­men. Ak­tu­ell wä­ren wir gar nicht vor­be­rei­tet. Wir ha­ben die Leh­ren aus der Co­ro­na­zeit nicht ge­lernt, da­bei den­ke ich nicht nur an die Phar­ma­in­dus­trie und Stand­or­te, son­dern auch an an­de­re Tech-Stand­or­te, was sich ge­ra­de an den Mi­kro­chips zeigt. Deutsch­land ist al­les an­de­re als re­si­li­ent.

Die größ­ten Sor­gen ma­chen mir (ne­ben der zu­meist un­wür­di­gen, nicht art­ge­rech­ten Un­ter­brin­gung der Tie­re) die vie­len Men­schen in Trotz­hal­tung, die oft­mals mit dem Dü­sen­jet durch ih­re Bil­dungs­ein­rich­tun­gen ge­eilt sind und die Fol­gen gar nicht selbst ab­schät­zen kön­nen. Wir be­ob­ach­ten Wis­sen­schafts­feind­lich­keit. Das geht al­ler­dings weit rauf in Krei­se, die ver­mut­lich ge­nau wis­sen, was sie an­rich­ten. Sie ver­wei­gern bis ver­teu­feln aber das Na­he­lie­gends­te, und hier spre­che ich von Ge­sell­schafts-, Bil­dungs-, Wirt­schafts- und Energie­the­men, weil sie sich ein gol­de­nes Nä­schen da­mit ver­die­nen.

Wie sehr ist es mög­lich, dass Men­schen ih­re Kin­der und En­kel has­sen? Ich ver­ste­he es nicht.

Re­gen­sonn­tag: Mit dem Schirm ins Mu­se­um, spä­ter gut ko­chen, zwi­schen­durch ei­ne Schreib­tisch­schub­la­de aus­sort­ie­ren, ge­treu dem Mot­to un­se­res Va­ters: „Je­den Tag ei­ne klei­ne amé­lio­ra­tion.“

Da­bei den­ke ich über Nach­hal­tig­keit nach. Ich hal­te mich für ei­ne welt­of­fe­ne, po­ly­glot­te Wert­kon­ser­va­ti­ve in dem Sin­ne, als dass wir durch un­ser Le­ben die Be­din­gun­gen der an­de­ren Le­be­we­sen ver­bes­sern und dann, wenn wir ge­hen, et­was Po­si­ti­ves hin­ter­las­sen müs­sen. Die Auf­ga­be ist eben­so ein­fach wie ra­di­kal. Ich schät­ze mal, ich ha­be sie von mei­nen Vor­fah­ren ge­erbt, die im­mer viel Ver­ant­wor­tung für ih­re An­ge­stell­ten, aber auch für die sie um­ge­ben­de Na­tur hat­ten.

Kei­ner von uns exis­tiert al­lein. In der Früh­zeit der Mensch­heit hat ge­nau das uns zu Men­schen ge­macht: Ge­mein­schaft, Mit­ein­an­der, Ko­ope­ra­tion. Wie be­kom­men wir es wie­der hin, dass un­se­re Ge­sell­schaft sich an Wer­te er­in­nert wie Ge­rech­tig­keit, So­li­da­ri­tät, Ver­ant­wor­tung, Nach­hal­tig­keit und den Schutz der Kul­tur?

Wir müs­sen den Dys­to­pi­en oder va­gen Zu­kunfts­bil­dern vol­ler Ver­spre­chen aus ex­tre­mis­ti­schen und fa­schis­ti­schen Krei­sen star­ke Bil­der ei­ner gu­ten, erstre­bens­wer­ten Zu­künf­t ent­ge­gen­set­zen. Ein­fach ge­sagt, schwer ge­tan.

Da­bei sor­tiert mein Kopf ne­ben den al­ten Stif­ten auch an an­de­ren Punk­ten her­um. Wie ger­ne wä­re ich Mi­ni­ma­lis­tin. Aber das klappt ir­gend­wie nicht. Da­für dol­met­sche ich in zu un­ter­schied­li­chen Be­rei­chen und le­se zu ger­ne. Es sind al­so schon mal vie­le Bü­cher da. Von den Ah­nen ha­be ich et­was Kunst über­nom­men und auch selbst das ei­ne oder an­de­re ge­kauft, da­zu die al­ten Mö­bel, et­li­ches re­stau­rie­ren las­sen. Grund­sätz­lich bin ich für gu­te Schrän­ke, Wand­schrän­ke und Kom­mo­den, da­mit al­les sei­nen Platz hat.

Bei län­ge­rem Nach­den­ken scheint mir ra­di­ka­ler Mi­ni­ma­lis­mus oh­ne­hin ein Pro­jekt des Ka­pi­ta­lis­mus zu sein: Lasst sie weg­wer­fen, da­mit sie Neu­es kau­fen müs­sen! Dann kommt der Sub­text: „Seid froh, dass Ihr nicht so viel be­sitzt, ge­nießt die Ein­fach­heit, Ihr habt so­wie­so nicht ge­nug Geld für Lu­xus und Schnick­schnack!“ .   

Männer, die um Stehpulte herum stehen
Büroalltag um 1900

Mein Ur­ur­groß­va­ter, von Beruf Kaufmann, hat­te sei­nen ei­ge­nen Ge­mü­se­gar­ten mit ei­nem fest­an­ge­stell­ten Gärt­ner, Früh­bee­ten und Ge­wächs­haus. Er hat al­les selbst an­ge­baut, ver­e­delt, Saat­gut ge­tauscht. Dass die Ar­tischock­en nicht so wuch­sen, wie sie soll­ten, zähl­te zu sei­nen Ent­täu­schun­gen. Auf die blü­hen­de Kö­ni­gin der Nacht war er stolz und zeig­te er der hal­ben Stadt des Nachts die Blü­te des Kaktus.

Grund­sätz­lich war da­mals so vie­les an­ders als heu­te. Die Leu­te ha­ben al­les bis zum letz­ten Mo­ment ge­nutzt, oft nicht freiwillig. Un­ser Fa­mi­li­en­haus steht in dem Teil Deutsch­lands, das der­ma­leinst DDR hieß. Dort herr­schte Man­gel­wirt­schaft. Die Ge­wohn­hei­ten än­der­ten sich nicht; es wur­den Re­cy­cling und Up­cy­cling be­trie­ben, lan­ge be­vor es die Be­grif­fe gab.

Die­je­ni­gen, die al­te Strümpfe zu Hand­tü­chern ver­we­ben lie­ßen, die, wenn sie ab­ge­nutzt wa­ren, auf­ge­trennt und zu Topf­lap­pen ver­ar­bei­tet wur­den, die spä­ter zu Putz­lap­pen wur­den und ganz zum Schluss im Kom­post lan­deten, weil sie aus 100 Pro­zent Baum­wol­le be­stan­den ha­ben, ha­ben das Ma­te­ri­al bis zum letz­ten Mo­ment ge­ehrt. Wir müs­sen zu den ein­fa­chen Kreis­läu­fen und ge­sun­den Stoff­en zu­rück­keh­ren, wenn wir den All­tag vie­ler Men­schen ent­gif­ten und für die Zu­kunf­t nach­hal­tig ge­stal­ten wol­len. Aber ich wie­der­ho­le mich nur.

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Foto: Ar­chiv E­li­as Los­sow, zum Ver-
­grö­ßern in ein zwei­tes Fens­ter la­den

1 Kommentar:

Th. hat gesagt…

Stand heute sind 1,5 Millionen Tiere tot, die meisten davon gekeult, also präventiv getötet. Das Problem Vogelgrippe zeigt einmal mehr auf, dass das große Problem dahinter, die Massentierhaltung, schon wieder nicht kritisiert wird. Wenn die Politik nichts macht, was können wir Konsumentinnen und Konsumenten machen?